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eintritt, weil es dann an einem höheren Gesichtspunkt fehlt, unter welchem man sämtliche möglichen Ereignisse betrachten könnte. Es ist somit ein positives Erfordernis an die Völkerrechtswissenschaft festzustellen, was die theoretische Grundlage für sämtliche Erörterungen in Ansehung der internationalen Kanäle bilden könnte.

Welcher Art ist nun dieser höhere Gesichtspunkt, von dem aus sich allgemeine, für die ganze Kategorie,,internationale Kanäle“ brauchbare Grundsätze ableiten lassen? Sicherlich wird ein derartiger Gesichtspunkt nur dann gewonnen, wenn volle Klarheit darüber geschaffen wird, in welchem Herrschaftsverhältnis diese internationalen Kanäle zu den sie benützenden Staaten stehen.

Meeresfreiheit.

§ 3. Küstengewässer.

Eigengewässer.

Rein natürlich betrachtet stellen die internationalen Kanäle zunächst Teile der Erdoberfläche dar. Zweifellos wird man auch noch einen Schritt weitergehen und sagen können, diese Kanäle stellen einen Teil des Wassergebiets der Erdoberfläche dar, denn, der Umstand, daß zuvor an ihrer Stelle Festland gewesen ist, ist wohl für diese Frage ohne Erheblichkeit. Nun aber zerfallen die Wassergebiete der Erdoberfläche in solche Gebiete, welche der mehr oder weniger eingeschränkten Herrschaft irgend eines Staates unterstehen, und in solche, welche herrschaftslos sind in dem Sinne einer res omnium communis. Zu den ersteren gehören die Binnenseen (i. e. S.), die Flüsse und gewisse Teile des Meeres, zu den letzteren der durchaus überwiegende Teil des Weltmeers. Es fragt sich nun: Stehen die internationalen Kanäle auf gleicher Stufe mit der ersten Kategorie, den sogenannten Eigengewässern, stehen sie auf gleicher Stufe mit der zweiten Kategorie, den offenen Meeren oder bilden sie ein Mittelglied zwischen beiden, so daß etwa der Begriff der Küstengewässer auf dieselben anzuwenden wäre.

Ausgehend von der oben erwähnten Interessenkonkurrenz wäre festzustellen, daß die überwiegende Interessentengruppe, nämlich diejenige sämtlicher mit Ausnahme des Uferstaats an der Kanalschiffahrt beteiligten Nationen am besten befriedigt

würde, wenn sich eine Gleichstellung der internationalen Kanäle mit der zweiten Kategorie, der an der Meeresfreiheit teilnehmenden Gewässer rechtfertigen ließe. Wenn der Begriff der Meeresfreiheit, auf dessen geschichtliche Entwicklung seit HUGO GROTIUS an dieser Stelle näher einzugehen sich erübrigt, auch auf die meerverbindenden Kanäle anwendbar wäre, so könnten einem fremden Schiff in einem Kanal von keiner Macht der Welt irgendwelche Vorschriften gemacht werden. Die freie Benützung des Kanals stünde ihm, unbekümmert um die Rechte Dritter, in vollem Umfang kraft eigenen Rechts zu. Gar nicht berücksichtigt würden auf diese Weise die uferstaatlichen Interessen: Der Uferstaat müßte sich also ohne weiteres gefallen lassen, daß fremde Schiffe den Kanalweg benützen und hätte mangels besonderer Vereinbarungen keinerlei Vorzugsstellung im Kanalgebiet. Daß die Durchführung eines derartigen Prinzips zu praktischen Unzuträglichkeiten führt, darf aber trotzdem an sich nicht veranlassen, die Anwendbarkeit des Prinzips der Meeresfreiheit auf die internationalen Kanäle von vornherein zu leugnen. In der Tat stehen auch sehr viele Autoren1 auf dem Standpunkt, daß mit dem Grundsatz der Meeresfreiheit die Verhältnisse an internationalen Kanälen am ehesten in Einklang zu bringen sind. Da auch diese Autoren zumeist zugeben müssen, daß die Anwendung dieses Prinzips zu praktischen Unzuträglichkeiten führt, so helfen sie sich damit, daß sie von dem Prinzip wiederum Ausnahmen machen, indem sie sagen: Das Prinzip der Meeresfreiheit tritt jedesmal dann zurück, wenn internationale Interessen vorhanden sind, welche stark genug sind, um Ausnahmen zuzulassen 2. Begründen ließe sich das Prinzip der Meeresfreiheit etwa in der Weise, daß man sagt: Die Kanäle sind dadurch, daß sie die Verbindung zwischen zwei Meeren herstellen, eben tatsächlich selbst Teile des Weltmeeres geworden. Ihre rechtliche Beurteilung muß also derjenigen ähnlicher Meeresteile, etwa der Meerengen analog sein und die künstliche Art ihrer Herstellung fällt dabei nicht ins Gewicht. Doch beruht die Annahme, daß durch die Herstellung

1 NYS a. a. O., S. 266. FOURNIER DE FLAIX a. a. O., S. 111.
2 PENSA, S. 288.

eines Kanals ein neuer Meeresteil geschaffen wird, in Wirklichkeit auf einer Fiktion. Der Staat, der einen Streifen seines Landgebiets künstlich unter Wasser setzt, will dadurch nicht einen Meeresteil herstellen, der vom Prinzip der Meeresfreiheit beherrscht wird; dies wäre gleichbedeutend mit dem freiwilligen Verzicht über sämtliche Hoheitsrechte über den Gebietsstreifen. Wenn insbesondere immer wieder in der Literatur auf die große Ähnlichkeit zwischen Meerengen einerseits und internationalen Kanälen andererseits hingewiesen wird, so handelt es sich hierbei nur um einen Vergleich 1, der sich aber nicht dazu eignet, positive Rechtssätze von dem Rechte der Meerengen auf dasjenige der internationalen Kanäle zu übertragen.

Nachdem der Versuch, die internationalen Kanäle dem Prinzipe der Meeresfreiheit zu unterstellen oder auch analog den natürlichen Meerengen zu behandeln, zu einem negativen Ergebnis geführt hat, bietet sich eine zweite Behandlungsmöglichkeit dar, bei welcher die Interessen der nur durch ihre Schiffahrt am Kanal beteiligten Staaten gleichfalls in befriedigender Weise gewahrt würden; es wäre dies nämlich dann der Fall, wenn man die internationalen Kanäle auf dieselbe rechtliche Stufe stellen würde, wie die sogenannten Küstengewässer (im Sinne der bei SCHÜCKING 2. genau niedergelegten Definition).

Hier wäre das praktische Resultat ein sehr günstiges, indem beiden Parteien, den Uferstaaten und den fremden Staaten geholfen wäre. Es würde dann nach heute herrschender Lehre 3 den Uferstaaten eine beschränkte Gebietshoheit über den Kanal zustehen, so daß den fremden Schiffen der Aufenthalt im Kanal (zu Seemanövern u. dergl.) untersagt werden könnte, den Uferstaaten würde ipso iure die Seepolizei im Kanal, sowie eine beschränkte Gerichtsbarkeit zustehen. Auf der andern Seite könnte den fremden Schiffen (Handels- und Kriegsschiffen die freie Durchfahrt nicht versagt werden; auch dürfte dieselbe nicht von der

So auch RHEINSTROM a. a. O., S. 2 ff.

2 SCHÜCKING, Das Küstenmeer, S. 3 ff.; vergl. aber auch MEURER, Luftschiffahrtsrecht, S. 5 ff.

3 LISZT, S. 4.

Entrichtung von Gebühren und Abgaben abhängig gemacht werden. Gewiß, das praktische Ergebnis wäre für beide Parteien ein sehr annehmbares. Aber wiederum berechtigt uns dieser Umstand für sich allein noch nicht, die Grundsätze über das Küstenmeer ohne weiteres auf die internationalen Kanäle zu übertragen. Eine Übertragung dieser Grundsätze wäre dann möglich, wenn für die Regelung der Küstengewässer und diejenige der internationalen Kanäle eine gemeinsame Ratio zugrunde gelegt werden könnte. Dies ist aber nicht der Fall: während nämlich bei der Regelung der letzteren der Gesichtspunkt des Interessenkonflikts zwischen Uferstaaten und fremden Staaten ausschlaggebend ist, werden die Grundsätze über die Küstengewässer von dem Gesichtspunkt des Küstenschutzes beherrscht. Sämtliche Rechtsregeln in Ansehung der Küstengewässer haben den Zweck, zwischen dem Festland und der offenen See eine Übergangszone einzuschalten, in welcher die Freiheit des Meeres zum Schutze des Uferstaates eingeschränkt ist. Bei den internationalen Kanälen dagegen spielt die Frage nach dem Schutze des Uferstaats nicht die ausschlaggebende Rolle. Es muß also schon aus dem Grunde eine Gleichstellung mit den Küstengewässern abgelehnt werden, weil es an einem gleichartigen Interessenschutzbedürfnis fehlt. Fernerhin müßte auch bei einer Gleichstellung mit den Küstengewässern mit Hilfe einer Fiktion operiert werden, weil auch in diesem Fall der Kanal als Meeresteil angesehen werden müßte. In diesem Sinne würde dann auch derselbe Ablehnungsgrund Platz greifen, welcher zur Ablehnung des Prinzips der Meeresfreiheit geführt hat.

Es bliebe nun noch die dritte Möglichkeit zu erörtern, ob die internationalen Kanäle als Eigengewässer der sie umschließenden Uferstaaten angesehen werden können. Die Anerkennung eines derartigen Satzes würde zweifellos eine Bevorzugung der uferstaatlichen Interessen auf Kosten der übrigen Staaten bedeuten, und es fragt sich, ob eine derartige Bevorzugung aus irgend einem Gesichtspunkt gerechtfertigt erscheint. An sich bedeutet die Eröffnung einer neuen Weltverkehrsstraße eine derartige Umwälzung in den wirtschaftlichen und handelspolitischen Beziehungen aller Staaten, daß es im heutigen Zeitalter, das so ganz im Zeichen

des Verkehrslebens steht, sich beinahe als eine Anmaßung darstellt, wenn ein einzelner Staat sich besondere Vorteile aus der Eröffnung einer solchen Verkehrsstraße gewähren läßt. Immerhin verdienen auch gewisse andere Punkte Berücksichtigung, welche für ein Sonderrecht des eröffnenden Staates sprechen.

Es wurde schon erwähnt, daß der Uferstaat einen positiven Gebietsverlust erleiden würde, wenn ein Streifen seines Gebietes, der bisher als Landgebiet seiner unumschränkten Hoheit unterstanden ist, nun plötzlich dadurch, daß er künstlich überflutet wird, seinem Herrschaftsbereich entzogen würde. Wenn ein Staat sein Landgebiet dazu hergibt, daß über dasselbe ein Verkehrsweg hergestellt wird, der nicht nur ihm, sondern sämtlichen Staaten zum Vorteil gereicht, so entspricht es durchaus der Billigkeit, daß dieser Staat hinsichtlich des neuen Verkehrsweges auch eine bevorzugte Sonderstellung einnimmt.

Es ist aber auch mit den Interessen der übrigen Staaten sehr wohl vereinbar, daß ein einzelner Staat die Gebietshoheit über einen internationalen Kanal ausübt. Denn aus dieser Gebietshoheit erwachsen demselben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Allein schon die Instandhaltung und Aufrechterhaltung der Ordnung sind Verpflichtungen, denen kein anderer Staat besser nachkommen könnte als der Uferstaat, und hierfür eben bietet ein Äquivalent das Recht der Gebietshoheit. In Friedenszeiten wird es jedem Schiff, gleichgültig welche Flagge es führt, gegen Entrichtung einer angemessenen Abgabe stets möglich sein, den internationalen Kanal ebenso zu benützen, wie wenn er selbst dem Uferstaat angehören würde, und im Falle des Kriegs werden solange es überhaupt Kriege gibt, Machtfragen die Entscheidung geben, so daß die Rechtsfrage, wer im Kanale die Gebietshoheit ausübt, von untergeordneter Bedeutung ist.

Danach würden sich die internationalen Kanäle hinsichtlich der Frage der Gebietshoheit in ihrer rechtlichen Behandlung nicht wesentlich unterscheiden von den nationalen Binnengewässern, Seen und Flüssen. Ihre internationale Bestimmung verlangt jedoch noch ein weiteres, nämlich die Sicherstellung der internationalen Interessen. Diese Interessen finden ihren

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