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die Imâme von Jemen wieder ein wenig mehr Einfluß in Mekka aus.

Bei den allgemeinen Unruhen im Lande selbst hatten die Scherifen von Mekka keine Gelegenheit, sich um fernere Gebiete zu kümmern und übersahen, daß in Arabien die schwersten Umwälzungen sich vorbereiteten. Ein Mann war in Innerarabien erschienen, der den Islam reformieren wollte, Mohammed 'abd el-Wahhâb, der Gründer der Wahhâbitensekte, und hatte in Darîja seinen Hauptsitz aufgeschlagen. Er wollte die reine Religion Mohammeds wiederherstellen. Die Lehre des Reformators ließ die Scherifen in Mekka ziemlich gleichgültig, seine praktischen Forderungen aber wurden einstweilen leichtsinnigerweise sehr übersehen. Er wandte sich aber auch gegen die Heilige Stadt, wo alles, was dort lebenswichtig war, von ihm bekämpft wurde. Seine Stütze fand er an den Beduinen von Innerarabien. Schon 1800 eroberten wahhâbitische Stämme den Hafen Halî an der Südgrenze des Scherifats, 1803 mußte Tâif aufgegeben werden, und auch Mekka fiel im selben Jahre in die Hände der Reformatoren, nachdem die Besatzung und der Scherif sich nach Ğidda geflüchtet hatten. Dieser Ort hielt sich, unterstützt durch eine Garnison des Emirs von Syrien, die aber später zurückgezogen wurde. Die Türken gaben sogar auch die Orte Şawâkîn und Maṣawa (Massauah) an der anderen Seite des Roten Meeres auf. Dem Großscherifen Ghâlib blieb nichts übrig, als die Oberherrschaft der Wahhâbiten anzuerkennen und sein Gebiet aus deren Hand wieder entgegenzunehmen. Den Türken wurde der Zutritt zu den Heiligen Orten verboten. Im Namen der Wahhâbiten beherrschte der Scherif auch die Häfen Ğidda, Janbu, Maṣawa und Sawâkîn.

Jetzt erst kam die Pforte zur Einsicht, daß es um ihr Ansehen im Islam geschehen sei, wenn sie nicht energische Maßregeln ergriff, um die Heiligen Orte wiederzugewinnen. Der fähige Arnautenführer Meḥmed 'Alî, der schon mit der Wiedereroberung von Ägypten aus der Hand der Mameluken beschäftigt war, welche nach Abzug der Franzosen und Engländer dort wieder zur Herrschaft gekommen waren, erhielt von der Pforte den Auftrag, so bald als möglich das Gebiet von Mekka und Medîna von den Wahhâbiten zu reinigen. Erst im September 1811 gestatteten die Verhältnisse in

Ägypten es, eine Expedition unter Ṭuşûn, dem Sohne von Meḥmed 'Alî, auszurüsten, die aber unglücklich verlief. Erst bei der zweiten Expedition Anfang 1812 wurde Medîna erobert, Anfang 1813 gingen Truppen von Janbu nach Ğidda, um von dort aus Mekka zu erobern. Der Großscherif Ghâlib, der nicht an die dauernde Herrschaft der Reformatoren geglaubt hatte, nahm die Ägypter gut auf, schon weil er zu gut wußte, daß der Ḥiğâz wirtschaftlich ganz von Ägypten abhängig war. Auch Tâif ward bald zurückerobert, und Ende 1813 erschien Meḥmed 'Alî selbst in Mekka. Trotz seiner türkenfreundlichen Haltung wurde der Großscherif abgesetzt. Ein Neffe von ihm wurde sein Nachfolger, der nur noch mehr eine nominelle Gewalt hatte. Bis 1815 war der Vizekönig selbst mit der Regelung der Verhältnisse in Mekka beschäftigt, während sein Sohn Tuşun Westarabien durchzog. Dessen Bruder Ibrâhîm konnte 1818 die Wahhâbiten in das politisch unwichtige Innerarabien zurückdrücken. Das im Namen der Türkei eroberte Ägypten und der Ḥiğâz wurden von Meḥmed 'Alî ganz selbständig verwaltet und seinen Nachkommen im Frieden von Kutahia am 6. Mai 1833 als Erbgut gesichert. Für Mekka richtete er alle frommen Stiftungen wieder ein. Ein Pascha war in Mekka Resident für den Vizekönig von Ägypten; er wählte sich selbst die Mittelsperson für die Verhandlungen mit den Eingeborenen, eine Scherifenfamilie wurde gegen die andere ausgespielt. Das Haupt vom Clan der Dêwî 'Aûn, Moḥammed ibn 'Aûn, hatte den Ägyptern 1824 bei der Unterwerfung von 'Aşîr geholfen, 1827 wurde dieser kluge Mann Großscherif. Da Mehmed 'Alî mit seinem Lehnsherrn Maḥmûd, dem Sultan in Konstantinopel, 1839 in Konflikt geraten war, konnte er sich nicht viel um den Ḥiğâz kümmern, in dem wieder Unruhen herrschten. 1840 wurde zwischen der Türkei und Ägypten ein Vertrag geschlossen, nach dem Syrien und der Ḥiğâz unter die direkte Verwaltung der Türkei kamen. Auch unter dem neuen Herrn blieb Moḥammed Großscherif von Mekka und Emîr eines Gebietes im Ḥiğâz, dessen Grenzen fast täglich schwankten.

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Seit der Vertreibung der Wahhâbiten war der Vizekönig und später der Sultan in Mekka durch einen Pascha als Residenten vertreten, der den Titel Muḥâfiz Makka, „der Bewacher Mekkas", hatte; außerdem sandten die Türken wie

früher einen Wâlî nach Gidda, der zugleich šeich el-haram war. Beide mußten natürlich in häufige Zwistigkeiten mit dem Großscherifen kommen, wenn dieser etwas auf seine Würde hielt. In diese Differenzen mischte sich noch der in Konstantinopel in Verbannung lebende 'Abd el-Muṭṭalib ein, der Sohn des früheren Großscherifen Ghâlib aus dem Stamme der Dêwî Zaid. Der Großscherif Mohammed ibn 'Aûn führte im Interesse der Türken Kriege gegen das Zentrum der Wahhâbiten, das nun in er-Rijâd war, gegen 'Aşîr; auch nahm er Hôdeidâ, Mochâ sowie Zebîd ein und gewann Einfluß in Sanâ. Durch seine Beziehungen zum Großwesir in Konstantinopel hatte Abd el-Muttalib es durchgesetzt, daß er zum Großscherif ernannt wurde (1851 bis 1856). Bald wurde er aber wieder durch seinen Vorgänger Moḥammed ibn 'Aûn (1856 bis 1858) ersetzt, dem sein Sohn Abdallah bin Mohammed bis 1877 folgte.

Am 15. Juni 1858 wurden infolge Ausbruches von Fanatismus in Ğidda einige Christen, mit ihnen der französische und der englische Konsul, ermordet, was den Engländern Gelegenheit gab, sich einzumischen und die Stadt am 25. Juli jenes Jahres zu bombardieren und so lange zu besetzen, bis sie die geforderte Genugtuung erhielten in der Form der Entsendung eines aus Europäern und Türken zusammengesetzten Richterkollegiums mit fast unbeschränkter Vollmacht, welches die angeblich Hauptschuldigen zum Tode verurteilte. Neben der Entfachung von verstärktem Europäerhaẞ hat diese Einmischung doch vielleicht einigen belehrenden Einfluß auf die Bevölkerung gehabt.

Während des Scherifats von 'Abdallah herrschte ziemliche Ruhe im Ḥiğâz. In den Außenbeziehungen aber traten große Umwälzungen ein, besonders im Anschluß an die Eröffnung des Suezkanals. Die Türkei konnte infolge der besseren Verbindung nun viel leichter in die Verhältnisse von Arabien eingreifen. Vorher schon war Gidda durch ein Kabel an die Welt angeschlossen; bald wurde der Telegraph auch nach Mekka und Tâif gelegt. Auch die Rückeroberung von Jemen 1872, von der später die Rede sein wird, hatte ihre Einwirkung auf den Ḥiğâz und stärkte dort die Stellung der Türkei. Während des Russisch-Türkischen Krieges 1877 bis 1878 wurde in Mekka für den Sieg der islamischen Waffen gebetet, sogar ein arabisches Freikorps

gebildet, das aber wohl praktisch unverwertbar blieb. Der Großscherif wollte seine Anhänglichkeit an die Türkei zeigen, wie Snouck Hugronje schreibt, und hoffte, „daß den Russen ein heilsamer Schrecken eingeflößt würde durch die Kunde, daß sogar die Heilige Stadt bewaffnet würde". Es liegt nahe, hierzu Vergleiche in der heutigen Zeit zu suchen.

Im Jahre 1869 richtete die Türkei in Mekka, Medîna, Gidda und Tâif die heimische bureaukratische Verwaltung ein. Auch Gemeinderäte wurden gebildet, die aber tatsächlich ohne Einfluß waren. Der türkische Gouverneur, Wali des Wilajets vom Ḥiğâz, hatte seinen Sitz in Mekka, in der heißen Jahreszeit in Tâif. Je nachdem er ein energischer Mann war, und er mit Truppen aus Konstantinopel unterstützt wurde, hatte er die Oberhand, oder andernfalls der Großscherif, der übrigens bei der Unterwerfung von 'Asîr mithalf. Der Scherif hatte auch eine Leibwache, Bawârai genannt, sowie Gendarmerie, Biša genannt. Dem Scherifen Abdallah folgte sein Bruder Husein (1877 bis 1880) im Amte nach; er fiel dem Dolche eines Afghanen zum Opfer. Sein Nachfolger war bis 1882 wiederum 'Abd el-Muttalib, aus der Familie der Dêwî Zaid der Scherife, der sich trots seines hohen Alters durch Brutalität und Gewalttaten unmöglich machte. Unter der Residentur des sehr energischen türkischen Wali 'Otmân Nûrî Pascha ward er abgesetzt. An seine Stelle bestallte Otmân Pascha den 'Abadîlah 'Aûn er-Rafiq zum Großscherifen, welcher offenbar der Vorgänger des noch heute lebenden Großscherifen Husein war. Otmân Pascha mußte weichen; ihm folgte bald der sehr nachgiebige Şafwet Pascha.1

Die politischen Zustände waren etwa die folgenden: In den Häfen war die Verwaltung rein türkisch; die Erhebung der Zölle geschah für Rechnung der Türkei, dem Großscherifen war ein bestimmtes Jahresgehalt ausgesetzt. Den Befehl über die Armee hatte nur der türkische Wali, der aus Konstantinopel seine Weisungen erhielt. Ein selbstbewußter

1 1883 starb (Ermordung?) in Țâif bei Mekka der seit 1877 dorthin verbannte Midhat Pascha, welcher 1869 als Wali von Baghdâd dort viel zur Ausbreitung des türkischen Reiches tat. Vom 22. Dezember 1876 bis 5. Februar 1877 war er Großwesir und setzte am 23. Dezember 1876 die Verfassung durch, die schon am 14. Februar 1878 fiel.

früher einen Wâlî nach Gidda, der zugleich šeich el-ḥaram war. Beide mußten natürlich in häufige Zwistigkeiten mit dem Großscherifen kommen, wenn dieser etwas auf seine Würde hielt. In diese Differenzen mischte sich noch der in Konstantinopel in Verbannung lebende 'Abd el-Muttalib ein, der Sohn des früheren Großscherifen Ghâlib aus dem Stamme der Dêwî Zaid. Der Großscherif Mohammed ibn 'Aûn führte im Interesse der Türken Kriege gegen das Zentrum der Wahhâbiten, das nun in er-Rijâḍ war, gegen 'Aşîr; auch nahm er Ḥôdeidâ, Mochâ sowie Zebîd ein und gewann Einfluß in Sanâ. Durch seine Beziehungen zum Großwesir in Konstantinopel hatte 'Abd el-Muttalib es durchgesetzt, daß er zum Großscherif ernannt wurde (1851 bis 1856). Bald wurde er aber wieder durch seinen Vorgänger Moḥammed ibn 'Aûn (1856 bis 1858) ersetzt, dem sein Sohn Abdallah bin Mohammed bis 1877 folgte.

Am 15. Juni 1858 wurden infolge Ausbruches von Fanatismus in Ğidda einige Christen, mit ihnen der französische und der englische Konsul, ermordet, was den Engländern Gelegenheit gab, sich einzumischen und die Stadt am 25. Juli jenes Jahres zu bombardieren und so lange zu besetzen, bis sie die geforderte Genugtuung erhielten in der Form der Entsendung eines aus Europäern und Türken zusammengesetzten Richterkollegiums mit fast unbeschränkter Vollmacht, welches die angeblich Hauptschuldigen zum Tode verurteilte. Neben der Entfachung von verstärktem Europäerhaß hat diese Einmischung doch vielleicht einigen belehrenden Einfluß auf die Bevölkerung gehabt.

Während des Scherifats von 'Abdallah herrschte ziemliche Ruhe im Hiğâz. In den Außenbeziehungen aber traten große Umwälzungen ein, besonders im Anschluß an die Eröffnung des Suezkanals. Die Türkei konnte infolge der besseren Verbindung nun viel leichter in die Verhältnisse von Arabien eingreifen. Vorher schon war Gidda durch ein Kabel an die Welt angeschlossen; bald wurde der Telegraph auch nach Mekka und Tâif gelegt. Auch die Rückeroberung von Jemen 1872, von der später die Rede sein wird, hatte ihre Einwirkung auf den Ḥiğâz und stärkte dort die Stellung der Türkei. Während des Russisch-Türkischen Krieges 1877 bis 1878 wurde in Mekka für den Sieg der islamischen Waffen gebetet, sogar ein arabisches Freikorps

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