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Hinsichts des nicht auf Bundesrecht beruhenden gemeinen Landesstaatsrechts war nun wieder ein doppeltes möglich : daß nämlich ein unsere Frage direct bejahender oder verneinender unmittelbarer Sag des gemeinen Landesstaatsrechts bestehe, oder daß sich eine solche Bejahung oder Verneinung als Consequenz aus anderen feststehenden Grundsägen des gemeinen Landesstaatsrechts ergebe. Wir betrachteten zuerst die legte Möglichkeit.

Zu diesem Behuf gingen wir alle diejenigen gemeindeutschen Principien methodisch durch, die sich mit den Elementen unserer Frage berühren und aus denen man bisher deren Lösung versucht hat. Das Ergebniß war, daß sich aus allen diesen Principien weder eine absolute Bejahung noch eine absolute Verneinung unserer Frage als Sag des gemeinen Landesstaatsrechts ableiten lasse. Hiernach stellen sich die Anforderungen an eine fernere Untersuchung folgendermaßen :

Zuerst ist die Frage zu beantworten, ob ein unsere Hauptfrage direct und unbedingt sey es bejahender sey es verneinender Sag des gemeinen Landesstaatsrechts bestehe. Hier ist eine historische Untersuchung nöthig. Man hat sich bisher einer solchen meist entzogen, oder zwar Data über das gemeine LandesStaatsrecht zur Reichszeit zusammengestellt, aber davon auf unsere heutige Frage feine Anwendung gemacht. Und es wird sich allerdings fragen, ob diese Anwendung möglich sey - eine Frage, die aber nicht durch Stillschweigen erledigt werden darf.

Eine solche Untersuchung muß nun das Resultat liefern, daß im heutigen gemeinen Landesstaatsrecht ein solcher directer, unmittelbarer, imperativer Sag bestehe, der unsere Frage ges radezu verneint oder bejaht, oder daß dieß nicht der Fall.

Wir glauben nicht viel Widerspruch zu finden, wenn wir vorläufig unsere Ueberzeugung aussprachen, daß ein solcher imperativer Sag sich nicht nachweisen lasse.

Somit bliebe dann noch die Untersuchung übrig, ob sich aus dem gemeinen deutschen Staatsrecht mit Inbegriff des Bundes

rechts eine Präsumtion für die Bejahung oder Verneinung unserer Frage ergebe.

Hiernächst würden dann noch die sonstigen bei unserer Frage in Betracht kommenden Regeln für die Interpretation des Particularstaatsrechts zu erwägen seyn und den Schluß würde eine Interpretation der Verfassungen unserer wichtigeren deutschen Staaten zu bilden haben.

IX.

Ueber das Verhältniß des Richters zur Regierungs

gewalt.

Ein Beitrag zum Staatsrecht

von

dem Herrn Juftizreferendar G. Ad. Schlayer in Stuttgart.

Wenn man die Ausführungen mancher Civilisten1) und Staatsrechtslehrer der neueren Zeit liest, so ist man zur Annahme versucht, dieselben haben bei Beurtheilung einzelner staatsrechtlicher Fragen nicht das positive Verfassungsrecht eines bestimmten Landes, sondern irgend eine allgemeine Staatstheorie, 3. B. die Rousseau's oder Montesquieu's vor Augen.

Nun ist zwar nicht zu verkennen, daß, wie deren Werke überhaupt dem in der französischen Staatsgesellschaft gelegenen, so vielfachen Zündstoff zum geistigen Motor dienten, so auch die französischen Verfassungen, theils, wie die älteren, unmittelbar aus diesen Theorien geschöpft worden sind, theils, wie die

1) Im allgemeinen Theile der Privatrechtssysteme.

späteren

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in Deutschland nachgebildeten in merklichen Beziehungen ihren Ursprung dort suchen.

Nichts destoweniger ist es unzulässig, das positive Staatsrecht eines Landes geradezu aus solchen Theorieen zu erklären.

Es wird auch von keiner Seite geleugnet werden, daß es hier zumeist auf die Erklärungen der constituirenden Factoren des bestimmten Staates, auf die geschichtliche Entwickelung der staatsrechtlichen Verhältnisse im selben, auf den Geist der besonderen Verfassungsurkunde und etwa auf auswärtige Charten insoweit ankomme, als diese erweislich einer einzelnen Bestimmung der unsrigen zur Grundlage gedient haben.

So allgemein dieser Sag aber in Worten anerkannt wird, so oft wird er stillschweigend verleugnet.

Einer der schlagendsten Belege dafür scheint die Art zu seyn, wie man vielfach, ja man kann sagen, größtentheils noch das Verhältniß des Richters zur höchsten Gewalt, sowie zu anderen Behörden des Staats auffaßt.

Die große Ausdehnung, welche bis auf die neueste Zeit in dieser und anderen Beziehungen der richterlichen Gewalt ge= geben wird, hat vielfach bewußt oder unbewußt die Montesquieu'sche Staatstheorie zur Grundlage gehabt; eine Theorie, welche die richterliche Gewalt geradezu als gleichberechtigt neben die gefeßgebende und vollziehende ftellt.

Von solchem Irrthum ist aber die neuere Staatsphilosophie schon seit Jahrzehnten zurückgekommen, und mit Recht wird die richterliche Gewalt lediglich als ein Theil der vollziehenden Staatsgewalt angesehen, wobei übrigens allerseits besondere Garantieen für ihre unabhängige Stellung gegenüber der Regierungsgewalt gefordert werden, was bei anderen Zweigen der vollziehenden Gewalt ihrer Natur nach nicht so nöthig erscheint.

Sollte man also auch bei Beurtheilung positiv-staatsrechtlicher Fragen von allgemeinen Theorien nicht ganz absehen

können, was namentlich bei der Neuheit der conftitutionellen Einrichtungen in Deutschland nicht durchaus zu verwerfen seyn möchte, so steht jedenfalls jener älteren Theorie eine neuere gegenüber, und es mag deshalb erlaubt seyn, diese insoweit zu Grund zu legen, als man zeigen kann, daß deren Anwendung kein positivrechtliches Hinderniß im Weg stehe, ja daß dieselbe im Gegentheil dem Geist der verfassungsmäßigen Einrichtungen mehr entspreche.

Es soll in dieser Abhandlung zunächst das Verhältniß des Richters zur höchsten Staatsgewalt in der Richtung erörtert werden, ob es dem Richter zustehe, die Gültigkeit ihrer Verordnungen einer Prüfung zu unterwerfen.

Während hier darüber kein Zweifel obwaltet, daß es dem Richter allerdings zustehe, die formelle Giltigkeit einer solchen Berordnung, mit anderen Worten die Frage, ob wirklich die Regierungsgewalt ihren Willen ausgesprochen habe, einer Prü fung zu unterwerfen, sind die Ansichten darüber getheilt, ob es dem Richter, wenn er erkannt hat, daß eine solche Verordnung wirklich von der Regierungsgewalt herrühre, und von derselben in der gehörigen Form (rite) erlassen (und bekannt gemacht) sey, nun auch weiter zustehe zu entscheiden, ob die Regierungsgewalt zu Erlaffung derselben verfassungsmäßig berechtigt ge wesen sey.

Während man früher 2) die Bejahung dieses Sages als ein sich von selbst verstehendes Dogina, so zu sagen, als Postulat hingestellt hatte, ist die Frage vor zwei Jahrzehnten durch ein Paar Abhandlungen Linde's) eigentlich erst in das Stadium des Kritizismus getreten.

» D. h. seit Einführun der neueren Verfassungen.

3) In dieser Zeitschrift Bd. VII. S. 49 ff. und besonders im civiliftischen Archiv Bb. XVI. S. 305 ff.

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