Page images
PDF
EPUB

Dies ist der bedeutsame Kern der wahren Ansicht Kants über die menschliche Freiheit: Praktisch frei soll nur derjenige Wille sein, welcher durch sittliche Motive bestimmt wird, weil wir selbst autonome sittliche Wesen sind und unser wahres Wesen inhaltlich und formell durch das bestimmt wird, was wir sollen. Der Mangel, der dieser Ansicht Kants noch anhaftet, beruht lediglich in der mangelhaften Formulirung seines Moralprincips; fast kann man sagen, nur in der mangelhaften Bezeichnung dessen, was er als das Soll in uns begriff. Denn Kant fühlte auch hier das Richtige, wenn er „Achtung fürs moralische Gesek" als „einzige und zugleich unbezweifelte moralische Triebfeder" bezeichnete. Dieses durch die Anerkennung des unbedingten Werths der sittlichen Gebote allein bedingte und bestimmte Gefühl bildet den wahren lebensfähigen und leuchtenden Kern der ganzen Ansicht. Dieses in seinem lebendigen Schooße alle von mir im I. Abschnitt entwickelten Aufschlüsse über das Leben und die Welt in sich tragende Gefühl ergriff selbst in der einseitigen und und strengen Form, in welcher es bei Kant hervortritt, die Gemüther seiner Zeitgenossen mit solcher Tiefe und Gewalt, daß es in den Seelen unserer jugendlichen Freiheitskämpfer, daß es in dem großen Geiste Schillers und aller ihm verwandter Dichter und Schriftsteller zu heller Begeisterung aufflammte, und die unsterblichen Producte unserer classischen Dichtungsperiode schaffen half, an welchen sich der ideale Kern unseres besseren Ich noch immer entzündet und erwärmt.

Diesem inhaltlichen Kerne der Ansicht entspricht zwar nicht der hart und conventionell behandelte Faltenwurf des formalen theoretischen Gewandes, in welches Kant ihn fast gewaltsam hineinpaßte, aber diese rauhe Form charakterisirte doch wiederum in eigenthümlicher Weise den tiefen sittlichen Ernst der Ansicht Kants gegenüber dem platten Eudämonismus der damals alles überwuchernden rationalistischen Lebensauffassung, welcher eine Glückseligkeitslehre predigte, deren Inhalt und Gesichtskreis nicht über das Niveau des sinnlichen Wohlbehagens hinausging. Dieser niedrigen Lebensauffassung wollte Kant entgegentreten, indem er „A ch = tung fürs moralische Gesek" verlangte, welche von allem schielenden Hinblicke auf jene niedere Art von Glückseligkeit frei sein und auf eigenen Füßen stehen, durch den Eindruck ihrer eigenen inneren Majestät und Würde imponiren sollte.

Lediglich dieses damals vollberechtigte Streben, in Verein allerdings mit einer unberechtigten, nur durch das schon gerügte Vorurtheil der Unerkennbarkeit des eigenen Ich zu erklärenden Unterschätzung und Nichtbeachtung dessen, was wir unmittelbar im Gefühl und Willen erleben, drängte ihn zur Aufstellung eines Moralprincips, welches uns in seiner ursprünglichen Form jekt als unzulänglich, ja fast als Caricatur erscheinen muß. Der theoretische Grundgedanke dieses Moralprincips des kategorischen Imperativ ist die völlige Scheidung von Moralität und Glückseligkeit. Hätte Kant sich nicht das Verständniß des Unmittelbaren principiell verschlossen, so hätte er durch Verdeutlichung dessen, was in dem Gefühle der Achtung fürs Sittengesek, was im kategorischen Imperativ des Gcwissens unmittelbar offenbart wird, die Ueberzeugung gewinnen müssen, daß jene Achtung nur allein im Gefühle des unbedingten Werthes dessen, was wir sollen, bestehen könne, daß jenes Gefühl der Achtung selbst eine Glückseligkeit in höchster Potenz bedeute, daß die verbindliche Kraft des Soll nur in dem Bewußtsein des unbedingten Werthes des Ziels unserer sittlichen Bestimmung bestehen könne, daß Moralität und Glückseligkeit in diesem höheren und höchsten Sinne nicht Gegensäße, sondern Correlate seien, die sich gegenseitig bedingen und daß man das Wesen der ersteren zerstört, wenn man dem Ziele der sittlichen Bestimmung jeden fühlbaren und erlebbaren Werth abspricht. Die bloße „Form einer allgemeinen Gesezgebung" bezeichnet etwas rein Thatsächliches, wenn man von allem Werthe dessen absieht, was dadurch erreicht werden soll, und die Herstellung eines rein thatsächlichen Zustandes ohne eigenen inneren Werth enthält keine verbindliche Kraft, ja ist ganz ungeeignet den Willen zu motiviren, als Princip der Moral jemals praktische Wirksamkeit zu erlangen.

Kant hat die Unzulänglichkeit des kategorischen Imperativ in der von ihm aufgestellten Form selbst eingesehen; er hat klar und deutlich eingesehen, daß das sittliche Handeln doch endlich zu einem Zustande der Glückseligkeit führen müsse, wenn es verbindliche Kraft haben solle. Er hat deßhalb die principiell ausgeschlossene Idee der Glückseligkeit auf einem künstlichen Umwege durch die Aufstellung der Postulate der praktischen Vernunft wieder damit zu vereinigen gesucht. Dieser Umweg ist der schwächste Weg, den Kant überhaupt eingeschlagen hat; er ist eigentlich nur ein Versuch, die Widersprüche, Risse und Lücken seines theoretischen Moralprincips durch Lehnsäße aus den herrschenden unzulänglichen sittlichen und religiösen Vorstellungen seiner Zeit in einer Weise praktisch zu überkleistern, welche mit dem principiell vorgezeichnetem Wege nicht vereinbar ist. Er versucht hier von Außen her, aus der trivialen rationalistisch-eudämonistischen Lebensauffassung seiner Zeit, künstlich in das Sittengeses wieder hineinzuinterpretiren, was in viel höherer und edlerer Gestalt im Gefühle das Soll bereits enthalten ist, und was er zuvor durch eine theoretisch unzulängliche Formulirung seines Moralprincips

aus diesem in dem Bestreben entfernt hatte, jene triviale Glückseligkeit von demselben auszuscheiden.

Trok aller dieser Mängel und Einseitigkeiten dürfen wir aber nicht vergessen, was ich noch einmal ausdrücklich hervorhebe: Kant fühlte das Richtige richtig heraus und irrte nur in der theoretischen Formulirung dieses seines richtig herausgefühlten Princips. Er irrte, indem er mit überkommenen Vorurtheilen und Einseitigkeiten rang, die noch zu mächtig waren, um vollständig von ihm überwunden werden zu können; er irrte in dem kerngesunden und vollberechtigten Streben, vor Allem die Einseitigkeiten des rationalistischen Eudämonismus seiner Zeit zu überwinden. Er wollte dieser falschen Glückseligkeitstheorie gegenüber die Moral auf eigene Füße stellen und fand den lebendigen Boden der unmittelbaren Lebenserfahrung, auf dem die Moral allein stehen und gedeihen kann, durch ein verhängnißvolles Vorurtheil überwuchert, durch das Vorurtheil der Unerkennbarkeit des eigenen Ich. Er bezeichnete jedoch die Stelle, wo die Moral allein stehen kann und muß, mit einer überzeugungskräftigen Sicherheit und Bestimmtheit, welche von seinen Zeitgenossen und von der Nachwelt verstanden wurde und ihre segensreichen Wirkungen nach allen Seiten hin entfaltete.

Nur das Nachgraben und Ausbauen des durch das „Gefühl der Achtung fürs Sittengesetz" bezeichneten Bodens überließ er seinen glücklicheren Nachfolgern, und es ist aufrichtig zu beklagen, daß man jest, wo „Zurückgehen auf Kant" das allgemeine Feldgeschrei im Lager der Philosophen ist, und das Interesse an den Schriften Kants in ungeahnter Weise wieder lebendig wird, doch jenen großen Grundgedanken des Altmeisters meist unbeachtet läßt und sich statt dessen mit der steten Neuüberlegung seiner Irrwege begnügt, daß man ihn gar, wie Eduard von Hartmann es that, zum Pessimisten stempeln möchte und dadurch sein ehrwürdiges Bild in den Staub zieht, um für die eigenen Irrlehren Propaganda zu machen*).

Fassen wir das Gesagte zusammen, so hat Kant zwar insofern geirrt, als er einen Widerstreit zwischen der Freiheit und dem Causalgesek voraussetzte und diesen Widerstreit durch die Annahme eines intelligiblen und eines empirischen Charakters im Menschen zu lösen suchte. Er hat

*) Dies geschah meines Wissens zuerst in einem Aufsatz in der Zeitschrift „Im neuen Reich" (Jahrgang 1879 Nr. 35) sodann in „Unsere Zeit" (Jahrgang 1880 3. Heft), welcher letztere Aufsatz dann in dem Buche „Zur Geschichte und Begründung des Pessimismus", Berlin, Carl Duncker 1880, noch einmal abgedruckt ist. Ich verweise zur Beleuchtung dieser Versuche auf meinen Protest in den „Preußischen Jahrbüchern" Bd. XLIV S. 602 sqq. und meine Abhandlungen Bd. XLIII Heft 4 S. 375 sqq. und XLVI S. 380 sqq. daselbst.

jedoch davon abgesehen das Wesen „der Freiheit an sich richtig und zutreffend als das Vermögen des Menschen bezeichnet, sich allein durch das Sittengesez zum Wollen selbst zu bestimmen. Er hat zwar dieses Sittengesek theoretisch unzulänglich formulirt, meinte und fühlte aber das Richtige, indem er die „Achtung fürs moralische Gesetz" als einzige und wahre Triebfeder des sittlichen Handelns gewürdigt wissen wollte.

Auf einem Mißverständnisse des wahren Wesens der Freiheit beruht endlich auch der oft gehörte Einwand, daß durch eine unbeschränkte Freiheit des Wollens alle Ordnung der Dinge und das Ziel der ganzen Weltentwickelung gefährdet werde.

Dieser Einwand könnte nur dann ernstlich in Frage kommen, wenn 1) der unbeschränkten Freiheit des Wollens in uns zugleich eine

schrankenlose Macht des Vollbringens zur Seite stände, und zugleich

2) unsere Freiheit entweder eine unbedingte wäre, oder unser Wollen durch extramundane Ursachen bewegt werden könnte.

Beide Umstände treffen nicht zu.

Eng begrenzt wie unser Gesichtskreis sind auch die Mittel, welche uns vermöge unserer körperlichen und geistigen Organisation zu Gebote stehen, verändernd in den Lauf der Dinge einzugreifen. Sie sind nahezu verschwindend klein im Verhältniß zur Gesammtheit alles Geschehens. Frei ist doch nur der innere Wille. Die Mittel, durch welche wir unsere Willensentschließungen verwirklichen, geben der Freiheit dieser nicht mehr Spielraum des Erfolges, als die unverrückbare Ordnung der Dinge nach eigenem Rechte ihr zugesteht (Mikrokosmus Bd. I S. 280), denn jeder Willensentschluß, der als Wirkung hervortritt, tritt damit in den Kreis der berechenbaren, den allgemeinen Naturgesehen unterworfenen Ereignisse ein, welche alles Geschehen beherrschen. Der Hauptgesichtspunkt für die Beseitigung dieses Einwandes ist aber, daß unser Wille selbst, unsere ganze Natur mit allen Antrieben und Neigungen, welche zum Wollen anreizen und ihm die Richtung bestimmen können, mit zu dem Ganzen der Welt gehören und daher, wenn diese überhaupt einen vernünftigen Zusammenhang hat, auch ihrer inneren Veranlagung nach, unter Hinblick auf alle denkbaren Eventualitäten und Abschweisungen von der inneren Norm ihrer normalen Bestimmung, mit Rücksicht auf das einheitliche Ziel des gesammten Weltprocesses veranlagt sein werden.

Die Besorgniß, auf welcher jener Einwand beruht, kann daher niemals Grund haben, sobald es überhaupt eine Ordnung der Dinge und ein einheitliches Ziel der Weltentwickelung giebt, deren Störung man durch die Eingriffe der freien Willensentschließungen befürchtet, da die nothwendigen Grenzen, innerhalb deren solche Eingriffe sich bewegen können, in jener Ordnung von Anfang an mit einbegriffen gedacht werden müßten, wenn der Begriff der Ordnung vollständig gedacht wird.

Der ganze Einwand kann daher nur unter der zweiten Voraussetzung überhaupt Sinn haben, daß der Wille unbedingt frei, daß er überhaupt durch gar nichts, also auch nicht durch innerhalb jener Ordnung belegene Motive, oder, daß er durch solche Motive bestimmt werden könne, welche außerhalb jener Ordnung belegen seien. Im lekteren Falle aber wäre wiederum der Gedanke der Ordnung unvollständig gedacht, weil Motive hypostasirt werden, welche außer ihr belegen, doch in den gesetzlichen Zusammenhang des Ganzen auf unberechenbare, ungesetzliche Weise eingreifen könnten. Im ersteren Falle wäre der Begriff der Freiheit wieder mit dem längst widerlegten Ungedanken einer ursachlosen Selbstbestimmung verwechselt. Auch dieser Einwand ist mithin hinfällig und widerlegt sich selbst, da seine eigenen Voraussetzungen die Besorgniß aufheben, auf welche er gegründet ist. Die Thatsache der Freiheit widerspricht nicht einer allgemeinen Ordnung der Dinge; sie würde sogar als sittliche Freiheit, wie ich oben schon ausgeführt habe, jener Ordnung als einer nothwendigen Voraussetzung ihrer selbst gar nicht entbehren können, da ohne Voraussicht und Berechenbarkeit seiner Folgen das sittliche Handeln seinen Zweck verfehlen müßte.

Die zweite Art von Einwendungen gegen das Vorhandensein der Freiheit entsteht aus einer Verkennung dessen, was wir thatsächlich in uns erleben, indem wir wollen.

Erinnern wir uns der Schwierigkeiten, welche dem gesonderten Bewußtwerden der Elementarereignisse des geistigen Lebens entgegenstanden, nachdem diese bereits vor Beginn alles philosophischen Nachdenkens unter Anleitung der praktischen Bedürfnisse des Lebens sich zu einer vielgestaltigen Welt fertiger Dinge und Ereignisse entfaltet hatten, in denen die ursprünglichen Elemente ihrer Entstehung nicht mehr deutlich erkennbar sind, so kann es uns nicht wundern, daß auch die Vorstellungen über Wesen und Bedeutung der menschlichen Freiheit, welche mit zu jenen Elementarerlebnissen gehört, nur sehr langsam zu größerer Klarheit und Vollständigkeit gelangten, und fast so vielgestaltig und wech= selnd sind, als die lekten metaphysischen Voraussetzungen über das Wesen und die Natur der lekten Elemente des Wirklichen überhaupt. Jedenfalls stehen dieselben mit diesen letzteren stets im engsten Zusammenhange. Eine vollständige Prüfung der Einwendungen, welche jemals auf Grund unzulänglicher Würdigung der unmittelbar gegebenen Lebenswirklichkeit gegen Bedeutung und Vorhandensein der menschlichen Freiheit erhoben sind, würde daher nichts weniger bedeuten, als eine nach bestimmter

« PreviousContinue »