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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Von den gerichtsorganisatorischen Fortbildungsversuchen der Franzosen.

Im Allgemeinen.

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Der erste Fortbildungsversuch in Bezug auf die dermalige französische Gerichtsverfassung im Ganzen denn die Reformgeseße im Einzelnen z. B. hinsichtlich der Jury sind bereits oben dargestellt worden - also solche Versuche im Ganzen sind zuerst im Jahr 1836 gemacht worden.

In diesem Jahr wurde nämlich von der Regierung den französischen Kammern ein neues Geseß über eine Gerichtsverfassung vorgelegt. Dieser Geseßesvorschlag wurde jedoch, da so viele Stimmen dagegen laut geworden sind, von der Regierung der Julydynastie wieder zurückgenommen.

Nach der Februarrevolution von 1848 wurde der Reorganisationsplan der Gerichtsverfassung aufs Neue aufgegriffen und von der provisorischen Regierung der Republik durch einen Beschluß v. 2. März 1848 eine Commission zur Ausarbeitung eines Entwurfes zu einer neuen Gerichtsverfassung ernannt. Die Commission bestand aus folgenden Mitgliedern: Martin v. Straßburg (Präsident der Commission), Cormenin, Staatsrath, Isambert, Cassationsrath, Jules Favre, Advocat, Nachet, erster Generaladvocat am Caffationshofe, Portalis, Präsident des Cassationshofes, Landrin, Baroche, Advocat

und jezt Justizminister, Liouville, Advocat, Faustin Helie, Director der Criminalsachen im Justizministerium, Valette, Professor an der Rechtsschule zu Paris, endlich Peauger, Requetenmeister im Staatsrathe (Secretär der Commission). Der Entwurf wurde Anfangs Juli fertig und sofort der mittlerweile zusammengetretenen constituirenden Nationalversammlung vorgelegt. Der Entwurf ist in fünf Theile eingetheilt und umfaßt im Ganzen 114 Artikel. Der erste Titel handelt von der Einsetzung der Gerichte. Art. 1-6. Der zweite Titel handelt von der Zusammenseßung der Gerichte. Art. 7-23. Der dritte Titel handelt von der Eiviljustiz. Art. 24 - 30. Der vierte Titel handelt von der Criminaljustiz. Art. 31-79. Der fünfte Titel handelt von der Ernennung der Richter und Staatsanwälte. Art. 80 107. Das Ganze schließen einige transitorische Bestimmungen. Art. 108-114.

S. 1.

Von den Abweichungen des Entwurfes von der bestehenden Gerichtsverfassung hinsichtlich der Einseßung der Gerichte.

Diese Abweichungen sind folgende:

1) Die Erstinstanzgerichte der sogenannten Bezirke (arrondissements) sind aufgehoben. An die Stelle der 2.-3. Erstinstanzgerichte eines Departementes trat nach dem Entwurse e in Departementsgericht (tribunal de département), oder m. a. W. die mehreren in einem Departemente befindlichen Erstinstanzgerichte sind zu einem Departementsgerichte verschmolzen worden. Anstatt 361 Erstinstanzgerichten würde Frankreich nur 86 Departementsgerichte gehabt haben. Damit jedoch der Dienst wegen allzugroßer Entfernung vom Size des Departementsgerichts, oder wegen Gefahr auf dem Verzuge keine Noth leide, so bestimmte der Entwurf (Art. 4), daß in jedem Bezirk eines unterdrückten Erstinstanzgerichts ein Richtergehülfe und ein Staatsanwaltstellvertreter delegirt werden und zwar theils zur Aufrechthaltung und Handhabung

der gerichtlichen Polizei, theils und insbesondere zur Besorgung und Vornahme aller und jeder gerichtlichen Geschäfte, wozu die Magistratspersonen vom competenten Departementsgerichte spes ciell delegirt worden wären.

2) Der Entwurf hob zehn Appellhöfe auf; nämlich die Appellhöfe von Agen, Amiens, Bastia, Caen, Colmar, Grenoble, Limoges, Meß, Montpellier u. Orleans.

3) Der Entwurf machte Straßburg zum Size eines Appellhofes und vertauschte den Namen cour d'appel mit tribunal d'appel. Auch in Algier sollte ein Appellbof geschaffen werden, so daß also Frankreich in 19 Appellhöfe eingetheilt worden wäre. Bezüglich der Einseßung der Friedensgerichte und des Cassationshofes hat der Entwurf an der geltenden Gerichtsverfassung nichts geändert.

S.. 2.

Von den Abweichungen des Entwurfes von der bestehenden Gerichtsverfassung hinsichtlich der Zusammenseßung der Gerichte.

1) Nach dem neuen Entwurfe gab es keine einfachen sondern nur zusammengeseßte Erstinstanzgerichte, mit dem men Departementsgerichte. Diese haben nämlich destens zwei Kammern zu je dreiRichtern, den Präsidenten mitgerechnet; jedoch so, daß die Zahl der Kammern vermehrt werden konnte, falls der Dienst es erheischen sollte. In den einzelnen Unterpräfecturbezirken, wo nach der geltenden Gerichtsverfassung Erstinstanzgerichte bestehen, gab es nach dem Entwurfe nur noch delegirte Richter unter dem Namen „,juges d'arrondissement," welche von dem Plenum der Departementsgerichte mit Stimmenmehrheit ernannt werden. Diese Delegation dauerte jedoch nur 3 Jahre, nach Ablauf dieser Frist trat der delegirte Richter wieder in seine Stelle als Departementsrichter zurück. Diese Delegation hatte nach einem gewisfen Turnus zu geschehen, Ausnahmsfälle jedoch vorbehalten.

Die delegirten Richter hatten Ansprüche auf den Gehalt eines Untersuchungsrichters. Der Procurator der Republik am Depar tementsgerichte hatte einen seiner Substituten dem delegirten Richter beizugeben. Der Personalstand eines Departementsge= richts bestand nach dem Entwurfe mindestens a) aus einem Präsidenten, b) einem Vicepräsidenten, c) aus 8 Richtern, d) aus 4 Ergänzungsrichtern, e) aus einem Procurator der Republik mit mehreren Substituten, wobei die Eigenthümlichkeit galt, daß die Zahl der Leßteren sich schlechthin richtet nach der Zahl der einzelnen Kammern der Gerichts- und der Unterpräfecturbezirke der Departemente, oder der Bezirke der delegirten Richter. Eine Vermehrung des Personalstandes und der Kammern bei den einzelnen Departementsgerichten war vorbehalten. Eine Hauptabweichung des Entwurfes von der geltenden Gerichtsverfassung lag aber in der Einführung der sogenannten Zuchtpolizei assisen (assises correctionnelles) oder Bezirksassisen (assises d'arrondissement). Die dermalen bestehenden Zuchtpolizeigerichte urtheilen nämlich ohne Geschworne, die Zuchtpolizeigerichte dagegen sollten aus acht Geschwornen bestehen, welche nach Stimmenmehrheit ihre Urtheile abzugeben hatten. Gegen die Urtheile der Zuchtpolizeiaffifen sollte, wie auch gegen die Urtheite der Criminalassisen, schlechthin keine Berufung Statt finden. Diese Zuchtpolizeis assisen sollten monatlich mindestens einmal unter dem Vorsiße des delègirten Richters des Bezirks abgehalten werden. Dieses Zuchtpolizeischwurgericht sollte auf folgende Weise gebildet werden: der delegirte Richter hatte mindestens acht Tage vor dem Zusammentritt der Jury in der Audienz 24 Namen zi ziehen, welche von der Liste derjenigen Geschwornen, zu nehmen waren, die im Bezirke des Richters ihren Wohnort hatten. Von den acht Geschwornen dieser Zuchtpolizeiaffisen durften sechs, theils vom Angeschuldigten, theils von dem Staatsan: walte recufirt werden. Die Bestimmungen des Code d'instr. crim. bezüglich des Zusammentrittes dieser Jury, die Bestim mungen desselben Gesetzbuches bezüglich der Gewalt des Assisene präsidenten, des Ganges der Verhandlungen, des Recurses an

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den Caffationshof fanden auf die Zuchtpolizeiaffisen gleichfalls Anwendung.

2) Ueber die Abweichungen des Entwurfes von der geltenden Gerichtsverfassung hinsichtlich der Appellhöfe ist zu bes merken, daß die Assisenhöfe von den Appellhöfen ganz losgez trennt und mit den Departementsgerichten verbunden, so wie daß die Appellationskammern für Zuchtpolizeifachen und die Anklagekammern aufgehoben werden sollten. Es sollten nämlich in Zukunft die Appellhöfe nur noch aus zwei Civilkammern bestehen; Kammervermehrungen nach Maßgabe der Dienstbedürfnisse natürlich vorbehalten. Auch sollte die Zahl der Substituten des Generalprocurators, die Zahl der Advocaten, sich nur nach der Zahl der Kammern der einzelnen Appellhöfe richten. Den gewöhnlichen Personalstand eines Appellgerichts bestimmte der Entwurf wie folgt: Ein erster Präsident, zwei Kammerpräsidenten und zwölf Richter, im Falle der Nothwendigkeit einer Kammervermehrung um je eine Kammer, ein Präsident und 8 Richter weiter.

3) Ueber die Bildung der Criminalassisenhöfe und Geschwornengerichte enthält der Entwurf folgende Abweichungen von der bestehenden Gerichtsverfassung: Ein Hauptpunkt ist die freieste Art der Bildung der Jurylisten. In das oben mitgetheilte Gesetz vom 7. Aug. 1848 über die Bildung der urtheilenden Schwurgerichte sind im Wesentlichen die hier einschlagenden Bestimmungen aufgenommen worden, weßhalb hier auf dasselbe verwiesen werden kann. Nur sollte der Präsident der Departements- oder Criminalassisen die Ziehung durchs Loos von 42 Hauptgeschwornen und 6 Ergänzungsgeschwornen allein besorgen, während nach der bestehenden Gerichtsverfassung der Präsident des Appellhofes in öffentlicher Sißung die Geschwornen zu ziehen hat.-Für die correctionellen, oder die Bezirksassisen dagegen genügen schon 24 Geschworne, die der delegirte Richter aus der Urne zu ziehen hat. Weder bei den Eriminalnoch bei den Zuchtpolizeiassisen sollten Beisiß er vorkommen, während nach der geltenden Gerichtsverfassung der Assisenhof aus einem Präsidenten und zwei Beisißern besteht. Bei den

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