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gebildet, das aber wohl praktisch unverwertbar blieb. Der Großscherif wollte seine Anhänglichkeit an die Türkei zeigen, wie Snouck Hugronje schreibt, und hoffte, „daß den Russen ein heilsamer Schrecken eingeflößt würde durch die Kunde, daß sogar die Heilige Stadt bewaffnet würde". Es liegt nahe, hierzu Vergleiche in der heutigen Zeit zu suchen.

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Im Jahre 1869 richtete die Türkei in Mekka, Medîna, Gidda und Tâif die heimische bureaukratische Verwaltung ein. Auch Gemeinderäte wurden gebildet, die aber tatsächlich ohne Einfluß waren. Der türkische Gouverneur, Wali des Wilajets vom Ḥiğâz, hatte seinen Sitz in Mekka, in der heißen Jahreszeit in Țâif. Je nachdem er ein energischer Mann war, und er mit Truppen aus Konstantinopel unterstützt wurde, hatte er die Oberhand, oder andernfalls der Großscherif, der übrigens bei der Unterwerfung von Asîr mithalf. Der Scherif hatte auch eine Leibwache, Bawârai genannt, sowie Gendarmerie, Biša genannt. Dem Scherifen 'Abdallah folgte sein Bruder Husein (1877 bis 1880) im Amte nach; er fiel dem Dolche eines Afghanen zum Opfer. Sein Nachfolger war bis 1882 wiederum 'Abd el-Muṭṭalib, aus der Familie der Dêwî Zaid der Scherife, der sich trotz seines hohen Alters durch Brutalität und Gewalttaten unmöglich machte. Unter der Residentur des sehr energischen türkischen Wali 'Otmân Nûrî Pascha ward er abgesetzt. An seine Stelle bestallte Otmân Pascha den 'Abadîlah 'Aûn er-Rafiq zum Großscherifen, welcher offenbar der Vorgänger des noch heute lebenden Großscherifen Husein war. Otmân Pascha mußte weichen; ihm folgte bald der sehr nachgiebige Şafwet Pascha.1

Die politischen Zustände waren etwa die folgenden: In den Häfen war die Verwaltung rein türkisch; die Erhebung der Zölle geschah für Rechnung der Türkei, dem Großscherifen war ein bestimmtes Jahresgehalt ausgesetzt. Den Befehl über die Armee hatte nur der türkische Wali, der aus Konstantinopel seine Weisungen erhielt. Ein selbstbewußter

1 1883 starb (Ermordung?) in Tâif bei Mekka der seit 1877 dorthin verbannte Midhat Pascha, welcher 1869 als Wali von Baghdâd dort viel zur Ausbreitung des türkischen Reiches tat. Vom 22. Dezember 1876 bis 5. Februar 1877 war er Großwesir und setzte am 23. Dezember 1876 die Verfassung durch, die schon am 14. Februar 1878 fiel.

Scherif beanspruchte allerdings die Gewalt von Ḥalî im Süden bis etwas nördlich von Medîna, das heißt soweit die Beduinen dies zuließen. Der Gouverneur aber erkannte dem Scherifen im Prinzip nur die Herrschaft über die arabischen Adligen an, er hielt sich in Verwaltungsdingen nur zur Beratung mit dem Scherifen verpflichtet, was aber notwendig war, da der Pascha meist landfremd war, der Scherif aber außer der Personenkenntnis auch den geschichtlichen Einfluß hatte, besonders über die Beduinen. Über die Rechtsprechung entstanden sehr oft Schwierigkeiten, da der Gouverneur nach modernem türkischem Recht, der Scherif aber nur nach dem göttlichen Recht, Šarî'a, urteilen wollte. So gab es zwei verschiedene Rechtsprechungen und Gerichtshöfe. Die Bevölkerung stand stets auf der Seite des anwesenden, geschichtlich mit dem Lande verwachsenen Scherifen, denn der Sultan war in weiter Ferne und seine Vertreter wechselten. Sejjidîna, der Scherif, wurde mehr gefürchtet als Efendîna, der Wali, dem die Unkenntnis des Arabischen meist sehr hinderlich war.

Mit den heutigen Verkehrsmitteln, bei guter finanzieller Grundlage und richtig bezahlten Beamten sollte auch der Türkei es nicht schwerfallen, Ordnung im Hiğâz zu 'erzwingen, wie Snouck Hugronje meint. Die Alte Türkei hat dies aber nicht fertiggebracht. Und die Schwierigkeiten wurden für sie noch erhöht, weil europäische Mächte sich hineinmischten. England versuchte von Ägypten aus, das es seit 1883 okkupiert hatte, Einfluß auf die Scherifen zu gewinnen; die Söhne des Großscherifen wurden in Kairo vielfach von den Engländern wie Fürsten empfangen, und 1905 erklärten sicher auf Anstiften Englands - die Provinzen Jemen, el-Aḥsâ und Ḥiğâz ihre Unabhängigkeit von der Türkei. Doch scheint dies nicht viel genützt zu haben, denn 1908 wurde der Wali Aḥmed Ratîb Pascha, der Gegner der Ḥiğâz-Bahn, durch eine besondere Kommission unter Marschall Arîf Pascha entfernt und Marschall Kiazim Pascha zum Wali des Hiğâz ernannt. Im selben Jahre soll auch in Ḥiğâz (und in Jemen) eine Funkenstation errichtet sein. Ein Jahr später berichtet ein Mekkapilger, daß als Großscherif Husein ibn 'Alî Pascha aus der Familie Qatâda, als Wali Kâmil As'ad Pascha, der in Ğidda seinen Vertreter als Qâ'immaqâm hatte, im Amte waren.

Der Weltkrieg hat natürlich auch auf den Ḥiğâz eingewirkt. Immerhin aber sollen an der Pilgerfahrt im Oktober 1914 noch 32000 Personen teilgenommen haben, darunter 3000 aus Holländisch- und 12000 aus Britisch-Indien. Gegen frühere Jahre hatte also die Zahl der Pilger stark abgenommen.1

Nach Musil (Österr. Monatsschr. f. d. Orient" 31. Okt. 1914) soll in Mekka und Medîna die autonomistische Bewegung immer mehr Boden gewonnen haben. Die türkischen Truppen durften sich 1913 nicht in die inneren Angelegenheiten einmischen. Der Verkehr zwischen den Heiligen Städten war sehr unsicher wegen Blutrache unter Arabern, weil im Jahre 1912 ein Sohn des Großscherifen den Häuptling Bedî bin Rbeîk getötet hatte; die Verwandten hatten den Blutpreis abgelehnt und plünderten alle kleinen Karawanen. Der Großscherif stand auf seiten des türkenfreundlichen Ibn Rašîd, von dem wir später zu reden haben werden, während er gegen den Machtzuwachs des Ibn Sa'ûd sehr miẞtrauisch war, dessen Einfluß dauernd wuchs.

Die Higâz-Bahn

Schon mehrfach hatten wir Gelegenheit, zu sehen, wie wichtig es für den Sultan der Türkei ist, seine Autorität in Mekka aufrechtzuerhalten. Seine Stellung als Chalîf, als Beherrscher der Gläubigen, hängt von dem Besitze der Heiligen Orte ab. Religiöse und politische Gründe waren es also, die den vorigen Sultan 'Abd ul-Hamîd veranlaßten, ein ganz besonderes Gewicht auf seine Stellung als Chalîf zu legen. Ein ebenso wichtiges wie eigenartiges Mittel, diesem Streben Nachdruck zu verleihen, war die Schöpfung der Ḥiğâz- oder Mekka-Bahn. Eisenbahnen werden sonst

1 1913 landeten im Hafen von Ğidda 97992 Pilger; davon kamen 34685 aus Niederländisch-Indien, 12684 aus Ägypten, 12434 aus Indien, 6888 aus dem Sudan, 8158 aus Französisch-Nordafrika und 8450 aus russischen Besitzungen („Hamb. Nachr.“ vom 13. Nov. 1915). Nach dem k. u. k. österr.- ungar. Konsulatsbericht kamen 83 295 Pilger 1913 nach Gidda. Dr. Max Roloff gelangte 1914 zu Beginn des Weltkrieges nach Mekka und hörte dort, daß England im August in Indien, im September in Ägypten verbreiten ließ, daß Deutschland (!) die Wallfahrt verhindere, es sperre den Land- und Seeweg. Die Zahl der Pilger betrug etwa 32000. Man wußte in Mekka aber sehr gut, daß die Schuld England trifft.

überall in der Welt aus wirtschaftlichen oder vielleicht auch strategischen Gründen gebaut, hier sind es aber religiöse und politische Beweggründe. Für alle Moslime mußte es einleuchtend sein, in bequemer Weise die sonst mühsame und gefahrvolle Pilgerfahrt (ḥağğ) nach Mekka ausführen zu können. Die Erleichterung dieser Verbindung konnte jedem Gläubigen als ein verdienstvolles Werk hingestellt werden. Und für den Sultan bedeutete dies Werk eine sehr große Zunahme von Einfluß und Macht.

Schon 1874 hatte, wie Professor Martin Hartmann schreibt, der türkische Major Aḥmed Rašîd, der am Feldzuge zur Unterwerfung von Jemen 1872/73 unter Muchtâr Pascha teilgenommen hatte, die Aufmerksamkeit auf diese Bahn gelenkt. „Solange der Schwerpunkt des islamischen Chalifats in Arabien ist," schrieb er, gehen auch die größten Opfer, die das osmanische Reich für dauernden Besitz und Kultivierung Arabiens bringt, nicht verloren, ja womöglich müßte vor allen anderen Orten von Damaskus aus eine Bahn nach dem Ḥiğâz gebaut und bis Mekka und Ğidda geführt werden, zumal solchem Bau sich keine Schwierigkeiten, wie hohe Gebirge und gewaltige Ströme, entgegenstellen; das wäre gegenwärtig die wichtigste Verkehrslinie Arabiens und zugleich auch die beste Gewähr und Sicherung des arabischen Besitzes."

Am 1. Mai 1900 erschien das kaiserliche Irade für den Bau der Bahn von Damaskus nach Mekka, mit dem Befehl, die Arbeiten gleich zu beginnen.

Schon seit 1882 hatten Unternehmer eine Konzession erhalten zum Bau einer Bahn von Haifa nach Damaskus, die aber verfiel; 1890 ist die Konzession wieder aufgenommen und später an die englische Syria-Ottoman-Railway Co., an deren Spitze ein M. Hill stand, übergegangen. Ende 1892 begann der Bau einer Normalspurbahn von Ḥaifa aus, schritt aber so langsam fort, daß 1898 die Konzession verfiel; 1902 ist das fertiggestellte Stück von der türkischen Regierung übernommen worden und rasch bis Muzêrib weitergeführt, wo diese Bahn Anschluß an die Strecke von Damaskus aus haben sollte. Diese 171 Kilometer, die 1906 fertiggestellt waren, bilden den sehr wichtigen Anschluß der Mekka-Bahn an das Mittelländische Meer. Man hatte nämlich zuerst die Absicht, die von einer französischen Gesell

schaft1 erbaute und ihr gehörige Bahn Damaskus-Muzêrib anzukaufen. Die Verhandlungen zerschlugen sich aber wegen zu hoher Forderungen, und so war man gezwungen, fast parallel neben der alten französischen Strecke eine neue Bahn fertigzustellen, die über Der ât geführt wurde, das demnach noch mit dem Endpunkte der Haifa-Bahn, Muzêrib, verbunden werden mußte.

Da die Türkei selbst die Mittel nicht aufbringen konnte, und an eine Rentabilität der nur religiösen und politischen Zwecken dienenden Bahn nicht zu denken war, mußte man sehen, die für den Bau erforderlichen Summen, die auf 200 Millionen Franken geschätzt wurden, auf andere Weise zu erhalten. Die Mohammedaner aller Länder sogar aus Indien, Java und China - brachten als fromme Stiftungen auf den Aufruf des Chalifen etwa 15 bis 17 Millionen Franken zusammen. Außerdem wurden besondere Steuern, Taxen, Gehaltsabzüge der türkischen Beamten (10% vom Mai-Gehalt), Stempelabgaben u. a. m. eingerichtet, die jährlich etwa 51/2 Millionen brachten. Hinzu kommen unregelmäßige Abgaben, wie kleine Pflichtzahlungen bei Beförderungen, Verkaufserlös der Felle aller in der Türkei beim Beiramsfest geschlachteter Hammel und ähnliches mehr. Eine Steinkohlenkonzession am Schwarzen Meer, eine andere zur Ausbeutung etwaiger Mineral funde an der neuen Bahn am Toten Meer und im Jordantal kamen hinzu. Endlich überließ der Sultan sein Recht auf unumschränkte Verfügung über alles zum Bau nötige Land der neuen Bahn; übrigens gaben auch die Landbesitzer dem frommen Werk ihr Privatland gern ohne Entgelt ab. Endlich trat eine sehr große Erleichterung dadurch ein, daß die Arbeiten fast ganz durch Soldaten ausgeführt wurden, für deren Löhnung das Kriegsministerium sorgte. Eine Pionier- und Telegraphenkompagnie, zwei bis drei Bataillone Infanterie und später zwei eigens für diesen Zweck gebildete Eisenbahnbataillone (zusammen 5-7000 Mann) bewirkten die Arbeiten. Nur die Zulagen der Soldaten wurden aus den Mitteln der Hiğâz-Bahn bestritten. So kam es, daß die Bahn recht billig gebaut wurde (angeblich durchschnittlich für nur 26900 Mark das Kilometer); nur die schwierige Strecke durch das Jarmuk-Tal kostete mehr.

1 Société du chemin de fer Damas-Hamah et prolongement.

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