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gewesen. Noch einmal stegte, mit wenigen Zugeständnissen, in Rußland, Italien, Deutschland die Autorität, der Absolutismus über das Menschenrecht. In Belgien und Frankreich trug bald die Form den Sieg davon über das Wesen des Errungenen. Und so wurde die Julisonne für Europas Gegenwart zum Wetterleuchten, zum prophetischen Meteore; das diejenigen nicht zu deuten vermochten, die im Besiz, also im Rechte waren, das aber nicht verloren gieng für die Zukunft der Völker.

Die Rückwirkung der Julirevolution auf die Schweiz war eine mehr zufällige als wesentliche, in dieser Hinsicht fast wie die Beziehungen der ersten französischen Revolution. Veränderuugen im staatlichen Leben der Schweiz waren an den meisten Orten schon im Werden, ehe die Barrikadenschlacht in Paris geschlagen wurde. Der Zustand der Restauration von 1815 konnte nur ein vorübergehender sein; er hatte keine Herzwurzeln; die politische Entwickelung, die in der Helvetik und Mediation lag, konnte wohl für eine Zeitlang zurückgestellt; fie konnte aber nicht mehr vernichtet werden.

Darum arbeiteten seit Jahren besonders die jüngern Kräfte an Wiederherstellung der alten Errungenschaften, und Realisirung neuer Zeitideen. Was im Sturme der ersten französischen Revolution über die Völker gekommen war; was sich auch der Schweiz halb usurpatorisch angeeignet hatte: demokratische Grundlage, Gleichheit vor dem Geseze, Trennung der Gewalten, Vereinsrecht, Freiheit des Wortes, Gewissens- und Glaubensfreiheit u. s. f.; diese im Sturm der Vergangenheit niedergelegten Saaten waren in fünfzehn Friedensjahren aufgegangen, und die aristokratische Reaktion, welche sich der Mediation bemächtigte, drängte nur desto schneller zum Ziele. Die Regeneration der Schweiz als das Bestreben, dem schweizerischen Volke diejenigen Rechte und Freiheiten in That und Wahrheit zu sichern, auf welchen die neue Zeit ruht, und welche immerhin das Ziel und Ende staatlichen Strebens sein müssen, als das Bestreben, einerseits die Demokratie zur lebenskräftigen Thatsache zu machen; andererseits dem Bunde zur Würde und Kräftigung zu verhelfen, diese Regeneration und ihre Träger haben ihre Vollberechtigung in sich selbst. Es liegt nicht

in unserer Aufgabe, das Detail der Regenerationsbestrebungen zu schildern; wir wollen nur den Standpunkt festhalten, von dem ausgegangen wurde; die Art, wie verfahren wurde; die Mißgriffe, welche zum Theil von vorneherein das neue Werk gefährdeten, und Jahre voll Kampf und Wirren herbeiriesen. Es handelt sich nicht darum, zu beschönigen und zu verkleistern; Wahrheit ist es, die wir suchen, und Wahrheit, die allein für Gegenwart und Zukunft frommen kann.

Die Regierungen sahen den Sturm voraus, der sie bewältigen sollte; aber sie begriffen dessen Kraft nicht; sie sahen nicht ein, daß er nicht nur die obern Luftschichten ergriffen, daß er vielmehr auch in den Niederungen sich vollständig Bahn gebrochen. Daher nicht die feste Energie gegen ihn; aber auch nicht der volle Wille, sich seiner zu bemächtigen und ihn zu lenken. Und doch giebt es in solchen Momenten öffentlicher Krisen nur zwei Wege, die zum Ziele führen, offene Fehde oder offener Anschluß; die Politik des Lavirens, in sich schon unwahr und zweideutig, ist immer schwach gegen jeden offenen entschiedenen Anprall. Und das Meiste hängt davon ab, wer die Initiative ergreift. So kam es, daß die wadern Regenten in Zürich, St. Gallen, Aargau und andern Orten sich über die Bewegung täuschten; im Glauben an ihr redliches Streben, im Hinblick auf das von ihnen Geschaffene, höchstens an eine friedliche, in engen Grenzen sich haltende Reform, dachten; die Menge aristokratischer und aristokrätelnder Afterpolitiker in Luzern, Bern, Freiburg u. f. w. anfangs mit übermüthigem Hohne auftraten; später mit schlauer, berechnender Falschheit sich in die Bewegung warfen, oder in stolzer Prüderie sich von jeder Theilnahme an Staatsgeschäften lossagten, was namentlich vom Berner Patriziate gilt.

Die Männer der Bewegung ihrerseits waren, wie es gewöhnlich der Fall ist, von der Nothwendigkeit der Reform, von der Unfehlbarkeit ihrer Ideen zu sehr eingenommen, als daß sie das, was vor ihnen lag, mit unbefangenem Auge hätten prüfen können. Es hält schwer, dem Feinde gegenüber Gerechtigkeit zu üben; Schöpfungen, die man befehdet, ohne Arg zu würdigen. So kam es, daß man nicht selten das Kind mit dem Bade ausschüttet

Statt auf dem Wege der Gesezlichkeit eine friedliche Reform anzubahnen, war man nicht scheu bei der Wahl der Mittel; man appellirte an den Volkswillen, man imponirte durch die Gewalt, und gab so das lockende Beispiel zu spätern Umwälzungsversuchen. In den katholischen und zum Theil auch in den paritätischen Kantonen nahm man sogar die Elemente ultramontaner Bestrebungen mit in die Bewegung auf, so im Aargau, in Luzern (Scherrer, Leu), in Freiburg, wo die Sucht, sich in den neu erworbenen Sesseln zu halten so weit gieng, daß die Verfechter der Volksfreiheit auch nicht den Gedanken äußerten, die Jesuitenburg im Kantone aufzuheben. Der allgemeine Zug war gegen die Reste der Aristokratie gerichtet; in diesem Streben, dem eine starke Dosis Läuschung innewohnte, gieng man so weit, daß man die Regierungsgewalt, die vorher zu mächtig war, viel zu unmächtig und unselbständig machte. Die falsche Auffassung der Volksbildung durch die Schule, die Auffassung nämlich, welche der Intelligenz unbedingte Herrschaft einräumte, während die vernünftige Pädagogik nur in der Gleichberechtigung aller Seelenkräfte und der durch sie begründeten Charakterbildung das Heil steht, führte zu dem eben so gehässtgen als unnatürlichen Kampfe zwischen Kirche und Schule. Ein weiterer Uebelstand in der Bewegung lag darin, daß, obwohl man das Volk besonders durch Aussicht auf mate= rielle Erleichterungen für dieselbe zu gewinnen wußte, die Bewegung in ihrem Verlaufe einen entschieden idealen Charakter an= nahm, wodurch jene Erleichterungen zum Theil als Täuschung sich herausstellen mußten. Es war aber auch gerade die materielle Reform die schwächste Seite der Regeneration, was sich besonders in unsern Tagen sehr fühlbar macht. Ueber Formen, Schematistren und Systematisiren war die Praxis und das Praktische abhanden gekommen. Das nun in kurzem Umrisse die Mißgriffe der Reform, aus denen mit Leichtigkeit, ja mit mathematischer Consequenz alle Wirren, die wir seither bestanden, sich ableiten lassen.

Die Regeneration, d. h. die Reform der Staatsgrundgesetze, wurde mit Ausnahme der alten Kantone beinahe überall angenommen, und zwar für einmal ohne Blutvergießen: bewaffnete Auszüge, Volksversammlungen und Vereine waren die Hebel der Be

wegung. Am nobelsten und prinzipiellsten wurde die Bewegung unter dem wackern Usteri in Zürich durchgeführt, in strengdemokratischem Sinne in Thurgau, St. Gallen, Baselland, Luzern, in welch legterm Kantone auch das Veto seine Stelle fand.

Die Bewegungen seit 1830 und ihre Folgen.

Fassen wir die Geschichte des Vaterlandes in den lezten siebzehn Jahren näher in's Auge, so finden wir zwar überall Streben und Neaktion; aber wir müssen, wollen wir anders den Erscheinungen auf den Grund kommen, sichten und sondern, und dann haben wir den rein politischen Kampf zwischen dem Alten und dem Neuen (so in Schwyz, Basel, Neuenburg, Bern); daraus entspringend den Kampf für und gegen die Bundesgewalt; sodann den Kampf zwischen Kirche und Staat, und endlich zwischen Kirche und Schule.

Die Regeneration war gegen die Reaktion von 1815 gerichtet, ste trat ein für die Ideen der Helvetik, der Mediation, wie sie sich seitdem geläutert hatten. Wo ste slegte, fügte sich zwar der Gegner, aber nur, um den Kampf später wieder aufzunehmen. So bildete sich wieder ein Parteileben in der Schweiz: den Liberalen und Radikalen traten die Aristokraten und Conservativen entgegen. Das geschah um so heftiger, weil die Aenderung fast überall, nicht auf einem Vertrage wurzelte, sondern mit Gewalt, wenn auch nur moralischer durchgeführt worden war. Diejenigen, welche hatten weichen müßen, oder, anfangs Hand in Hand mit den Reformern gehend, vor den äußersten Consequenzen zurückgeschreckt waren, wurden nun zur Opposition in den regenerirten Kantonen. selbst; zu ihnen gesellten sich in den paritätischen und katholischen Kantonen die Ultramontanen, die als Werkzeug gebraucht, ge= glaubt hatten, die Leiter der Bewegung werden zu können; ihnen schloffen sich Unzufriedene anderer Art an, Opfer gekränkten Ehrgeizes, getäuschter Erwartungen, ruhmglühender Eifersucht. Doch konnte in den ersten Jahren, da jede Kraft noch frisch und jung sich fühlte, da die Ideen noch auf der unter der Hand sich ge=

staltenden Schöpfung weihend ruhten; da die reine und edle Be= geisterung für eine große Sache die Gemüther noch groß und weich, aufopfernd und empfänglich erhalten hatte — kurz in diesen Frühlingswochen einer neuen politischen Aera konnte der Geist der Opposition nur furchsam und mit Anstand auftreten. Es wogte im Volk die Ahnung, wenn sie auch noch nicht zum vollen Bewußtsein gekommen war, von einem neuen, gehobenen, politischen Leben; es glühte in ihm der Liebesrausch von Freiheit und nationaler Würde, und solche Zeiten gleichen Frühlingstagen, mit warmem Sonnenschein, mit schwerem segenspendendem Gewölke, mit fruchtbarem Donner und belebenden elektrischen Zuckungen: schade, daß so häufig ein Eishauch die schöne Schöpfung knickt, oder der heiße Föhn sie im Keime erstickt. Aber schöne, große Tage find's doch, wenn die Völker glauben und lieben und hoffen können wie Liebende; weun sie hassen können mit der Gluth der Leidenschaft, aber auch zu opfern vermögen mit der Leidenschaft der Liebe!

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Wir gewahren die ersten bedeutenden Regungen in Basel, Schwyz und Neuenburg. Die Stadt Basel, blühend durch den Fleiß und die Betriebsamkeit ihrer Bewohner, hatte früher zur Landschaft in einem Herrenverhältnisse gestanden, wie die meisten Schweizerstädte zu den von ihnen erworbenen Landestheilen. Seit der französischen Revolution hatte sich die Sache geändert; es war der Landschaft eine Repräsentation zugestanden worden, immerhin so, daß die Stadt prädominirte man mochte die ge= schichtlichen Verhältnisse, die materielle und intellektuelle Bedeut tung der Hauptstadt erwogen haben. Mit dem Jahre 1830 erhob fich dringender und gebieterischer der Ruf nach Emanzipation der Landschaft. In der Stadt war man zu Conzessionen geneigt; die Häupter der Landschaft aber stellten sich der bisherigen Regierung bald in der Stellung als Gleichberechtigte gegenüber. So erhißten sich die Gemüther auf beiden Seiten. Der gute Wille ward dort zum Trop, hier zur Unnachgiebigkeit. Das Einwirken der Tagsagung war matt, ohne Thatkraft, ohne die Würdigung des ursprünglichen, natürlichen Verhältnisses. So gestaltete sich Spannung, zuleßt ein für die beiden Kantonstheile, wie für die Eid

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