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Das Unrecht der Restauration liegt nicht nur in dieser geflissentlichen Fälschung; es liegt mehr noch in dem ungeheuren Fehler, der eine der gewaltigsten Perioden der Menschengeschichte mit ein paar Federstrichen ungeschehen machen wollte; als ob ein Sprung rückwärts oder vorwärts möglich wäre! Es ist eine traurige Periode, diese Restauration! Wie wenn die Spannkraft, der Lebensnerv der Völker verstegt wäre! Nichts Großes, Erhebendes, Ganzes, Originales; ein Verflachen, ein Verdumpfen, eine eckle Prüderie in allen Verhältnissen; ein Abwärtsgreifen überall ins materielle Getriebe, in materiellen Gewinn und Genuß, als ob man sich schadlos halten wollte für den ideellen Verlust in dämonisch- materiellem Raffinement. Wir bleiben gefliffentlich hier etwas länger stehen; es thut Noth, daß man sich die nächste Vergangenheit und ihre Träger klar macht, auf daß man einsehe, was man fürderhin einzusehen, was man zu gewinnen und zu verlieren habe. Lassen wir sie einmal Revue passiren diese Reftaurationsmenschen und Maschinen, und kehren wir dann zu unserer nächsten Aufgabe zur Schweiz zurück:

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Beginnen wir beim weiland heiligen römischen Neich. Mit welchen Opfern war der französische Despotismus abgeschüttelt worden; wie viele Blutzeugen der beginnenden deutschen Freiheit" sahen die Felder von Lügen, Dresden, Leipzig bis Waterloo! Kaum aber war der Furchtbare unschädlich gemacht; kaum hatte er sein Prometheus - Geschick auf St. Helena angetreten: als auch Alles gethan würde, um die Gluth, an der die Throne gewärmt worden waren, ebenfalls unschädlich zu machen! Für Fürstenthrone zu bluten und zu schwärmen, galt für eine Großthat; für die Freiheit des deutschen Volkes zu glühen, an die alte Größe des deutschen Stammes laut sich erinnern, für ein Verbrechen. Der fürstliche Egoismus hatte die politische Tugend für sich ausges beutet; da sie ihm errungen, was er gewollt und gebraucht, stieß er sie als abgenußte Waare in die Trödel- oder Inquisitionskammer. Während Deutschland Europa vor einer Universalmonarchie gerettet hatte, sollten seine Söhne es ruhig ertragen lernen, wie man seine Kraft zersplitterte, wie man Fürstenstühle garantirte, aber „deutsches Land“ zum leeren Schalle machte; wie

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man ein kümmerlich Band von Fürsten nietete; aber vom Volksbund stammverwandter Gaue keine guten Früchte sich versprach. Deutschlands Geschichte seit jener Zeit ist ewiger Stoß und Gegenstoß; hier die alte Majestät der Vorurtheile, der Verjährungen, der ehrwürdigen Philistereien, dort die junge Kraft des in der Völkerschlacht aufgenährten Löwen; hier das spanische Hemd der Diplomaten und Bureaukraten; dort der frische Volkssinn, der nach einfacher Wahrheit ringt; hier die Militärdespotie; dort das Gefühl der Volkskraft, die die Waffe, die man ihm mißgönnt, tüchtiger, weil bewußtvoller zu tragen wüßte*).

Welche kindische Furcht, die sich gegen die unschuldige vaterländische Begeisterung der akademischen Jugend richtete! Welche Argusaugen entrollte die Censur, um jeden Flüchtling freier Ge= danken zu bannen! Und die Kammern diese in ihrer Zusammensetzung so unschuldigen Schöpfungen, wie wurden ste vorenthalten, und wenn gegeben, wie wurden ste bewacht, dezimirt, niedergedrückt! Doch wir wenden uns von diesem traurig-lächerlichen Gemälde, von der Sysiphusarbeit des Alten und Veralteten, über den Rhein nach dem schönen Frankreich, und wir treffen nach Landessitte modifizirt die gleiche Geschichte: eine bornirte Regierung, zu ihrer Stüße moderner Jesuitismus und die krankhafte Aristokratie der Emigranten und napoleonischer Verräther. Auch hier am Siz der gewaltigen Bewegung keine Spur mehr von Erkenntniß ihres Wesens. Abgedorrt, welk und spröde warf man den Brautkranz der Revolution der dezimirten, furchtbar herge= nommenen Nation vor die Füße, und gab als Aequivalent Rosenkränze, von Jesuitenhand gereicht, und Marquistitel. Ueber den Pyrenäen gieng's wo möglich noch interessanter her. Ferdinand der VII., dieser schwachköpfige Philipp der II., hatte auf den Schultern seines für ihn in Kampf und Tod gegangenen Volkes seinen Thron wieder eingenommen; der Schreck überstandener Leiden hatte ihn zu einer Verfassung vermocht; nach der Weise der Despoten wußte er sein Wort zu deuteln und zu drehen.

*) Die neueste Zeit scheint diesen Passus Lügen zu strafen, und doch dürfte seine Wahrhett kaum in Abrede zu stellen sein, wäre nur die Führung tüchtig, sittlich, rein, der besten Zwecke sich bewußt.

Und als ihn nun sein Volk, als ihn die Mina's, die Tori'jos und andere Helden von 1809 an sein Wort erinnerten, und ihre Thaten als Bürgschaft für Einst und Künftig einsehen wollten, antwortete der stumpfe Despot mit Schaffot, Kerker und Verweisung, und diesmal konnte der Herzog von Angoulème sein Interventionsheer ruhig bis unter die Kanonen von Kadir führen, weil die Priester im Despotismus Ferdinands ihre Rechnung fanden. Saragossa und Nidwalden 1798 stehen auf Einer eben so schönen als traurigen Höhe! Sollen wir von Italien reden, in dem jede freie Regung zum Kerker führte; sollen wir trauern über Ursprung und Verhängniß der Karbonari, über die Opfer des Spielbergs und der Engelsburg, über die Sohnesleiden am Krankenbette der gefnechteten Mutter! Sollen wir Oestreich_beschauen, das am ausdauerndsten, wenn auch nicht am glücklichsten den Korsen bekämpft hatte; auch hier glaubte man sich vor dem „Geiste der Revolution" nur retten zu können durch die Flucht in die alte Zeit, verkennend den Geist der Völker, der treu mitgefochten, und die Composition des vielgestaltigen Staates, der in die Lange nur durch Gewährung freier Institution zusammengehalten und gerettet werden fann! Sehen wir uns so um in Nord und Süd, in Ost und West des europäischen Staatenlebens, überall, mit wenigen Ausnahmen, wie im freien Britanien, stoßen wir auf den Geist einer finstern Reaktion.

Kehren wir zur Schweiz zurück! So lange Napoleon mit starker Hand über Frankreich und halb Europa herrschte, bequem= ten sich die Gemüther in unserem Lande den einmal gegebenen Zuständen an; anders wurde es, als Deutschland im Jahre 1813 nach der furchtbaren Katastrophe in Rußland sich erhob und dem Ländersüchtigen den Fehdehandschuh hinwarf; als bei Leipzig das mühevoll aufgebaute Werk deutscher Knechtung in Stücke gieng, und die „Alliirten“ fich zum Angriffe auf Frankreich selbst rüsteten. Man hätte denken sollen, daß die einflußreichsten Männer der Schweiz die schöne Gelegenheit ergriffen hätten, den Ausbau ihres nationalen Constitutionswerkes vorzunehmen, selbständig, ohne fremde Zuthat oder Abwehr; daß sie den Gang der Ereignisse, die hinter ihnen liegende Periode von 1798-1813 gewürdigt

und allem aufgeboten hätten, um nun frei im Innern das historische Recht mit den Forderungen nationaler Politik in Einklang zu bringen. Die Gelegenheit war offenbar günstig; die Schweiz konnte, wenn sie kräftig und entschieden auftrat, ein Gewicht in die Wagschaale legen. Aber man vergaß damals wie 1798 diese Würdigung der einfachsten und natürlichsten Verhältnisse; man verkannte die Schöpfungen des Jahrhunderts; man vergaß die Warnungen der ersten Revolution. Die Stimme nationaler Kräftigung, der Ruf patriotischer Resignation gieng unter in dem wilden und gemeinen Getriebe der alten Selbstsucht und Engherzigkeit, der feigen Demüthigung vor dem Ausland und des kleinlichen Erhebens über eidgenössische Brüder.

Wie die revolutionäre Propaganda die alte Eidgenossenschaft zertrümmert hatte, und wie nur die politischen Constellationen es damals mit sich brachten, daß die Freiheit der Schweiz nicht vollkommen untergieng; so schlich sich jezt die Propaganda der europäischen Reaktion oder Restauration unter diesem und jenem Titel, mit diesem und jenem Emissär in die Schweiz ein, um in erster Linie das Land von Frankreich abzubringen, in zweiter die Mediaton zu vernichten, und in dritter die Zustände vor 1798 bestmöglich wieder herzustellen. Ein eckelhafttraurig Gemälde entrollt sich unsern Blicken, ein Miniaturbild dessen, was bald im Großen in den übrigen europäischen Landen zu Tag oder vielmehr zu Grabe gebracht werden sollte. Der alte Parteigeist, den Napoleons eiserner Arm, wohl auch die Segnungen eines auf dem Volksgenuß beruhenden Friedens niedergehalten hatten, erwachte mit der alten dämonischen Gewalt wieder, die nichts über sich erkennt, nur dem eitlen Gößen der Selbstsucht fröhnend. Die Bundesbehörde ohne Kraft und ohne Takt, den Einflüsterungen der Fremden lauschend; keine Begeisterung für eine nationale That, kein Aufflammen eidgenössischen Bewußtseins, keine Energie auch nur zur Erhaltung des Bestehenden. Mochte man auch den Untergang der Mediation von engherzig schweizerischem Standpunkte aus nicht aufhalten wollen; mochte man ste sterben lassen als ein ursprüngliches fremdes Werk; warum aber die Elemente eines neuen eidgenössischen Lebens, die in ste niedergelegt waren, nicht retten

wollen; warum den nationalen Kern wegwerfen sammt der frånkischen Schaale; warum den Neubau aus einanderfallen lassen, um unter der Ruine des alten Herrenthums sich rath- und thatlos zu sammeln!

Die Unschlüssigkeit, die Engherzigkeit und Befangenheit der eidgenössischen Magistrate, ihr Mangel des Glaubens an, ihr Mangel am Hochgefühl der Liebe für das eidgenössische Volk; ihr kantonales Sondergefühl, das alle höhern Strebnisse lähmte, warf die Schweiz als solche weiter als um ein paar Jahrzehnte zurück. Die alten Formen wurden wieder vorgesucht, die alten Kleider wanderten aus der Trödelkammer des achtzehnten Jahrhunderts, um die Söhne des neunzehnten Mumenschanz treiben zu lassen; man suchte die alte Zeit wieder, fand wohl die Stätte noch, wo ste weiland gehaust; aber der alte Geist war mehr denn geglaubt wurde zu Grabe gegangen. Dieser Mangel eines nationalen Bewußtseins verkümmerte natürlich auch alle kantonalen Verhältnisse. Die Städte und ihre Junkersame erhoben ihr Haupt wieder, um. in alter Berückenherrlichkeit zu schalten; die Länder schacherten um neu gegebene, alt bewährte Nechte und Freiheit; die Unterthanenschaft sollte restaurirt werden; untergegangene geistliche Größen, wie der Abt von St. Gallen, wieder hergestellt werden.

Den 26. November 1814 hielt Landammann Reinhard mit den Boten von 10 Ständen einen Tag in Zürich, auf welchem die Mediationsakte aufgehoben erklärt, die von ihr bestimmten Kantonalverhältnisse aber als garantirt erklärt wurden. Unterdeß tagten die übrigen Stände gesondert in Luzern; die alten Kantone wollten nur von einem 13örtigen Bunde wiffen, und es brauchte der bestimmten Erklärung der fremden Minister, daß sie nur eine 19örtige Schweiz anerkennen, um dieselben zum Anschluß an die übrigen zu bestimmen.

Unter solchen Vorgaängen begannen die Berathungen über das neue Verfassungswerk, während kantonale Unruhen ihre Wellen da und dort aufschlugen; denn auf der einen Seite loderie das Freiheitsgefühl der neunziger Jahre in den Herzen der ehemaligen Unterthanen auf; sie fürchteten eine Zukunft, die sie in's alte Nichts zurückschleudern könnte; ste verlangten, daß ihre politischfreie Eri

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