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Was die Einwendungen der ersteren Art anlangt, so entstehen dieselben fast ohne Ausnahme aus der Verwechselung der Freiheit mit dem liberum arbitrium indifferentiae.

Ich habe die Genesis, die Verkehrtheit und Unwirklichkeit dieses falschen Begriffes einer angeblichen Freiheit ganz ursachloser Selbstbestimmung bereits im Eingang des ersten Abschnitts, wo es sich um Feststellung und richtige Begrenzung des wahren Freiheitsbegriffes handelte, wie ich hoffe, nach allen Richtungen hin erschöpfend und überzeugend dargelegt, um von vorn herein den Widersprüchen und Schwierigkeiten vorzubeugen, welche durch jene Verwechselung herbeigeführt sind.

Lediglich aus solcher Verwechselung entstand der populärste und anscheinend schwerste Einwand, welcher gewöhnlich gegen das Vorhandensein der Freiheit erhoben zu werden pflegt: Der Einwand, daß dieselbe dem Causalgeset widerstreite.

Dieser Einwand stellt sich sofort in seiner ganzen Nichtigkeit dar, wenn man an die Stelle jenes falschen Begriffs der Freiheit als einer angeblich ursachlosen Selbstbestimmung, eines ganz grundlosen Wollens, welches sich selbst widerspricht, den wahren positiven Begriff der Freiheit einseht: die Fähigkeit, sich selbst nach inneren Motiven zum Wollen zu bestimmen. Es ergiebt sich dann, daß das Bestimmtwerden durch Motive dem Wesen der Freiheit nicht nur nicht widerstreitet, sondern wesentlich mit zu deren Begriffe gehört. Freies Wollen ist motivirtes Wollen, welches nur dadurch charakterisirt und ausgezeichnet ist, daß der Wollende seinen Willen selbst bestimmt, daß er ein fürsichseiendes Wesen von selbständigen Lebensinteressen ist, nach welchen er sich in seinem Wollen zu entscheiden vermag. Wir wären nicht frei im wahren positiven Sinne des Worts, wenn wir auf die Einwirkungen, welche uns der Lauf der Ereignisse zuführt, grundlos reagirten; wir reagirten dann überhaupt nicht, sondern es geschähe dann etwas in uns, was mit den erlittenen Einwirkungen einfach außer Zusammenhang stände. Wir reagiren deßhalb und zwar in bestimmter Weise auf solche Einwirkungen, weil wir eigenartige Wesen mit eigenen Lebensinteressen sind. Das Eigenthümliche der Freiheit besteht allein darin, daß wir die Art, wie wir reagiren wollen, mit Bewußtsein und dem Gefühle der Verantwort= lichkeit für unsere Entscheidung selbst bestimmen. Wahre Freiheit widerstreitet daher nicht dem Causalgeseß, sondern sett dessen Geltung voraus, denn wenn und insoweit das Causalgesetz nicht gelten sollte, könnten auch keine Motive auf unseren Willensentschluß einwirken, könnte der Thatbestand gar nicht zu Stande kommen, welcher das freie Walten im positiven

Sinne, d. h. die freie Entschließung auf gleichzeitig einwirtende Motive möglich macht.

Aber nicht blos ihrem Wesen, sondern auch ihrer Bedeutung und Wirksamkeit nach ist die Freiheit durch die Geltung des Causalgesetzes bedingt. Bestände nicht ein gesetzlicher Zusammenhang alles Geschehens, so würden wir ja die Folgen unserer freien Willensentscheidungen gar nicht berechnen, wir würden daher auch für die Erfolge unseres Wollens nicht verantwortlich sein können, wir würden überhaupt dann rathlos dastehen und nicht wissen, was wir wollen sollten. So verhält sich's ja in der That in Betreff vieler Motive, welche sich oft gleichzeitig neben anderen darbieten, ohne daß wir deren Bedeutung, Folgen und Tragweite kennen, oder in Betreff deren wir irren, wie es leider häufig der Fall ist. In Betreff solcher Motive erleidet unsere Freiheit eine Einschränkung. Wir sind in Betreff ihrer nicht frei, und wenn ihre Kenntniß nicht durch die Pflicht der Aufmerksamkeit, Ueberlegung oder Umsicht geboten war, auch nicht verantwortlich, wie dies alle neuere Strafgesetzgebungen anerkennen. Causalität und Freiheit sind nicht Gegenfäße, die einander ausschließen, sondern Correlate, von denen wenigstens das lettere durch das erstere seinem Wesen und seiner Bedeutung nach als einem constituirenden Factor wesentlich mit bedingt ist.

Wenn man sich das richtige Verhältniß dieser beiden Correlate flar und deutlich zum Bewußtsein bringt, so verschwindet der Haupteinwand gegen das Vorhandensein der menschlichen Freiheit und damit die Hauptschwierigkeit, welche das ganze Problem belastet. Es kommt dann nur noch darauf an, zu begreifen, wie es möglich sei, daß Wesen existiren, welche sich nach autonomen Principien selbst zum Wollen bestimmen können, und worin deren autonome Natur bestehe? Die erstere Frage überschreitet die menschliche Competenz. Sie ist entbehrlich, nachdem die innere Erfahrung uns von der autonomen Natur unseres eigenen Wesens überzeugt hat, nachdem wir erfahren haben, daß wir ein Gewissen, eine innere Norm unseres Wollens von unbedingt verpflichtender Geltung thatsächlich in uns tragen. Jene Frage könnte nur dann unabweislich erscheinen, wenn es unsere Aufgabe wäre, die Welt zu schaffen, anstatt den Sinn der Geschaffenen zu verstehen, sie kann nur von einer sich selbst überfliegenden Speculation aufgeworfen werden, welche die Welt aus selbstgeschaffenen Principien construiren möchte, an= statt sich mit der Aufgabe zu begnügen, die Principien rückläufig aus dem gegebenen Thatbestande der Erscheinungen und inneren Erlebnisse zu erkennen, um den inneren Zusammenhang des Complexes der lezteren danach verstehen zu lernen.

Die zweite Frage können wir nur durch Verdeutlichung dessen beantworten, was wir selbst unmittelbar erleben, indem wir uns auf gleichzeitig einwirkende Motive zum Wollen entschließen. Ich habe im ersten Abschnitte den Proceß dieser Verdeutlichung zu einem gewissen Abschlusse zu führen gesucht und dargethan, daß und wie in der That die Grundlinien unserer ganzen Weltansicht durch die specifische Beschaffenheit der autonomen Natur unseres Wesens vorgezeichnet sind.

Die Bedeutung der auf diesem Wege erlangten Resultate kann nicht überraschen, wenn man bedenkt, daß sich unsere ganze Weltansicht lediglich aus subjectiven Daten zusammenseßt, und daß die Subjectivität und Realität unseres ganzen Wesens nur in einer Art des Fürsichseins des absoluten Wesens bestehen können, uud daher, insofern dieses mit seinem ganzen Wesen in uns für sich ist, die Grundthatsachen unseres eigenen Wesens, welche dessen specifischen Charakter am concentrirtesten zum Ausdruck bringen, geeigneter sein müssen, uns über die Grundzüge der ganzen aus unserem Innern entspringenden Weltansicht aufzuklären, als die Summe der peripherischen Ereignisse, welche der Lauf des Lebens und die Beobachtung in allen Einzelgebieten der Forschung allmählig zu Tage fördern, und welche wohl zur Bereicherung, Vervollständigung und Ergänzung des principiell Erkannten, nicht aber für sich allein zur Feststellung der Principien ausreicht.

Dies ist auch der Weg, den die Reformbewegung des Kantschen Kriticismus anstrebt und der von Kant selbst in großartiger Weise angebahnt ist.

Um so mehr müssen wir beklagen, daß dieser große Geist durch überkommene Vorurtheile und Einseitigkeiten, von denen er sich nicht loszuringen vermochte, an einer völlig richtigen und sachgemäßen Auffassung der Freiheit verhindert wurde. Insbesondere hinderte ihn daran seine verhängnißvolle Scheidung der Begriffe von Erscheinung und Ding an sich und die Behauptung der Unerkennbarkeit des letteren. Er wurde dazu durch die falsche Voraussetzung der nothwendigen „Beharrlichkeit der Substanz" getrieben, welche ihn verhinderte, die Realität des Lebendigen als des letzten gegebenen Wirklichen anzuerkennen und deßhalb die Bedeutung der unmittelbaren Erlebnisse entsprechend zu würdigen. Er ließ sich durch jene falsche Voraussetzung verleiten, auch im Ich einen beharrlichen substantiellen Wesenskern zu hypostasiren, ein Ding an sich, das er als unerkennbar hinstellte, weil in dem, was wir wirklich erleben, in der That keine Spur davon zu entdecken ist.

Er verschloß seine Augen und seinen Geist vor den lichten Offenbarungen dessen, was wir unmittelbar in uns erleben, und verlegte alles,

was sich hier außer den sinnlichen Erscheinungen und den logischen Operationen des Verstandes ereignete, insbesondere auch den Proceß des freien Wollens, in die selbstgeschaffene unaufklärbare Finsterniß jenes hypothetischen Ding an sich, aus welcher er dann keinen Rückweg mehr finden konnte. Er verwies sie dorthin, weil er sie als unmittelbare Selbstbewegungen „einer beharrlichen Substanz“ nicht zu deuten wußte.

Durch diese dogmatische Fessel verbaute er sich selbst sein in so großartigem Style angelegtes Reformwerk, das er nur durch ein richtiges und unbefangenes Verständniß des Unmittelbaren hätte vollenden können. Anstatt die hier verborgenen Schätze zu heben, schuf er sich durch jene dogmatische Fessel eine Menge künstlicher Schwierigkeiten und Widersprüche, mit deren Lösung er sich dann vergeblich abgemüht hat.

Einer der auffälligsten und verhängnißvollsten dieser selbstgeschaffenen Widersprüche war der, welchen er zwischen der Freiheit und dem Causalgesetz statuiren zu müssen glaubte, weil er in dieser Beziehung wenigstens die Freiheit mit dem liberum arbitrium indifferentiae verwechselte. Er suchte diesen angeblichen Widerspruch dann in sehr eigenthümlicher Weise dadurch zu lösen, daß er die Geltung des Causalgesetes auf das Gebiet der Erscheinungswelt beschränkte, den Proceß des freien Wollens aber in die Nacht das Ding an sich verlegte. Er statuirte im Ich einen empirischen und einen intelligiblen Charafter. Der erstere sollte der Erscheinung, der zweite dem Ding an sich angehören. „Dieselbe Handlung, die einerseits“ (als Aeußerung des empirischen Charakters) „bloße Naturwirkung ist“, soll „doch anderseits“ (sc. als Aeußerung, des intelligiblen Charakters) „als Wirkung aus Freiheit" angesehen werden (Kritik der reinen Vernunft. Ed. Kirchmann S. 442). Er giebt sich die erdenklichste Mühe, diese unhaltbare Unterscheidung sich selbst und seinen Lesern plausibel zu machen. Dieser Vermittelungsversuch widerstreitet jedoch ebensosehr dem Causalgesete als dem wahren Wesen der Freiheit und enthält weiter nichts als ein offenes Bekenntniß der Verkehrtheit der beiden Gesichtspunkte, welche dadurch vermittelt werden follen.

Es widerstreitet dem Causalgesetze und zugleich aller Logik, daß ein und dieselbe Handlung motivirt und doch wieder nicht motivirt sein soll, daß dieselbe als Handlung eines „Ding an sich“, welches als außerhalb alles geseßlichen Zusammenhanges mit den Dingen der Erscheinungswelt stehend gedacht wird, doch Wirkungen in dieser hervorbringen soll. Wenn das Causalgeset für die Dinge an sich einmal nicht gelten soll, so können dieselben auch nicht als Ursachen von Veränderungen in der Erscheinungswelt betrachtet werden, der Wille der Dinge an sich könnte dann weder

motivirt noch wirksam sein, da er nicht wirken und die Folgen seines Wollens nicht vorausberechnen könnte. Es erhellt grade aus diesem Vermittelungsversuche mit großer Evidenz, daß jede der widerstreitenden Behauptungen, für sich betrachtet, falsch und unhaltbar sei. Falsch der Begriff einer Freiheit ursachloser Selbstbestimmung, unhaltbar die Scheidung von Erscheinung und Ding an sich in dem angegebenen Sinne, widerspruchsvoll in sich selbst der Begriff des letteren.

Doch die eigentliche wahre Ansicht Kants liegt außerhalb und über diesen selbstgeschaffenen Schwierigkeiten und enthält einen bedeutsamen Kern, welcher in der Intention wenigstens das Richtige trifft, wenn auch die freie Ausgestaltung dieses Richtigen wiederum durch Vorurtheile verschiedener Art und verschiedenen Ursprungs beeinträchtigt wird.

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„Die Freiheit im praktischen Verstande" nennt er „die Unabhängigkeit der Willkür von der Nöthigung durch Antriebe der Sinnlichkeit.“ „Die menschliche Willkür ist“, so sagt er weiter zwar ein arbitrium sensitivum, aber nicht brutum, sondern liberum, weil Sinnlichkeit ihre Handlung nicht nothwendig macht, sondern dem Menschen ein Vermögen beiwohnt, sich unabhängig von der Nöthigung durch sinnliche Antriebe von selbst zu bestimmen.“ (Kritik der reinen Vernunft S. 436.) Unter dieser Freiheit im praktischen Verstande" wollte er jedenfalls nicht die ursachlose Selbstbestimmung verstanden wissen, deren Verwechselung mit dem Freiheitsbegriff ihn in all jene Widersprüche hineinverwickelt hatte, welche er durch die Scheidung des empirischen und intelligiblen Charakters vergeblich zu lösen suchte. Er verstand darunter vielmehr ein Vermögen der Spontaneïtät im Menschen, die Fähigkeit, sich nach Motiven, die seiner eigenen Natur angehören, selbst zum Wollen zu bestimmen, eine Freiheit der Wahl zwischen mehreren, sich dem Bewußtsein gleichzeitig darbietenden Motiven. Er nannte den Willen in diesem praktischen Verstande dann frei, wenn er nur durch dasjenige bestimmt werde, was der wahren Natur des Menschen entspricht. Dies ist offenbar die wahre Meinung Kants, wenn er die praktische Freiheit als „Unabhängigkeit des Willens von jedem anderen, außer allein dem moralischen Geseße“ definirt (Kritik der reinen Vernunft S. 113), wenn er nur einen solchen Willen „sittlich" nennt, welcher blos durchs moralische Gesetz bestimmt wird" (III. Hauptstück der praktischen Vernunft S. 86). Der Wille soll daher nach Kants wahrer Meinung nicht ursachlos frei, sondern durch die Natur des wahren Menschwesens bestimmt sein, wenn er praktisch frei sein soll, denn das moralische Gesetz galt Kant als der concentrirteste Ausdruck des wahren Menschwesens.

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