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eine Art von Geschlechtsaristokratie ein, die sich jedoch nur durch wahre oder erborgte Verdienste halten konnte: Das Volk fühlte sich immer, und gab dies jezuweilen vernehmlich kund. In den Städten verwischte sich das ursprünglich demokratische Verhältniß ebenfalls, sobald die Bevölkerung stieg, mit dem zunehmenden Verkehr und Betrieb der Wohlstand wuchs; in den friedlichen und kriegerischen Beziehungen zu den Nachbarn, die Kraft des Genie's, und der Einfluß persönlichen Ansehens und Reichthums sich geltend zu machen wußte. Dazu kamen ebenfalls Erwerbungen von Unterthanenländern durch Eroberungen, Kauf und Vertrag. So bildeten sich die Aristokratien in den Städten, je nach den Umständen mit mehr oligarchischer oder demokratischer Färbung. Es bildete sich zugleich der Gegensaz zwischen Herrschenden und Beherrschten, zwischen regierenden Städten und Ländern und Unterthanenländern. Mit diesem Zustandekommen war der Charakter der ersten demokratischen Volksreaktion verunreinigt; der Grundsag, dem man selbst die Eristenz verdankte, war theilweise aufgegeben; es mußten sich hieran unabweisbar Mißverhältnisse nach Innen und Außen knüpfen. Der Mißgriff der Erwerbung von Unterthanenlanden rächte sich sofort. Einmal wurde dadurch das materielle Uebergewicht einzelner Stände überaus groß, wodurch das ursprüngliche Gleichgewicht abhanden kam, eine Quelle der Eifersucht und des Mißtrauens; sodann führte die häufig gemeinsame Verwaltung von Unterthanenlanden in den auseinandergehenden Bestrebungen der einzelnen Stände namentlich in der Reformationszeit zu unaufhörlichen Reibungen; ferner führte dieser Besty zu mancher Verwickelung mit dem Auslande; endlich, und das war die bedeutendste Folge, demoralisirte dieser Besit die Herren wie die Knechte; jene dadurch, daß er nicht nur die Aristokratie zum harten Extreme steifte, sondern auch persönliche Ehr- und Habsucht, Aemtlibuhlerei und das ganze schmußige Gefolge römischen Prokonsulunwesens weckte; diese, indem sie sittlich, intellektuell und ökonomisch verwahrlost wurden; indem ihr Charakter ungerade, kriechend und feil, oder störrisch und revolutionär werden mußte.

Wir verweilen nicht bei den den eigentlichen Freiheitskämpfen folgenden immer durch Muth und Tapferkeit ruhmvollen, nicht selten

aber durch Beweggründe und Zwecke schändenden und verderblichen Kriegen. Bemerkenswerth sind sie besonders deßhalb, weil die Na= tion durch sie einen wildkriegerischen Charakter annahm, und weil der Einfluß des Auslands sich in ihnen zum erstenmal recht geltend machte, was seinen Fortgang bis in unser Jahrhundert nahm. Wir erinnern hier nur des Burgunderkrieges, den der ränkevolle französische König so fein anzufachen und für sich auszubeuten wußte; sodann der Lohnkriege. Von dieser Zeit an hatte die fremde Diplomatie ihr Spiel in allen eidgenössischen Händeln. Dieselbe wirkte namentlich auch mit in der schweizerischen Reformation, diesem Wendepunkt der Geschichte der Eidgenossenschaft.

Die ausgebreitetere Bildung mochte die Städte Bern und Zürich ebensosehr zur neuen Lehre hinneigen, als politische Gründe sie für ihr Aufkommen eifrig wirksam sein ließen. Wenn dagegen die Ländler ihr einfacher Naturcharakter, ihr ganzes Leben, mehr Gemüth als Intelligenz, für's Festhalten an der alten Lehre hauptsächlich geneigt machten, so waren es wieder besonders politische Gründe, welche sie zum Kampf gegen das weitere Vordringen der reformirten Kirche bestimmten. Trugen sie mit Widerwillen die jezt schon am Tage liegende Uebermacht materieller und intellektueller Kräfte der Städte, so fanden sie sich vollends ihres eidgenössischen Einflusses beraubt, wenn die religiösen Sympathien der größern Zahl der Eidgenossen von ihnen abgewandt würden. Wie leicht übrigens die Parteiung unter den leicht erregbaren Völkerschaften zur Waffenentscheidung führen konnte, davon zeugten schon frühere, rein politische Späne, wie namentlich der erste gewaltige Bürgerkrieg, der Streit um die Toggenburger Erbschaft.

Zu der frühern politischen Spaltung zwischen den Ständen gesellte sich nun seit der Reformation die confessionelle, die sich in mehreren blutigen Bruderkämpfen Luft machte, und in That und Form die alte Eidgenossenschaft schied. Während das Prinzip der Reformation ein antihierarchisches, republikanisches war, die reformirten Stände dasselbe durchaus ohne Gefährde für ihr politisches Leben bei sich einführten, und im Laufe der Zeiten das numerische Uebergewicht auf ihre Seite trat: waren die negativen Wirkungen derselben auf die katholischen Kantone ganz anderer Art. Natürlich

mußte sich in ihnen das kathol ische Bewußtsein steigern; weil aber dasselbe die Hierarchie zu seiner Unterlage hat, so mußte die Einwirkung des Klerus, mithin Rom's auf die ganze politische Stellung von nun an überwiegen. So kam es daß, während in den reformirten Ständen der Durchbruch religiöser Freiheit sich auch in den Unterthanenlanden wohlthätig bemerkbar machte; dagegen das Prinzip der hierarchischen Ueberordnung in den katholischen Kantonen nach und nach den ursprünglich demokratischen Charakter mehr und mehr verwischte. In den protestantischen Kantonen wurde die Staatsgewalt prädominirend; in den katholischen die kirchliche.

Daher der Einfluß des Nuntius, daher der borromäische Bund, daher die ausgedehnte Wirksamkeit der religiösen Orden, Klöster und Stifte. Aus den beiden ersten confessionellen Kämpfen in den Jahren 1531 und 1656 waren die katholischen Stände siegreich hervorgegangen; dagegen erlitten fie im Toggenburger Kriege des Jahres 1712 eine desto empfindlichere Niederlage, welche die Sieger mit schweren Verlusten büßen ließen. Die Katholiken suchten sich durch neue Isolirung zu schüßen und zu rächen. Indessen wirkte der Alles durchdringende reformatorische Geist des vorigen Jahrhunderts mildernd auch auf diesen Hader; es blühete aus der Spaltung der junge Baum der Humanität auf. In diesem Geiste aber lag eine andere, die politische Bewegung, welche sich früher schon, besonders in den Bauernaufständen, nach dem dreissigjährigen Kriege angekündigt hatte. Das demokratische Gefühl reagirte allerwärts gegen die Aristokratie; das Naturrecht gegen das Gewohnheitsrecht, das Neuschaffende gegen das Veraltete, Gebrechliche.

So bereitete sich die Auflösung der alten Eidgenossenschaft auf zwei Wegen vor: durch die confeffionelle Spaltung, und durch die politische Reaktion der Geknechteten gegen die Aristokratien. Zu der letteren hatte zweifelsohne die Reformation auch in der Schweiz die Bahn gebrochen.

So finden wir die Eidgenossenschaft des vorigen Jahrhunderts in sich confessionell zerrissen; durch politische Reaktionen zerrüttet, dem Einflusse des mächtigen Auslandes preisgegeben, ohne politische und religiöse Einheit, ohne staatliche Spannkraft, ohne kommerzielle Freiheit, ohne allgemeine Bildung, dem Sturme der fran

zösischen Revolution überantwortet. Sie zählte damals 13 herrschende Stände, unter ihnen 7 katholische für sich streng abgeschlossene, mehrere Unterthanenlande, und zugewandte, d. h. bundesverwandte Orte. Was die Bundesverhältnisse zwischen den herrschenden Ständen anbelangt, so galt durchweg der Grundsay des Föderalismus, und kantonaler Souverainetät; der Bund selbst war in That und Wahrheit ein Schuß- und Truzbündniß gleichberechtigter Stände. Wir kennen kein Beispiel, daß der Bund sich mit den innern Angelegenheiten eines eidgenössischen Standes befaßte; nur insofern der Bund dabei betheiligt war, wie im alten Züricher Kriege, da sich Zürich von der Eidgenossenschaft trennte. Mit der Rückkehr zum Bunde war die Sache abgethan. In confessionellen Dingen machte sich nach und nach immer mehr auf den Landfrieden von 1531, 1656, 1712 der Grundsay der Parität geltend, d. h. in religiösen Dingen anerkannte man die gleichmäßige Berechtigung beider Confessionen.

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Die gewaltige Bewegung der französischen Revolution, deren Bedeutung man nicht gehörig erwog, oder sich über dieselbe ge= flissentlich täuschen wollte, fand daher die alte Eidgenossenschaft als durchaus nicht im Stande sich zu behaupten. Sie fiel in der Zeit von wenigen Wochen; wie dies gekommen, hat z. B. Napoleon auf St. Helena mit meisterhaften Zügen beschrieben.

Die Folge war Bildung der einen und untheilbaren helvetischen Republik, ein Werk des französischen Direktoriums, das sich andern Schöpfungen dieser Art anschloß. Von nun an trat Bevormundung von Seite Frankreichs ein; daß dieselbe nicht so gewaltsam geübt wurde, wie anderwärts, hatte seinen Grund in der politisch strategischen Bedeutung der Eidgenossenschaft und ihres Gebietes und den darauf gegründeten politischen Rücksichten. Es ist hier nicht der Ort, in das Detail jener Periode einzutreten; aber eine Würdigung des ganzen Verhältnisses gehört mit zum Zwecke dieser Schrift, weil aus derselben manches Gegenwärtige klarer wird. Das Gebäude der alten Eidgenossenschaft wurde umgestürzt, und zwar durch fremde Macht, ohne Recht, willkürlich; der Propagandismus der Revolution war Nebenzweck; die Hauptsache war, die Schweiz als strategischen Punkt benußen zu können.

Die Franzosen übten hier wie anderwärts ihr Handwerk; ste gaben nominelle Freiheit, nahmen aber dafür faktische Unterwerfung, und als Preis ihres verfänglichen Geschenkes den Raub von Millionen.

Die helvetische Republik war einerseits das Werk der neufränkischen Propaganda, an die sich die Unzufriedenen aller Gaue angeschlossen, andererseits die nothwendige Folge des in den veralteten Zuständen tiefgewurzelten Keimes innerer Auflösung; im Ganzen genommen kein nationales, aus der Eidgenossenschaft frei und selbständig entwickeltes, auf naturgemäßen Consequenzen beruhendes, sondern ein aufgedrungenes, fremdartiges Werk. Es ist höchst interessant, die kurzen Lebensschicksale der helvetischen Republik zu verfolgen; ihr prekäres Dasein ist für diejenigen ein keineswegs günstiges Prognostikon, welche auch jezt noch in einer Hyper - Centralisation das einzige Heil unseres Freistaates erblicken. Wie die Gründung der Helvetik ein fremdartiges Werk war, so auch ihre Formen, ihr ganzer Organismus. Sofort bildeten fich zwei Parteien, die feurigen Verfechter des Neuen, welche in der französischen Revolution die Morgenröthe einer neuen und bessern europäischen Zukunft begrüßten, und die entschiedenen Anhänger der alten Zustände, welche in dem Untergang der alten Eidge= nossenschaft den Ruin des Vaterlandes, die Auflösung aller bisher bestandenen Verhältnisse, welche ferner in den fränkischen Eindringlingen und ihrem Treiben dem Schweizernamen eine tiefe Schmach aufgedrückt glaubten. Später schieden sich die Parteien in Föderalisten, in Anhänger eines Mittelsystems (Juste milieu) und in Einheitsmänner oder Unitarier. Hielten die Ersteren sich vorzugsweise an Oesterreich und seine Alliirten, so stüßten sich diese auf Frankreich. Es gab allerdings auch Männer, und sie waren die wackersten, der Kern der Schweizernation, welche das Rechte erkannten, welche jedem fremden Einfluß die Thüre gewiesen wissen, welche die Schweiz, als selbständige Nation reformiren und regeneriren wollten; es war dies die kleine vaterländische Partei, welche ungeblendet von den Lockungen eiteln Ruhmes und kalter Egoisterei dem Vaterland vor Allem dienten; welche einsahen, daß die alten Zustände weder haltbar, noch ersprießlich seien; aber

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