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nen Beweisstücken den neu eingeführten Untersuchungsrichtern mitzutheilen, welchen Richtern ein großer Theil der Functionen der wieder aufgehobenen directeurs du jury oder magistrats de surêté übertragen worden ist. Das unglücklichste Institut, das im Laufe der vielen criminalpolitischen Experimente während der großen französischen Revolution, zu Lage gelaufen, war unstreitig das Institut der directeurs du jury, oder der magistrats de surêté, indem darin eine vollständige Cumulation des Amtes eines öffentlichen Anklägers und eines Untersuchungsrichtes enthalten war *).

Durch die oben angeführten Specialgeseße des Zwischenrechts ist auch die Käuflichkeit aller und jeder Staatsämter, folglich auch der Aemter der Staatsanwaltschaft schlechthin aufgehoben worden. Ingleichen wurde auch der Grundsaß ausgesprochen, daß die Staatsanwälte fammt und sonders als Agenten der vollziehenden Gewalt**) zu betrachten, d. h. der vollziehenden Staatsgewalt unmittel bar untergeordnet und abseßbar***), den Gerichten da gegen coordinirt seien. Abgesehen davon, daß die Staatsanwälte als Vollzugsbeamte die richterlichen Urtheile, theils

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*) Die Stellung der Staatsanwälte nach dem Zwischenrechte ist ein förmliches Chaos! Nirgends auch nur eine Spur von einer begriffsmäßigen Reformation des alten Instituts. Bald taucht eine unerklärliche Attributen verschmelzung auf, wie z. B. bei den directeurs du jury und den magistrats de surêté, bald eine eben so unerklärliche Attributen sonderung, wie z. B. bei den commissaires de la république und den accusateurs publics. Das bei ein ermüdender Namens wechsel ohne Begriffe. Bald ers scheinen commissaires du roi, bald commissaires du gouvernement, bald commissaires nationaux, bald commissaires de la république, bald directeurs du jury, bald magistrats de surêté, bald endlich procureurs généraux et procureurs de la république !

**) Das Gesetz vom 24. August 1790. tit. VIII. art. 1. ***) Decret vom 8. Mai 1790.

selbst zu vollziehen, theils deren Vollzug zu betreiben und zu überwachen hatten, so waren sie doch in ihrer amtlichen Wirksamkeit von den Gerichten durchaus unabhängig.

Was endlich die neuesten französischen Gefeße, namentlich die Strafprozeßordnung (Code d'instruction criminelle) von 1809, die kaiserlich napoleonischen Decrete vom 30. März 1808, vom 6. Juli und 18. August 1810, fo wie das Gesez vom 20. April 1810 aus dem Institute der Staatsanwaltschaft gemacht haben, das soll in den folgenden Paragraphen gezeigt werden.

Zweiter Titel.

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Aeußere und innere Organisation der heutigen Staatsanwaltschaft Frankreichs.

S. 1.

Begriff und Personalstand der Staatsan-
waltschaft.

Die Staatsanwaltschaft (Staatsbehörde, öf fentliches Ministerium, ministère public) ist eine von der Staatsregierung ernannte Behörde, welche die Interessen des Staates in gewissen, geseßlich bestimmten öffentlichen und Privatangelegenheiten vor den Gerichten des Landes zu vertreten hat. Die Staatsanwaltschaft eines französischen Gerichts, oder Gerichtshofes besteht aus mehreren Beamten. Das Haupt der Staatsanwaltschaft heißt entweder Generalprocurator (pro, cureur général) oder Procurator der Republik (procureur de la république) je nachdem von der Staatsanwaltschaft an den Gerichtshöfen (cours) dem Caffas tionshofe und den Appellhöfen (cours d'appel) von der Staatsanwaltschaft an den Gerichten der ersten Instanz die Rede ist.

oder aber

Unter den Beamten der Staatsanwaltschaft besteht eine

förmliche Hierarchie. Der Generalprocurator des Cassationshofes, der mit dem ersten Präsidenten dieses Gerichtshofes gleichen Rang hat, steht an der Spiße der gesammten Staatsanwaltschaft von Frankreich. Unmittelbar unter dem Generalprocurator des Cassationshofes stehen die Generalprocuratoren der Appellhöfe und unmittelbar unter diesen Generalprocuratoren der Appellhöfe stehen die Procuratoren der Republik. Nur die Generalprocuratoren der Appellhöfe und der Generalprocurator am Caffationshofe stehen mit dem Justizminister in unmittelbarer Verbindung und Correspondenz. Die gesammte französische Staatsanwaltschaft steht unter dem Befehl und der Oberaufsicht des Justizministers.

Sowohl dem Generalprocurator am Cassationshofe, als auch den Generalprocuratoren an den Appellhöfen sind Gehülfen oder Substituten unter dem Namen Generaladvocaten (avocats généraux) beigeordnet. Die Generaladvocaten verrichten den Dienst bei den einzelnen Kammern der Gerichtshöfe, falls der Generalprocurator nicht selbst fungiren will. Sie haben überhaupt die ihnen vom Generalprocurator zugetheilten Geschäfte zu besorgen, ohne jedoch in der Regel bezüglich ihrer Civil- oder Strafanträge (conclusionsréquisitoires) an die Meinungen und Ansichten des Generalprocurators gebunden zu sein. In wichtigen Processen, oder auch auf besonderes Verlangen des Generalprocurators haben jedoch die Generaladvocaten die von ihnen beabsichtigten Conclufionen, oder Requisitorien ihrem Chef, dem Generalprocurator mitzutheilen. Sind nun der Generalprocurator und sein Generaladvocat getheilter Meinung, so hat der leßtere die Civil- oder Straffache den sämmtlichen Beamten der Staatsanwaltschaft des Appellhofes vorzulegen. Die Conclusionen, oder Requisitorien sind alsdann in der Audienz so zu stellen, wie die Majorität dieser Beamten es beschlossen haben wird. Sind die Stimmen unter diesen Beamten gleich, so gibt die Meinung des Generalprocurators den Ausschlag. Ist dagegen die Meinung des

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Leztern in der Minderheit geblieben, so steht es ihm noch immer frei, das Wort selbst zu ergreifen und nach seiner individuellen Meinung zu concludiren, wenn von einer Civilsache, oder zu requiriren, wenn von einer Strafsache die Rede ist *). Ueberhaupt kann der Generalprocurator im Gerichtssprengel seines Appelhofes das Wort ergrei fen, wann, wo und wie es ihm beliebt. Die heutige französ fische Gerichtsverfassung hat demnach das Verhältniß der Generalprocuratoren zu ihren Generaladvocaten ganz abweichend von der alten Gerichtsverfassung Frankreichs festgestellt. Die Superiorität der Generalprocuratoren über ihre Generaladvocaten war vormals nur eine sogenannte „,supériorité d'honneur," nach der heutigen Gerichtsverfassung, dagegen ist sie eine ,,supériorité réelle." Das Gesetz vom 20. April 1810, Art. 47. §. 1. bestimmt ausdrücklich, daß die Generaladvocaten ihr Amt nur unter der Aufsicht und der Direction der Generalprocuratoren auszuüben haben. In der Regel führen die Generalprocuratoren nur in den vers einigten Kammern (en chambres réunies), oder in den feierlichen Sizungen (audiences solenelles), oder bei Ges legenheit der Eröffnung des Gerichtsjahres nach den abgelaufenen Gerichtsferien **) (la rentrée) das Wort. Es kann zwar der Generalprocurator auch für diese Fälle einen seiner Generaladvokaten delegiren. Allein es ist gegen das Herkommen und nur im äußersten Falle d. h. im Falle einer unvermeidlichen Abhaltung findet eine solche Delegation Statt. Die Frage, wer den Generalprocurator im Falle einer Abhaltung, Verhinderung, oder Abwesenheit vertritt, ist durch das kaiserliche Decret ***) vom 6. Juli 1810 Art. 50 dahin beantwortet, daß dem ältesten Generaladvocaten das

*) S. kaiserliches Decret vom 6. Juli 1810 die Art. 48 und 49. **) Diese Ferien dauern vom 1. September bis zum 1. November. Vgl. das Gefeß vom 6. Juli 1810. Art. 20.

(***) S. auch das Gefeß vom 20. April 1810. Art. 47. S. 2.

Recht einer unbedingten Vertretung des Generalprocurators vor= behalten ist. Sind die Generaladvokaten abwesend, so werden fie von den ,,substituts de service au parquet" vertreten*). Sind endlich auch die Substituten**) abwesend, so wird der Dienst von denjenigen Generaladvocaten gemacht, die vom Generalprocurator besonders ausersehen werden ***).

Das Haupt der Staatsbehörde an den Gerichten der ersten Instanz, heißt, wie oben bemerkt, Procurator der Republik. Diesen Beamten sind ein, oder mehrere stellvertretende Gehülfen unter dem Namen Substituten beigegeben. Diesen Substituten hat der Oberprocurator ihren Dienst anzuweisen, jedoch mit dem Vorbehalte, zu jeder Zeit die bereits getroffenen Dienstanordnungen wieder abzuändern. Auch kann er nach Belieben die, von ihm seinen Substituten übertrage= nen Functionen selbst verrichten †). Im Falle der Verhinderung, oder Abwesenheit des Procurators wird derselbe durch seinen Substituten unbedingt vertreten, im Falle er nur einen hat. Sind ihm dagegen mehrere Substituten untergeordnet, so ist immer der älteste Substitut Kraft Gefeßes sein unbedingter Stellvertreter. Ueberhaupt ist das Dienst- und Rangverhältniß des Procurators der Republik zu seinen Substituten schlechthin analog dem Dienst- und Rangverhältnisse zwischen dem Generalprocurator und seinen Generaladvocaten. Im Uebrigen ist noch zu bemerken, daß alle Procuratoren der Republik selbst nur als Gehülfen des Generalprocurators an dem Appellhofe des Gerichtssprengels zu bes trachten sind tt). Dieser hat als ihr Vorgeseßter die Aufsicht

*) Kaiserl. Decret vom 6. Juli 1810. Art. 51.

**) Diese Substituten sind überzählige Generaladvocaten, die erst in den Besoldungsetat nachrücken. Sie sind jest abgekommen.

***) Kaiserl. Decret vom 6. Juli 1810. Art. 52.

†) Kaiserl. Decret vom 18. August 1810. Art. 19.

tt),,Le procureur de la république est l'oeil du procureur général, comme le procureur général est l'oeil du gouvernement." Motifs du Cod. d'instruction crim. liv. I. chap. I-VIII. pag.

17.

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