Page images
PDF
EPUB

Eine unbefangene Exegese dieser Stellen hätte freilich nie und nimmer etwas Anderes herauslesen können und sollen als Folgendes: Christus wollte seinen Jüngern sagen: Seine Gegenwart, sein Schutz, habe ihnen bisher ihren Weg leicht gemacht, aber jetzt nach seinem Tode würden sie auf Bedrängniss und Kampf mit der Welt sich gefasst machen müssen und eines anderen eigenen Rüstzeuges oder Schutzes (,,eines Schwertes“) bedürfen, nämlich der Vorsicht, Selbstthätigkeit, des Aufgebotes aller Mittel, um sich auf dem Wege zu behaupten, wie ein Reisender in unwirthlicher Gegend. Die Apostel aber verstanden das Sinnbild des Herrn von der Nothwendigkeit des Schwertkaufes nicht und meinten, es handle sich um eine unmittelbare Gefahr, um eine sofort nothwendige Vertheidigung mit materiellen Schutz und Trutzwaffen und wiesen auf die zwei wirklichen Schwerter oder Messer hin, die ihnen eben zu Gebote standen. Christus aber wollte mit den Worten,,es ist genug" (,,satis est, ixavòv ot") schmerzbewegt zu erkennen geben, dass er nicht verstanden worden sei und darum das Gespräch abbrechen wolle.1) Und ferner ist klar, dass Christus dem Petrus den weiteren Gebrauch seines (materiellen) Schwertes desshalb untersagt hat, weil er freiwillig in den Tod gehen und nicht dulden wollte, dass Gewalt durch Gewalt abgewehrt werde. Jedenfalls ist aus dem ganzen Zusammenhange soviel ersichtlich für Jedermann, dass Christus hiebei an Beziehungen zwischen Kirche und Staat ganz und gar nicht gedacht hat.

Gleichwohl hat das scholastische Mittelalter diese Stellen benützt, um durch eine offenbar ganz verfehlte allegorische Deutung daraus die Lehre herzuleiten und zu begründen, dass nach göttlichem Willen beide Gewalten (,,Schwerter") in der Hand des Papstes vereinigt sein müssten. Der heilige Bernhard von Clairvaux (1091-1153) ist, soviel man sieht, der eigentliche Begründer dieser Theorie. Er sagt nämlich in seinem berühmten Buche,,De consideratione" 2) lib. IV cap. III, unter

1) So interpretirt auch Reischl in n. aa, cc diese Stelle.

2) Uebersetzt und erläutert von Prof. Dr. J. H. Reinkens unter dem Titel: Papst und Papstthum nach der Zeichnung des hl. Bernhard von Clairvaux. Münster 1870.

B

den Worten bei Lucas:,,siehe, hier sind zwei Schwerter" sei das,,hier“ auf die Kirche zu beziehen, weil ja die Apostel gesprochen hätten, woraus sich ergebe, dass die beiden Schwerter in der Hand der Kirche (oder des Papstes) sich befänden. Bernhard fordert nun seinen Schüler, den Papst Eugen III., auf, mit seinem geistlichen Schwerte einzuschreiten, dagegen das weltliche Schwert, das ihm, dem Papste, zwar auch gehöre, aber nicht von ihm, sondern von den weltlichen Fürsten zu zücken sei, in der Scheide zu lassen.

Fragen wir, warum der Papst sein weltliches Schwert nicht selbst zücken dürfe? so antwortet uns Bernhard: weil Christus dem Petrus befohlen bat, sein weltliches Schwert in die Scheide zu stecken. Und fragen wir wieder, warum ge hören denn die beiden Schwerter dem Petrus, also der Kirche? so antwortet Bernhard: weil Christus, wenn nicht auch das weltliche Schwert in irgend einer Weise dem Papste gehören sollte, nicht gesagt haben würde, als die Apostel sagten:,,Siehe hier sind zwei Schwerter": ,,Es ist genug", sondern, ,,es ist zu viel!" Seine merkwürdigen Worte mögen hier Platz finden, sie lauten:

,,Quid tu denuo usurpare gladium (scil. materialem) tentes, quem semel jussus es ponere in vaginam? Quem tamen qui tuum negat, non satis mihi videtur attendere verbum Domini dicentis sic:,,Converte gladium tuum in vaginam." Tuus ergo et ipse, tuo forsitan nutu, etsi non tua manu evaginandus. Alioquin si nullo modo ad te pertineret et is, dicentibus Apostolis:,,Ecce duo gladii hic", non respondisset Dominus:,,Satis est" sed,,Nimis est". Uterque ergo Ecclesiae et spiritualis scilicet gladius et materialis; sed is quidem pro Ecclesia, ille vero ab Ecclesia exercendus est: ille sacerdotis, is militis manu sed sane ad nutum sacerdotis et jussum imperatoris." Die letztere Stelle ist wörtlich in die Bulle U. S. hinübergenommen, aber statt des Ausdrucks: jussum imperatoris steht dort: patientiam sacerdotis, um ja jede Selbständigkeit der weltlichen Gewalt auszuschliessen!

Ein anderes Mal fordert aber der hl. Bernhard den genannten Papst auf, für das bedrängte gelobte Land die beiden

Berchtold, Bulle Unam sanctam.

2

Schwerter selber zu zücken, da ja beide Schwerter dem Petrus gehörten und die Noth der Zeiten es erfordere, dass beide Schwerter zur Vertheidigung der Kirche im Oriente gezogen werden, obwohl gewöhnlich das weltliche Schwert nicht von dem Papste selbst, sondern nur auf seinen Wink hin gezogen werden solle.

,,Exercendus nunc uterque gladius in passione Domini, Christo denuo patiente, ubi et altera vice passus est. Per quem autem nisi per vos? Petri uterque est: alter suo nutu, alter sua manu, quoties necesse est evaginandus. Et quidem de quo minus videbatur, de ipso ad Petrum dictum est: Converte gladium tuum in vaginam. Ergo suus erat et ille, sed non sua manu utique educendus. Tempus et opus esse existimo ambos educi in defensionem orientalis Ecclesiae. Quale est hoc, principatum tenere et ministerium declinare? (Epistola ad Dominum Papam Eugenium.)

Der Gedankengang Bernhards war demnach offenbar der, dass dem Papste als Nachfolger des hl. Petrus beide Schwerter oder Gewalten durch Christus zuerkannt worden seien, dass aber der Papst der Regel nach (non utique) nur das geistliche führen dürfe, ausnahmsweise aber auch das weltliche. 1)

[ocr errors]

1) Molitor: Die Decretale Per venerabilem von Innocenz III. 1876, bemerkt hiezu S. 92-93: „Der Gedanke, dass die beiden Schwerter in der Kirche und in ihrer Gewalt sind, gehört in dieser charakteristischen Fassung dem hl. Bernhard an und jene Stellen, wo er davon spricht, lassen keinen Zweifel darüber, dass er der Kirche beide beigelegt habe".... ,,Es ist keine Interpretation, sondern ein verlegener Nothbehelf, wenn man den einfachen klaren Sinn des hl. Kirchenvaters... abschwächen will." Wie aber derselbe Molitor auf S. 117 wieder sagen mag, der hl. Bernhard gehöre nicht zu den Vertretern der Theorie von der direkten, sondern nur zu den Anhängern der Theorie von der indirekten Gewalt des Papstes im Zeitlichen, ist mir schlechthin unbegreiflich. Werthvoll ist uns aber seine Bemerkung, dass es ein verlegener Nothbehelf" sei, die Worte Bernhards abschwächen zu wollen. Sie richtet sich offenbar gegen Hergenrother, welcher a. a. O. S. 382 als klare Ansicht Bernhards hinstellt: „dass das materielle Schwert zwar zunächst den weltlichen Fürsten zugehört, aber mindestens nach dem Rathe und der Mahnung der Kirche gebraucht werden soll. Es gehört der Kirche nicht absolut, sondern nur in gewissem Sinne, insofern es ihr Beistand leisten, sie unterstützen und schirmen soll. Das Bild soll zunächst die nothwendige Harmonie beider Gewalten ausdrücken".... „Ebenso“

[ocr errors]

In schärferer Form und Ausprägung tritt uns derselbe Gedanke sodann bei dem Bischofe Johann von Salisbury († 1180) entgegen, welcher lehrt: die weltlichen Herrscher empfingen ihre Gewalt aus den Händen der Kirche als der Inhaberin beider Gewalten, und dieselben seien blosse Diener der geistlichen Gewalt zur Erledigung derjenigen weltlichen Angelegenheiten, mit denen sich die Kirche als ihrer nicht würdig nicht befassen soll. Er lehrt im Polycraticus lib. IV. c. 3:

,,Hunc ergo gladium (saecularem) de manu ecclesiae accipit princeps, quum ipsa tamen gladium sanguineum omnino non habeat. Habet tamen et istum, sed eo utitur per prin cipis manum, cui coercendorum corporum contulit potestatem, spiritualium sibi in pontificibus auctoritate reservata. Est ergo princeps sacerdotii quidem minister, et qui sacrorum officiorum illam partem exercet, quae sacerdotis manibus videtur indigna." Auch sein Zeitgenosse Thomas von Canterbury (ep. 64 ad Henricum Regem) lässt gleichfalls die fürstliche Gewalt von den Händen der Kirche verliehen werden: ,,Et quia certum est, reges potestatem suam accipere ab Ecclesia, non ipsam ab illis sed a Christo, ut salva pace vestra loquar, non habetis Episcopis praecipere....

Hatten aber die Päpste selbst eine andere Auffassung von dem Verhältnisse der beiden Gewalten zu einander als die genannten Kirchenschriftsteller, denen sich noch viele andere anfügen liessen?

Keineswegs! Die ganze christliche Welt war in ihren Augen eine Universal-Lebensmonarchie mit dem Papste als obersten Lehensherrn an der Spitze; Kaiser, Könige und Fürsten betrachteten und behandelten sie als die von ihnen abhängigen, ihnen untergebenen Vasallen. 1)

[ocr errors]

Warum, ruft Gregor VII. im J. 1076 aus, soll der apostolische Stuhl nicht auch mit der ihm von Gott anvertrauten

wagt Hergenröther noch beizufügen ,,lehren Johann von Salisbury, Heinrich von Gent, Alvarus Pelagius und viele andere Schriftsteller" — was einfach unwahr ist!

1) Siche darüber Friedberg „,,De finium inter Ecclesiam et Civitatem regundorum judicio" (1861) S. 26 ff. und in Dove's Zeitschrift f. K.-R. Bd. 8. (1869) S. 69

obersten Gewalt über die weltlichen Dinge entscheiden, da er doch über die geistlichen Dinge entscheidet (,,Quod si S. Sedes apostolica divinitus sibi collata principali potestate spiritualia decernens dijudicat, cur non et saecularia?“).

Er setzt den Kaiser Heinrich IV. ab. entbindet alle seine Unterthanen von dem ihm geleisteten Eide der Treue und beruft sich dabei auf die Beispiele seiner Vorgänger, die es angeblich! ebenso gemacht hätten (,,Alius item Romanus Pontifex, Zacharias videlicet, regem Francorum... a regno deposuit et Pipinum.... in eius loco substituit omnesque Francigenas a juramento fidelitatis absolvit." Epist. VIII. 21.).

Und der bedeutendste aller mittelalterlichen Päpste, Innocenz III., schreibt an den Patriarchen Johann von Constantinopel 1199:,,Gott hat dem Petrus nicht blos die Regierung über die gesammte Kirche, sondern über die ganze Welt übertragen (,,Dominus Petro non solum universam Ecclesiam sed totum reliquit seculum gubernandum"), welche Behauptung der Papst Johann XXII. im J. 1317 bekanntlich mit den Worten wiederholt: Gott hat dem Papste in der Person des hl. Petrus gleichzeitig die Rechte weltlicher und himmlischer Herrschaft übertragen (,,Cui (Pontifici) in persona beati Petri terreni simul et coelestis imperii jura Deus ipse commisit". Extrav. Joh. XXII. Titl V,,Si fratrum").,,Ueber die Völker und Reiche sind wir" sagt Innocenz III. Gott gesetzt, um alles Schädliche auszurotten, damit sie im Frieden regiert werden (,,Super gentes et regna divina providentia constituti ut evellamus noxia... sic ad universas provincias nostrae considerationis aciem extendere volumus, ut in verae pacis vinculo gubernentur“).

-

von

Die geistliche Gewalt verhält sich nach Innocenz III. zur weltlichen Gewalt ganz ebenso wie die Seele sich zum Körper verhält. Um wie viel erhabener die Seele ist als der Körper, um so viel auch die Kirche über den Staat. Beide Gewalten Kirche und Staat sind im Reiche Gottes eingesetzt, aber die Kirchengewalt durch göttliche Anordnung selbst, die Staatsgewalt dagegen durch menschliche Gewaltthat; (wie ja auch Gregor VII. die Entstehung der Gewalt der Fürsten nur auf Hochmuth, Räuberei, Treulosigkeit, Mord, blinde Herrschgier

-

« PreviousContinue »