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der Bulle Unam sanctam nicht die etwaige subjektive Absicht des Definirenden, sondern den objektiven Wortlaut in Betracht ziehen, so verstösst er ganz gröblich gegen die gerade im ca. nonischen Rechtsbuche sanktionirten Auslegungsregeln. Er hätte vielmehr gerade umgekehrt mit uns behaupten müssen: Da es nach dem gesammten Inhalte der Bulle U. S. und nach den sonst feststehenden historischen Thatsachen unzweifelhaft die Absicht des P. Bonifaz gewesen ist, in seiner Bulle die absolute Obergewalt des Papstes über die Fürsten der Erde auch in zeitlichen Dingen zu lehren; so muss der Schlusssatz der Bulle (Porro subesse etc.), wenn auch darin,,die kirchenpolitische Subjektion der Staatsgewalt" nicht ausdrücklich betont ist, doch dahin verstanden werden, dass alle Kreatur auch in weltlichen Dingen dem Papste unterworfen sei.

Zu einer solchen Auslegung hätte übrigens Martens auch durch die andere, uns Juristen allen so geläufige Auslegungsregel kommen sollen, dass, wenn der Gesetzgeber selbst keine Unterscheidung gemacht habe, auch der Ausleger keine solche machen dürfe, (,,Ubi lex non distinguit, nec nostrum est distinguere"). Da nämlich P. Bonifaz selber, welcher im ganzen Verlaufe fast nur von der Unterordnung der Fürsten in weltlichen Dingen handelt, im Schlusssatze beim entscheidenden Worte,,subesse" keinen Unterschied macht zwischen geistlichen und weltlichen Dingen, sondern schlechthin die Unterwerfung unter den römischen Bischof als zur Substanz des Glaubens gehörig lehrt: So ist es eine ganz unzulässige Willkür, wenn man als Ausleger der Bulle jene Unterwerfung nur auf die geistlichen Dinge oder um mit Martens zu reden - nur auf,,das spezifische kirchliche Band, welches die einzelnen Gläubigen in geistlichen Dingen an das Oberhaupt der Kirche knüpft", bezieht und beziehen zu dürfen glaubt, nicht aber auch auf die weltlichen Dinge. Und gerade dem Papste Bonifaz gegenüber ist die Auslegung, welche Martens der Bulle U. S. angedeihen lässt, um so weniger zulässig, als es sich um einen juristisch so wohl geschulten Papst handelt, welcher in seiner eigenen Gesetzsammlung, dem Liber Sextus, die stolzen Worte von sich selber gebraucht, dass er alle Rechte im Schreine seiner Brust trage (,,Licet Romanus pontifex, qui jura omnia in scrinio pectoris

sui censetur habere u. s. w. in c. 1 in N: 1. 2).

Dieser Papst gerade dürfte sich selbst dann nicht beklagen über unsere Auslegung seiner Bulle, wenn seine Absicht weniger deutlich vorläge als es in der That der Fall ist, da ihm unzweifelhaft die weitere römische Interpretationsregel so bekannt war, wie uns heutzutage, welche lautet:

,,Interpretatio est contra eum facienda, qui clarius loqui debuisset."

Ich habe in meiner Schrift: Die Unvereinbarkeit etc. behauptet und behaupte auch heute noch, dass durch die Julidogmen des vatican. Concils vom Jahre 1870 der gesammte Inhalt der Bulle Unam sanctam und auch der so vielbesprochene Syllabus vom Jahre 1864 Gegenstand des römisch-katholischen Glaubensbekenntnisses geworden sei.

Martens hält diese Behauptung,,für absolut falsch und grundlos“ (S. 65). Und warum? Darum, sagt er, weil der verheissene göttliche Beistand dem Papste nur zu Theil werde für das eigenthümliche Gebiet der von Christus der Menschheit gespendeten übernatürlichen Offenbarung. Da nun aber die Offenbarung Christi über das prinzipielle Verhältniss zwischen Kirche und Staat keinen Aufschluss biete, so könnten auch die auf den bezeichneten Gegenstand bezüglichen päpstlichen Erklärungen nicht zu den Objekten der lehramtlichen Unfehlbarkeit gehören. Mir scheint, dass sich Martens die alle Welt in Aufregung versetzenden Definitionen des vatican. Concils doch gar zu leicht gemacht hat.

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Ich halte seine Prämisse für falsch. Nicht darum handelt es sich, was hätte festgestellt werden dürfen, können oder sollen, sondern darum, was wirklich definirt worden ist.

Martens meint, der so vielfach missverstandene und überschätzte,,Universal-Episcopat" des Papstes komme seiner Natur nach für die einzelnen Diöcesen nur in besonders dringenden Fällen zur Geltung und drücke die Bischöfe keineswegs zu blossen Delegaten oder Vicarien des Papstes herab. Allein das cap. III der Constitutio de ecclesia Christi weiss davon nichts. Es ertheilt ja dem Papste nicht blos das Amt eines Inspektors und Direktors wie Martens offenbar meint - sondern schlechthin die volle und oberste Jurisdiktionsgewalt

über die ganze Kirche, nicht nur in den Dingen, welche sich auf Glauben und Sitten, sondern auch in jenen, welche sich auf die Disciplin und die Regierung der auf dem ganzen Erdkreise zerstreuten Kirche beziehen (,,Si quis itaque dixerit, Romanum Pontificem habere tantummodo officium inspectionis et directionis, non autem plenam et supremam potestatem jurisdictionis in universam Ecclesiam, non solum in rebus, quae ad fidem et mores sed etiam quae ad disciplinam et regimen Ecclesiae per totum orbem diffusae pertinent"). Der Papst hat nicht blos einen vorzüglicheren Antheil an der höchsten Gewalt, sondern deren ganze Fülle (,,aut eum habere tantum potiores partes, non vero totam plenitudinem hujus supremae potestatis"), und diese seine Gewalt ist eine ordentliche und unmittelbare sowohl über alle und die einzelnen Kirchen als auch über alle und die einzelnen Hirten und Gläubigen (,,aut hanc ejus potestatem non esse ordinariam et immediatam sive in omnes ac singulas ecclesias sive in omnes et singulos pastores et fideles anathema sit.")

Wie man angesichts dieses dogmatischen Wortlautes noch behaupten kann, der päpstliche Universal - Episcopat komme seiner Natur nach für die einzelnen Diöcesen ,,nur in besonders dringenden Fällen" zur Geltung, und die Bischöfe seien darum noch keine blossen Vicare des Papstes geworden, ist mir schlechthin unbegreiflich. Es hängt doch offenbar blos vom Belieben des Papstes ab, ob er von seiner obersten ordentlichen und unmittelbaren Gewalt über jede Diocese, jeden Bischof, jeden Gläubigen Gebrauch machen wolle oder nicht. Und wenn Martens ferner sagt, die lehramtliche Unfehlbarkeit verleihe dem Papste weder göttliche Allwissenheit noch göttliche Allmacht, sie mache ihn weder zu einem göttlichen noch zu einem sündenlosen Wesen, sondern sie vermittle ihm nur den göttlichen Beistand, vermöge dessen er zum Wohle der Kirche vor der feierlichen Verkündigung einer falschen Glaubenslehre bewahrt werde: So erwidere ich darauf einerseits, dass noch kein vernünftiger Mensch die ersten beiden Sätze behauptet hat, und andererseits, dass der letztere Satz durch den Wortlaut des cap. IV. der constitutio dogmatica prima de ecclesia Christi nicht gedeckt wird. Das festgestellte Dogma

lautet nicht dahin, dass der Papst durch den göttlichen Beistand vor der feierlichen Verkündigung einer falschen Lehre bewahrt werde, sondern dass seine Aussprüche ex cathedra in Sachen des Glaubens und der Sitten von sich aus und ohne die Zustimmung der Kirche unfehlbar seien (,,Docemus et divinitus revelatum dogma esse definimus, Romanum Pontificem, cum ex Cathedra loquitur . . . . ea infallibilitate pollere qua divinus Redemptor Ecclesiam suam . . . instructam esse voluit; ideoque ejusmodi Romani Pontificis definitiones (scil. de fide vel moribus) ex sese non autem ex consensu Ecclesiae irreformabiles esse"). Es liegt also offenbar wieder ganz im Ermessen des Papstes, dogmatisch auszusprechen, ob dieser oder jener Gegenstand in's Gebiet des Glaubens oder der Sitten gehöre oder nicht, ob also z. B. das Verhältniss der Kirche zum Staate dem einen oder anderen Gebiete und in welchem Masse angehöre oder nicht. Die Behauptung Martens', dass die Offenbarung Christi über das principielle Verhältniss zwischen Kirche und Staat keinen Aufschluss biete und also die päpstlichen Erklärungen darüber nicht zu den Objekten der lehramtlichen Unfehlbarkeit gehören, ist, da die heilige Schrift wie Martens auf S. 1 u. ff. der ,,Einleitung" ja selbst zugesteht allerdings eine Reihe von Sätzen enthält, die sich auf die weltliche Obrigkeit beziehen, mindestens eine sehr gewagte. Jedenfalls umfasst, wie Delitzsch in Öhler's Lehrbuch der Symbolik 1876 S. 305 zutreffend bemerkt, das Gebiet der Sitten, worüber der Papst jetzt auch allein zu bestimmen hat, das gesammte praktische Leben der Gläubigen wie der christlichen Völker, insoferne dasselbe durchweg von christlich-sittlichen Ideen beherrscht sein soll, umfasst mithin auch das Gebiet des Rechts und der staatlichen Gesetzgebung, die Beziehungen der Religion zur Gesellschaft, der Kirche zum Staate; ja es ist geradezu unbegrenzt; überall lassen sich wenigstens mittelbare und indirekte Beziehungen zur christlichen Sittenlehre auffinden. Eben darum droht das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes auch dem Staate Unheil und fordert ihu zu Gegenmassregeln heraus." Dass Delitzsch den Nagel auf den Kopf getroffen hat durch die Bemerkung, dass sich überall wenigstens mittelbare und indirekte Be

ziehungen zur christlichen Sittenlehre auffinden lassen, dafür können wir jetzt schon als Beleg anführen die vor unseren Augen im Laufe dieses Sommers behandelte Septennatsfrage, welche, obwohl an und für sich eine rein politische Frage, doch dem Papste als obersten Gewissensleiter die willkommene Gelegenheit bot, auf das Centrum im Sinne der Annahme der Reichs-Regierungsvorlage einzuwirken unter Hinweis darauf, dass auch diese Frage mit religiösen und moralischen Fragen zusammenhänge!"

Die Curialisten und Anticurialisten stimmten und stimmen denn auch, so weit ich sehe, immer und fast Alle darin überein, dass die Frage nach dem Verhältnisse von Staat und Kirche zu einander eine überaus wichtige Glaubens- und Sittenfrage sei. Und nur darüber bestand und besteht eine Meinungsverschiedenheit, ob die Kirche nach göttlicher Anordnung dem Staate übergeordnet sei - was die Ersteren behaupten oder ob der Staat ein selbständiges, von der kirchlichen Autorität unab hängiges Lebensgebiet habe, wie die Anticurialisten behaupten und zu beweisen suchen.

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Nach all' dem Gesagten müssen wir also auch den von Martens gemachten Versuch, die Bulle U. S. so zu interpretiren, dass die ,, vaticanisch-gläubigen" Katholiken den daraus sich ergebenden Schwierigkeiten aus dem Wege gehen könnten, als einen durchaus verunglückten bezeichnen.

Nachdem ich im Bisherigen die verschiedenen Versuche, der Bulle U. S. einen für den Staat ganz ungefährlichen Charakter zu vindiciren, in ihrer Haltlosigkeit nachgewiesen zu haben glaube, wende ich mich nunmehr zur

B. Richtigen Erklärung der Bulle U. S.,

zur zweiten Klasse der Beurtheiler, nämlich zu denen, welche, wie oben bemerkt, dieselbe für durch und durch, von oben bis unten dogmatisch halten und auch die Consequenzen daraus für das Verhältniss der Kirche (des Papstes) zu den Staaten zu ziehen nicht verfehlen.

Es gehören hieher zunächst nicht blos die früheren Jesuiten seit Bellarmin, sondern auch die modernen, also die eigentlichen Urheber und Redaktoren der neuen Julidogmen des Jahres 1870.

Berchtold, Bulle Unam sanctam.

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