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ruf ist aber jedenfalls das allerunzuverlässigste Beweis-Symptom von der Welt, weil es so ungemein leicht künstlich hervorgerufen werden kann, wie dieß in großen Städten, wie z. B. in Paris durch die Diebe selber geschieht, um die verderbliche Aufmerksamkeit der Polizei von der rechten Spur auf die falsche abzulenken. Oder man denke sich doch auf Dörfern reiche Gutsbesizer, oder Bauern, die ein Dußend Knechte oder Mägbe im Dienste haben. Bei den Herren wird gestohlen, sie äußeru ihren Verdacht gegen bestimmte Personen, die Mägde am Brunnen, die Knechte in den Schenken oder auf Lanz- und sonstigen öffentlichen Pläßen, erzählen die herrschaftlichen Bermuthungen weiter und man hat im Dorfe einen öffentlichen Nachruf. Dieser Nachruf ist insbesondere deshalb für die persönliche Freiheit eines Bürgers so gefährlich, weil bei der Annahme, oder Nichtannahme desselben alles von der reinsten Willkühr der gerichtlichen Polizeibeamten abhängt, weil überhaupt dieser Nachruf so uendlich leicht zu freiheitsverderblichen und ehrenrührigen Plackereien mißbraucht werden kann; ganz abgesehen davon, daß in praxi vor Gericht in Frankreich die Begriffsbestimmung der Worte ,,clameur publique“ viele endlose Streitigkeiten gab, gibt und geben wird*). Die französische Gesetzgebung mußte bei Feststellung des Begriffes von „Ertappen auf frischer That" nm so bedenklicher zu Werke gehen, da sie nicht blos den Ober

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diese clameur publique des französischen Cod. d'instruct. crimin.
das alles ist, sondern ich sage nur, daß derlei von irgend einer Seite
gar leicht mit einem öffentl. Nachruf verwechselt, ja selbst zu
grundlosen Verfolgungen mißbraucht werden kann. Die ältere frans
zösische Gesetzgebung hat die Definition von clameur publique rich
tiger gefaßt, in so fern man unter clameur publique nur den Fall
verstand, da die nacheilende Menge den auf frischer That Ertapp-
ten, oder Fliehenden mit Gesch rei verfolgt. Jousse, justice
criminelle. tom. II.
pag. 15.

*) Morin dictionnaire du droit criminel. pag. 330 ff. Duverger manuel des juges d'instruction I. 286.

beamten der gerichtlichen Polizei, den Staatsanwälten, sondern auch den Hülfsbeamten der Staatsanwälte die Vornahme sehr wichtiger und umfassender Untersuchungshandlungen gestattet). Diese Hülfsbeamten der französischen Staatsanwälte find bekanntlich: die Friedensrichter, die Bürgermeister und ihre Adjuncten, die Gendarmerie-Officiere, die Local- und Generalcommissäre der Polizei**). Diese Beamten haben unbedingt ganz dieselben Rechte und Amtsbefugnisse wie die Staatsanwälte felber, dabei haben sie weder Instructionen von ihnen einzuholen, noch fie zu benachrichtigen noch abzuwarten, ob sie von ihrem Amtssize nicht abwesend, oder ob sie nicht sonst verhindert find. Keine Frage, daß man den französischen Staatsanwälten ohne allen Anstand die Führung einer Voruntersuchung überlaffen kann, weil es Männer von gelehrter Bildung, von prac tischer Erfahrung und Kenner der Geseße sind. Sie wissen die ihnen zustehenden Untersuchungshandlungen mindestens eben so gut, vielleicht noch besser zu verrichten als die Untersuchungsrichter. Es ist überhaupt keine so leichte Aufgabe eine Voruntersuchung gut zu führen, d. h. so zu führen, daß dem Geiste und Buchstaben des Gesezes entsprochen, die Summe der Beweise und richterlichen Kenntnißquellen gehörig gesammelt und geordnet, nichts falsch aufgefaßt, weder das Interesse der Gesellschaft, noch das des Angeschuldigten verleßt werde. Es erheischt Verstand, Gewandtheit, Erfahrung und Menschenkenntniß, wenn auch nur im gewöhnlichen Maaße, um eine Untersuchung gut zu führen, um die Haltpuncte der Belastung und Entlastung auf eine gleich erschöpfende Weise festzustellen und fortzubauen. Wie viel hängt nicht von einer klugen oder unklugen Behandlung des Verdächtigen ab? Wie leicht ist etwas übersehen oder irrig beurtheilt, wie entscheidend endlich kann

*) Cod. d'instruct. crim. art. 49. **) Cod. d'instruct, crim. art. 48.

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eine richtige, oder irrige Auffassung der Strafbarkeit einer Handlung werden? Man stelle doch den Ernst, die Schwierigkeit und Wichtigkeit untersuchungsrichterlicher Handlungen neben die in der Regel so bescheidenen Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen eines französischen Landbürgermeisters oder Adjuncten oder Localpolizeicommissärs, oder eines subalternen Gendarmerieofficiers! Bei weitem die Mehrzahl dieser gerichtlich-polizeilichen Hülfsbeamten kann daher auch nicht einmal den genügsamsten Anforderungen an einen erträglichen Untersuchungsrichter entsprechen, weil sie in der Regel ohne alle wissenschaftliche Bildung, ohne alle juristische Geschäftserfahrung und ohne alle Kenntniß der Gefeße sind, weil sie gewöhnlich allerlei Ansichten haben, allerlei Launen und Winken folgen, dabei durch allerlei Zufälligkeiten ihre Handlungsweise bestimmen lassen, weil sie endlich die gerichtliche Polizei als eine Anstalt betrachten, die ihre Anordnungen weniger nach den Geseßen, als vielmehr nach Gutdünken und Willkühr zu nehmen, als eine Anstalt, wobei man mehr auf die Lauglichkeit der Mittel, als auf die Gefeßlichkeit derselben zu sehen habe. Selbst viele französische Land friedensrichter find als Hülfsbeamte der gerichtlichen Polizei nicht weit her. Als alte gekrönte Schreiber von Anwälten und Notarien mögen›› sie zur Noth ihre Urtheile fällen, allein als Untersuchungsrichter sind sie mindestens nicht vielmehr, als die Localpolizeicommissäre, Bürgermeister und ihre Adjuncten - auf dem Lande! In den deutschen Rheinlanden unter der Herrschaft des französischen Rechts hat man dem Gefeße in dieser Beziehung faktisch derogirt, d. h. man hat nach und nach die gerichtspolizeilichen Hülfstruppen bedeutend reducirt und namentlich die Landbürgermeister nebst ihren Adjuncten, ingleichen die Gendarmerieofficiere ruhig bei Seite geschoben und die Friedensrichter die entstandenen Lücken allein ausfüllen lassen. Wird nämlich in einer außercantonsörtlichen Gemeinde eine strafbare Handlung verübt, so holen die Bürgermeister oder ihre Adjuncten den nie weit entfernten Friedensrichter und suchen höchstens, was sie ja auch dürfen und sollen, die Spu

ren des Verbrechens unverwischt zu erhalten, oder den auf frischer That (im eigentlichsten Sinne des Wortes) ergriffenen Verbrecher zu verhaften. Die eigentliche Voruntersuchung aber führt nur der

Friedensrichter, der in den deutschen Rheinprovinzen nicht wie in Frankreich, ein Mann der nacktesten Routine, sondern stets ein wissenschaftlich ge= bildeter und geprüfter Rechtsgelehrter ist.

Keine Frage, daß die Beamten der gerichtlichen Polizei viel Gutes stiften, wenn sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung handhaben, allein hat man in Frankreich für diese Sicherheit auf Kosten der persönlichen Freiheit der Einzelnen nicht zu viel gethan? Hat man das Neß der gerichtlichen Polizei nicht zu weit ausgebreitet, nicht zu enge gestrickt? Können übertriebene Sicherheitsanstalten nicht gar leicht selbst zur Quelle der Unsicherheit und Entziehung der individuellen Freiheit werden? Wie beschränkt ist nicht in Frankreich das Recht auf provisorische Freilassung gegen Bürgschaft?*) In England, ist da nicht auch öffentliche Sicherheit? In England ist die Gerichtspolizei kein Briareus mit 100 Armen, kein Argus mit 1000 Augen, keine bellua Lernae, wie die gerichtliche Polizei in Frankreich. Die Friedensrichter sind es, die dort einzig und allein mit ihrem warrant, die gerichtliche Polizei handhaben. Ich ziehe England mit seinem dürftigen gerichtspolizeilichen Personale und feiner Habeas-Corpus-Acte, Frankreich mit seiner gerichtspolizeilichen Legion und seinem verkümmerten Rechte der provisorischen Freilaffung gegen Caution, unbedenklich vor!!

*) Vgl. Code d'instr. crim. art. 113 ff.

Fünfzehntes Kapitel.

Von den Officiers ministériels.

Begriff.

Unter den officiers ministériels find Beamte zu verstehen, welche von der Regierung ernannt und in den ges eigneten Fällen verpflichtet sind, auf eine an sie ergangene Aufforderung den requirirenden Partheien in ihren Rechtssachen zu dienen (de prêter leur ministère). Zu den officiers ministériels gehören folgende und nur folgende Beamte *); 1) Die Anwälte (les avoués) und 2) die Huiffiers (les huissiers). Die Stellen der Anwälte und Huissiers sind käuflich.

I.

Von den Huissiers **).

Huissiers - von huis (die Thüre) abgeleitet, weil sie vormals an den Thüren der Gerichtsfäle zu stehen, die Richter zu bedienen und ihre sonstigen Befehle abzuwarten hatten.

*) Arg. Gesetz v. 27. Ventose an. VIII. tit. VII. Gesetz v. 6. Juli 1810. tit. IV. (Die Ueberschriften.)

**) Vgl. Gesetz vom 30. Mai 1808. Art. 94–99. Gesetz vom 6. Juli 1810. Art. 116–123. Décret du 14, Juin 1813. portant régle

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