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hat nach der bayerischen Strafnovelle der Präsident des Schwurgerichtshofes das Recht, das Verzeichniß der auf der Dienstliste : stehenden 45 Hauptgeschwornen und 9 Ergänzungsgeschwornen auf 30 Hauptgeschworne und 6 Ersaßgeschworne zu reduciren. Dieses Reductions- oder Ausscheidungsrecht kann jedoch sehr leicht zu politischen Zwecken mißbraucht werden, weil in Bayern der Staatsminister der Justiz das Recht hat, den Präsidenten des Schwurgerichtshofes zu ernennen, ein Recht, das einem französischen Justizminister nicht zusteht. In Frankreich werden die Affisenpräsidenten von den Präsidenten der Appellhöfe ernannt.

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In den bayerischen und preußischen Rheinprovinzen besteht bekanntlich noch die alte, schlechte napoleonische Juryverfassung von 1809. Ueber Rheinpreußen kann man sich nicht wundern, denn es wurde ja diese schlechte napoleonische Juryverfassung der Rheinproving mit Ausnahme einer Censusmodification, beziehungsweise Reduction in dem man nämlich verschiedene Steueranfäße von 18-24 Thalern aufgestellt auf ganz Preußen ausgedehnt. Allein darüber kann und muß man seine gerechte Verwunderung aussprechen, daß man für das diesseitige Bayern eine liberalere Juryverfassung gab und in der bayerischen Rheinpfalz die alte corrumpire Juryverfassung Napoleons unverändert fortbestehen ließ, um so mehr muß man sich verwundern, als es den damals sehr einflußreichen pfälzischen Abgeordneten — wovon einer sogar Justizminister geworden, ein Leichtes gewesen wäre, auch der Pfalz die Früchte einer bessern Juryverfassung zu Theil werden zu lassen. Die üblen Folgen dieser Nachlässigkeit haben sich in der neuesten Zeit in mehreren politischen Processen auf die aller eclatanteste Weise gezeigt. In der Pfalz kann jezt sehr leicht von der Regierung eine ganz ergebene Jury gebildet werden, während im diesseitigen Bayern der Regierungseinfluß im Vergleiche zur Pfalz als völlig gebrochen erscheint, obwohl, wie gesagt, auch noch im diesseitigen Bayern von der Strafnovelle v. 1848 der Regierung noch immerhin ein weit größerer Einfluß eingeräumt worden ist, als es sich mit dem Principe

einer reinen Volkswahl verträgt. In Rheinhessen war man flüger, man hat 1848 verlangt, daß die napoleonische Juryverfassung nach dem neuen Jurygeseß reformirt werde und sie ward reformirt. In England allein ist, wie auch oben bereits angedeutet worden (f. S. 123.) das Princip eines freien Wahlsystems bezüglich der Bildung der Schwurgerichte vollständig durchgeführt.

Fünfter Titel.

Von den, dem französischen Cassationshofe entsprechenden Gerichten in Baden und Bayern.

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I. Organisation. Dieser Gerichtshof urtheilt in bürgerlichen Rechtssachen in Versammlungen von sieben, in Straffachen in Versammlungen von neun Mitgliedern. In bloßen proceßleitenden Verfügungen genügen jedoch schon drei Mitglieder. Bei diesem Gerichte ist gleichfalls eine Staatsgewalt aufgestellt.

II. Geschäftskreis:

1) In Civilsachen. Alle und jede gegen die hofgerichts lichen Urtheile ergriffenen Berufungen gehen an das Oberhofgericht. Dieses ist nach Umständen entweder dritte, oder nur zweite Instanz, jedoch immer leßte, je nachdem eine Parthei ohne, oder mit befreitem Gerichtsstande in Frage steht. In Sachen, wo Partheien mit befreitem Gerichtsstande betheiligt sind, bilden nämlich die Hofgerichte die erste und das Oberhofgericht die zweite Instanz.

2) In Strafsachen. Das Oberhofgericht bildet in dieser Beziehung theils eine zweite und legte Instanz, theils einen Cassations- und Revisionshof in Strafsachen.

Eine große Verschiedenheit zwischen der badischen und französischen Gerichtsverfassung besteht in Bezug auf die Zahl der Instanzen. In Civilsachen gibt es nach der franzöfischen Gerichtsverfassung nur zwei Instanzen; während es nach der badischen Gerichtsverfassung in der Regel drei Instanzen gibt. Auch ist in Civilsachen das Oberhofgericht schlechthin nur eine (beziehungsweise zweite oder dritte Instanz. Die Idee des französischen Cassationshofes ist in Civilsachen der badischen Gerichtsverfassung völlig fremd.-In Strafsachen gibt es nach der badischen Gerichtsverfassnng durchgängig d. h. in allen peinlichen, zuchtpolizeilichen und einfachen Zuchtpolizeisachen zwei Instanzen. Abgesehen von der bürgermeisterlichen Bagatellstrafjustiz, wo es auch zwei Instanzen gibt, bilden in Zuchtpolizeisachen die Amtsgerichte die erste, und die Bezirksstrafgerichte die zweite Instanz. In peinlichen Sachen bilden die Hofgerichte die erste und das Oberhofgericht die zweite Instanz. In Frankreich dagegen gibt es nur in einfachen Polizei- und Zuchtpolizeifachen zwei Instanzen, in Criminalsachen aber besteht nur eine Instanz (die Affisen). Gegen die Affifenurtheile und die leztinstanzlichen einfachen und Zuchtpolizeiurtheile kann Cassation ergriffen werden. In diesem Falle wird auf die oben (im Kapitel vom Cassationshofe) angegebene Weise verfahren. Der Hauptunterschied zwischen der badischen und französischen Gerichtsverfassung besteht in der vorliegenden Beziehung, demnach darin, daß in Frankreich der Cassationshof ausschließlich nur Cassationshof ist, d. h. nie in der Hauptfache zu erkennen, nie zu erklären hat, was unter den Partheien Rechtens sei, während das badische Oberhofgericht zweierlei ist Gaffations- und Revisionshof. Es ist Cassationshof, indem es Strafurtheile aufheben und die Sache einem andern, dem Gerichte, dessen Urtheil caffirt worden, gleich stehenden Gerichte, oder einem Senate des nämlichen Gerichtes übertragen kann. Es ist Revisionshof, in sofern es auch in der Hauptsache selbst das Urtheil geben kann, ja sogar muß, in dem Falle nämlich, da das Oberhofgericht selbst das angefochtene Urtheil erließ. So oft

übrigens das Oberhofgericht selbst das angefochtene Urtheil erlassen, so muß der Revisionshof aus dem vollen Rathe des Oberhofgerichts bestehen *).

S. 2.

In Bayern.

Das Gericht, welches nach der bayerischen Gerichtsverfassung v. 1850 dem französischen Cassationshofe entspricht, heißt das Oberlandesgericht.

I. Organisation. Das Oberlandesgericht tritt in den Wirkungskreis des dermaligen Oberappellationsgerichts. Das Oberlandesgericht theilt sich in Senate, welche für jedes Jahr durch das Directorium festzuseßen und ohne besondere Notbwendigkeit im Laufe eines Jahres nicht zu ändern sind. Am Schlusse des Jahres tritt wenigstens die Hälfte der Mitglieder aus einem Senat in einen andern über. Ein Senat des Oberlandesgerichts besteht aus einem Vorstande und sechs Räthen. Der Vorsiß in den einzelnen Senaten des Oberlandesgerichts steht dem Präsidenten und den Directoren zu. Der Präsident kann abwechselnd den Vorsiß in jedem Senate führen und von Zeit zu Zeit einen Wechsel der Directoren in dem Vorsize anordnen. Bei dem Oberlandesgericht ist ein Generalstaatsanw alt aufgestellt.

II. Geschäftskreis.

1) In Civilsachen. In den von den Kreisgerichten in zweiter Instanz entschiedenen Rechtsstreitigkeiten geht die Berufung an das Oberlandesgericht, als an die dritte und Leßte Instanz. Und in Civilsachen ist das Oberlandesgericht schlechthin nur dritte und leßte Instanz, und zwar mit einer Berufungssumme von 300 fl. bei ungleichförmigen und 600 fl. bei gleichförmigen Erkenntnissen der Vorinstanzen. Die Idee des französischen Cassationshofes ist also in Civilsachen, sowohl

*) Vgl. bad. Gerichtsverfassung die S§. 6, 39. 41. 69.

der badischen, als auch der bayerischen Gerichtsverfassung völlig fremd. Die bayerische Gerichtsverfassung hat in ihrem Art. 72 jedoch in Aussicht gestellt, daß mit der Einführung einer neuen Civilproceßordnung, das Oberlandesgericht auch in Civilsachen die Eigenschaft eines Caffationshofes erhalten werde.

2) In Straffachen dagegen ist das Oberlandesgericht schlechthin nur Caffationshof, und es hat also ein Senat des Oberlandesgerichts im Wesentlichen ganz dieselben Amtsverrichtungen wie die Strafkammer des französischen Cassationshofes. Die Strafkammer des bayerischen Oberlandesgerichts hat ganz auf dieselbe Weise zu verfahren, wie die Straffammer des französischen Cassationshofes, d. h. fie hat bloß die Urtheile zu cassiren, aber nicht zu erkennen, vielmehr nur an die Gerichte zurückzuweisen, welche mit den Gerichten, deren Urtheile cafsirt worden, von gleichem Range find. Für die bayerische Pfalz ist jedoch das Oberlandesgericht nicht bloß Eassationshof, sondern es ist zugleich Cassationsund Revisionshof*).

III. Geschäftsordnung. In dieser Beziehung gilt alles Dasjenige, was von der Geschäftsordnung der Kreisgerichte bemerkt worden ist**).

Sechster Titel.

Von den Handelsgerichten in Baden und Bayern.

$. 1.

In Baden.

I. Organisation. Die Handelsgerichte bestehen in erster Instanz aus dem Amtsrichter und zweien mitstimstimmenden Handelsleuten; in zweiter Instanz bestehen sie aus einem Senate des Hofgerichts (dem sogenannten Handels

*) Den Grund dieser Verschmelzung s. oben im Capitel VIII. S. 155 ff. **) Vgl. bayerische Gerichtsverfassung die Art. 42-48. und 72.

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