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die Zügelung Rußlands zu verwenden, und auf eine englischfranzösische Combination wird nicht bei jeder Gelegenheit zu rechnen seyn". Allerdings, es war eine unvergleichliche, nie wiederkehrende Gelegenheit, den Bestand und die Zukunft der Türkei anders als auf dem Papier wandelbarer Verträge zu sichern; aber man hat sie umsonst erlebt schon seit 1855.

Das haben die Historisch-politischen Blätter von Anfang an tief genug beklagt. Als es im November v. J8. darüber zu Erörterungen mit der Allg. Zeitung kam, erklärte dieses Organ: „Die orientalische Frage gestattet keine theilweise Lösung, man muß Alles neugestalten, oder Alles beim Alten lassen; das Flicken eines dem Zerfall nahen Baues wäre reine Kraftverschwendung; wir halten an der Ueberzeugung fest, daß die gedeihliche Entwicklung neuer Staaten dort nur unter dem Schuße Oesterreichs möglich ist, dieser Schuß hat aber eine veränderte Stellung Desterreichs am schwarzen Meere zur Voraussetzung." Ganz und gar unsere eigene Ueberzeugung; nur fönnen wir die Erwartung des politischen Millenniums nicht theilen, wo die alte Sage von den gebratenen Tauben in Erfüllung gehen wird!

V.

Die deutsche Königswahl.

Von Hofrath Phillips.

Wer hat sich nicht schon gefragt, wie denn eigentlich das Collegium der alten sieben Kurfürsten vor der goldenen Bulle in Deutschland hergekommen sei, sowie die Verknüpfung des römischen Kaiserthums mit dem Erwählten der deutschen Nation? Darüber hat sich nun Hr. Hofrath Phillips in einer ansehnlichen Schrift unter den Publikationen der Wiener Akademie verbreitet. Sie ist ausgezeichnet durch einen Reichthum des Quellenstudiums und eine Sauberkeit der Forschung, welche nichts zu wünschen übrig läßt, als etwa von Seite der Redaktion der Wiener akademischen Sizungsbes richte einen Grad von Correktheit ihrer Lieferungen, welcher nicht allzu tief hinter den billigsten Anforderungen zurückbleibt. Im Uebrigen genügt ein flüchtiger Blick auf die Noten und Citate des Buches, um einen Begriff von der unabsehbaren Breite der Basis zu geben, auf welche sich der Forscher in der Geschichte des deutschen Reichs- und Staatsrechts heutzutage zu stellen hat.

Hierin beruht denn auch der eigenthümliche Werth der Phillips'schen Denkschrift. Ihr Gegenstand an sich ist natür

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lich nicht neu; aber die Debatte bedurfte vorerst eines umfassenden Abschlusses. Sein vorliegendes Resultat steht im Gegensaße zu zwei früheren Ansichten, deren eine, die sogenannte Reichsämtertheorie, das Kurcollegium in seiner Siebenzahl auf die kaiserlichen Hofämter zurückführt, während die andere die Wahlfürsten in ihrer Siebenzahl bei Gelegenheit der Kaiserkrönung Otto's III. vom Papste eingeseßt werden läßt. Zu jener Annahme hat vorzüglich die Autorität des Sachsenspiegels beigetragen, der zuerst den ursprünglichen Grund der Berechtigung für die Siebenzahl seiner „Ersten an der Kur" in den Reichsämtern suchte.

Dagegen begründet der Hr. Verfasser das Verhältniß wie folgt. Das Recht, den König der Deutschen zu wählen, stund seinem eigentlichen Wesen nach durchaus in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit den Reichs- Hofämtern, war vielmehr ein nationales der einzelnen zum Reiche vereinigten deutschen Stämme. Der König von Böhmen z. B. besaß längst das Schenkenamt, aber immer noch, und solange das ächte Princip in Kraft war, kein Wahlrect, weil er kein Deutscher ist, d. i. fein Herzog einer deutschen Nation.

Was dann die kaiserliche Würde betrifft, so galt der Parst allerdings seit Otto III. als verpflichtet durch Gewohnheitsrecht, fie feinem Andern als nur dem von den deutschen Fürsten erwählten Könige zu verleihen, also nicht mehr wie vor Dito dem Großen allenfalls einem König von Frankreich oder Arelat; diese Beschränkung der frühern Freiheit des Papsts in der Auswahl des Kaisers als des Beschüßers der Kirche wurde dann nochmals so gedeutet: der Papst habe die Wahlfürsten, deren späterhin sieben waren, eingeseßt. In Wahrheit richtete si der heilige Stuhl nur nach dem im Reiche selber begründeten Herkommen.

Indem der Hr. Verfasser die Weise der ersten Königswahlen in ihrer naturgemäßen Einfachheit beschreibt, dann die veränderte Gestalt, in welcher sie seit dem 13ten Jahrhundert erscheinen, endlich die Heranbildung einer ausschließlichen

Wahlberechtigung des aus fieben Kurfürsten bestehenden Collegiums und ihre schließliche Verbriefung in der goldenen Bulle Karl's IV. ift er feineswegs ein Bewunderer dieses Processes. Die Ausschließlichkeit des siebenzähligen Wahlcollegiums, habe vielmehr wesentlich zu des Reichs innerm Verfall und zur Minderung seiner äußern Macht mitgewirkt, ja vorbereitend zu seiner Auflösung. Dem Siechthum der WahlCapitulationen und Wahlbestechungen, der dynastischen Politik des Partikularismus und der Uebermacht der Landeshoheit ist damit die freie Gaffe geschaffen worden. Deutschland war früher ein erbliches Wahlreich" gewesen; die Nationen wählten in der Familie und berücksichtigten wo möglich das Successionsrecht vom Vater auf den Sohn. Jeßt dagegen kehrten sich die Dinge dergestalt um, daß das, was in vorigen Zeiten einen Anspruch darauf gab, gewählt zu werden, nun ein Grund zur Ausschließung war. Dieses Motiv entschied z. B. gegen König Johann von Böhmen, den Sohn Heinrichs VII.; gegen die Wahl Albrechts von Habsburg zum Nachfolger seines Vaters erklärte der Erzbischof von Köln geradezu: „es sei nicht Rechtens in diesem Reich, daß der Sohn unmittelbar dem Vater folge." So wollte es allerdings das Interesse der Kur Monopolisten: fie mußten ein absolut freies Wahlreich haben. Auf die übrigen Fürsten und auf das „Heer" (oder Volk) kam es jezt nicht mehr viel an, sondern nur darauf, daß die Sieben ihre Stimmen so theuer als möglich verkauften und sich sicher stellten, damit sie von dem neuen Könige in den Usurpationen und Bedrückungen, die sie sich erlaubten, nicht behindert würden. „Darum durfte dieser nie ein mächtiger Herr werden."

Wie ganz anders hatten die wählenden Fürsten früher und ursprünglich ihre Pflicht verstanden! Im Herzen des Landes, am Mittelrhein auf fränkischer Erde, erschienen (um mit den schönen Worten Böhmer's zu reden) die fünf Nationen, jede bewaffnet in der Gesammtheit ihrer Laien (das „Heer“, exercitus), nach Stämmen geordnet, an der Spiße eines je

den die Bischöfe und der Herzog; da fühlte sich jeder Stamm in seiner gottgeschaffenen Zusammengehörigkeit und Persönlichkeit, wie hinwieder die Gesammtheit, wenn einig, fich in ihrer Unwiderstehlichkeit gefühlt haben mag. Zweimal bis auf die Zeit der Stauffer versammelte sich die deutsche Nation in solcher Weise nach dem Aussterben eines Königsgeschlechtes zur freien Wahl eines neuen. Die wählenden Fürsten hatten. da eine doppelte Pflicht, einestheils kein wirkliches Succesfionsrecht unberücksichtigt zu lassen, anderntheils aber auch die Stimmung des Heeres" zu erforschen. An ein eigentliches Scrutinium war freilich nicht zu denken, die Meinung gab sich deutlich von selbst zu erkennen. Die Fürsten redeten ein erstes Wort; bei zweifellosem Successionsrechte begrüßten sie den natürlichen König“ durch ihren Zuruf, war aber Berathung nothwendig gewesen, so nannten sie, nachdem fie sich geeinigt, gewöhnlich einer nach dem andern, denjenigen dem versammelten Heere, den sie für den Würdigften hielten.

Während der Hr. Verfasser die ältesten deutschen Wahlhandlungen im Einzelnen prüft, hebt er insbesondere den auch theoretisch noch sehr unfertigen Zustand hervor, in dem das deutsche Reich sich befand, als die karlingische Monarchie aus den Fugen gegangen war und, wie die Annalen von Fulda sagen, die Königlein emporwuchsen." Arnulf war daher keineswegs ein König der Deutschen im spätern Sinne des Wortes, sondern er war ein König der fünf deutschen Völker: der Bayern, der Franken, der Sachsen, der Schwaben, der Lothringer. Unter Heinrich dem Sachsen befand sich auch dieser Reichsverband, die bloße personelle Einheit, durch das Aussterben des Königsgeschlechtes, schon wieder in Auflösung. Heinrich's Reich war ein sächsisches, dessen König fich die übrigen Reiche dienstbar gemacht hatte; deßhalb, und um nicht als ein Nachfolger der Karlinge zu gelten, ließ er fich auch nicht krönen, keineswegs, zufolge einer tendenziöfen Version aus der Münchener Akademie, weil er ein Volks.

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