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Sa'ûd bewaffnete seine Leute mit den türkischen Gewehren und belegte die türkischen Kasernen mit seinen Leuten. Da er auch das Binnenland von 'Omân erobert hatte, konnte er im Spätsommer 1913 sein Reich in die vier Provinzen 'Omân, El-Aḥsâ, El-Qasîm und Er-Rijâḍ einteilen. Sein Reich ging also von der Straße von Hormûz bis weit ins Innere von Arabien; er besaß auch die früheren türkischen Plätze El-Qatîf und El-Ağêr. Sein größter Erfolg bei diesen Unternehmungen war, daß sein Wahhâbiten-Reich nunmehr einen Zugang zum Meere hatte, wo es allerdings von England abhängig ist. Im Sommer 1914 entschloß sich Zeitungsnachrichten zufolge die türkische Regierung, 'Abd ul-Azîz zum Pascha und Wali von Neğd zu ernennen.1 Sie machte also gute Miene zum bösen Spiel und sicherte sich formell den Bestand ihrer Provinz, in der sie aber nicht das geringste zu sagen hat, und in der ein Türkenfeind und Engländerfreund der Alleinherrscher ist. Jedenfalls waren bei Ausbruch des europäischen Krieges mit Ausnahme von der Garnison in Bîḍâ keine türkischen Truppen mehr in der Provinz El-Aḥsâ, die durch den jetzigen „Wali" völlig dem englischen Einfluß ausgesetzt ist. Dies war allerdings auch schon früher der Fall. Die „Times" schrieb am 14. Juli 1911: Jedoch weiß die türkische Regierung genau, daß für die Verbindung mit ihren eigenen Behörden in allen Teilen des Persischen Golfs sie sich nur auf britische Duldung verlassen kann, und daß unter den Bedingungen, welche bisher in den türkischen Golf-Distrikten vorgeherrscht haben, es schwer ist, sehr viel mehr Rechtfertigung für diese Duldung zu sehen als für die außerordentliche Nach

1 Es scheint, daß schon vorher die Pforte feste Beziehungen zum Emir Ibn Sa ûd angeknüpft hatte, denn es verlautete, daß Anfang 1913 sein Monatsgehalt auf 150 £ T. erhöht wurde. (Ich vermute, daß England ihm mehr bezahlte, und daß deshalb der Emir gegen die Türken vorging.) Ende 1913 hißte Ibn Sa ûd die türkische Flagge in seinem Gebiete, als Zeichen seines Anschlusses an die Türkei, und am 18. Juli 1914 meldete Reuter aus Simla, daß Ibn Sa'ûd von der Pforte zum Generalgouverneur und Militärkommandanten ernannt sei, mit dem Recht der Truppenaushebung. Die Verhältnisse sind jedenfalls in der Öffentlichkeit nicht klar. Man kann nur vermuten, daß Ibn Sa'ûd mit England und der Pforte es nicht verderben wollte, tatsächlich aber mit dem Teile geht, der am besten bezahlt und der den größten Erfolg hat. Näheres über die Geschichte der Wahhâbiten-Emire werden wir im nächsten Kapitel bringen.

sicht, die wir fortwährend gegen die persischen Rechte einer unzulänglichen (ineffective) Landeshoheit an der anderen Küste des Golfes zeigen."

12. Kapitel

Die Wahhâbiten und ihre Nachfolger in Neğd (Ibn Sa'ûd und Ibn Rašîd)

Das

as Innere von Arabien wird durch eine vielfach von Gebirgszügen und Tälern durchsetzte Hochfläche eingenommen, über die wir aber noch recht geringe Kenntnisse haben. Nur wenige Reisende, unter denen Palgrave, Reinaud, Sadler, Pelly, Huber, Nolde und Leachman zu nennen sind, konnten in das Land eindringen. In neuerer Zeit offenbar auch die englischen Konsuln Crow und Shakespear. Nach allem, was man bisher weiß, ist dies Gebiet durchaus nicht völlig wüstenhaft, vielmehr sind überall Täler vorhanden, in denen nicht nur die Kultur von Dattelpalmen, sondern auch etwas Ackerbau möglich ist, und Viehweide ist weithin vorhanden. Die arabischen Schriftsteller berichten von vielen festen Schlössern und Burgen, die teils Winterquartiere der Stämme bilden, teils aber auch als dauernd feste Siedlungen anzusprechen sind. Der nördliche Teil wird als Šammar mit dem Hauptort Ḥâjil (Haïl) bezeichnet, südlicher liegt das eigentliche Neğd mit den Städten Bereida und Er- Rijâḍ. Die Umgebung letzteren Ortes, El-Jemâma genannt, muß archäologisch höchst interessant sein. Die Erforschung von dem alten Schloß Sadûs zum Beispiel wäre gewiß lohnend und könnte Aufschluß geben über das Eindringen persischer oder jemenischer Kulturen. Glaser nimmt an, daß das Wâdî ed-Dawâsir von Jemen an bis hierher reicht und nach der Bahrain-Küste weiter geht. Wahrscheinlich ist der Kulturzustand des ganzen Innerarabiens zur Zeit von Mohammed viel besser als heute gewesen. Erst mit der Vernachlässigung des Landes durch die Chalifen, besonders durch die 'Abbâsiden, griff das Räuberleben um sich, und der Kulturzustand wurde schlechter.

Dies interessante Gebiet hat immer eine große Selbständigkeit gehabt, auch wenn die antiken Handels- und modernen Pilgerstraßen es durchkreuzen. Seine Geschichte

kann aber wohl erst geschrieben werden, wenn die Erforschung der Burgruinen und ihrer Inschriften erfolgt ist. Uns interessiert das Gebiet seit dem Auftreten der Wahhâbitensekte, deren Vorbereitungsgebiet hauptsächlich das Neğd war, und welche die ganze Halbinsel erschütterte. Im Jahre 1696 wurde in Wasit in Neğd ein Mohammed bin 'Abd elWahhâb vom Stamme Tamîm geboren, der von seinem Vater im Ḥambalî-Ritus erzogen wurde und an den Hauptorten des Islam studierte. Auf seinen Reisen schreckte ihn die Entwicklung ab, die der Islam genommen hatte, und er begann eine Rückkehr zur alten, reinen Religion zu predigen. Insbesondere verwarf er die Iğma, die Anbetung der Heiligen und Verehrung der Heiligen Gräber; er verbot den Gebrauch von Tabak, Seide, Gold, Musik und allen sonstigen Luxussachen, nur Wohlgerüche waren ihm erlaubt. Rückkehr zum puritanischen Ur-Islam war sein Ziel. Der Priester fand in einem Weltmann den Verbreiter seiner Lehre. Der Emir Mohammed ibn Sa'ûd von Darîja in Neğd nahm seine Lehre an und verbreitete sie auch nach dem Tode ihres Begründers (1765). Um 1780 war die Lehre über fast ganz Innerarabien verbreitet, hauptsächlich durch die Bemühungen des Sohnes von Mohammed ibn Sa'ûd, 'Abd ul-Azîz ibn Sa'ûd, der 1804 von einem persischen Fanatiker ermordet wurde, nachdem er sogar Bahrain erobert hatte. Dessen Sohn Sa'ûd II. hatte am 27. April 1803 Mekka erobert, wie er es zwei Jahre vorher mit Kerbela, der heiligen Stadt der Schi'iten, getan hatte. Im Jahre 1805 besuchte der Engländer Reinaud in politischer Mission im Auftrage des politischen Residenten Manesty in Grên-Kuweit Darîja, den Sitz des Wahhâbiten Emirs, traf aber jedenfalls den Abd ul-'Azîz nicht mehr lebend an. Die Türkei rührte sich anfangs trotz des Verlustes der Heiligen Orte nicht. Erst 1811 beauftragte sie Meḥmed 'Alî, von Ägypten aus vorzugehen, der eine Expedition unter seinem Sohne Tuşûn Pascha entsandte. Mekka und Medîna wurden 1812 erobert, aber die Türken wurden bald darauf bei Bedr geschlagen. Eine zweite ägyptisch-türkische Armee unter Mustafa Bey nahm Tâif. Endlich konnte Meḥmed 'Alî selbst die Wahhâbiten bei Besel, in der Nähe von Ţâif, schlagen. Der Wahhâbitenchef Sa'ûd III. war im April 1814 in seiner Hauptstadt Darîja am Fieber gestorben, und sein Sohn

'Abdâllâh bin Sa'ûd ihm gefolgt. Mit diesem wurde Frieden geschlossen. Aber schon im August 1816 gab es einen neuen Feldzug gegen die Wahhâbiten unter Ibrâhîm, dem Sohne von Meḥmed 'Alî. Ein Stamm nach dem anderen fiel von den Wahhâbiten ab, und die Hauptstadt Darîja wurde 1818 ohne Kampf erobert. Der gefangen nach Konstantinopel gebrachte 'Abdâllâh wurde dort am 18. Dezember 1818 hingerichtet. Im Auftrage der englischen Regierung verhandelte Kapitän Sadler etwa 1820 in Darîja mit dem Sieger Ibrâhîm Pascha. Vorher schon hatten die Engländer 1809 die von den Wahhâbiten gestützten Seeräuber bei Râs el-Cheima geschlagen, sich jedoch geweigert, dem bedrohten 'Omân zu helfen. Der Einfluß der Wahhâbiten aber wuchs bald wieder. Der Vetter des hingerichteten 'Abdâllâh, Turkî bin 'Abdâllâh ibn Sa'ûd, wurde zum Emir von Neğd ausgerufen, vertrieb den ägyptischen Gouverneur, wenn er auch noch der Form wegen kleine Abgaben an die Hohe Pforte zahlte, bis er 1831 (1833?) ermordet wurde. Sejjid Sa'îd von 'Omân zahlte Tribut an die Wahhâbiten, während die Engländer sich neutral verhielten. Der Sohn von Turkî, Feișal, lehnte sich offen gegen Ägypten auf, das in einer neuen Expedition den Neğd unterwarf, 1838 auch El-Hufhûf und El-Qaţîf auf kurze Zeit durch Churšid Pascha besetzte. Gegen das Vordringen der Ägypter legte der englische politische Resident am Persischen Golf formellen Protest ein, der auch den Trucial Chefs die Zusicherung gab, sie gegen die Ägypter zu schützen (Aitchison XII, 141). Auf die Vorstellungen der englischen Regierung haben die Ägypter im Mai 1840 Neğd verlassen, dort aber als ihren Gouverneur einen Vetter von Feisal eingesetzt. Auf Grund dieser Eroberung beansprucht die Türkei noch heute die Oberhoheit über Innerarabien. Die Einsprüche Englands damals sind wohl darauf zurückzuführen, daß zur selben Zeit Meḥmed 'Alî durch die europäischen Mächte gezwungen wurde, auch Syrien zu räumen. Feisal wurde nach Ägypten verbannt, konnte aber 1843 zurückkehren und bis zu seinem Tode (1865) den Neğd regieren. 'Omân mußte wieder Tribut an Feisal zahlen (erst 5000, dann 12000 Taler). Sein Sohn 'Abdâllâh bekam Streit mit seinem Bruder Sa'ûd und rief die Türken ins Land, die, wie wir sahen, damals von Baghdâd aus El-Hufhûf und das Land El-Ahsâ besetzten. 'Abdâllâh konnte die Macht nicht

an sich bringen, sein Bruder Sa'ûd blieb Herrscher bis zu seinem 1874 erfolgten Tode in Er-Rijâḍ, das jetzt der Hauptort war. Er war es, der England versprach, Masqat gegen Zahlung eines Tributs nicht zu belästigen.1

Inzwischen war eine neue Macht im Neğd aufgekommen, die uns besonders interessiert, weil beide Machtgruppen bis in die heutige Zeit eine Rolle spielen, und weil die heutigen Zustände nur verständlich sind, wenn wir ihre geschichtliche Entwicklung kennen. Als Turkî 1831 durch seinen Vetter Mišârî ermordet wurde und Feisal ihm folgte, war in Er-Rijâd ein Mann namens 'Abdâllâh ibn Rašîd aus Ḥâjil, der Feisal große Dienste leistete und Einfluß gewann. Dies ist der Vorfahr der Ibn Rašîd, die heute die Gegner der Ibn Sa'ûd sind. Er starb 1844 zu Ḥâjil als Gouverneur seiner Heimatprovinz Šammar, wo er sich sogar eine Leibwache halten durfte. Sein Sohn Talâl gewann noch mehr Macht in Hâjil, wohin er Kaufleute aus Başra und Baghdâd zog. Schließlich machte er sich ganz unabhängig von ErRijâḍ. Gepeinigt durch eine innere Krankheit, erschoß er sich 1867. Nach Ermordung anderer Prätendenten wurde 1868 in Hâjil Mohammed ibn Rašîd, der dritte Sohn von Abdâllâh, Herrscher, der dort eine scharfe Regierung führte.

1 Martin Hartmann hat in „Die Welt des Islam" (II, S. 310) die Genealogie der Sippe Sa ûd in Er-Rijâḍ ausführlich behandelt.

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IX. Faisal V. Abdâllâh VI. Mišârî X. Châlid'Abd ar-rahmân

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abges. 1864 (?) +1874

+1820 abges. 1841

VIII. Mišârî +1833

XIV. Abd al-'aziz

XI. Abdâllâh XII. Abdâllâh XIII. Sa'ûd 'Abd ar-raḥmân

+1843

Die Zahlen vor den Namen bedeuten die Reihenfolge der Regenten.

Hamburgische Forschungen. Heft 1.

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