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§ 92.

Vielleicht läßt sich in der Folge, das was uns gegenwärtig durch das Auge zu beobachten schwer fällt, auf einem andern Wege finden und näher bestimmen. Soviel aber können wir inzwischen bemerken, daß das Blaue wenig in das Weiße, das Rothe wenig in das Schwarze, das Violette viel in das Schwarze, das Gelbe viel in das Weiße hereinstrahlet. Da nun unter der Bedingung, wie wir das Prisma beständig halten, die beiden starken Strahlungen abwärts, die beiden schwächern hinaufwärts gehen: so wird sowohl 10 ein schwarzer Gegenstand auf weißem Grunde, als ein weißer auf schwarzem Grunde, oben wenig und unten viel gewinnen.

Ich brauche daher das Wort Rand, wenn ich von dem schmäleren blauen und rothen Farbenstreife, da= 15 gegen das Wort Strahlung, wenn ich von dem breiteren violetten und gelben spreche, obgleich jene schmalen Streifen auch mäßig strahlen und sich ver= breitern, und die breiteren Strahlungen von den Rändern unzertrennlich sind.

Soviel wird vorerst hinreichen, um den Gebrauch dieses Wortes einigermaßen zu rechtfertigen und meinem Vortrage die nöthige Deutlichkeit zu geben.

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IX.

Graue Flächen, durch's Prisma betrachtet.

§ 93.

Wir haben in dem ersten Stücke nur schwarz und weiße Tafeln durch's Prisma betrachtet, weil sich an denselben die farbigen Ränder und Strahlungen der= 5 selben am deutlichsten ausnehmen. Gegenwärtig wiederholen wir jene Versuche mit grauen Flächen und finden abermals die Wirkungen des bekannten Gesezes.

§ 94.

Haben wir das Schwarze als Repräsentanten der Finsterniß, das Weiße als Repräsentanten des Lichtes 10 angesehen: so können wir sagen, daß das Graue den Schatten repräsentire, welcher mehr oder weniger von Licht und Finsterniß participirt und also manchmal zwischen beiden in der Mitte steht.

$ 95.

Der Schatten ist dunkel, wenn wir ihn mit dem 15 Lichte, er ist hell, wenn wir ihn mit der Finsterniß vergleichen, und so wird sich auch eine graue Fläche, gegen eine schwarze als hell, gegen eine weiße als dunkel verhalten.

§ 96.

Grau auf Schwarz wird uns also durch's Prisma 20 alle die Phänomene zeigen, die wir in dem ersten

Stücke dieser Beiträge durch Weiß auf Schwarz her= vorgebracht haben. Die Ränder werden nach eben dem Geseze gefärbt, und strahlen in eben der Breite, nur zeigen sich die Farben schwächer und nicht in der höchsten Reinheit.

$ 97.

Eben so wird Grau auf Weiß die Ränder sehen las= sen, welche hervorgebracht wurden, wenn wir Schwarz auf Weiß durch's Prisma betrachteten.

$ 98.

Verschiedene Schattirungen von Grau, stufenweise an einander gesetzt, je nachdem man das Dunklere 10 oben oder unten hinbringt, werden entweder nur Blau und Violett, oder nur Roth und Gelb an den Rändern zeigen.

§ 99.

Eben diese grauen Schattirungen, wenn man sie horizontal neben einander betrachtet, und die Ränder 15 durch's Prisma befieht, wo sie oben und unten an eine schwarze oder weiße Fläche stoßen, werden sich nach den uns bekannten Gesezen färben.

$ 100.

Die zu diesem Stücke bestimmte Tafel wird ohne weitere Anleitung dem Beobachter die Bequemlichkeit 20 verschaffen, diese Versuche unter allen Umständen anzustellen.

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X.

Farbige Flächen, durch's Prisma
betrachtet.

§ 101.

Eine farbige große Fläche zeigt keine prismatische Farben, eben wie schwarze, weiße und graue Flächen, 3 es müßte denn zufällig oder vorseßlich auch auf ihr Hell und Dunkel abwechseln. Es sind also auch nur Beobachtungen durch's Prisma an farbigen Flächen anzustellen, insofern sie durch einen Rand von einer andern verschieden tingirten Fläche abgeson= 10 dert werden.

$ 102.

Es kommen alle Farben, welcher Art sie auch sein mögen, darin überein, daß fie dunkler als Weiß, und heller als Schwarz erscheinen. Wenn wir also vorerst kleine farbige Flächen gegen schwarze und weiße 15 Flächen halten und betrachten, so werden wir alles, was wir bei grauen Flächen bemerkt haben, hier abermals bemerken können; allein wir werden zugleich durch neue und sonderbare Phänomene in Verwunde= rung gesezt, und angereizt folgende genaue Beobach20 tungen anzustellen.

§ 103.

Da die Ränder und Strahlungen, welche uns das Prisma zeigt, farbig sind, so kann der Fall kommen,

Goethes Werke. II. Abth. 5. Bd. 1. Abth.

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daß die Farbe des Randes und der Strahlung mit der Farbe einer farbigen Fläche homogen ist; es kann aber auch im entgegengesezten Falle die Fläche mit dem Rande und der Strahlung heterogen sein. In dem ersten identifiirt sich der Rand mit der Fläche und s scheint dieselbe zu vergrößern, in dem andern verunreiniget er fie, macht sie undeutlich und scheint sie zu verkleinern. Wir wollen die Fälle durchgehen, wo dieser Effect am sonderbarsten auffällt.

§ 104.

Man nehme die beiliegende Tafel horizontal vor 10 fich, und betrachte das rothe und blaue Viereck auf schwarzem Grunde neben einander, auf die gewöhn= liche Weise durch's Prisma: so werden, da beide Farben Heller find als der Grund, an beiden, sowohl oben als unten, gleiche farbige Ränder und Strahlungen entstehen; nur werden sie dem Auge des Beobachters nicht gleich deutlich erscheinen.

$ 105.

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Das Rothe ist verhältnißmäßig gegen das Schwarze viel heller als das Blaue, die Farben der Ränder werden also an dem Rothen stärker als an dem Blauen 20 erscheinen, welches wenig von dem Schwarzen unterschieden ist.

$106.

Der obere rothe Rand wird sich mit der Farbe des Vierecks identifiiren und so wird das rothe Viereck

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