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wurde, und damit steht es im Zusammenhang, daß man an eine vertragliche Regelung für den Fall des Zustandekommens eines mittelamerikanischen Kanals schon lange vor der praktischen Inangriffnahme des Projektes dachte. Die Geschichte der völkerrechtlichen Verträge, welche seit 1850 bis auf den heutigen Tag jeweils in engem Zusammenhang mit der Geschichte der verschiedenen panamanischen Kanalunternehmungen verknüpft ist, zeigt uns, wie die Interessen sämtlicher Kulturstaaten an dem Kanalbau bei der völkerrechtlichen Regelung des Unternehmens Berücksichtigung beanspruchen, wie aber zum Schaden Europas seit dem Abschluß des CLAYTON-BULWER-Vertrages im Jahre 1850 zwischen den Vereinigten Staaten und England bis zum HAYHERRAN-Vertrag des Jahres 1903 zwischen der Union und der neuentstandenen Republik Panama sich eine planmäßig fortgesetzte, wenn auch vielfach verschleierte Beschränkung der außeramerikanischen Interessen, zum Teil unter Berufung auf die Monroedoktrin, zugunsten der Vereinigten Staaten konstatieren läßt. Dies ist nun für die europäischen Nationen und auch für uns Deutsche nicht eben erfreulich, und es ist die Aufgabe der europäischen Politik, dafür zu sorgen, daß die Interessen der europäischen Staaten in dieser hochwichtigen Frage gewahrt werden. Wenn A. VOIGT1 mit Bezug auf die Panamafrage es als die vornehmste Aufgabe der Hauptseefahrerstaaten bezeichnet, dafür zu sorgen, daß der Panamakanal streng neutral bleibt, so gibt er damit die Richtung an, in der sich die europäische Politik nach dieser Seite hin zu bewegen hat. Aufgabe der Wissenschaft aber ist es, der Politik durch ihre Untersuchungen die nötigen Grundlagen zu verschaffen.

Der Zweck der vorliegenden Arbeit ist es nun, an der Feststellung der verworrenen Rechtsverhältnisse, welche sich an die Panamakanalfrage anknüpfen, in ihrem Teile mitzuwirken.

1 A. VOIGT a. a. O., S. 744.

1. Kapitel.

Theorie der internationalen Kanäle.

§ 1.

Allgemeines.

Mit dem Augenblick, in dem es der modernen Technik gelungen ist, unter Überwindung bisher unbezwingbarer Hindernisse, durch Aushebung riesiger Erdmassen und Durchstechung von Landengen getrennte Meere miteinander zu verbinden und dadurch neue Wege für den Seeverkehr zwischen den verschiedenen Nationen der Erde in Friedens- und in Kriegszeiten herzustellen, hat sich ein weites Gebiet neuer juristischer, publizistischer, speziell völkerrechtlicher Fragen eröffnet. Mit der Vollendung dieser neuen Weltverkehrsadern, der sogenannten internationalen Kanäle (Eröffnung der Kanäle von Suez 1869, Korinth 1893, Kiel 1895, Panama voraussichtlich 1915) treten ganz neue Gebilde in die Erscheinung, die von allen bisher vorhandenen Verkehrsstraßen ihrem ganzen Wesen nach völlig verschieden sind. Der gesamte Weltverkehr hatte sich bis dahin entweder als Seeverkehr unter Benützung der vorhandenen natürlichen Seewege, der offenen und geschlossenen Teile des Weltmeers, der schiffbaren Ströme und Flüsse, oder als Landverkehr über das Festland mit Benützung der Eisenbahnen, Landstraßen und Karawanenstraßen vollzogen. Die genannten Kanäle nun stellen einerseits gewissermaßen ein Mittelglied dar zwischen den sonst üblichen Wegen des See- und Landverkehrs, indem sie die Schiffahrt über ein bisher zum Festland gehöriges Stück der Erdoberfläche ermöglichen, unterscheiden sich aber auch andererseits grundlegend nach beiden Richtungen hin: Von den Festlandsrouten dadurch, daß sie eben in Wirklichkeit dem Seeverkehr und nicht dem Landverkehr dienen, von den bestehenden

Seeverkehrsstraßen aber, soweit es sich um Weltverkehrsstraßen handelt, durch die künstliche Art ihrer Entstehung. Nationale, dem internen Verkehr einzelner Staaten dienende Kanäle, meist Verbindungen von Fluß zu Fluß, hat es allerdings schon seit Jahrhunderten gegeben; diese kommen aber für den Weltverkehr weniger in Betracht. Wenn sich nun die vier Kanäle von Suez, Korinth, Kiel und Panama von allen vorher bestehenden Straßen des Weltverkehrs gleichermaßen unterscheiden, auf der andern Seite aber das eine untereinander gemeinsam haben, daß sie sämtlich je zwei bisher getrennte Meere miteinander verbinden und dadurch zum Gegenstand des Interesses sämtlicher seefahrenden Nationen werden, so erscheint es wohl als gerechtfertigt, die vier genannten Kanäle zu einer besonderen Kategorie von Weltverkehrswegen zusammenzufassen, etwa nach Art der internationalen Ströme. Ob es sich dabei empfiehlt, von „,internationalen Kanälen“ zu sprechen, ist eine Frage von untergeordneter Bedeutung 1. ,,International" sind diese sämtlichen meerverbindenden Kanäle in dem Sinn, daß sämtliche seefahrenden Nationen ein Interesse daran haben, dieselben benützen zu können. Dies gilt von den Kanälen von Kiel und Korinth ebenso wie von den beiden anderen, obschon bei diesen das Interesse der Allgemeinheit an ihrer Benützung unvergleichlich höher ist als bei jenen. Es erscheint daher auch nicht als gerechtfertigt, den beiden ersteren eine grundsätzlich andere Rechtsstellung einzuräumen als den beiden letzteren, so wie es CALVO 2 tun will, wenn er die Kanäle von Kiel und von Korinth als Kanäle von nationaler Bedeutung, die Kanäle von Suez und von Panama dagegen als Kanäle von internationaler Bedeutung je zu einer besonderen Gruppe zusammenfaßt.

§ 2.

Mögliche Betrachtungsweisen.

Der Grund, weshalb sich ein Bedürfnis geltend macht, für diese Neuerscheinung der internationalen Kanäle eine besondere

1 PENSA a. a. O., S. 288, nennt diese Kanäle ,,des canaux maritimes". v. LISZT a. a. O., S. 213, spricht mit Bezug auf Suez- und Panamakanal von,,internationalen Kanälen“.

2 CALVO a. a. O., S. 500.

rechtliche Grundlage zu schaffen, ist darin zu erblicken, daß durch die Eröffnung dieser Kanäle allerhand neue Rechtsbeziehungen zustande kommen zwischen den verschiedensten Staaten, welche sich zuvor vielleicht ganz indifferent gegenübergestanden sind. Diese Rechtsbeziehungen haben aber ihre letzte Ursache in den Interessen der verschiedenen beteiligten Parteien. Um daher zu einer brauchbaren Grundlage für die rechtliche Beurteilung der Kanäle zu gelangen, ist es erforderlich, auf die verschiedenen hier in Frage stehenden Interessen einzugehen, insbesondere einen scharf ausgeprägten Interessengegensatz eingehender zu würdigen, nämlich den Gegensatz zwischen den Interessen der Uferstaaten des Kanals einerseits und den Interessen sämtlicher anderer nur durch ihren Schiffahrtsverkehr beteiligten Staaten andererseits.

Das Interesse des Uferstaats bezw. der Uferstaaten des Kanals, deren Staatsgebiet der Kanal durchschneidet, besteht darin, daß sie die ausschließliche Herrschaft über den Kanal ausüben wollen und jede fremde Einwirkung auf den Kanal verhindern wollen. Gerade entgegengesetzt verlaufen die Interessen aller übrigen Staaten, deren Gebiet nicht vom Kanal durchschnitten wird, die also nicht kraft Gebietshoheit irgendwelche Rechte am Kanal beanspruchen können, die aber indirekt am Kanal dadurch interessiert sind, daß ihre Schiffahrt wesentlich von dem Umstand beeinflußt wird, ob sie den Kanal benützen können oder nicht. Diese Staaten werden sämtlich den Bemühungen des Uferstaats, den Kanal zu einem nationalen Gewässer zu gestalten, dadurch entgegenzuwirken suchen, daß sie eine möglichst universelle Benützung des neuen Verkehrsweges, eventuell völlige Schiffahrtsfreiheit geltend machen. Aus den beiden erwähnten diametral entgegengesetzten Interessen heraus entspringt die Notwendigkeit, eine Regelung zu treffen, welche beide Teile befriedigt.

Bisher hat sich die völkerrechtliche Praxis mangels einer allgemein anerkannten Grundlage für die Beurteilung der Rechtsverhältnisse an internationalen Kanälen damit begnügt, von Fall zu Fall Bestimmungen darüber zu treffen, welche Stellung im Völkerrechtsverkehr einem bestimmten Kanale zukommen soll. So hat man nach der Eröffnung des Suezkanals Vertragsbestimmungen

zu treffen gesucht, welche sowohl den Interessen des Uferstaats, der Türkei, als auch denjenigen der übrigen seefahrenden Staaten gerecht werden sollten. Die langen Beratungen über diese Fragen kamen im Suezkanalvertrag vom 29. Oktober 1888 zum Abschluß. In diesem Vertrage wurde in hervorragender Weise das Interesse der Allgemeinheit gegenüber demjenigen des Uferstaates gewahrt, indem der für die internationalen Ströme geltende Grundsatz der Schiffahrtsfreiheit auch für den Suezkanal anerkannt wurde. Damit wurde aber nicht etwa ein allgemeines Prinzip aufgestellt, das auch ohne weiteres auf die anderen internationalen Kanäle anzuwenden wäre. Dieses Prinzip der Schiffahrtsfreiheit gilt vielmehr nur für den Suezkanal, und zwar gilt es für diesen deshalb, weil die daran interessierten Großmächte eine Konvention abgeschlossen haben, in der sie sich gegenseitig die Aufrechterhaltung der Schiffahrtsfreiheit auf dem Suezkanal garantieren. Die Schiffahrtsfreiheit besteht also nur auf Grund vertraglicher Vereinbarung; eine über den Rahmen des Suezkanals hinausgehende theoretische Grundlage für die Beurteilung derartiger Kanäle wurde nicht geschaffen.

Während bei den Kanälen von Kiel und Korinth sich das Bedürfnis nach internationaler Regelung bis heute nicht geltend gemacht hat, bestehen über die Rechtsverhältnisse des künftigen Panamakanals bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert Verhandlungen, auf die aber an dieser Stelle noch nicht näher eingegangen werden kann. Es handelt sich auch hier nur um vertragliche Abmachungen über die Rechtsstellung eines bestimmten Kanales in concreto. Wohl wird in Einzelfällen auf gewisse Bestimmungen des Suezkanals verwiesen, doch fehlt es an einer theoretischen Basis, welche über die Grenzen des Panamakanals hinaus sämtlichen internationalen Kanälen als Rechtsgrundlage gemeinsam dienen könnte.

Die Notwendigkeit der Aufstellung einer derartigen für alle internationalen Kanäle geltenden allgemeinen Basis tritt insolange weniger deutlich hervor, als die Ereignisse sich so gestalten, wie dies jeweils in den Einzelverträgen vorgesehen ist. Sie wird aber dann ganz klar ersichtlich, wenn ein unvorhergesehenes Ereignis

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