Page images
PDF
EPUB
[ocr errors]

Für die Wahrheit unserer Behauptung zeugt das ganze Leben. dieses Volkes das politische beschränkt sich auf wenige Momente, deren Höhe bis jezt die Landsgemeinden waren; der politische Ehrgeiz ist bei der Masse des Volkes nicht weit her, man überläßt diese demselben ferner liegenden Geschäfte gerne den Herren. Die Neligion dagegen, ihre Uebungen, ihre Feiern sind der Mittelpunkt ihres ländlichen Treibens; nicht das Schüßen, das Sängerfest, selbst nicht die Landsgemeinde erregen weithin glühend und erhebend; es sind vielmehr die religiösen Feste, die Wallfahrten, die Gedächtnißfeiern, an welchen man mit Leib und Seele Theil zu nehmen gewohnt ist. Ist das ein traurig, bedauerlich Zeichen? Die Antwort ist schwer: wir Gebildeteren, wir Verstandesmenschen sind über die Periode religiösen Gefühllebens hinaus; wir schauen trocken und berechnend in die Schöpfung hinein; die Berechnung ist der Typus unseres Lebens geworden; wir schämen uns der Begeisterung, wenn sie uns nicht politische Lorbeerfränze einträgt; wir können nicht mehr weinen, nicht mehr beten ohne Koketterie; das religiöse Leben ist uns zum nothgedrungenen Geschäfte gewor den. In dieser Hinsicht sind sie glücklich die einfachen Seelen; fie haben noch Wärme, Glut, Liebe, Inbrunst, Glauben. Aberglauben? Wer trägt denn die positive, die absolute Wahrheit in der Brust: ist der Glaube des gebildeten Verstandesmenschen gewöhn lich etwas anderes als stolze und doch unwahre Negation; etwas anderes als ein Gewebe von Wahrheit und Sophismen, das in keinem Sturme des Lebens das Steuer zu führen im Stande ist? Ist es nicht die zur absoluten Nothwendigkeit gewordene Aufgabe unserer Zeit, die Glut, die Innigkeit religiöser Begeisterung ins kalte, schaale, materielle Leben zurückzuführen; gibt es ohne diese Glut eine große Zeit, große Menschen! Der Mensch ist nicht zum materiellen und politischen Industrieritter geboren; seine Aufgabe liegt ihm vorgezeichnet in der Liebe des Kindes, in der Freundschaft des Mannes, in der Wollust der Aufopferung, in der ganzen großen Gemüthswelt, deren Pflege unsern Himmel, unsern Erdenfrühling ausmacht. So lassen wir ihnen die kindliche Naivetät, die wir nicht mehr verstehen; zucken wir die Achseln nicht über diesen und jenen Auswüchs, über den Mangel an skeptischer

Schärfe. Der Mensch im Allgemeinen hat sie überall nicht, und wenn er sie zu haben meint, verwundet sie ihn nicht selten auf den Tod.

Es fragt sich nun, was hat die neue Zeit gethan, was die katholische Schweiz in dieser Richtung verlegen konnte; es fragt sich weiter, wie ist dieses religiöse Moment in der katholischen Schweiz von seinen sogenannten Freunden behandelt worden, daß die Sache zur bekannten Spize getrieben werden konnte? Wir müssen hier nothwendig in frühere Zeiten zurückgreifen: die katholische Schweiz, wir verstehen unter ihr namentlich die Urkantone, Luzern und Wallis, von welchen die Bewegung hauptsächlich ausgegangen, bewegte sich von jeher in mehr oder weniger demokratischen Formen; ihre Verfassungen, wie die Administration waren simpel; es handelte sich nicht so fast um ein regelrechtes künstliches System, als darum, daß kurz und gut das Nothwendigste besorgt wurde. Diese Richtung hielt zwar den gemeinen Mann in der Regel von direkter Betheiligung am Staatsgeschäfte ab, war aber gerade wegen ihrer Einfachheit ganz geeignet, dem Volke in seiner häuslichen und zum Theil auch in den öffentlichen Angelegenheiten einen ziemlich großen Spielraum zu lassen. In der Urschweiz regierte man nicht; man leitete und rieth. Weil diese Verhältnisse so einfach waren, weil ferner auch das übrige materielle Leben so wenig Mannigfaltigkeit, Anstrengung, Berechnung bot, so mußte bei der ohnehin vorwaltenden Richtung die Kirche von ungewöhnlichem Einflusse sein. Beichtstuhl, Kanzel, Unterricht waren auch hier die vollgewichtigen Momente für ste. Nicht daß die Geistlichkeit sich unmittelbar in die Verwaltung gedrängt hätte; wir finden wenige Spuren davon; aber mittelbar hieng auch der po= litische Taft oder Instinkt von ihnen ab: ste waren die moralischen und die geistigen Leiter des Volkes.

Die neue Zeit hatte bis auf unsere Tage eine vorwaltend politische Richtung: im Mittelalter der germanischen Stämme war das religiöse Moment der Schwer- und Angelpunkt; seine Blüte fand es in den Kreuzzügen, seine Katastrophe in der Reformation. Von da an trat das politische, und das politisch-diplomatische und politisch-commerzielle in den Vordergrund, seine Blüte und Katastrophe haben wir in der ersten franzöftschen Revolution und

ihren Folgen. In unsern Tagen dringt sich das soziale Element unwiderstehlich ins Leben: so geht der Kreislauf; wir ahnen, daß das soziale dereinst wieder im religiösen aufgehen wird: das liegt in der Natur der Verhältnisse und der Menschheit.

Auch in der Schweiz verdrängte mit der Regeneration die politische Rücksicht alle andern, die nur insofern noch Geltung fanden, als sie sich ihr unterordneten und schmiegten. Diese Rückficht steuerte zunächst auf Realisirung ihrer Idee im Staate hin; der Staat als solcher sollte lebenskräftig und allmächtig erstehen; in seiner Organisation sollten alle übrigen aufgehen. Eine der nächsten Folgen dieses Systems war die Unterordnung der Kirche unter den Staat; die Verwerfung ihrer Autonomie neben dem Staate; die Entkleidung derselben von allen selbstherrlichen, politischen Attributen; die Reduktion derselben auf eine moralische Bildungs- und Erziehungsanstalt. Wir werden später einläßlich auf das Verhältniß zwischen Staat und Kirche zu sprechen kommen, und bemerken hier für einmal nur, daß die Durchführung dieser Grundsäge in ihrem strengen Erklusivismus einseitig, und der Würde kirchlicher Institutionen, und ihres moralischen Einfluffes auf das Gemeinwesen nicht würdig ist.

In Folge dieses Systems sehen wir das Erziehungswesen in seinem Gesammtumfange dem Staate zugewiesen, die Ausübung des placeti regii, die Anerkennung gemischter Ehen, den Kampf gegen Nunziatur und Klöster, und in letter Instanz gegen den Jesuitismus, das Zurücktreten von confeffioneller, die Hinneigung zu paritätischer Politik, die Verwerfung einer wesentlich katholi schen, das Anstreben einer eidgenössischen Politik. Der Kampf wurde zunächst nicht in der innern Schweiz, mit Ausnahme Luzerns, sondern in den paritätischen Kantonen geführt: hier in St. Gallen, Aargau u. f. w. trat nicht der Protestantismus, son. dern der politisch-radikale Katholizismus der Kirchengewalt in ihrem Gesammtumfange entgegen. Männer wie Keller, Waller, Tanner im Aargau, Baumgartner, Henne, Federer, Curti und Andere in St. Gallen, erzogen in den Grundsäßen der neuen politischen Schule, schwärmten für politische Freiheit und für einen religiösen Humanismus; fle unterfingen sich im Kleinen und

unter freilich veränderten Verhältnissen die Rolle eines zweiten Joseph in der Schweiz zu spielen. Es ist dies, von Bedeutung für die Beurtheilung aller spätern Erscheinungen. Daß fie gegen eine kirchliche Allgewalt auftraten, daß sie dem Staate sein Recht in Erziehungssachen vindizirten, daß sie gegen alte, krebsartige Vorurtheile den Kampf der Vernunft führten: darin hatten ste ihr volles, unbestreitbares Recht. Was ihnen zum Vorwurf gereicht, ist das Extrem, in das sie sich werfen ließen, ist die Entfremdung von der religiösen Wärme, die strenge Kälte ihres Rationalismus, ist die nicht selten unglückliche oder leichtsinnige Wahl der Waffen, die in diesem Kampfe mit aller Vorsicht zu handhaben waren. Sie verstanden es nicht, die Idee einer Reform glühend ins Volk zu werfen und dasselbe für sie zu begeistern. Dem religiösen Indifferentismus oder Rationalismus trat darum mit eben so viel Glück als Geschick der religiöse Fanatismus ents gegen. Es war natürlich, daß sich dem kathölischen der reformirte Radikalismus zuneigte, wie dem katholischen Conservatismus das protestantisch-conservirende Element. Hierin aber, sowie in dem Bestehen paritätischer Kantone, und den dadurch nothwendigen Berührungspunkten zwischen Katholiken und Protestanten lag das Verhängnißvolle und Schwierige der Sache. Dadurch wurde der Streit zum confessionellen; er nahm den fanatisch-trüben Charakter an; dadurch wurde er aus dem ihm eigenthümlichen religiösen. Felde hinübergeführt auf die Wahlstatt der Politik. Ein Beweis mehr, daß rein Confeffionelles ausschließlich der betreffenden Confession überlassen werden sollte.

Durch diese Störungen in ihrem eigenen Innern, durch die Dazwischenkunft des Bundes in seiner liberal-protestantischen Mehrheit zu Gunsten der neukatholischen Bewegung, namentlich in der Klosterfrage, sah die altkatholische Schweiz oder vielmehr die sie repräsentirende Partei sich in ihrem Leben gefährdet; der Schwerpunkt, das Bindeglied, das Moment, welches seit der Reformation der katholischen Schweiz ihre Bedeutung noch einigermassen gerettet hatte, war ihre kirchliche Liga, das katholische Gemeinbewußtsein, das vorherrschend kirchliche Element; die sahen sle angegriffen, ste sahen, daß dieser ihr alter Charakter verflacht,

wo nicht verwischt werden sollte; darum ihr verzweifeltes Widerstreben, daher die Glut des Kampfes. Es lag demselben eine Wahrheit zum Grunde, die Wahrheit der Selbstberechtigung in kirchlichen Dingen, ein wahres und natürliches Gefühl des Verleßtseins über nicht katholische Majoritäten in katholischen Dingen. Diese Wahrheit, dieses natürliche Gefühl, gieng jedoch im Gewühle des Streites verloren: waren die Streitfragen wesentlich katholische, beschlugen dieselben wesentlich katholische Interessen, lagen fie der andern Confession der Hauptsache nach fern: so wurde dagegen die in den Bundesverhältnissen liegende Betheili gung derselben von der altkatholischen Partei, von der Partei der Kirchengewalt dazu ausgebeutet, dieselbe als einen Kampf gegen den Katholizismus ins Herz des katholischen Volkes zu pflanzen: darin lag die unverantwortliche Politik der Religionsgefahr. Nachdem wesentlich durch diese Taktik Luzern der alten Partei wieder überantwortet war; nachdem früher schon in Zürich die protes stantisch - conservative Politik zum Siege gelangt war: gestaltete sich im Kopfe Siegwarts und seiner Freunde die Idee des neuen katholischen Bundes, als deffen tüchtigste Verfechter die Jesuiten gerufen wurden.

Dieser katholische Bund hatte seine feste Basis in einem ursprünglich wahren, später aber gefälschten Volksgefühle, im katholischen Bewußtsein; sein großartiger Plan ist einer nähern Prüfung werth.

Seine Grundidee war offenbar die Isolirung der katholischen Schweiz nach Außen, und die Concentration ihrer Kräfte nach Innen; beides hieng innerlich zusammen. Durch diese Operatio-nen sollte die kirchlich mystische Richtung gestärkt oder wieder berausbeschworen werden; die Theokratie des Mittelalters mit de mokratisch-politischen Formen sollte realisert werden. Der Bund strebte aber noch weiter: durch seine Verzweigungen namentlich in den paritätischen Kantonen sollte das politisch radikale Element paralyfirt, ja wo möglich unterdrückt werden: dies seine politische Richtung, ein neuer Bund, der die Existenz der katholischen Theofratie, dies Gewicht des alten Katholizismus bedrohte, sollte zur Unmöglichkeit werden. Eine eigene Bewandtniß hat es mit dem

« PreviousContinue »