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Gefeß, formelle und materielle Gleich förmigkeit der Justizverwaltung, Unabhängigkeit der Richter und endlich Deffentlichkeit der gerichtlichen Verhandlungen. Diesen Fundamenten entspricht im Ganzen auch die äußere Ausführung. Nur wird das Auge des Beschauers durch etwas zuviel Pomp und Lurus, durch zu viele, auf Knalleffekt und dramatisches Interesse berechnete Elemente unangenehm berührt. Man denke z. B. an das theatralische Costüm der Richter, an die audiences solennelles, an die rentrée der Gerichte, an die Ceremonien der huissiers audienciers *). Gegen diese pomphaste äußere Ausstattung sticht die Haltung der Richter während der Audienzen auf eine höchft überraschende Weise ab. Ich meine das ärgerliche Schauspiel, daß die Richter in öffentlicher Audienz, während der Vorträge der Advokaten, vor den Augen des Publikums schlafen, oder die Zeitungen lesen, oder zusammen plaudern, oder Handzeichnungen machen, kurz alles thun, nur nicht mit Aufmerksamkeit den gerichtlichen Verhandlungen fol gen. Il est honteux de voir des juges dormir à l'audience, ou causer des nouvelles, ou autres choses, qui ne régardent point la cause, que l'on plaide. C'est manquer au public en général, qui a raison d'en être scandalisé. C'est manquer à ce, qu'ils doivent aux particuliers, dont les intérêts sont soumis a leur jugement. C'est manquer à l'autorité judiciaire, qui leur est confiée par le souverain. C'est se manquer à soi même, en deshonorant son caractère“ **).

Ich will zwar zugeben, daß manchmal sehr trockene Mas terien verhandelt werden, allein dafür sind ja die Richter bes zahlt, sie sind besoldet dafür, daß sie arbeiten, daß sie Mühe und Anstregung haben, dafür, daß fie schlafen, oder daß fie sich amüsiren, befoldet sie Niemand. Die Schlafsucht und Schwazhaftigkeit der französischen Richter ist längst in die Do

*) 3. B. das Klopfen bei der Ankunft des Gerichts, das lictorenartige Vorschreiten beim Eintritt des Gerichts in den Sizungsfaal.

**) Robinet dictionn. universel des sciences. Tom. VI. m. audience.

mäne der Carricatur gefallen. Die kleinen pariser Spottblätter: der Corsaire, der Charivari, der Figaro zeichneten kein Ges richt, ohne daß nicht einer der Richter in sanftem Schlummer liegt. Ich selbst sah an allen Pariser Gerichten vom Erstinstanzgerichte bis zum Cassationshofe Richter schlafen, oder plaudern, oder die Zeitungen lesen. Auch in Deutschland habe ich öffentlichen Gerichtsverhandlungen beigewohnt. Allein nirgends find mir solche Scandale aufgestoßen. Es scheint, man weiß da den richterlichen Anstand besser zu wahren. Uebrigens ist die Steifheit und übertriebene Amtsauctorität gewisser Richter bei uns eben so fatal und lächerlich als die non chalance der französischen Richter. Ein Richter, der eingedenk des Soester Stadtrechts dasißt wie ein griesgramigter Löwe das linke Bein geschlagen hat über das rechte" steht offenbar auf gleicher Stufe der Lächerlichkeit mit dem Richter, der schlafend auf seinen Polstern ruht. Die Extreme berühren fich. Medium tenuere beati."

Ueber die Käuflichkeit der richterlichen und gerichtlichen Aemter ist hier einstweilen *) folgendes zu bemerken. Vor der Revolution von 1789 waren nämlich nicht bloß die Richterämter, sondern auch die Aemter der Notarien, Gerichtsschreiber und Procuratoren (der jeßigen avoués) käuflich. In Folge der Revolution von 1789 ist diese Käuflichkeit der Richter-, Notär- Gerichtsschreiber- und Procuratoren Aemter schlechthin aufgehoben worden. Der Restauration, die 1814 so vieles Alte restaurirte, war es je= doch vorbehalten, diese Käuflichkeit der Aemter, theilweise wenigstens zu restauriren. Es wurde nämlich in Ansehung der Aemter der Notarien, Gerichtsschreiber und Anwälte die Käuflichkeit wieder eingeführt.

*) Vgl. unten das Capitel über den Aemterkauf.

Drittes Kapitel.

Von der Haupteintheilung der französischen

Justiz.

In dieser Beziehung gibt es zwei Haupteintheilungen. Die erste Haupteintheilung ist die in streitige, und nichtstreitige, oder sogenannte freiwillige Gerichtsbarkeit. Die streitige Gerichtsbarkeit (la jurisdiction contentieuse) ist diejenige, welche auf die Gerichte allein und ausschließlich beschränkt ist. Die nichtstreitige oder. sogenannte freiwillige Gerichtsbarkeit (la jurisdiction gracieuse) ist diejenige, welche von gewissen, vom Staate zwar ernannten, aber nicht besoldeten Beamten, namentlich von den Notarien ausgeübt wird. Auch den Friedensrichtern sind gewisse Handlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, theils ausschließlich, theils in Concurrenz mit den Notarien, übertragen. Der Grundsaß drr Unvereinbarkeit der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit der streitigen bedarf wohl keiner weitläuftigen Rechtfertigung. Denn ohne die Trennung dieser beiden Jurisdictionen könnte sehr leicht und sehr oft der Fall eintreten, daß eine und dieselbe Behörde über die Gültigkeit und die Wirkungen eines Actes, den sie selbst aufgenommen, zugleich auch entscheiden müßte. 3. B. es ist ein Testament, oder ein Vertrag zum Gegenstande eines Processes geworden, das Gericht hätte dann über seine eigenen Handlungen abzuurtheilen. Obgleich übrigeng im Friedensrichter die Qualität eines Beamten der freiwilligen und die eines

Beamten der streitigen Gerichtsbarkeit zusammentrifft, so ist mit dieser Cumulation verschiedener Qualitäten schlechthin kein Nachtheil verbunden. Denn in Ansehung aller vom Friedensrichter, als Beamter der freiwilligen Gerichtsbarkeit vorges nommenen Handlungen, ist, im Falle diese Handlungen Ges genstand eines Prozesses werden, nicht der Friedensrichter, sondern nur das Tribunal der ersten Instanz competent.

Die zweite Haupteintheilung ist die in die ordentliche und außerordentliche Justiz (justice ordinaire justice extraordinaire) *).

I. Die ordentliche Gerichtsbarkeit (tribunaux ordinairs ou de droit commun), welche als Regel gilt und alle nicht besonders ausgenommenen Sachen umfaßt, wird in allen Instanzen nur von Richter - Collegien verwaltet, und zwar:

b) in der ersten Instanz über den Sprengel eines, mehrere Cantone umfassenden Bezirks (arrondissement communal) von Erst instanz - Gerichten tribunaux de la première instance). Bei diesen sind wenigstens drei Richter (den Präsidenten mit eingerechnet) zur Schöpfung eines gültigen Urtheiles erforderlich.

2) In der zweiten Instanz von einem die Erstinstanzgerichte mehrerer Departemente unter sich vereinigenden Appellationsgerichte cour d'appel. Eine cour d'appel besteht immer aus mehreren Kammern, von welchen die Civilsectionen mit 7, die Straffectionen mit 5 Richtern (in beiden. Fällen den Präsidenten eingerechnet) beseßt sein müssen, um ein gültiges Urtheil fällen zu können.

3) Endlich, jedoch nicht als eigentliche Instanz, von dem ganz Frankreich umfassenden Cassationshofe, welcher nur in einer Versammlung von eilf Richtern ein gültiges Urtheil

*) Vgl. Henrion de Pansey autorité judic. chap. XVI. S. 214 ff.

fällen darf. Der Siß der ordentlichen Gerichte befindet sich nur in Städten.

II. Außerordentliche Gerichtsbarkeit (tribunaux d'exceptions). Der Name daher, weil sie sich auf besondere, vom Geseß ausnahmsweise bestimmte Sachen beschränkt. Außerordentliche Gerichte sind die Handelsgerichte und die Friedensgerichte.

1) Handelsgerichte. In der Regel ist das Handelsgericht (tribunal de commerce) mit dem Erstinstanzgericht verbunden, namentlich da überall, wo die Handelsverhältnisse und die industriellen Beziehungen so wenig bedeuten, daß ein Erstinstanzgericht als Handelsgericht sprechend, sich keine zu große Geschäftslast aufbürdet, und ein eigenes Handelsgericht zu wenig zu thun hätte, um die Kosten, die mit der Errichtung eines Handelstribunals nothwendig verbunden sind, einzuseßen. Die Handelsgerichte sind nur in einer Beziehung tribunaux d'exceptions, nämlich deßhalb, weil sich die Jurisdiction derselben auf besondere vom Geseß ausnahmsweise bestimmte Sachen beschränkt. Dagegen ist das Prinzip der Collegialität bei den Handelsgerichten streng eingehalten. Denn es werden wenigstens drei Handelsrichter (den Präsidenten einschlüssig) erfordert, um ein gültiges Urtheil zu fällen.

2) Die Friedensgerichte. Diese dagegen werden aus zwei Gründen zu den tribunaux d'exceptions gerechnet. Einmal deßhalb, weil die Organisation derselben von dem Princip der Collegialität abweicht. Denn die Friedensgerichte werden nur von einem einzelnen Manne verwaltet. Dann deßhalb, weil das Gefeß ausnahmsweise gewisse Gegenstände bestimmt, die der friedensgerichtlichen Jurisdiction unterworfen sind. Diese Gegenstände sind nur solche, von welchen das Gefeß annimmt, daß sie entweder wegen ihrer Eile oder Dringlichkeit (z. B. die Besißstreitigkeiten) keine förmliche Verhandlung vor den ordentlichen Gerichten zulassen, oder aber wegen Geringfügigkeit der Sache in rechtlicher

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