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dem Charakter seiner Bewohner, erfuhr den Wogendrang schweizerischer Bewegungen. Bekanntlich ist Oberwallis deutsch; Unters wallis französisch; jenes war früher das herrschende Volk, dieses die Heimath der Unterthanen. Das Verhältniß war den Wirkun, gen der französischen Revolution ebenfalls unterlegen. Die Oberwalliser fügten sich aber nur ungern dem neuen Zuge, und Reibungen waren daher nicht selten. Mit der Regeneration war die Kluft zwischen beiden Theilen noch größer geworden. In Oberwallis in Vielem noch rein mittelalterliche Zustände, man konnte es eine Dase des Mittelalters nennen, zumal in geistlichen Dingen. Der Klerus übte beinahe unumschränkte Herrschaft; die Immunitäten erhielten sich am längsten in diesem Bergthale. Die Unterwalliser dagegen leichteren Blutes, lebhaftern Wesens, wälscher Natur, fühlten sich angezogen von der benachbarten Waadt; sie wurde die Quelle, in welcher der Unterwalliser seinen politischen Durst befriedigte; daß die Nachbarschaft des reformirten, damals schon zum Theil dem Methodismus überantworteten Waadtlandes nicht ohne Rückwirkung auf die religiöse Denkart der Walliser bleiben konnte, versteht sich von selbst. Die Dinge gediehen auch hier bis zur Waffenentscheidung; Unterwallis kam schnell zuvor, und so ward ihm der Sieg. Seine Führer, die Barmanne voran, bildeten das neue Regiment. Die lavirende Politik des Vorortes von 1840 hatte nicht wenig dazu beigetragen, den Parteizwist im Lande zu nähren; das Interventionssystem von Seiten einer Behörde, die selbst unter dem Parteieinflusse steht, erwies sich auch hier lähmend und gefährdend.

Der kurze Zeitraum des liberalen Regimentes in Wallis, sowie sein Sturz haben in einem Betheiligten, Moriz Barmann, bereits einen beredten öffentlichen Sprecher erhalten. Es bleibt uns nur übrig, den Geist der neuen Regierung zu würdigen, und den Gründen nachzugehen, welche ein so schnelles und so tragisches Ende herbeiführten. Wie schon bemerkt, stehen wohl in der ganzen Schweiz die Ertreme in Land, Boden, Sprache, Sitte, Charakter einander nirgends so nahe wie in Wallis: hier die Gebirgswelt, dort die liebliche Thaleinmündung gegen den Genferfee; hier der kräftige, schroffe, finstere und zugleich innige

Charakter des Deutsch-Wallisers, dort der frische, kecke, heitere, bewegliche Sinn des Wälschen; hier die altwallisanische ritterliche Aristokratie, die jedoch seit Jahrhunderten gewohnt war, sich dem Krummstab im Wesentlichen unterzuordnen; dort das demokratische Element, das auch in religiösen Dingen der modernsten Weltan= schauung` huldigte; dazu kam endlich die geschichtliche Ueberlieferung, die Gewohnheitsrechte, das zähe Festhalten an lieb gewordener Eroberung: wer mochte unter folchen Umständen bei ziemlich gleichen Kräften an eine wahre Verföhnung und Einigung denken! Entweder mußte die alte Zeit mit allen ihren Formen ihre Meisterschaft behaupten, oder das Neue mußte sich auf ihren Trüm-. mern sichere, feste Bahnen schaffen; ein Drittes, Wahres und Dauerndes ließ sich nicht denken.

Das neue Regiment hatte diese gewaltige Wahrheit nicht erfaßt. Nach einem blutigen Kampfe zur Herrschaft gelangt, anfangs scheinbarer Ruhe und Versöhnung fich erfreuend, gab es sich dem Wahne einer wahren Vermittlung hin, während es die Kraft nicht üben wollte oder üben konnte, den Ertravaganzen im eigenen und im fremden Lager Einhalt zu thun, die beiden Barmanne, die Seele der neuen Regierung, find edle Gestalten, Joseph, einë feingebildete, tieffühlende Natur, mit regem Sinn für alles höhere Schöne ausgerüstet; Moriz glühender, soldatischer, entschiedener, darum vielleicht ohne den Taft, der nur aus kalter, besonnener Ueberlegung zu entspringen pflegt; sie ließen sich mit ihren Gollegen angelegen sein, Grundgebrechen im materiellen, politischen und politisch - religiösen Gebiete zu heilen; es wurde von ihnen unter den schwierigsten Umständen in kürzester Zeit verhältnißmäßig Großes geleistet: denn auch die Anregungen find Thaten!

Was sie zu Falle brachte, war ihr Verhältniß zur Geistlichkeit; dieselbe, namentlich die höhere, hatte sich der neuen Ordnung nur mit Widerwillen gefügt; sie stand auf der Lauer, um keines ihrer alten Rechte zu verlieren, und um jede Blöße der neuen zu erspähen und auszubeuten. In dieser Rücksicht war das neue System entweder zu schlaff, zu ängstlich, es fühlte, daß eine Bereinigung hier zum Schwierigsten gehörte, oder, wenn dies nicht anzunehmen sein sollte, unwahr, ohne die Entschiedenheit und

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Offenheit, die hier vor Allem nothwendig waren. Ein Theil wenigstens der Anhänger des Neuen die Jungschweizer“ übten in religiösen Dingen eine Taktik, die überall, unter den gegebenen Umständen aber ohnehin, nùr verlegen und aufregen konnte. Der Spott, die Ironie, der Hohn in religiösen Dingen find Waffen, die ihre Anwendung nur bei einem sehr geistreichen oder einem sehr verdorbenen Volke finden: die Walliser, zumal die obern find keines von beiden; darum kehrten sie sich gegen ihre Urheber. Die alte Schweiz hatte ganz andere Vortheile für sich, den Ernst, das Gepränge, die religiöse Strenge und die Heuchelei. So füllten sich die feindlichen Lager wieder; so bekämpfte man sich anfangs nur in Wort und Schrift. Hier Groll und Fanatismus, dort leichtfertige Frivolität und geistreicher und geistloser Sarkasmus. Dadurch, daß die neuen Regenten Ausschweifungen an der eigenen Partei duldeten, gruben sie sich, wie dies immer der Fall ist, ihr eigenes Grab. Beim Kampfe gegen die finstern Mächte religiösen Wahnes und hierarchischer Ueberwucht wird so selten das Eine ins Feld gebracht, was Noth thut und durchzudringen vermag: der heilige Ernst innerster Ueberzeugung, die einnehmende Gluth wahrer Begeisterung, die Werkthätigkeit, die Liebe eines neueu Glaubens; da fehlt alles Positive; durch Negationen will man das Volk von seinem Positivsten trennen und das ist vom Uebel; das schafft nur Haß, Erbitterung, neuen, verstärkten Wahn. Jedes Reformiren und die Möglichkeit seines Gelingens in relis giösen Dingen sezt die Hingebung, die Wärme aufopfernder Begeisterung voraus: die Indolenz macht keine Proselyten.

Wallis hätte sich vielleicht mehrere traurige Blätter seiner Geschichte erspart, wenn der Angriff gegen hierarchische Uebermacht offen und gerade aus aufgenommen worden wäre; im geheimen Kampfe ist ihr der Sieg beinahe immer sicher; im offenen dage= gen entbehrt sie vieler ihrer besten Waffen. Es sollte nicht sein: so stiegen die Wirren von Tag zu Tage; unterbeß war es in Lu zern zum Entscheide gekommen, und von dort aus wurde durch offene und geheime Agenten die Spannung zum Nisse getrieben. Wir wollen die geheimen Machinationen, die dem Kampfe vorans giengen, nicht näher schildern; die zögernde Unentschlossenheit der

Majorität vor dem Schlage; die verrätherische Haltung einer Minorität; auch nicht den blutigen Tag felbst, den Brudermord am Trient: die Geschichte von Wallis im Kreise weniger Jahre ist die Geschichte der Schweiz! Charakteristisch, außer unserer Zeit, find die hervorragenden Gestalten im Wallifer Drama: man- glaubt Männern und Frauen aus dem Mittelalter zu begegnen: ein Peter Courten, und sein tragisches Ende, seine Blutsverwandten and ihre aufopferungsvollen Gattinen und Töchter; dieser Joffen dann und ihm gegenüber Joris: haben wir nicht leibhaftige Condottieri's früherer Jahrhunderte, und Moriz Barmann, seine ritterliche Gattin das find interessante, ganze, plastische Gestalten; die Blastrtheit unserer Tage hat sie noch nicht ergriffen, ein wohlthuender Gedanke mitten unter den Blutscenen wilder Bruderkämpfe !

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Wir müssen ins Herz der katholischen Schweiz zurückkehren. Dort hatten sich seit der Klosteraufhebung im Aargau die Dinge schleunig, Schlag auf Schlag entwickelt. Die unmittelbare Wirfung der aargauischen Klosteraufhebung auf Volk und Behörden war eine außerordentliche; diese, zumal die geistlichen Führer, ihre Freunde und Anhänger fühlten sich in ihren Lebensinteressen angegriffen; es war ein Glied, und zwar das stärkste und vollgewichtigste aus der Kette der ultramontanen Verbindung gesprengt; mit dem Sturze jener Klöster war Bresche geschossen in die Festung geistlicher Unantastbarkeit; der „ heilige“ Nimbus ́ ́erbleichte; die Mysterien der gottgeweihten“ Zellen wurden profanirt; im Aargau selbst war der Nerv confeffioneller Opposition durchschnitten. Das die eine Seite, die übrigens sorgfältig verborgen wurde; die zweite wurde desto greller und theatralischer zur Schau gebracht, es war die „katholische Religionsgefahr“, die „Befehdung der katholischen Kirche“, der „drohende Untergang der katholisch-schweis zerischen Welt" durch die Angriffe kommunistischatheistischer Agitation. Hier lag das plausible Mittel, der gewaltige Hebel, um den Zweck, den verborgen gehaltenen geistlicher Omnipotenz zu retten. Es lohnt sich wirklich der Mühe, den Grundwellen dieser Bewegung nachzuspüren. Oberflächlich betrachtet hatte sie viel Plausibles; das katholische Volk mußte, so wie es angegriffen

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wurde, für sie in die Schranken treten. Wenn seine helligsten Güter gefährdet waren, wer wollte es ihm verargen, wenn es für sie einzustehen bereit war! Man wird zwar einwenden: diese Voraussetzung war unrichtig, und es zeugt von dem tiefen Stande der Bildung, daß das katholische Volk das Wesen nicht vom Scheine zu unterscheiden wußte. Dazu trug die Behandlung einer katholischen Frage durch paritätische Behörden *) das Meiste bei; dadurch gieng die Unbefangenheit, das Vertrauen verloren; während der Stachel alter confeffioneller Antipathien neue Schärfe erhielt. Eine Lehre für die Zukunft, jede Angelegenheit, soweit als möglich, vor dem Forum und in der Weise zu behandeln, die ihrer Natur angemessen sind. Eine ganz ähnliche Erscheinung trat ein paar Jahre später bei der Jesuitenbewegung in der protestantischen Welt zu Tage. Die Jesuiten waren troßdem, daß sie in Freiburg und Wallis seit drei Decennien ihre Size aufgeschlagen hatten, dem reformirten Volke in seiner Mehrheit durchaus eine terra incognita, ein Unbekanntes, das höchstens in der confeffionellen Sagenwelt sich abenteuernd forterhielt. Mit der Berufung der Jesuiten nach Luzern, und dem bekannten Antrage Aargau's war die Fackel confeffioneller Aufregung unter die protestantische Bevölkerung geworfen. Die Jesuitenbewegung wurde im Volksleben ein Seitenstück zur Klosterbewegung, hier wie dort das Schlagwort des Tages, ohne volles, reelles Bewußtsein. Wägt man das Wahre und Wesenhafte beider Bewegungen gegen einander ab: so war die katholische Religionsgefahr" wegen der Klosteraufhebung unbegründeter; mit, aber auch ohne Klöster besteht der Katholizismus; sie war eine mehr äußerliche, der Symbolik des Katholizismus dienende; die protestantische Jesuitengefahr dagegen hatte ein Reelles; der Feind war da, offen, entschieden, seine Wirksamkeit zeugte dessen. Und doch war die Gefährde viel größer für die katholische als die protestantische Welt; der Jesuitismus war das verderbliche Prinzip im Katholi

*) Hätte Aargau als rein katholischer Kanton die Klöster aufgehoben; Eindruck und Folgen wären andere gewesen. So sah man in der Aufhebung einen Sieg der Reformirten mit „radikalen katholischen Uebers läusern“ über den ächten Katholizismus.

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