Page images
PDF
EPUB

find nur zu gegründet. Man denke sich lebhaft einen Unters suchungsrichter, der Wochen oder gar Monate lang sich einer schwierigen, verwickelten Untersuchung aufgeopfert, der mit Lügen und elenden Ausflüchten des Inquisiten zu kämpfen hatte, der vielleicht injuriösen Durchbrüchen eines, durch langwierige Gefangenschaft leidenschaftlich aufgeregten, Angeschuldigten ausgesetzt war. Wer hindert einen solchen Untersuchungsrichter, der immer Mensch bleibt, dessen Loga kein Talisman gegen. Irrthümer und Leidenschaften, dessen Loga nicht so weit und faltig ist, um die heftigsten Gemüthsbewegungen, Zorn, Stolz, Haß, Aerger vollkommen zu bedecken; ich sage, wer hindert einen solchen Untersuchungsrichter an der willkührlichen oder unwillkührlichen Entstellung der Untersuchungsacten? Welches Auge wacht, das nicht anstatt der Ruhe und Unbefangenheit, die Leidenschaften des Richters die Protocolle dictiren, und so den Canal, aus welchem die Gerichte später schöpfen sollen, trüb und fandig machen? Und nun soll noch gar derselbe. Untersuchungsrichter mit den scharfen Waffen der Beredsamkeit die von ihm geführte Untersuchung im Collegio vertheidigen, er soll vertheidigen alle seine Irrthümer und Leidenschaften, die in die Untersuchung eingeflossen sind, er soll vertheidigen seine. verkehrte Behandlungsmethode gegenüber dem Angeschuldigten, er soll endlich vertheidigen seine schiefe, vorurtheilsvolle Auffafsung in Bezug auf die Strafbarkeit einer Handlung? Wird zu allem dem noch die Geneigtheit gerechnet, mit welcher die Collegien auf die Ansichten und Referate der Untersuchungsrichter eingehen, so steht in gewissen Fällen das Schlimmste zu: befürchten! Wahrlich das Verbot des Art. 257 des Code d'instr. crimin. ist keine Geburt des Zufalls, sondern es ist der wohlberechnete Plan einer scharfsichtigen Eriminalpolitik. Das Verbot liegt im Interesse der materiellen Gerechtigkeit.: Und ich frage: tritt der Grund, worauf dasselbe beruht, nicht unbedingt auch in dem Falle ein, da nur eine Zuchtpolizeis strafe in Aussicht gestellt ist, eine Strafe, die bis zu fünfjährigem Gefängnisse und bis zu zehnjähriger Interdic-: tion der bürgerlichen Rechte ansteigen kann? Vielleicht ist auch

[ocr errors]

die Fassung des Art. 55 des Code d'instruction criminelle nicht ohne Bedeutung. Der Artikel sagt: le juge d'instruction conservera séance au jugement des affaires civiles“. . . . Der Gesetzgeber hat dadurch erklärt, daß die Gewalt des Untersuchungsrichters (le pouvoir d'instruire) und die Gewalt des Strafrichters (le pouvoir de juger) nicht einer und derselben Person anvers traut werde. Denn hätte der Gefeßgeber gewollt, daß die Untersuchungsrichter in Zuchtpolizeifachen die Urtheile mitfinden sollen, so würde er ganz einfach gesagt haben: „le juge d'instruction conservera séance," er brauchte mithin die offenbar limitativen Worte: „au jugement des affaires civiles nicht hinzufügen. Ubi lex distinguit et lex distinxit inter causas civiles et criminales interpretis est distinguere! Offenbar hat der Art. 127 des Cod. d'instr. crim. die französische Doctrin und Jurisprudenz zu der Ansicht verleitet, daß der Untersuchungsrichter auch in den von ihm geführten Untersuchungsfachen die Strafurtheile mitfinden dürfe. Kraft dieses Art. 127 hat der Untersuchungsrichter bei den Entscheidungen der Rathskammer des Erstinstanzgerichts mitzuvotiren. Da es nun nach der in Frankreich herrschenden Praris auch bei der Fällung der Strafurtheile über die von ihm inquirirten Angeschuldigten mitstimmen darf, so hat man demnach einen Beamten, der a) Untersuchungsrichter, b) Controlleur feiner eigenen Untersuchungen und c) Strafrichter in den von ihm geführten Untersuchungsfachen alles zusammen in einer Person ist.

4) Endlich dürfte alles dasjenige, was oben von den Aushelfern (suppléans) der Handelsgerichte rügend vorgebracht worden ist, auf die Aushelfer oder Suppleanten an den Tribunalen der ersten Instanz gleichfalls, und selbst in einem um so höhern Grade zur Anwendung kommen, als die Competenz der Tribunale erster Instanz die Competenz der Handelsgerichte an Umfang bei Weitem überragt.

[ocr errors]

Siebentes Kapitel.

Von den Appellhöfen.

§. 1.

Gerichtssprengel derselben.

[ocr errors]

Die Appellhöfe sind an die Stelle der Parlamente Frankreich's unter dem ancien régime getreten. Ihr Name hat von Zeit zu Zeit gewechselt (tribunaux d'appél cours d'appel -cours impériales, cours royales und jeßt wieder cours d'appel.) So wie mehrere friedensgerichtlichen Cantone den Sprengel eines Erstinstanzgerichtes bilden, so bilden die Sprengel mehrerer Erstinstanzgerichte den Jurisdictionsbezirk eines Appelhofes.

Der Gerichtssprengel des Appellhofes (mit Ausnahme des Appellhofes von Ajaccio, welcher sich auf das Departement Corsika beschränkt), erstreckt sich immer über zwei bis vier Departemente, mit einer Seelenzahl im Durchschnitte von etwas über eine Million. Der Appelhof von Paris, der natürlich alles Maaß, sowohl der Regel als der Ausnahme überschreitet, umfaßt sieben Departemente, mit einer Bevölkerung von nahe drei Millionen Seelen. Der Appellhof von Rennes hat nächst den von Paris den größten Gerichtssprengel. Er umfaßt nämlich fünf Departemente mit einer Bevölkerung von 2,600,000 Seelen. Frankreich hat dermalen (den Appellhof von Ajaccio nicht mitgerechnet) 26 Appellhöfe. Von den 26 Appellhöfen, in welche Frankreich getheilt ist, erstrecken zwölf ihren Ge= richtssprengel über zwei Departementen. Von den übrigen ist

der Gerichtssprengel von vier Appellhöfen aus drei Departementen, von fünf aus vier Departementen, von eins aus fünf Departementen und der Gerichtssprengel des Appellhofs von Paris aus sieben Departementen gebildet. Die Residenzen dieser 26 Appellhöfe Frankreichs sind zu Paris, Rennes, Douai, Amiens, Riom, Caen, Bordeaur, Poitier, Angers, Toulouse, Rouen, Dijon, Montpellier, Nancy, Lyon, Nismes, Agen, Pau, Grenoble, Besançon, Colmar, Orleans, Limoges, Air, Bourges und Meß.

S. 2.
Organisation.

Die Appellhöfe insgesammt *) bestehen wenigstens: 1) aus vier Präsidenten, von denen einer prémier président ist und über dem Ganzen steht, während die übrigen als bloße Vorstände der ihnen untergeordneten Kammer, kurzweg présidens **) heißen. 2) Aus mindestens 20 Räthen (conseillers) und 3) aus einem Generalstaatsprocurator (procureur général) mit mindestens fünf Generaladvokaten und Substituten, 4) einem Greffier en chef mit einem dem Dienstbedürfnisse entsprechenden Personal von commis - greffiers.

Jeder Appellhof zerfällt mindestens in drei Kammern (chambres, sections). Nämlich: 1) in eine Kammer für streitige Civilsachen (chambre civile), in welcher mindestens sieben Richter (den Präsidenten mit eingerechnet) zugegen sein müssen, um ein rechtsgültiges Urtheil zu fällen. 2) In eine Appellationskammer für Zuchtpolizeisachen

*) Der Appellhof von Ajaccio hat allein nur einen Präsidenten und zehn Räthe, was wohl hinreichend ist, denn der ressort dieser cour erstreckt sich blos über die kleine Insel Corfika. Ueberdies hat diese cour einen procureur général mit zwei Substituten und einen Grèffier en chef mit zwei commis-gréffiers assermentés.

**) Der Name ,,Viceprésident" kommt blos bei den Tribunalen der ersten Instanz vor.

(chambre d'appels de police correctionnelle). Zur Fällung eines Urtheils müffen fünf Richter (den Präsidenten ein-gerechnet) gegenwärtig sein. 3) In eine Anklagekammer (chambre de mise en accusation). In dieser müssen gleichfalls fünf Richter (den Präsidenten mitgezählt) votiren. Die Urtheile, welche diese verschiedenen Kammern aussprechen, heißen in der Rechtssprache der Franzosen „arrêts," im Gegensaße. zu den jugemens, wie Urtheile der Erstinstanz, Handelsund Friedensgerichte genannt werden.

Suppleanten gab es bei den königlichen Gerichtshöfen nicht. Dagegen hatte jeder Appellhof 4—6, auch wohl mehr sogenannte Auditoren (conseillers - auditeurs). Man nahm sie aus jungen Advocaten, die mindestens zwei Jahre practicirt (ihr stage gemacht) hatten, und ein jährliches Einkommen. von wenigstens 3000 Franken nachweisen konnten. Sie nahmen felten an den Audienzen Theil. Vielmehr wurden sie zu Geschäften außer der Audienz verwendet. Auch wurden ihnen Rapports zugetheilt. Ingleichen wurden sie öfter committirt, entweder um bei dem Assisenhofe oder auch bei den Tribunalen erster Instanz als Richter auszuhelfen. Sie erlangten jedoch erst nachdem sie das 27. Lebensjahr zurückgelegt hatten, das Recht einer entscheidenden Stimme. Das ganze Institut der conseillers - auditeurs ist jedoch in der neuesten Zeit als völlig unpraktisch aufgehoben worden.

Die Appellhöfe theilen sich in Bezug auf die Zahl der Richter und Kammern (jedoch ohne allen Einfluß auf den Rang) in drei Klassen.

[ocr errors]

I. Appelhöfe der ersten Klasse sind diejenigen, welche blos drei Kammern bilden, und deren Personal das oben angegebene Minimum nicht übersteigt. Appellhöfe der ersten oder der untersten Klasse hat Frankreich 13, nämlich zu: Agen, Air, Angers, Besançon, Bourges, Colmar, Dijon, Limoges, Meß, Nancy, Nismes, Orleans und Pau.

II. Die Appellöfe zweiter Klasse bestehen aus fünf Präsidenten, 25 Räthen, nebst einem Generalprocurator mit vier Generaladvokaten und drei Substituten. Sie theilen sich

« PreviousContinue »