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ein Kampf wesentlich der politischen Freiheit gegen kirchliche Uebergewalt. Siegte der Jesuitismus in der katholischen Schweiz entschieden, so war dieselbe um Jahrhunderte in ihrer staatlichen Entwicklung zurückgeworfen, das Mittelalter mit seiner mystischen Dumpfheit, seiner Kegerriecherei, seiner politischen Unfreiheit, feiner pädagogischen Einseitigkeit feierte seinen Triumph. Für den schweizerischen Protestantismus lag die Gefahr so nahe nicht; fie war eine mehr mittelbare, fie reichte zu ihm hinüber, namentlich durch die Existenz paritätischer Kantone. Von einer unmittel baren Gefahr aber konnte schon bei der numerischen Stärke der protestantischen Kantone keine Rede sein, um so weniger, weil das Gefühl von der Nähe eines bittern Feindes das confessionelle Bewußtsein nur stärken und lebendig erhalten kann. Insofern war die Jesuitengefahr, die man unter das Volk warf, mit der man das Volk bestürmte, bestürzte und elektrisirte, eine gemachte, fle war eine Unwahrheit, wie die „katholische Religionsgefahr“, sie war ein unlauteres Mittel zur Erreichung der verschiedenartigsten Zwecke; fle konnte nur dazu dienen, das confeffionelle Sondergefühl auch bei dem protestantischen Volke zu stacheln: ein Fanatismus sollte den andern brechen. Und doch lag wieder eine tiefe Wahrheit im Volksgefühle, der Instinkt des Volkes, möchte man sagen, sah weiter und richtiger als das Auge vieler sonst Hellsehenden. Der Jesuitismus erschien ihm als gefährdend nicht so fast für seine protestantischen, als vielmehr für die Gesammtintereffen des Vaterlandes: die politischen Errungenschaften der neuern Zeit standen auf dem Spiele; eine jesuitisirte katholische Schweiz konnte neben einer paritätischen und einer protestantischen nicht bestehen; sie konnten nicht ineinander aufgehen; die neue Schweiz mußte die jesuitisirte besiegen oder sie mußte ihr erliegen. In diesem Sinne war der Kampf gegen den Jesuitismus eine politische Nothwendigkeit, er wurde zur Lebensfrage der neuen, der regenerirten Schweiz. Die Leiter der Antijesuitenbewegung fehlten nur darin, daß sie das Volk nicht sofort auf den wahren Standpunkt brachten, daß sie statt eine klare Einsicht in die Sache zu ge= ben, vorzugsweise nur an das protestantische Gefühl appellirten, an die protestantische Liebe und den protestantischen Haß.

Der zweite Freischaarenzug, sein tragisches Ende, der uns schwere Sieg der katholischen Kantone bestimmten die nächste Zu kunft der Schweiz, freilich in ganz anderem Sinne als die herrschende Luzerner Partei glaubte. Es gehört nicht zu unserer Aufgabe, jenen Zug ausführlich zu schildern, wohl aber seine Ursachen und Folgen zu berühren. Der zweite Freischaarenzug gieng ursprünglich von den zahlreichen Luzerner Flüchtlingen aus, in dieser Rücksicht lieferte er ein Seitenstück zu ähnlichen Erhebungen älterer und neuerer Zeit. So zog Pelopidas mit seinen Freunden gegen die mit Sparta verbundenen Gewalthaber seiner Vaterstadt Theben zu Felde; so bekämpfte und bewältigte der edle Thrashbul die Herrschaft der Dreissige in Athen. Die Luzerner Flüchtlinge hatte ihr Schicksal in Folge ihres Kampfes gegen den Jesuitismus erreicht; sie waren in diesem Kampfe in wohlbegründetem innerm Rechte gestanden; aber auch der Buchstabe der Verfassung war zu ihren Gunsten. Wenn wir oben unser Bedauern ausdrückten, daß die Liberalen Luzerns nicht auf dem Wege des gesetzlichen Widerstandes geblieben: so ist doch nicht zu verkennen, daß ste gegenüber den Gewalthabern in ihrer Heimath und ihrem Systeme sich im Falle der Nothwehr befanden; die kalte, besonnene Ueberlegung hatte bei diesen Männern ihre Endschaft erreicht; Haß und Rachegefühl hatten sie überwältigt. Hätte damals, als diese Verbannten vor das Forum der Tagfazung als Flehende, traten, hätte sie den Muth und die Energie der That beseffen, und hätte sle Protest eingelegt gegen ein Weiterverbleiben der Jesuiten in Luzern, und diesem Proteste nachhaltige Kraft geliehen, es wäre viel Unheil erspart worden. An die Luzerner Verbannten schlossen sich Eidgenossen verschiedener Gaue an, politische Meinungsgenos= sen; Männer, denen das Unglück ihrer Brüder zu Herzen gieng, die dem Zuge ihrer Sympathien folgten. Man hat sie streng verurtheilt nach der That, während man ihnen vor derselben Lorbeer= kränze wand. Das gewöhnliche Schicksal außergewöhnlicher Handlungen, wenn sie mißlingen. Wer möchte sie aber von rein menschlichem Standpunkte verdammen? Suchten sie etwas anderes, als das bittere Loos ihrer Brüder zu mildern, und sie im Kampfe gegen eine unheimliche Macht zu unterstügen? In anderem Lichte

freilich erscheinen die betheiligten Kantone und besonders der Vorørt. Hier waltete eine unwahre, im Dunkeln schleichende, unredliche Politik. Die Sympathien neigten zum Zuge; das positive Recht sprach gegen ihn. Statt nun der einen oder andern Richtung ganz und offen und entschieden zu folgen, gefiel man fich in einem Zwitterhandeln, das der guten Sache nur schaden konnte. Die Zustände Luzerns waren außerordentliche; sie boten Stoff genug zur Intervention. So mußte der Vorort und mit ihm die liberale Schweiz dem Luzerner Regimente offen den Krieg machen

haben ja doch auch nur die Consequenzen dieses Systems das Sonderbunds-Kriegsrecht bestimmt; das war eine ehrliche That; oder er mußte sich beugen vor der Wucht des Bestehenden und es anerkennen; dann aber war jede geheime Unterstüßung der Unternehmung Verrath und Gefährde für Gegenwart und Zukunft.

Es ist bekannt, wie maßlos das Jesuitenregiment in Luzern feinen Sieg mißbraucht hat; auf der Höhe seines Glückes angelangt, wußte es sich nicht zu mäßigen; schnöder Nebermuth be= zeichnete jede seiner Handlungen gegen die Besiegten. Die Folge war eine ungeheure Aufregung durch die ganze liberale Schweiz, und der Sturz mehrerer zweideutiger oder gemäßigter Systeme. Auf der andern Seite gab dem luzern'schen Regimente und seinem Anhang, die Art und Weise, wie sich mehrere Kantone, namentlich aber die legalen Organe der Eidgenossenschaft beim zweiten Freischaarenzuge benommen hatten, einen Vorwand der Berechtigung zur Constituirung oder vielmehr zur offenen Realisirung eines Sonderbündnisses. Sie erklärten: wir sind rechtlos behandelt wor= den; die Tagsagung, der Vorort hat uns nicht beschüßt; hat einen geseglosen bewaffneten Angriff nicht nur nicht verhindert, ihm vielmehr Vorschub geleistet; der Bund gewährt uns keinen Schuß, keine Garantie für unsere Existenz; er steht uns nunmehr gegenüber als Partei, und dieser Partei gegenüber sind wir im Falle der Nothwehr. So weit fann es Unwahrheit und Unredlichkeit bringen!

Nach einander stürzten die herrschenden Gewalten in Zürich, Bern, Waadt und Genf, diejenige von Baselstadt wurde erschüttert. Jede dieser Bewegungen hatte aber troß der Gleichheit der

nächsten Veranlassungen ihre Verschiedenheiten in den innern Gründen, und sie verdienen um so mehr näher betrachtet zu werden, als sie auch noch in die fernere Zukunft eingreifen.

Das Septemberregiment in Zürich hätte seinen Untergang auch ohne die Jesuitenbewegung gefunden, und zwar durch seine eigenen Fehler. Es trug den Stempel der Unwahrheit auf seiner Stirne, eben den sechsten September; es ließ sich auf denselben nichts bauen. Dazu kamen unpraktische hohle Träumereien, Sophismen ohne irgend einen Werth für's Leben. Dazu kam die Transaktionspolitik in eidgenössischen Fragen, die morganatische The mit dem Ultramontanismus, wenigstens den Trägern seines Prinzips. Blunschli verkannte über dem Firniß gefeßlicher Scheinheiligkeit den giftigen Kern; jedes Laviren war hier am unrechten Plaze, und was er eigentlich wollte, was Sinn gehabt und eine gewiffe Größe in sich getragen hatte, eine streng consequente, nach beiden Seiten gleich gerecht würdigende Stellung zu erringen, vermochte er nicht. Es fehlte seinem Systeme hiezu an Schärfe, Schneide, an Charakter.

Bedeutungsvoll war die Wendung der Dinge in Bern. Wer hätte vor dem zweiten Freischaarenzug den ebenso schnellen als ruhmlosen Untergang des großen Schultheissen Neuhaus voraus geahnt; des Trägers des radikalen Systems, des feurigen und gewandten Kämpen für dasselbe! Neuhaus erlag seiner falschen. Taktik gegenüber den Treischaarenzügen; der tiefere Grund aber lag in der Hohlheit und Falschheit des ganzen politischen Systems von Bern. Durch die Revolution von dreisfig war in Bern allerdings das alte Patriziat zu Falle gebracht worden; an seine Stelle trat aber dem Wesen nach eine moderne Aristokratie, die ihre Natur, wie in manch anderem Kantone, hinter dem Prunken mit radikaler eidgenössischer Politik zu verbergen wußte. Der Purpurmantel im eidgenössischen Saale mußte das kantonale Vettperkleid decken.. Im Fache der Gesetzgebung, der Erziehung, namentlich aber in Sachen des materiellen oder sozialen Fortschritts ist die Berner Periode von 1830 bis 1845 sehr arm. Die ganze Thätigkeit richtete sich weit mehr nach Aussen, als nach Innen. Die junge liberale Schule, von den geistreichen und entschiedenen

Brüdern Snell gebildet und geleitet, griff die Sache am Lebensnerv an. Sie riß rücksichtslos den glänzenden Firniß ab; sie deckte rücksichtslos die groben Blößen des Berner Staatshaushaltes ab; und nicht nur dies, sie regierte nicht nur; ste schuf Neues, Originelles, Großartiges, fie legte Hand an nicht nur an eine tüchtige gesetzgeberische, sondern auch an eine soziale Reform. Hierin liegt die große Bedeutung der Berner Bewegung, darin das Verdienst ihrer Träger.

Heikel ist die Beurtheilung der Waadtländer Bewegung. Dieser von der Natur so herrlich ausgestattete Gau genoß seit Jahren den Ruhm einer trefflichen Administration, einer weisen, umsichtigen, väterlichen Regierung. Männer wie Ruchet hatten einen guten Klang im ganzen Schweizerlande. Der Sturm der Bewegung gegen den Jesuitismus ergriff auch das leicht erregbare, protestantische Waadtländer Volk; die Manipulation von Riesenpetitionen machte auch hier ihre Runde. Der Staatsrath blieb ruhig, fest, unerschüttert bei seinem Grundsaße: die Forderung der Ausweisung der Jesuiten entbehre der geseßlichen Grundlage. Die Wadtländer Regierung bestand ihrer Mehrzahl nach aus sogenannten Doktrinären, ihre Politik war eine wissenschaft liche; ihre Grundsäge waren rein und gemäßigt. Niemand wird leugnen, daß sie gute Protestanten waren; der Jesuitismus war auch ihnen ein Gegenstand des Hafses. Warum nun wichen fie der Volksstimmung nicht? Weil sie fest, ohne Wanken und Schwanken auf dem Boden des bestehenden schweizerischen Staatsrechts fich bewegten. Der Unterschied zwischen ihnen und den Jesuitengegnern, welche um jeden Preis die Fortweisung des Ordens erzwingen wollten, bestand nur darin, daß jene im› Gesetz bleiben wollten, diese dem Gesez das Leben, die Verhältnisse gegenüber stellten, daß ihnen dieselben eine exceptio, eine Ausnahme als entschuldigt, ja gerechtfertigt erscheinen ließen. Die gleiche Spaltung finden wir auch in den meisten übrigen Kantonen der Schweiz. Nur eine sehr kleine Zahl von Protestanten beobachtete dem Je» suitismus gegenüber Gleichgültigkeit; ste liesse sich vielleicht auf Null reduziren: denn der wahre Protestantismus ist der erklärte Feind des Jesuitenthums. Viele dagegen glaubten einerseits den

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