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freiwilligen Gerichtsbarkeit (der Notariatssachen), welche nach den bestehenden Gefeßen eine gerichtliche Prüfung, Bestätigung oder überhaupt eine Beschlußfassung erfordern. Wenn jedoch über eine bei dem Stadt- oder Landgerichte vorgenommene rechtspolizeiliche Handlung ein Streit entsteht, so kann der Beamte, welcher den betreffenden Act aufgenommen, oder bestätigt hat nicht Richter sein*).

S. 3.
Kritik.

Nach meinem unmaßgeblichen Dafürhalten hat die bayerische Gerichtsverfassung ganz richtig gegriffen, daß sie das Institut der Bagatellgerichtsbarkeit nicht nach dem badischen, sondern nach dem französischen Vorbilde aufgefaßt. Ich habe einen wahren Horror vor aller und jeder Bauernjustiz, sowohl in Civil- als auch in Straffachen und zwar aus den oben bereits angeführten Gründen. In Städten ließe sich die bürgermeisterliche Justiz wohl durchführen, weil man da viele gebildete und verständige Männer hat, welchen man eine Competenz wie die badische Gerichtsverfassung fie den Bürgermeistern ertheilt, ja auch noch mehr, ganz gut anvertrauen kann. Aber auf dem Lande läßt sich die Sache mit Rücksicht auf die Persönlichkeit der Landbürgermeister im Sinne einer materiellen Gerechtigkeit nicht durchführen. Auch hätte man meinen sollen, daß der badische Gesezgeber belehrt worden wäre durch die traurige Lage der Vergessenheit, in welche die landbürgermeisterliche Strafjustiz in Frankreich gerathen ist.

Der bayerische Stadt- und Landrichter unterscheidet sich im Wesentlichen nicht vom französischen Friedensrichter. Die einzelnen bayerischen Abweichungen vom französischen Institut der Friedensrichter, die ihren Grund in den diesseitigen

*) Vgl. die bayerische Gerichtsverfassung v. 1850. die Art. 2. 3. 10

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Verhältnissen haben, dürften zum Theil sogar als Verbesserungen betrachtet werden, so gefällt mir z. B. die bayerische Erweiterung der stadt- und landgerichtlichen Civilcompetenz, gegenüber der Civilcompetenz der französischen Friedensrichter. Umgekehrt dürfte auch die Masse der rechtspolizeilichen Geschäfte, womit die bayerische Gerichtsverfassung die Stadt- und Landrichter überladen hat, nicht leicht zu rechts fertigen sein. Der französische Friedensrichter ist in dieser Beziehung nicht überbürdet, er hat nämlich mit der Obervormundschaft, dem Hypotheken- und Grundbuchwesen nichts zu schaffen. Auch ist in Frankreich der Wirkungskreis der Gerichte von dem der Notarien bei weitem schärfer ausgeschieden. Die bayerischen Stadt- und Landrichter haben nämlich außer der rechtspolizeilichen Geschäftsmasse der Obervormundschaft, des Hypotheken- und Grundbuchwesens, noch allerlei Geschäfte der freiwilligen Gerichtsbarkeit (des Notariats) zu besorgen. Es wäre sehr zu wünschen, daß die in der neuen Gerichtsverfassung (Art. 20.) in Aussicht gestellte und auch bereits ausgearbeitete Notariatsordnung die loco citato versprochene nähere Ausscheidung des Wirkungskreises der Gerichte von dem der Notarien, auch wirklich zur Ausführung bringt.

Zweiter Litel.

Von den den französischen Erftinstanzgerichten entsprechenden Gerichten in Baden und Bayern.

§. 1.

In Baden.

Hier find es die Amtsgerichte, welche, jedoch nur in Civilsachen, den französischen Erstinstanzgerichten entsprechen. Ueber Organisation und Geschäftskreis der badischen Amtsgerichte gilt nach den Geseßen Folgendes:

I. Organisation. Bei den Amtsgerichten wird das Richteramt in Civil- und Strafsachen von Einzelrichtern verwaltet.

II. Geschäftskreis der badischen Amtsrichter:

1) in Civilsachen. Die Amtsgerichte bilden für alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten die erste Instanz. Ausgenommen von der amtsgerichtlichen Gerichtsbarkeit sind jedoch die den Stadt- und Landbürgermeistern vorbehaltenen Civilsachen, ingleichen alle und jede Ehesachen, wofür die Hofgerichte die erste Instanz bilden, endlich alle Handelssachen. Dieselbe Competenz in Civilsachen hat auch der älteste Hofgerichtsrath in Bezug auf die Streitsachen der im Kreise angestellten Amtsrichter. (Vgl. den §. 28. der bürgerlichen Proceßordnung.)

2) In Strafsachen. Die Competenz der badischen Amtsgerichte in Straffachen geht auf Amtsgefängnißstrafe von 3-30 Tagen, und auf eine Geldstrafe von 150 Gulden, falls die Geldstrafen in den einzelnen Fällen nicht bestimmt sind. Bei Vergehen dagegen, welche mit festbestimmten Geldstrafen bedroht sind, steht das Erkenntniß ohne Beschränkung auf eine Summe dem Amtsgerichte zu, selbst wenn im einzelnen Falle nicht die festbestimmte, sondern wegen Milderungsgründen, oder wegen des bloßen Versuches, oder der bloßen Beihülfe eine mildere, aber gleichwohl noch eine 150 Gulden übersteigende Geldstrafe zu erkennen ist.

3) Die Amtsrichter sind auch Hülfsbeamte der gerichtlichen Polizei, und stehen als solche unter den Befehlen der Staatsanwälte.

4) Sie sind endlich auch Hülfsbeamte der Untersuchungsrichter. Der §. 58 der badischen Strafproceßordnung v. 1845 hat nämlich dem Untersuchungsrichter das Recht eingeräumt, in einzelnen zur Aburtheilung des Bezirksstrafges richts gehörigen Fällen, vorausgeseßt jedoch, daß der Angeschuldigte nicht verhaftet und die Untersuchung nicht von großer Ausdehnung ist, die Führung derselben demjenigen Amtsrichter zu übertragen, in dessen Amtsbezirke das Verbrechen, oder Vergehen begangen worden ist, oder der Angeschuldigte feinen Wohnsiz oder Aufenthaltsort hat. Dieß Delegationsrecht des Untersuchungsrichters einem Amtsrichter gegenüber, kann jedoch nur mit Zustimmung des Staatsanwaltes und mit Ges

nehmigung des Bezirksstrafgerichts ausgeübt werden. Dagegen kann der Untersuchungsrichter den Amtsrichtern seines Bezirks die Vornahme einzelner untersuchungsrichterlicher Handlungen schlechthin übertragen. *)

Ueber das Instanzenverhältniß der Amtsgerichte ist endlich noch Folgendes anzuführen: Für die Bagatelljustizsachen der Stadt- und Landbürgermeister bilden die Amtsgerichte die zweite Instanz und der Instanzenzug von den Amtsgerichten geht an die — Hofgerichte**).

In Strafsachen dagegen sind es die Bezirksstrafgerichte, welche den französischen Erstinstanzgerichten resp. den Zuchtpolizeigerichten entsprechen, während die Amtsrichter als Einzelrichter mit erweiterter Strafcompetenz den Friedensrichtern entsprechen. Ein badisches Bezirksstrafgericht besteht aus drei Richtern, den Präsident miteingerechnet, einem Staatsanwalte und einem Untersuchungsrichter. Der badische Untersuchungsrichter hat ganz dieselben Amtsverrichtungen wie sein französischer College. Der badische Staatsanwalt ist schlechthin nur öffentlicher Ankläger. Das Bezirksstrafge= richt hat im Wesentlichen ganz dieselbe Stellung wie ein französisches Zuchtpolizeigericht. Nur die Eigenthümlichkeiten der badischen Bezirksstrafgerichte find hier anzuführen. Diese Eigenthümlichkeiten sind namentlich folgende:

1) gilt in Baden nur das System der einfachen Anflagekammer. Es hat nämlich die Rathskammer der Bezirksstrafgerichte das Recht, ein Anklagedecret, oder eine Verseßung in Anklagestand zu erlassen, während dieses Recht in Frankreich nur die Anklagekammern der Appellhöfe haben. In Frankreich gilt demnach das System der doppelten Anklagekammer ***).

*) Bad. Strafproceßordnung §. 59.

**) Vgl. die bad. Gerichtsverfaff. v. 1845. die SS. 19-21. dann den S. 58.

***) Vgl. Frey, Staatsanwaltschaft in Deutschland und Frankreich. S.

118. ff.

2) Auch ist die Strafcompetenz der badischen Bezirksstrafgerichte eine größere als die der französischen Zuchtpolizeigegerichte. Die Strafcompetenz der sadischen Bezirksstrafgerichte geht auf sechs Jahre Arbeitshaus, und kann wegen dritter Diebstähle und wegen anderer Verbrechen, vorausgesezt jedoch, daß sie nur Zuchthaus unter drei Jahre nach sich ziehen, sogar eine peinliche Strafe verhängen. In allen den, ihrer Competenz unterworfenen Straffachen bilden sie, gleichwie die französischen Zuchtpolizeigerichte, die erste Instanz. Der Instanzenzug der Bezirksstrafgerichte geht an die Hofgerichte.

S. 2.
In Bayern.

Was in Frankreich die Erstinstanzgerichte sind, das sind in Bayern die Bezirksgerichte. Hier wie dort besteht ein Bezirksgericht in der Regel aus drei Mitgliedern, den Director (wie er in Bayern heißt) mitgerechnet; nur wenn das Bezirksgericht über Verbrechen zu erkennen hat, so muß der erkennende mengetare fünf Mitgliedern bestehen; hier wie dort ist ein Staatsanwalt und Untersuchungsrichter.

Wirkungskreis der Bezirksgerichte:

I. In Civilsachen. In dieser Beziehung steht den Bes zirksgerichten die erstinstanzliche Verhandlung und Entscheidung aller und jeder Rechtsstreitigkeiten zu, welche nicht durch das Gefeß anderen (wie z. B. die Ehesachen den Ehegerichten d. H. gewissen Kreisgerichten) zugewiesen sind. Hat jedoch ein Bezirksgericht als Handelsgericht zu entscheiden, so wird der erkennende Senat des Bezirksgerichts durch zwei stimmberechtigte Beisißer aus dem Handelsstande vermehrt. Es kann übrigens in den, bei den Bezirksgerichten anhängigen Rechtsstreitigkeiten das einschlägige Stadt- und Landgericht mit Vornahme einzelner civilprocessualischerHandlungen beauftragt werden.

II. In Strafsachen. Die Bezirksgerichte erkennen in zweiter und legter Instanz über die von den Stadt- und Landgerichten abgeurtheilten Uebertretungen. Ueberhaupt stimmen

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