Page images
PDF
EPUB

beauftragt habe, wird wohl absichtlich nicht gesagt, weil soust noch andere Fragen, auf die es hier nicht ankam, hätten beantwortet werden müssen. Hatte es L. Titius selbst gethan, so fand die Einrede jedenfalls Statt, war es von Stichus geschehen, so kam es darauf an, ob er das Schiffsdarlehn als Peculiargeschäft abgeschlossen oder doch und in wie weit von seinem Herrn besonderen Auftrag erhalten hatte. L. 4. §. 17. D. de doli mali exc. (44, 4.)

Zeitschr. f. Civilr. u. Proz. Neue Folge. X. Bd. 1. Heft.

2

II.

Ist der deutsche Richter an allgemeine landesherrliche Constitutionen gebunden, welche ohne die nach Vorschrift der Verfassung einzuholende ständische Zustimmung erlassen sind ?

Eine kritische Untersuchung

von

dem Herrn E. v. Stockmar, Privatdocenten zu Zena.

Die Wichtigkeit dieser Frage ist von selbst klar, dazu haben die letzten Jahre ihre Bedeutung ad oculos demonstrirt. Daß sie nicht ohne Schwierigkeit sey, ergiebt die große Meinungsverschiedenheit unter den anerkanntesten deutschen Juristen.

Zwei Punkte sind es, auf die es vor allen Dingen ankommen muß erstens die Klarheit und Schärfe der Fragestellung, die Zurückführung der Frage auf ihren richtigen juristischen Ausdruck, die Erkenntniß ihres wahren juristischen Wesens. Der zweite Punkt ist dann das Auffinden der Gattung von rechtlichen Normen, aus welcher die Entscheidung zu ge= winnen seyn wird. Dann erst kann sich die Lösung der Frage selbst je nach dem Inhalt dieser Normen ergeben.

Der folgende Aufsag beabsichtigt noch nicht die positive Lösung der Frage. Er will erstens die Fragestellung berichtigen und die rechten Entscheidungsquellen aufzeigen, zweitens den Nachweis versuchen, daß alle diejenigen Rechtssäße, aus denen man die Lösung bisher hat entnehmen wollen, hierzu unbrauchbar sind und, nach dieser Kritik der bisherigen Lösungen, diejenigen Rechtssäge und Rechtsnormen ganz speciell bezeichnen, deren Untersuchung als Postulát für die Wissenschaft schließlich übrig bleibt. Mit andern Worten, diese Abhandlung soll eine Kritik der Lehren unserer Juristen seyn, welche zwar nicht die Beantwortung der Frage unmittelbar giebt, aber doch nach Beseitigung aller unwesentlichen Momente diejenigen legten und einfachsten Erörterungen genau bestimmt, von denen jene Beantwortung schließlich abhängt.

Die Untersuchung dieser legten Punkte bleibt einer zweiten Abhandlung vorbehalten.

Erster Abschnitt.

Die Fragestellung.

S. 1.

Man wird von vorn herein bemerken, daß in der an die Spige gestellten Frage statt der gewöhnlicheren Bezeichnung ,,Verordnungen" das Wort „Constitutionen" gebraucht ist. Es schien dies nöthig, um Misverständnissen vorzubeugen. Denn die beiden Ausdrücke „Geseg“ und „Verordnung“, besonders wo sie von einander getrennt, nicht neben einander auftreten, sind immer mehrdeutig. Es ist nämlich im ersten Augenblic stets zweifelhaft, ob sie im weiteren Sinn gebraucht seyen, wo sie synonym sind, oder im engeren, wo sie den bekannten technischen Gegensag bilden. Hierdurch find die Erörterungen unserer Frage oft schwer verständlich geworden (s. z. B. Pangerow, Pandecten I, S. 12; H. A. Zachariä, Staatsrecht II,

S. 225 f.) und es sind häufige Misverständnisse in der Polemik entstanden, wovon sich mehrere Beispiele in Lindé's Auffag (Archiv für civ. Praris Bd. XVI) finden.

Das Wort allgemeine landesherrliche Constitution hat nun den Vorzug, Geseze und landesherrliche Verordnungen in jedem möglichen Sinn in sich zu begreifen 1). Diese Ausdrücke aber werden von uns nur in ihrem engeren Sinn gebraucht werden, wo sie im Gegensag zu einander stehen. Uebrigens wird im Folgenden oft der Kürze wegen nur von „Constitutionen“ die Rede seyn, das allgemeine landesherrliche" wird man leicht im Gedanken behalten können.

S. 2.

Nach Inhalt von Art. 57 der Wiener Schlußacte :

muß. . . . die gesammte Staatsgewalt in dem Oberhaupt des Staats vereinigt bleiben, und der Souverain fann durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden.“

Es steht demnach in deutschen monarchischen Staaten nur dem Fürsten zu, allgemein verbindliche Constitutionen zu erlassen. Aber fast alle deutsche Verfassungen verordnen, daß zu einer bestimmten Gattung von Constitutionen die Stände „das Recht der Zustimmung“ haben, oder daß gewisse Constitutionen „nicht ohne ihre Zustimmung" erlassen werden können“ oder „sollen“ øder „dürfen“, oder daß gewisse Constitutionen der ständischen Zustimmung „bedürfen“, sie dazu „erforderlich“ ist. Constitutionen anderer Art ist dann der Fürst berechtigt ohne ständische Zustimmung zu erlassen.

1) Dagegen werden wir „Constitution" nie in dem Sinn von „Verfaffung“ anwenden.

In den meisten deutschen Staaten sind mithin die landesherrlichen Constitutionen doppelter Art : solche, wofür die Verfaffung die Einholung der ständischen Zustimmung anordnet und solche, wofür sie diese nicht anordnet.

Der Unterschied beider Arten bestimmt sich überall materiell nach dem Gegenstand, dem Inhalt der zu erlassenden Norm. Aber jede von beiden Classen der Constitutionen innerhalb der ihr angewiesenen Grenzen hat auf gleiche Weise vollständige Rechtsverbindlichkeit für jedermann, also auch für den Richter.

Wenn nun aber der Landesherr eine Constitution, zu der wegen ihres Inhalts nach der Verfassung ständische Zustimmung einzuholen war, ohne solche erläßt, so ergiebt sich für den Richter die praktische Frage, ob er an jene gebunden sey, da sich dieselbe außerhalb der Grenzen bewegt, die von der Verfassung den ohne ständische Zustimmung zu erlassenden Constitutionen gezogen sind.

Der Richter muß sich diese Frage aufwerfen und beantworten, wenn er, wie wir eben sagten, an die innerhalb der verfassungsmäßigen Grenzen ohne ständische Zustimmung erlassenen Constitutionen gebunden ist. Wenn er dies nicht ist, so ist die Frage überflüssig.

Allerdings ist aber behauptet worden, daß der Richter überhaupt nur an „Gefeße“, d. h. mit ständischer Zustimmung zu erlassende und erlassene Constitutionen, nicht an „Verordnungen“, d. h. ohne ständische Zustimmung zu erlassende und erlassene Constitutionen gebunden sey, wovon man nur die sog. Verordnungen mit provisorischer Gesegeskraft ausnimmt.

Jene Behauptung findet sich bei B. W. Pfeiffer, pract. Ausführg. Bd II, S. 385; Bd. III, 280-282; Bd. V, 543, 544, 548, 552. Er beruft sich zur Unterstügung auf §. 123 der damaligen kurhessischen Verfassung : „die Gerichte entscheiden nach den bestehenden Rechten und verfassungsmäßigen Gesegen.“ Er könnte sich jezt mit demselben Recht berufen auf

« PreviousContinue »