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eine Zeitlang Mode, die Schweiz als den Heerd anzusehen, an dem man sich gaftlich wärmen, von dem man aber auch den Feuerbrand nehmen könne, um ihn in das Land des Schußes selbst oder darüber hinaus zu werfen: darin aber liegt eben so viele Perfidie als Anmaßung. Dazu kam bei Vielen noch die Geringschägung schweizerischer Verhältnisse, das übermüthige, vornehme Herabsehen auf ihre Beschüßer; die eckelhafteste Prahlerei ist die des Bedürftigen im Schuß-, im Freundeshause. Es war darum kein Wunder, daß sich nach und nach ein halbfanatischer Fremdenhaß unter einem Theile des Volkes Luft machte; von demselben wurden freilich auch diejenigen Fremden betroffen, welche ehrlich und in guten Treuen in der Schweiz sich eine Stellung erworben hatten und dieselbe nur im Dienste dieses Landes gebrauchten. Die Ereignisse der neuesten Zeit, welche den politischen Cordon zwischen den Völkern bereits stark gelockert, werden das Ihrige dazu beitragen, auch hier eine natürliche Würdigung Raum gewinnen zu lassen. Die Fremdengeschichten" haben übrigens mehr als einmal flar bewiesen, daß die Schweiz darauf angewiesen ist, ihre internationalen Angelegenheiten tüchtig zu ordnen; daß sie sich am wenigsten dazu hergeben soll, als Mittel und Werkzeug fremder Gelüfte und Zwecke zu dienen. Es wurde bei diesen felt= famen Affairen auch ihre Stellung gegen die monarchischen Nachbarstaaten eine schwierige; diese, nach der Unterdrückung der freiheitlichen Bestrebungen in ihren eigenen Ländern, sahen die Männer ihres Hasses und ihrer Furcht in der Schweiz fich sammeln, da und dort Unterstüßung finden, ihre alten Verbindungen mit der Heimath wieder anzuknüpfen u. f. f.

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Darum insbesondere wurde die Schweiz den fremden Regierungen das Land strengster Ueberwachung, daher rührte die hermetische Gedankensperre. Die Schweiz als solche in ihrer politischkirchlichen Entwicklung konnte zwar der Büreaukratie und dem Absolutismus des Auslands an sich nicht munden; aber die nächste Veranlassung zu einer Reihe gehäffiger Verationen lag doch in unvorsichtigem Gehenlaffen fremder Propaganda, die in die Schweiz selbst nur unnatürliche, fremdartige Elemente zu verpflanzen suchte.

Die Septemberrevolution, die Revistonsbewegungen, ultramontane Agitation.

Wir gehen sofort zu einem Ereignisse über, das geschichtlich und psychologisch gleich interessant ist, in seiner Bedeutung für die weiteren Kreise der Eidgenossenschaft aber gewöhnlich überschägt wird, wir meinen die Septemberrevolution in Zürich. Es ist schon darum von Interesse, dieselbe näher in's Auge zu fassen, weil Zürich bis dahin als Prototyp der neuen Regenerationsbestrebungen gelten konnte.

Zürich hatte das Glück, für die neuen Schöpfungen nicht. wenige Männer von Geist, Energie und Begeisterung in seiner Mitte zu finden. Die Namen eines viel zu früh geschiedenen Usteri, eines Keller, Füßli, Hirzel, Heß, Orelli, Scherr und Anderer finden ihre bleibende Stelle in der Geschichte des engern und weitern Vaterlandes. Es war ein jugendlich, begeisterungsvolles Wirken; eine Thätigkeit, wie für die Ewigkeit; ein prinzizielles Auffassen des ganzen Staatsorganismus; eine würdevolle Liebe für Kunst und Wissenschaft, die in der Zeit weniger Jahre auf kleinem Bereiche in der That Außerordentliches schufen. Da finden wir die großartigsten Unternehmungen für Erleichterung des materiellen Verkehrs; ausgezeichnete Werke in fast jedem Zweige des Staatshaushaltes; eine totale Reorganisation des Volksschulwesens, eine kühne Erweiterung der höhern Bildungsanstalten mit einer Hochschule als Schlußstein. Oeffentliche und Privatbauten zeugten von dem Geschmack, von der Schöpferkraft, von dem genialen Zuge zum Großen und Schönen; in der Gründung des Theaters, in anderweitigen künstlerischen Bestrebungen war auch der Kunst die gebührende Huldigung dargebracht, so daß ein Parallele mit Athen in der schönsten Blüte hellinischen Lebens nicht ohne Wahrheit ist. Hier, in Zürich, bewährten sich die neuen Zeitideen; hier bewiesen sie, daß sie innere Wahrheit und Triebkraft hatten; hier aber auch zeigte sich am frühesten und klarsten, was ihnen gebrach, worin fie einseitig, befangen, darum ungerecht waren.

Schon längere Zeit vor dem 6. September hatte sich eine Oppofition vorbereitet und zwar in doppelter Richtung in staat

licher und in kirchlich - pädagogischer. Mit der neuen Ordnung der Dinge war die alte Herrschaft der Hauptstadt vollends ge= brochen; ihre politische Bedeutung war durch die Erhebung der Landschaft paralyfirt. In der Stadt aber lebte theilweise wenigstens der alte ausschließende, antidemokratische Geist noch fort. Er fand seine Vertreter in einem Rahn, Gyfi, zum Theil auch in Blunschli. Das herrschende Regiment wirkte dem Prinzip nach rein repräsentativ - demokratisch; die Hauptstadt in ihren alten Beziehungen fand nur in sofern Gnade, als sie der Centralpunkt der glänzenden Organisation blieb. Der Form nach aber wurde das Regiment nach und nach ausschließend; es bildete sich eine sogenannte Intelligenzaristokratie, die ihre Spize in dem geistreichen Keller hatte. Das verwundete die weniger begabten, aber nichtsdestoweniger herrschlustigen Demokraten des Landes. So entstand der eigenthümliche Bund zwischen der Stadtaristokratie und der Demokratie der Landschaft. Dazu kam die zweite Richtung, die kirchlich pädagogische. In Zürich, in der Stadt Zwingli's war der Einfluß des Klerus seit der Reformation ein bedeutender. Er erstreckte sich nicht nur auf die Kirche an sich, sondern auch auf die Schule, das Gemeindswesen, namentlich in Armenfachen u. s. w. Der Geist der Männer des neuen Regimentes, ihre Individualität drängte mit Entschiedenheit gegen diese Priestergewalt an. Es war nicht sehr schwierig, dieselbe in rein politischen Dingen zu dämmen. Anders gestaltete sich die Sache in der Schule. Der Klerus erkannte, daß mit seiner Beseitigung von der Schule das innerste Wesen, der Kern und das Leben seiner Macht gebrochen werde. Darum von Anfang an die heftige, die gehäffig - leidenschaftliche Opposition gegen Scherr.

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Scherr ist Pädagog der Intelligenz, ein vorzüglicher orga= nistrender Kopf, ein Mann von raftloser Thätigkeit, voll Begeis fterung für die Sache der Bildung. Er wurde mit der Reorga= nisation des Volksschulwesens betraut. Was er hierin geleistet, davon zeugen die Zürcher'schen Schulen noch jest, in kurzer Zeit, bei den gegebenen Mitteln jedenfalls Außerordentliches. Seine Wirksamkeit gab aber bald in zweifacher Beziehung Anstoß: sein radikales Reorganisationsstreben, das rücksichtslos werden mußte,

griff die materiellen Interessen der Gemeinden sehr stark an. Dieses kizliche Verhältniß hätte gemildert werden mögen, wenn er die Geistlichkeit auf seiner Seite gehabt hätte. Aber gerade er war der eifrigste Vorfämpfer für eine freie Schule, für eine Emanzipation der Schule von der Geistlichkeit. Gegen diese Emanzipatión läßt sich grundsäglich nichts einwenden; wohl aber gegen ihre äußersten Consequenzen.

Die Emanzipation darf sich nicht in Opposition verwandeln, wenn nicht Alles gefährdet werden will. Die Kirche hat ihr gutes, in ihrem und im Wesen des Menschen begründetes Recht auf die Schule. Es handelt sich hier nur um Ausscheidung einer Grenzlinie, um ein Compromiß, das zu gemeinsamer Thätigkeit führe. Hier hatte man sich's versehen, aus Systemsucht, in theoretischer Abstraktion befangen, gerieth Staat und Schule in feindseeligen Gegensatz gegen die Kirche. Sein Ertrem war die Berufung von Strauß, sein Resultat der Sturz der Regierung der Regeneration.

Die Berufung von Strauß hat ihre bändereiche Kritik schon lange gefunden. Wir können daher kurz sein. Sie war zum mindesten gesagt ein Hauptmißgriff, der mit Leichtigkeit umgangen werden konnte. Wir wissen zwar die Gesinnung der Männer der freien Wissenschaft wohl zu würdigen gegenüber den Angriffen bornirter Zeloten; es war ihnen um die lezte Consequenz der freien Schule zu thun; ihre Ansicht wurzelte selbst in dem reformirenden, kritischen Prinzip der Reformation. Aber das Erperiment war halsbrechend, weil eine unrichtige Auffassung Volksstimmung werden mußte, weil diese Volksstimmung durch Frivolitäten im liberalen Lager bestärkt wurde. Daß die Geistlichkeit gegen die Berufung in die Schranken trat, finden wir natürlich; die Gründe dagegen, die hiebei gewöhnlich plausibel gemacht werden wollten, zeugen entweder von einem ziemlich tiefen Standpunkte der Wissenschaft, oder vom Verkennen der reformatorischen Basis, oder von dem Bewußtsein eigenen Unvermögens in reli= giösen Dingen.

Was nun die Bewegung im Volke selbst betrifft, so ist eine tiefe, innere Wahrheit durchaus nicht zu verkennen, und in dieser Beziehung hat sie etwas Großartiges. Das religiöse Gefühl des

Volkes erglühte; es wollte nicht zugeben, daß man mit ihm spiele, daß man an ihm frevle; es trat ein für seine lebendig - chriftliche Ueberzeugung; es verlangte, daß der Kirche im Staate ihr Recht verbleibe. In diesem Sinne wirkten auch viele Männer des Volkes, welche entweder auf den höhern Standpunkt der Wissenschaft sich nicht zu stellen vermochten, oder eine wirkliche Gefährde der christlichen Religion in den Schritten des Erziehungsrathes und der Regierung erblickten. Das ist die erquickliche Seite. Aber empörend war es zu sehen, wie diese fittliche Erhebung, wie diese religiöse Glut zu politischer Demagogie mißbraucht, ausgebeutet wurde. Das ist die gemeine, die perfide Seite der Bewegung. Oder wenn der Geist der Regierung überhaupt, ihre politische Richtung angegriffen werden wollte, warum die Religion, und religiöse Motive zum Sturmbock einer politischen Bewegung machen! Freilich wird man uns entgegnen, die Träger und Vertheidiger eines antichristlichen Systems können und dürfen auch politisch nicht an der Spiße des zürcherischen Volkes stehen. Das aber gerade, diese antichriftliche Trägerschaft, wäre erst noch zu beweisen.

Die Zürcher'sche Bewegung wirkte nach zwei Seiten auch über den Kanton hinaus: die Unmacht des Bundes zeigte sich bei ihr zum erstenmal recht augenscheinlich; die gemeine und gefährliche Politif der faits accomplis wurde Tagesordnung. Sodann war durch das Vorspiel Zürichs der politisch - k i r ch l ichen Agitation die Richtung vorgezeichnet, die von jezt an die halbe Schweiz ergreifen sollte, zumal das Septemberregiment seiner Natur nach mit ihr sympathistren mußte, wodurch es seine von Anfang an falsche Stellung fast noch mehr erschwerte.

Mit dem Siege des Septemberregimentes in Zürich traten die schweizerischen Verhältnisse im Ganzen in eine neue Phase. Die Reaktion gegen die dreissiger Grundsäße, ihre Errungenschaften und Strebnisse, welche im Sarnerbunde ohne entscheidenden Zielpunkt, daher auch ohne die nöthige, zusammenhaltende Energie aufgetreten war, erhob sich nun auf's Neue mit Macht; sie verließ überall die Defensive, und gieng angriffsweise zu Werke. Die Stellung namentlich der katholischen Reaktion war aber auch

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