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führten gerichtsorganisatorischen Eigenthümlichkeiten sind übris gens folgende: 1) nur die Jury hat jezt über alle und jede Entschädigungsforderungen zu erkennen, welche von den durch ein Preßvergehen verleßten Partheien etwa geltend gemacht werden sollten. 2) Die Gränzstreitigkeiten (les conflicts d'attribution) zwischen der administrativen und richterlichen Gewalt, die vor 1848 durch den Staatsrath *) allein geschlichtet worden sind, werden jezt durch einen besondern Gerichtshof ausgeglichen. Dieser Gerichtshof soll be= stehen aus Mitgliedern des Cassationshofes und des Staatsrathes, welche alle drei Jahre in gleicher Anzahl durch ihre resp. Körperschaften zu wählen sind. Dieser Gerichtshof wird vom Justizminister präsidirt. 3) Die Einseßung eines Staatsgerichtshofes, wovon oben im Capitel von Frankreichs außerordentlichen Criminalgerichtshöfen die Rede ist. 4) Die Aufhebung der Todesstrafe in politischen Dingen. Die Bestimmungen endlich, daß Niemand seinem natürlichen Richter entzogen werden dürfe, daß die Wohnung eines französischen Bürgers als unverleßlich betrachtet werden müsse, ingleichen daß schlechthin keine Commissionen oder außerordentliche Gerichte (etwa Special- oder Prevotalhöfe) wieder errichtet werden dürfen, das sind Bestimmungen, die schon in den französischen Verfassungsurkunden v. 1814 und 1830 enthalten sind.

(le sénat conservateur) das sonderbare Vorrecht förmlich und rechtskräftig gesprochene Urtheile zu cafsiren, welche die Sicherheit des Staates bedrohen würden. Der Senatsbeschluß v. 28. August 1813 enthält ein Beispiel einer solchen Cassation. Dieser Erhaltungssenat hatte sogar das Recht, die Schwurgerichte zu suspendiren. Der Senatsbeschluß vom 16. Vendemiaire des Jahres XI. der Republik hatte die Functionen der Schwurgerichte sogar in meh= reren Departementen, namentlich in den Departementen des Var, und der Rhonemündungen (mit Lyon) während der Jahre X1. und XII. der Republik suspendirt.

*) Vgl. oben das Kapitel II.

Komisch klingt es jedenfalls, wenn die Verfaffung v. 4. Nov. 1848 in ihrem Artikel 7. jede Wiedereinfeßung einer Commifsion, oder eines außerordentlichen Gerichtshofs schlechthin verbietet, während die Verfassung selbst wieder einen solchen Ges richtshof eingeführt hat, nämlich den oben dargestellten Staatsgerichtshof. Eben so komisch klingt auch der Art. 81 der Verfassung v. 1848, wornach die Justiz im Namen des französischen Volkes unentgeldlich verwaltet werden soll, während nirgends in der ganzen Welt die Proceßführung so kost spielig ist, als in Frankreich!

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Von den in Deutschland seit 1848 erschienenen vollständigen Gerichtsverfassungen.

Vorbemerkung.

In Deutschland hat man seit der Märzbewegung v. 1848 auf keinem Gebiete der Geseßgebung so viel und so durchgreifende Reformen angebahnt, als auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung. In allen deutschen Ländern, wo in diefer Beziehung Etwas geschehen, hat man überall die Aufhebung der Privilegien, Patrimonial- und Erceptionsgerichtsbarkeit, ingleichen das Anklageprincip, oder die Staatsanwaltschaft, ferner die Deffentlichkeit und Mündlichkeit der gerichtlichen Verhandlungen, die Unabhängigkeit resp. Unabseßbar- und Unverseßbarkeit der Richter, die Zuziehung von Geschwornen in Straffachen und endlich eine vollständige Trennung der Instiz von der Verwaltung als Grundbedingungen eines freien, wohlgeordneten und vernunftrechtlichen Zustandes der Rechtspflege anerkannt. Jedoch nur in zwei Staaten, nämlich in Baden und Bayern sind bis jezt vollständige, in sich abgeschlossene und gleichförmige Gerichtsverfasfungen erschienen. In allen andern deutschen Staaten, wo man hinsichtlich der Gerichtsverfassung reformatorisch einges schritten ist, hat man sich begnügt, justizorganisatorische Reformlappen auf das abgetragene Kleid der bestehenden

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Gerichtsverfassungen zu flicken, und so wenigstens die größten Löcher bestehender Uebelstände gestopft. In Deutschland wurde allerorten, wo man, sei es nun vollständig oder stückweise, gerichtsorganisatorische Reformen eingeführt, in einer Beziehung durchaus gleichheitlich verfahren, in der Beziehung nämlich, daß überall bald mehr, bald weniger die in den vors stehenden Capiteln dargestellte französische Gerichtsverfassung zum Gründe gelegt worden ist. Für den Plan der vorliegenden Schrift wird es jedoch genügen, wenn nur auf die Gerichtsverfassungen derjenigen Staaten besondere und zwar vergleichende Rücksicht genommen wird, in welchen vollständige, gleichförmige und in sich abgeschlossene Gerichtsverfassungen erschienen sind. Den Gegenstand dieses Capitels bildet daher auch nur eine Darstellung der neuen badischen und bayerischen Gerichtsverfassung. Die badische Gerichtsverfassung hat schon am 6. März 1845 die landesherrliche Sanction erhalten, während die bayerische Gerichtsverfasfung erst am 25. Juli 1850 publicirt worden ist. Eine bollständige, vergleichende, obwohl gedrängte Darstellung dieser beiden Gerichtsverfassungen ist wohl besser geeignet, den Beweis dafür zu führen, daß man in den besagten Staaten sehr durchgreifend, ja oft buchstäblich nach französischen Mustern gearbeitet hat. In wie ferne nun diese neuen deutschen vollständigen Gerichtsverfassungen ihre französischen Muster übertroffen, oder aber hinter ihnen zurückgeblieben sind, wird theils bei den einzelnen Materien in Kürze angedeutet, theils aus der gegenwärtigen Zusammenstellung ersichtlich werden.

Erster Titel.

Von den, den französischen Friedensgerichten entsprechenden Gerichten in Baden und Bayern. S. 1.

In Baden.

Die badische Gerichtsverfassung v. 1845 hat gleichwie die französische eine Bagatellgerichtsbarkeit in Civil

und Straffachen angenommen. Der civil- und strafrichterlichen Bagatellgerichtsbarkeit der Friedensrichter entspricht in Baden - die gleiche Bagatellgerichtsbarkeit der Bürgermeister der Stadt- und Landgemeinden.

I. Die Justiz der Bürgermeister in Civilfachen. - Wegen bürgerlicher Streitfachen steht in Landgemeinden bis zum Werthe von fünf Gulden, und in Städten bis zum Werthe von fünfzehn Gulden den Bürgermeistern das Richteramt zu. Auch findet in Streitfachen von höherem Werthe eine freiwillige Prorogation der bürgermeisterlichen Civiljustiz statt, vorausgesezt jedoch, daß die fraglichen Streitsachen den Betrag von vierundzwanzig Gulden nicht übersteigen. Nur gegen diejenigen steht den Bürgermeistern keine Civilgerichtsbarkeit zu, welche nach dem §. 51. Abs. 3. der Gemeindeordnung v. 1831 auch von der polizeilichen Gewalt der Bürgermeister befreit sind. Dahin gehören namentlich die Mitglieder des grundherrlichen Adels, und des höhern Beamtenstandes. Die Bürgermeister sind übrigens verpflichtet, die bei ihnen anhängig gemachten Streitsachen innerhalb vierzehn Tagen zu ers ledigen, widrigenfalls Beschwerde bei dem competenten Amtsgerichte zu führen ist. Dieses Gericht hat alsdann dem betreffenden Bürgermeister eine weitere Erledigungsfrist von acht Tagen anzuberaumen, und wenn der Bürgermeister auch diese Frist ohne Verkündigung eines Urtheils verstreichen läßt, so hat das Amtsgericht je nach dem Antrage des Klägers die Sache entweder zur eigenen Verhandlung und Entscheidung an sich zu ziehen, oder aber den Bürgermeister durch Strafverfügungen zur Erledigung der Sache anzuhalten. - Hins sichtlich des Verfahrens sind übrigens die Bürgermeister an die Vorschriften der bürgerlichen Proceßordnung nicht gebunden, nur müssen sie ihre Erkenntnisse schriftlich erlassen, widrigenfalls dieselben als nicht erlassen betrachtet werden. Die Partheien können innerhalb acht Lagen gegen die Urtheile der Bürgermeister an das Amtsgericht appelliren. Appellationen gegen bürgermeisterliche Urtheile können inner

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