Page images
PDF
EPUB

Richtung hin unternommene Kritik der Geschichte der gesammten Philosophie.

Ein so ausführliches Unternehmen liegt außerhalb des Zwecks dieser Arbeit, welcher ein wesentlich praktischer, und deßhalb nur darauf gerichtet ist, diejenigen Einwendungen zu beleuchten, welche zur Zeit noch geeignet erscheinen, unsere Einsicht in das Wesen und die Bedeutung der Freiheit zu verwirren.

Die älteren Einwendungen dieser Art beruhen fast ausnahmslos darauf, daß die metaphysischen Grundbegriffe, von denen die vorkantischen Systeme ausgingen, sich nur auf die phänomenale Seite und die formalen Verhältnisse des Geschehens bezogen, nicht direct auf den lebendigen Quell unmittelbarer Lebenswirklichkeit, der die ganze unseren Vorstellungskreis erfüllende Welt der Dinge und Ereignisse erst hervorgetrieben hat. Erst durch das Reformwerk Kant's wurde das Nachdenken und die Untersuchung auf diesen lebendigen Quell unserer Vorstellungswelt gerichtet und dadurch zu einer sachgemäßen Formirung der metaphysischen Grundbegriffe die rechte Handhabe geboten. Damit trat auch die Frage nach Wesen nnd Bedeutung der menschlichen Freiheit in ein ganz neues Stadium, in das Stadium, in welchem wir gegenwärtig stehen und dessen Betrachtung daher für uns weit bedeutungsvoller ist als die Prüfung der vorkantischen Freiheitsbegriffe, von welcher ich mit Rücksicht auf den praktischen Zweck meiner Arbeit um so mehr absehen zu dürfen glaube, als dieselbe nothwendig ein tieferes Eingehen auf die begleitenden metaphysischen Vorstellungen erfordern, und doch in der Hauptsache nur noch von historischem Interesse sein würde.

Aber auch die nachkantische Philosophie hat sich bekanntlich sehr bald von der durch Kant eingeleiteten Richtung auf das Unmittelbare abgewendet und sich in reine Begriffsentwickelungen verirrt, welche das von Kant inaugurirte Stadium der Entwickelung des Problems der menschlichen Freiheit wiederum verlassen, und daher jetzt gleichfalls nur noch ein rein theoretisches Interesse beanspruchen können. Auf diesem Boden der reinen Begriffs-Speculation stehen die Systeme Fichte's, Hegel's und Schelling's. Wir können dieselben von unserem praktischen Gesichtspunkte aus um so unbedenklicher bei Seite liegen lassen, als der Begeisterung, mit welcher sie bei ihrem Entstehen begrüßt wurden, bald eine sehr erklärliche und vollkommen gerechtfertigte Ernüchterung folgte, so daß das Interesse für dieselben jekt eigentlich nur noch innerhalb der philosophischen Schulen lebendig ist. Bedeutender zwar sind die Untersuchungen Herbart's, aber sie beziehen sich nicht direct auf unser Problem,

[ocr errors]

t

j

1

:

!

:

und waren für sich zu abstract, um in ihrer ursprünglichen Gestalt dauernden Boden im Interesse der gegenwärtigen Menschheit gewinnen zu können. Dasjenige, was sie an bleibendem Werth enthalten, hat sein großer Schüler Loke freier und lebenskräftiger ausgestaltet. Erst Love war es, wie ich im ersten Abschnitt entwickelte, vorbehalten, die durch das Reformwerk des Kriticismus eingeleitete neue, fruchtbare und lebensfähige Richtung des philosophischen Forschens glücklicher auszubeuten, als es dem Urheber dieser Richtung gelingen sollte. Erst er hat uns das wahre Verständniß des Unmittelbaren eröffnet und jenes Reformwerk zu einem gedeihlichen Abschluß gebracht*).

Erst durch Loke wurde daher jenes neue durch Kant inaugurirte Stadium der Entwickelung des Problems der menschlichen Freiheit nach allen Richtungen hin beleuchtet und befestigt, erst durch ihn haben wir das volle Verständniß dessen - erlangt, was Freiheit ist und bedeutet.

Neben ihm, doch ihm nicht ebenbürtig, erfreuen sich jetzt fast nur die Lehren Schopenhauer's und Eduard von Hartmann's einer größeren Popularität und Verbreitung. Die Einwendungen dieser beiden absonderlichen Philosophen sollen daher ausführlicher und eingehender beleuchtet

werden.

Bevor ich jedoch dazu übergehe, muß ich noch eine Reihe anderer Einwendungen gegen das Vorhandensein und die Bedeutung der Freiheit erwähnen, welche nicht auf dem Boden strenger philosophischer Forschung, sondern auf Grund empirischer, durch die neuere Naturforschung dem allgemeinen Interesse nahe gerückter Thatsachen und auf Grund gewisser einseitiger Doctrinen erhoben sind, welche durch jene Thatsachen ins Leben gerufen wurden. Es sind das insbesondere die Einwendungen des Materialismus, welcher das geistige Leben unserer Nation leider immer noch in sehr bedenklicher Weise beeinflußt.

Der Ausschwung, welchen die Naturwissenschaften in den letzten Jahrzehnten genommen haben, steht in seiner Weise ganz einzig da. Unsere Kenntniß der Natur ist dadurch nach allen Richtungen hin so bedeutend erweitert, die Herrschaft des Menschen über dieselbe ist durch diese erweiterte Einsicht in so staunenswerthem Maße gewachsen, alle Zweige der Technik und Industrie sind dadurch so sehr gefördert und entwickelt,

*) Ich verweise die mit der Love'schen Philosophie weniger vertrauten Leser auf einige Abhandlungen in den Preußischen Jahrbüchern (Band XXXVI S. 283-308, 422-442, 469-489 und Band XLVII S. 177-195), worin ich eine übersicht liche und allgemeinverständliche Darstellung der Lehren Loze's zu geben versucht habe. daß unser ganzes Leben in allen durch diese Fortschritte berührten Beziehungen sich ganz neu gestaltet hat. Nichts liegt näher, als daß man von den Naturwissenschaften auch Aufklärungen über die wichtigsten Fragen des geistigen Lebens erwartete, und in der That haben diese Erwartungen sich nach vielen Richtungen hin als vollberechtigt erwiesen.

Der allgemeine Causalzusammenhang des Geschehens, bis dahin nur eine Forderung der Vernunft, welcher der Augenschein des Lebens vielfach zu widersprechen schien, erhielt durch die fortschreitende Kenntniß der Naturgeseze eine ungeahnte erfreuliche practische Bestätigung. Dies geschah insbesondere durch die Einsicht, daß auch alle Processe des organischen Lebens durch Kraftwirkungen derselben Art und derselben Stoffe, wenn auch in complicirterer Form und Gruppirung, erklärt werden konnten, welche das unorganische Geschehen bedingen, daß auch jene Processe nach constanten Gesetzen verlaufen, welche sich in den Complex der allgemeinen Naturgeseze systematisch eingliedern lassen. Es fielen damit die dem allgemeinen Causalzusammenhange widerstreitenden Hypothesen einer in ihren Wirkungen unberechenbaren Lebenskraft, es fiel der Glaube an Wunderwirkungen und Zauberei aller Art, welcher in der Weltansicht früherer Zeiten eine so große und verderbliche Rolle spielte. Eine lichte kühle Klarheit verbreitete sich damit über alle der menschlichen Wahrnehmung und dem menschlichen Nachdenken überhaupt erreichbaren Gebiete. Es verbreitete sich diese Klarheit nicht blos in den Köpfen der Philosophen, sondern auch in der Auffassung der Masse des großen Publikums, sie breitete sich zu einer hellen Atmosphäre aus, die ein gemeinsames Medium des Verständnisses für alle wurde, in der alle lebten und athmeten; es wurde ein Bedürfniß aller, die hergebrachten Vorstellungen über Gott und Welt mit dieser dem allgemeinen Bewußtsein nahe gerückten Thatsache in Einklang zu bringen. Die Wichtigkeit dieses Umstandes kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Die allgemeine Anerkennung einer durchgängigen Gesezmäßigkeit in den Zusammenhängen alles Geschehens bildet einen charakteristischen Grundzug der gesammten modernen Bildung, der die eigenthümlichen Vorzüge und Mängel derselben in Vergleich mit denjenigen der früheren Zeiten wesentlich mit bedingt. Die Anerkennung solcher Gesezmäßigkeit schuf für alle Provinzen des Lebens ein gemeinsames Recht, eine feste Ordnung; sie läuterte die althergebrachten Vorstellungen und Begriffe, in denen das menschliche Nachdenken die Hauptinhalte seines Gesichtskreises zusammenzufassen gewohnt war, von dem abenteuerlichen und phantastischen Beiwerk, welches ihnen die Naivetät und der Unverstand früherer Zeitalter angeheftet hatten; sie brachte eine unabweisbare Anforderung der Vernunft an all diesen Inhalten zur Geltung und gab jenen Begriffen und allen Richtungen des menschlichen Nachdenkens einen festen inneren Halt, einen Charakter strenger Ordnung und Wissenschaftlichkeit. Es steigerte sich dadurch überhaupt das Ansehen der Wissenschaft im Allgemeinen; deren Bedeutung für die höchsten Inhalte des Lebens, für die Entwickelung der sittlichen und religiösen Vorstellungen kam immer mehr zur Geltung; immer mehr dringt die Ueberzeugung durch, daß auch jene höchsten Inhalte des Lebens nur auf der unabänderlich consequenten Grundlage einer allgemeinen Gesetzlichkeit, welche das Unberechenbare und Zufällige ausschließt, eine sichere Garantie ihres Bestandes gewinnen können.

Doch nicht blos das. Auch die thatsächliche Erweiterung unseres erfahrungsmäßigen Wissens klärte nach allen Richtungen hin und erweiterte den Horizont für die geistige Umschau, sie hob unsere ganze geistige Existenz um einige Stufen höher, daß wir nun die nächsten Umgebungen freier überschauen können. Es bedürfte einer lang ausge= sponnenen Schilderung, wollte ich auch nur die wichtigsten Momente jener Erweiterung unseres Wissens andeutungsweise berühren. Ich verzichte darauf, weil die Thatsachen für sich selbst sprechen und überdies jedermann hinreichend bekannt sind. Es bleibt zwar immer nur ein beschränkter Ausschnitt des Ganzen der Weltwirklichkeit, welcher unserer Wahrnehmung in beschränkter Weise erreichbar ist, aber fast nach allen Seiten hin finden wir in den Verhältnissen dieses beschränkten Ausschnitts die Linien vorgezeichnet, in denen unser Nachdenken die Fortsetzung des Wahrgenommenen zu ergänzen hat.

Erwägen wir ferner, daß der systematische Zusammenschluß dieser Fortsetzungslinien des empirisch Wahrgenommenen immer nur durch die Offenbarungen der Vernunft über Sinn und Bedeutung des ganzen Weltprocesses bewirkt werden kann, so hat auch nach dieser Richtung hin die Naturforschung durch Verdeutlichung des gesetzlichen Zusammenhanges der leiblichen und geistigen Functionen des Lebens das Verständniß der gegenseitigen Verhältnisse dieser beiden Wissensgebiete nicht unerheblich geklärt und dadurch das Ziel des philosophischen Erkennens wesentlich gefördert.

Der Naturwissenschaft endlich verdanken wir den neuen Geist und die neuen Methoden der Untersuchung, welche jetzt alle übrigen Wissenschaften beleben und auch der Philosophie erst die rechte praktische Handhabe bieten. „Es sind die vielfältigen Verfahrungsweisen der Induction, die Kunstgriffe des Experiments, der fruchtbare Scharfsinn der Wahrscheinlichkeitsrechnung, welche diesen Schatz einer erfinderischen und werkthätigen Erkenntnißkunst ausbildeten, welche der energische prometheische Geist der neuen Zeit der nicht minder bewundernswerthen Schöpfung der antiken Logik hinzugefügt hat*)."

Alles dieses sind höchst bedeutsame, durch den Fortschritt der neueren Naturforschung angeregte Momente des Wissens und Forschens, welche zur Aufklärung der wichtigsten Lebensfragen erheblich mitgewirkt haben. Aber das Bild hat auch eine Kehrseite, welche weniger anerkannt, aber dem schärfer blickenden Auge nicht minder offenbar ist und auf das moderne Leben, insbesondere auf die Würdigung und das Verständniß jener höchsten Lebensinhalte ihre schweren Schatten geworfen hat.

Man pflegt, wenn von dieser Kehrseite die Rede ist, in erster Linie den Umstand hervorzuheben, daß das Gesammtinteresse und das Interesse der Einzelnen sich jetzt vorwiegend und fast ausschließlich auf die durch die neu eröffneten Sphären des Erkennens und Wirkens erschlossenen und unmittelbar geförderten Gebiete concentriren, daß Naturwissenschaft, Industrie und Technik fast alle Kräfte absorbiren und dadurch die Aufmerksamkeit und die Begeisterung für die wahren höheren Ziele und Ideale des Lebens unterdrückt und gelähmt würden. Wäre lezteres der Fall, so wäre es allerdings zu beklagen, aber ich glaube nicht, daß dieser Vorwurf im Ganzen gerecht ist. Blicken wir auf die geschichtliche Entwickelung des Menschengeschlechts zurück, so treffen wir oft auf Zeiten, in denen einzelne Interessen, sei es religiöser, sei es politischer, sei es künstlerischer, sei es merkantiler oder industrieller Art, ganze. Nationen, ja die ganze Menschheit vorwiegend in Bewegung setzten und die Hauptarbeit und das Hauptnachdenken auf sich concentrirten. Dies Vorwiegen eines besonderen Lebensinteresse bedeutet an sich noch keine Einseitigkeit, und wenn wir genauer zusehen, so werden wir finden, daß jene durch ein besonderes hervorragendes Specialinteresse charakterisirten Perioden meist geistig regsamer und für das Ziel der ge= sammten Culturentwickelung fruchtbarer waren als Zeiten, wo solches nicht der Fall war. Ich erinnere beispielsweise in Betreff der Rechtsentwickelung und in Betreff der Entwickelung des politischen Lebens an die Blüthezeite der Römischen Republik, in Betreff der religiösen Entwickelung an die Lie Zeiten Kaiser Constantin's, in Betreff der Kunstentwickelung an die Zeit der Renaissance in Italien. Diese Wahrnehmungen im Gesammtleben lid der Völker entsprechen auch ganz analogen Erscheinungen des individuellen Lebens, welche jeder an sich selbst beobachten kann. Die lebhafte Er= weckung eines Specialinteresses pflegt die Lebenskraft und Lebensfrische überhaupt zu stärken und dadurch auch alle übrigen Lebensinteressen infe

*) Lotze, Mikrokosmus. Bd. III S. 227.

aber

« PreviousContinue »