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III. Die Findelkinder.

Art. 29. Findelkinder (Kinder unbekannter Eltern) fallen als Bürger und zur Erziehung und vormundschaftlichen Obsorge derjenigen Gemeinde zu, in welcher sie gefunden worden sind, bis die Eltern des Kindes und dessen wirkliche Bürgergemeinde haben ausfindig gemacht werden können.1)

Diese letztere Gemeinde, sowie die Eltern und unterstützungspflichtigen Anverwandten 2) des Findelkindes sind der Findelgemeinde für deren Auslagen ersatzpflichtig.

Art. 30. Wenn die Findelgemeinde während vier Jahren das Kind erhalten hat, ohne dass dessen Herkunft ermittelt worden wäre, so hat der Staat ihr eine angemessene Entschädigung zu leisten, welche in den Armenfond der Ortsgemeinde fällt.3)

IV. Die ausserehelichen Kinder.

Art. 31. Eine ausserehelich schwangere Person ist berechtigt, während der Dauer ihrer Schwangerschaft gegen ihren Schwängerer Klage auf Vaterschaft und Alimentation zu erheben.

Art. 32. Die Klägerin hat vor der Geburt des Kindes bei dem Gemeindammannamt ihres Wohnortes von ihrer Schwangerschaft Anzeige zu machen und den Schwängerer zu bezeichnen. Der Gemeindammann hat die Klägerin über den stattgehabten geschlechtlichen Umgang und die Zeit der Schwängerung zu Protokoll zu vernehmen, den Verzeigten von der gegen ihn erhobenen Klage in Kenntnis zu setzen und ihm Gelegenheit zur Verantwortung zu geben.

Die Unterlassung der in diesem Artikel vorgeschriebenen rechtzeitigen Schwangerschafts-Anzeige ab Seite der Ge

1) Vgl. betreffend die Verpflichtung der Gemeindepolizeibehörde zur Anzeige ans Zivilstandsamt Art. 19 des B.-G. über Zivilstand und Ehe, Nr. XXIII hienach.

2) Vgl. Note 1 zu Art. 10 S. 31 hievor.

3) Vgl. über die Erbrechte des Staates gegenüber Findelkindern Art. 51 des Erbgesetzes, Nr. XVII hienach. Betr. die Verpflichtung des Kantons, Findelkinder, deren Herkunft nicht ermittelt werden kann, im Kanton einzubürgern, vgl. Art. 23 des B.-G. betreffend die Heimatlosigkeit vom 3. Dezember 1850 (A. S. II, S. 138).

schwängerten zieht für diese den Verlust des Klagerechtes nach sich.1)

Anm. 1) Wenn die Vaterschaft aussergerichtlich anerkannt wird, so ist die darauf gestützte blosse Alimentationsklage nicht an die Fristen und Formen der Art. 32 und 33 gebunden; K.-G. 1869, S. 19. - 2) Eine solche Anerkennung berechtigt aber nicht dazu, das betr. Kind auf den Namen des ausserehelichen Vaters in den Zivilstandsregistern einzutragen; M. Nr. 1428.

Art. 33. Die Klägerin hat sodann innert der Notfrist von drei Monaten von der Geburt des Kindes an gerechnet, ihre Klage beim Vermittleramt des Wohnortes des Beklagten anhängig zu machen und nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung gerichtlich einzuleiten und durchzuführen.

Anm. Ueber den Beweis der Geburt (Frühgeburt, Spätgeburt) vgl. K.-G. 1862, S. 23; 1869, S. 21; 1874, S. 2 und 39; 1878, S. 9 und 25; 1885, Nr. 3; 1888, Nr. 13. Ueber den Gegenbeweis des Beklagten, dass die Klägerin schon mit andern verkehrt habe, K.-G. 1898, Nr. 11; 1900, Nr. 6.

Art. 34. Wird die Klage durch Anerkennung des Beklagten oder durch gerichtliches Urteil gutgeheissen, so hat der Schwängerer der Mutter des Kindes die mit der Geburt des letztern verbundenen Auslagen zu ersetzen und einen den Umständen angemessenen Beitrag an die Kosten der Erziehung des Kindes zu leisten.

Dieser Beitrag kann vom Richter entweder in einer periodischen, bis zum vollendeten 15. Altersjahre des Kindes andauernden Unterstützung oder in einer Aversalsumme festgestellt werden.

Anm. 1) Auf diese Rechte kann die Geschwängerte gültig durch rechtskräftigen Vergleich verzichten; K.-G. 1887, Nr. 4. — 2) Entschädigung für den mit dem Wochenbett verbundenen Verdienstausfall kann nicht verlangt werden; K.-G. 1894, S. 114.

Art. 35. Ist der Beklagte Ausländer, so kann, immerhin unter Vorbehalt bestehender Staatsverträge, die Mutter 1) Vgl. Art. 187 des Gesetzes betreffend die Zivilrechtspflege vom 31. Mai 1900:

„Bei Vaterschaftsklagen ist die Klägerin nur dann zum Paternitätseid zuzulassen, wenn folgende Umstände zusammentreffen: 1. wenn die der Anzeige gemäss erfolgte Niederkunft den Wahrscheinlichkeitsbeweis für die Richtigkeit der Klage begründet; 2. wenn die Klägerin nicht schon einmal ausserehelich geboren hat; 3. wenn sie sonst einen vollkommen guten Leumund geniesst; 4. wenn keine andern Tatsachen bewiesen sind, welche die Glaubwürdigkeit ihrer Angaben wesentlich schwächen.

im Wege des Arrestverfahrens zur Sicherung ihrer Ansprüche auf dessen Vermögen Beschlag legen lassen.

Dasselbe gilt gegenüber Schweizer- und Kantonsbürgern, sofern die ordentlichen Voraussetzungen des Arrestes vorhanden sind.1)

Art. 36. Das Klagerecht geht auf die Erben der Geschwängerten über und steht denselben, wie der Klägerin, auch gegenüber den Erben des Schwängerers zu.

Art. 37. Bezüglich der Zivilstandsverhältnisse der ausserehelichen und der unehelich erklärten Kinder gelten die Bestimmungen des Gesetzes betreffend die Zivilstandsverhältnisse von Witwen, geschiedenen Frauen und unehelichen Kindern vom 4. Januar 1887.2)

Art. 38. Aussereheliche Kinder treten in die Vormundschaft der Mutter, sofern nicht die staatliche Vormundschaft anzuordnen ist.3)

Verehelicht sich die Mutter, so tritt, sofern nicht Legitimation stattfindet, das Kind zum Ehemann derselben in das Verhältnis der Stiefkindschaft und finden die bezüglichen Bestimmungen dieses Gesetzes Anwendung.4)

Bei unehelich erklärten Kindern 5) ist die staatliche Vormundschaft anzuordnen, wenn die Ehe der Mutter fortdauert.

Art. 39. In Bezug auf Kinder aus nichtig erklärten Ehen ist das Bundesgesetz betreffend Feststellung und Beurkundung des Zivilstandes und die Ehe vom 24. Dezember 1874 (Art. 55) massgeblich.)

V. Die Legitimation.")

Art. 40. Ausserehelich geborene Kinder erwerben durch die nachfolgende Ehe ihrer Eltern die Rechte ehelicher Kinder 1) Vgl. Art. 271 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs vom 11. April 1889.

2) Vgl. S. 2 hievor Art. 3 und Art. 32 Anm. 2.

3) Vgl. Art. 14.

4) Vgl. Art. 16.

5) Vgl. S. 2 hievor Art. 4.

6) Vgl. Nr. XXIII hienach.

Vgl. ferner Art. 33 des Gesetzes

betr. das Verfahren in Ehestreitsachen, Nr. II hievor.

7) Die Bestimmungen dieses Titels kommen nur zur Anwendung gegenüber Kindern von Eltern, die im Kanton St. Gallen heimatberechtigt sind; vgl. Art. 8 des Bundesgesetzes betreffend die zivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter, Nr. XXIV und Art. 18 der Vollzugsverordnung zum V.-G.

und gelangen demzufolge nach Massgabe dieses Gesetzes unter die elterliche Vormundschaft.')

Die ehelichen Nachkommen eines ausserehelichen, zur Zeit der Verehelichung seiner Eltern schon verstorbenen. Kindes erwerben durch diese Verehelichung die Rechte ehelicher Enkel.

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Anm. 1) Auch ein im Ehebruch erzeugtes Kind wird durch die nachfolgende Ehe der Eltern legitimiert; M. Nr. 1365. 2) Die Erklärung eines Ehemannes, er sei der natürliche Vater eines von seiner Ehefrau vorehelich geborenen Kindes, hat so lange als ausreichend für die Legitimation zu gelten, bis von der diese Angabe bestreitenden Heimatgemeinde der Gegenbeweis geleistet wird; M. Nr. 1380. 3) Unwahre Angaben betr. Legitimation sind auch strafrechtlich zu verfolgen, ohne Rücksicht auf das Geständnis oder passive Verhalten der Beklagten im Legitimationsprozess; M. Nr. 1413. 4) Wenn der Ehemann der Mutter des vorehelich geborenen Kindes anerkanntermassen nicht der natürliche Vater desselben ist, kann die Eintragung der Legitimation verweigert werden; M. Nr. 1378. 5) Eine peremptorische Frist für die Anzeige zur Legitimation besteht nicht; M. Nr. 1509. Vgl. jedoch hiezu Art. 41 des Bundesgesetzes über Zivilstand und Ehe, Nr. XXIII hienach.

Art. 41. Nach dem Tode der Mutter kann das aussereheliche Kind auf Verlangen des Vaters desselben durch den Grossen Rat ehelich erklärt (legitimiert) werden, wenn die Vaterschaft des Begehrenden glaubwürdig dargetan ist, das zu legitimierende Kind, resp. dessen gesetzlicher Vertreter mit dem Begehren einverstanden ist und der Ehe zwischen Vater und Mutter zur Zeit der Zeugung keines der in Art. 28 Ziff. 2 lit. a und b des Bundesgesetzes betreffend den Zivilstand und die Ehe angeführten Hindernisse entgegengestanden wäre. (Art. 44 Ziff. 14 der Verfassung.2)

Art. 42. Der Vater hat sich mit seinem Begehren an das Waisenamt seines Wohnortes 3) zu wenden und demselben die sachbezüglichen Ausweise vorzulegen. Das Waisenamt hat hierauf nötigenfalls die Erklärung der zu legitimierenden Person einzuholen und der Bürgergemeinde, sowie den

1) Vgl. Art. 41 des Bundesgesetzes betreffend Feststellung und Beurkundung des Zivilstandes und die Ehe, Nr. XXIII hienach.

2) Die Verfassung vom 16. November 1890 führt dieses Recht des Grossen Rates unter seinen Befugnissen nicht mehr ausdrücklich auf. 9) Bezw. seines Heimatortes; vgl. Art. 22, Note 3 d. G. und Vollzugs-Verordnung Art. 19.

nächsten Verwandten 1) und der Ehefrau des Vaters von dem Begehren Kenntnis zu geben und damit die Einladung zu verbinden, allfällige Einwendungen innert bestimmter, vom Waisenamte anzusetzender Frist geltend zu machen.

Art. 43. Hierauf hat das Waisenamt die Akten durch das Bezirksammannamt dem Regierungsrate einzusenden, welcher die Angelegenheit mit seinem Bericht und Antrage dem Grossen Rate zur Entscheidung unterbreitet.

Art. 44. Mit dem Ausspruche der Legitimation durch den Grossen Rat tritt die legitimierte Person in die Rechtsstellung eines ehelichen Kindes.2)

VI. Die staatliche Vormundschaft.

A. Die ordentliche Vormundschaft.

Art. 45. Der Gemeinderat jeder politischen Gemeinde des Kantons hat aus seiner Mitte ein Waisenamt von mindestens drei Mitgliedern und zwei Ersatzmännern zu bestellen, welchem in erster Linie die Besorgung des staatlichen Vormundschaftswesens obliegt.

Zur gültigen Beschlussfassung ist die Teilnahme von mindestens drei Mitgliedern erforderlich.

Das Waisenamt ist berechtigt, wichtigere Geschäfte dem Gemeinderate zur Entscheidung zu unterbreiten.3)

Der Bezirksammann hat zur Besorgung des Vormundschaftswesens in der durch dieses Gesetz vorgeschriebenen Weise mitzuwirken.

Der Regierungsrat bildet die Obervormundschaftsbehörde. und entscheidet in den ihm unterstellten Angelegenheiten in letzter Instanz und ohne Weiterziehung an den Richter.

Anm. Der Regierungsrat kann als Obervormundschaftsbehörde auch von sich aus, ohne dass eine förmliche Beschwerde vorliegt, in konkreten Fällen Weisungen erteilen; R.-R. 1899, S. 224.

Art. 46. Die vormundschaftlichen Bestimmungen dieses Gesetzes finden unter Vorbehalt der Vorschrift von Art. 99

1) Darüber, wer zu den „nächsten Verwandten" gehört, vgl. Art. 49, Abs. 2 hienach, S. 47.

2) Bezüglich der Eintragung der Legitimation in die Zivilstandsregister vgl. Art. 20-23 der Vollzugs-Verordnung.

3) Vgl. Art. 67 hienach.

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