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IV.

Kann jetzt in einem deutschen Bundeslande die Civilehe nach französischem Begriffe, und kann die Ehescheidung nach demselben oder protestantischem Begriffe auf dem Gesezgebungswege eingeführt werden, ohne die Rechte der katholischen Kirche zu verlegen?

Von

dem nunmehr verstorbenen Großh. Heff. Oberappellations- nud Caffations Gerichtsrath E. v. Biegeleben in Darmstadt 1).

Als vor einigen Jahren in der badischen zweiten Kammer die Motion gemacht wurde, den Cölibat der katholischen Geistlichkeit aufzuheben, wurde dieser Versuch von Seiten der Regierung mit dem Einwande der Incompetenz sowohl der Staatsregierung als der Kammern beseitigt.

Eine gleiche Schranke für die Omnipotenz der geseggebenden Gewalt wurde in der Großh. Heff. ersten Kammer der

1) Diese Arbeit wurde der Redaction im Juli 1847 schon übergeben.

Landstände für die Verneinung der oben aufgestellten Frage bei Gelegenheit der Berathung der Ehematerie in dem Entwurfe des neuen Civilgesegbuchs von deren Mitgliede, dem Geh. Staatsrathe Kanzler Dr. v. Linde in Anspruch genommen.

Die gründlichen und geistreichen Ausführungen dieses GeJehrten sind der juristischen Welt wohl auf verschiedenen Wegen bekannt geworden, und werden in der folgenden Ausführung als bekannt vorausgesezt; nur die Resultate sind hier aufzuführen, nämlich :

1) daß die bürgerliche Gesezgebung eines christlichen Staates, welche die Civilehe für die ausschließliche, allein zureichende Abschließungsform erklärt, das Grundprincip des Staates und die Schußpflicht der christlichen Kirchen verlegt; 2) daß die bürgerliche Gesetzgebung eines chriftlichen Staates, welche die Civilehe ausnahmsweise für die allein zureichende Abschließungsform erklärt, für alle Fälle, in welchen eine solche Ausnahme stattfindet, das Grundprincip des Staates aber auch die Schußpflicht jener christlichen Kirche verlegt, deren Mitwirkung für entbehrlich erklärt wird;

3) daß daher der Entwurf, weil er die Civilehe bloß ein

führt, um den katholisch-kirchlichen Eheabschluß in die Willkühr der Bekenner dieser Kirche zu stellen, mit der Verlegung des Grundprincips des Staatsverbandes und der Verlegung des Schußrechts der katholischen Kirche, zugleich die Rechtsgleichheit der christlichen Kirchen, das ist, die Parität, mit Beeinträchtigung der katholischen Kirche verlegt;

4) daß die Einführung der Civilehe oder kirchlichen Ehe

mit der Gewissensfreiheit nicht weiter im Zusammenhange steht, als daß den Individuen die kirchliche Ehe nicht verboten werden darf.

Auf diese Säge gründete sich der Antrag, dem in den Artikeln 33 und 37 2) des Entwurfs aufgestellten System_dasjenige zu substituiren:

daß der Abschluß der Ehe unter Christen nach der in den christlichen Kirchen wesentlichen Form erfolgen solle, die Geistlichen der verschiedenen Confessionen aber nur verpflichtet seyen, in Uebereinstimmung mit den Grundsägen ihrer Kirche die Abschließung zu vollziehen, und daß bei gemischten Ehen insbesondere die Nupturienten die Wahl haben sollen, bei dem Pfarrer der einen oder der andern Confession, oder auch bei beiden zugleich, oder nacheinander die Ehe kirchlich vollziehen zu lassen, die Pfarrer aber auch hier ihrerseits nur verpflichtet seyen, dem Anfinnen nach Maßgabe der ihnen zustehenden Befugniß zu entsprechen.

Daß nach den auf dem öffentlichen Rechte in Deutschland, dem Religions- und Westphälischem Frieden, dem Reichsdeputationsabschiede von 1803, der deutschen Bundesacte, und den Specialnormen im Großherzogthum Hessen beruhenden Grund

2) art. 33. Die Ehe wird, mit Ausnahme der Fälle des art. 37, durch geistliche Trauung, nach religiösem Gebrauche in der Kirche oder in dem sonstigen zur Gottesverehrung bestimmten Gebäude abgeschloffen. Die Verlobten haben vor dem zuständigen Geistlichen und in Gegenwart zweier Zeugen ihre Einwilligung zu erklären. Haustrauung findet nur in Folge landesherrlicher Dispensation ftatt. art. 37. Machen die Verlobten bei dem Einzelrichter die Anzeige, daß der zuständige Geistliche die Trauung verweigere, so hat das Gericht denselben aufzufordern, fich binnen einer anzuberaumenden angemessenen Frift über diese Weigerung zu erklären. 3ft diese Frist erfolglos verstrichen, oder enthält die Erklärung keinen auf den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts oder der Verwaltung beruhenden, zulänglichen Grund der Trauungsverweigerung, so können die Verlobten von dem Einzelrichter die Erlaubniß fordern, fich bürgerlich trauen zu lassen.

lagen dieses Antrags eine gleiche Verlegung der katholischen Kirche durch die im Entwurf ohne Unterschied gestattete Ehescheidung enthalten ist, versteht sich von selbst, und wenn der Herr Antragsteller bei der Berathung über die Ehescheidung von gleichen in der Consequenz gelegenen Anträgen abstrahirte, so geschah dies, wie von ihm ausdrücklich erklärt wurde, nur deßhalb, weil das System des Entwurfs über die EheabschlieBung bei der Abstimmung angenommen wurde, und in Consequenz hiermit die Bekämpfung der Ehescheidung keinen Erfolg haben fonnte. Daß aber die von ihm aufgestellten Principien auch zur Verwerfung des Entwurfs in der wesentlich nach protestantischen Principien ausgebildeten Ehescheidungsmaterie führen mußten, und daß daher die Frage in der Ausdehnung der diesem Auffah vorgeseßten Ueberschrift aufzustellen ist, unterliegt keinem Zweifel, und wird sich im Verlaufe der nachfolgenden Bemerkungen noch näher ergeben.

Der eigentliche Zweck derselben ist jedoch dahin gerichtet, diejenigen Zweifel zu beseitigen, welche von mehreren Rednern den vom Kanzler v. Linde verfochtenen Behauptungen in der Richtung entgegengesezt wurde, daß die Schußpflicht des Staats gegen die katholische Kirche nicht so weit gehe, als von v. Linde postulirt werde; ich werde dabei den spe= ciellen Rechtszustand des Großherzogthums Heffen zum Grunde legen, welcher in ähnlicher Weise in Deutschland überall maßgebend ist.

Die Schußvogtey, welche in dem Mittelalter dem Kaiser in Deutschland für die katholische Kirche oblag, ist mit dem Untergange des Reichs nicht mit untergegangen, sondern in dem Staatsrechte in der Art perpetuirt worden, daß sie nun jedem deutschen Fürsten obliegt.

Diese Pflicht ist für sie durch den §. 63 des Reichsdeputationsabschiedes von 1803 in den Worten:

,,Die bisherige Religionsübung eines jeden Landes

soll gegen Aufhebung und Kränkung aller Art ge= schügt seyn“

festgestellt, und sie wird auch von keinem deutschen Fürsten verläugnet, vielmehr durch die Behauptung des Schuß- und Aufsichtsrechts über die Kirche überall anerkannt.

So im Großherzogthum Hessen durch die Verordnung vom 30. Januar 1830 die Ausübung des obrigkeitlichen Schußund Aufsichtsrechts über die katholische Landeskirche betreffend, und deren

,,S. 1. Der katholischen Kirche steht das freie Be fenntniß ihres Glaubens und die öffentliche Ausübung ihres Cultus zu, und sie genießt auch in dieser Hinsicht mit den andern im Staate öffentlich anerkannten christlichen Kirchengesellschaften gleiche Rechte.

§. 3. Jeder Staat übt die ihm zustehenden unveräußerlichen Majestätsrechte des Schußes und der Oberaufsicht über die Kirche in ihrem vollen Umfange aus."

Insbesondere ist dieser Schuß auch noch gewährleistet durch die Artikel 21 und 39 der Landesverfassung 3).

Die Würdigung der von Kanzler v. Linde vertheidigten Säge wird demnach wesentlich mit von Beantwortung der Frage abhängen, ob die seitherige Concurrenz resp. geistliche Gerichtsbarkeit des katholischen Clerus zum Eheabschluß resp. zur Ehetrennung zur Religionsübung (exercitium religionis) im rechtlichen Sinne gerechnet werden muß.

3) art. 21. Den anerkannten christlichen Confeffionen ist freie und öffentliche Ausübung ihres Religionscultus gestattet.

art. 39. Die innere Kirchenverfassung genießt auch den Schuß der politischen.

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