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fehlen Weihrauch zu streuen, den Gehorsam; aber nicht weigerten sie sich, widerstandslos und als Martyrer zu sterben“.

Uebereinstimmend mit der von Prof. Reischl entwickelten Auffassung der Worte der bl. Schrift habe ich als Staats- und Kirchenrechtslehrer niemals etwas Anderes gelehrt, als dass die eigentliche Quelle des Rechts der Staatsgewalt in Gott ruhe, nicht aber im Papste, dass die weltlichen Herrscher ihre Autorität von Gott ableiten, nicht aber vom Papste, dass sie von diesem nicht gerichtet, nicht abgesetzt werden können; dass die Unterthanen um Gottes Willen zum Gehorsam gegen die weltliche Obrigkeit unbedingt auch gegen den Einspruch des Papstes, der kein Recht habe, den Unterthanen Eid aufzuheben, verpflichtet seien, dass in dem kaum mehr denkbaren Falle der Erlassung von Gesetzen oder Befehlen der Obrigkeit gegen klare göttliche Vorschrift höchstens passiver Widerstand, niemals aber aktiver zulässig sei.

Was lehrt nun aber P. Bonifaz und was müssten wir, wenn wir ihm darin folgen sollten, als katholische Rechtslehre vortragen? Nun, das gerade Gegentheil von all' dem eben Gesagten!

P. Bonifaz lehrt: Auch die weltliche Gewalt stehe von Rechtswegen dem Papste zu, der sie nur den weltlichen Fürsten zur Ausübung übertrage, aber nach seinem Willen und solange er es dulde. Er lehrt, dass die weltliche Gewalt der geistlichen Gewalt des Papstes unterworfen sei, indem er die klaren Worte des Apostels: die bestehenden (weltlichen) Gewalten sind von Gott geordnet d. h. (eingesetzt) geradezu in doppelter Weise verdreht und sagt: die beiden Gewalten (d. h. die geistliche und die weltliche) wären nicht geordnet d. h. in das richtige Verhältniss zu einander gesetzt, wenn nicht die eine Gewalt (das eine Schwert) unter der andern (dem andern Schwerte) stünde!

Er lehrt: Die Wahrheit (d. h. Gottes Wort) bezeuge, dass die geistliche Gewalt (d. h. der Papst) die irdische Gewalt einzusetzen und abzusetzen befugt sei, ganz im Gegensatze zum Apostel Paulus, welcher sagt:,,Wer also der Obrigkeit Widerstand leistet, widersetzt sich Gottes Ordnung". Er lehrt, diese, dem Papste zustehende Ueberordnung über alle weltliche

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Gewalt sei abzuleiten aus der dem Petrus und seinen Nachfolgern von Christus anvertrauten Schlüsselgewalt, indem er die Worte im I. Briefe des Apostels Paulus an die Korinther cap. II. V. 14 und 15: Der geistliche Mensch richtet Alles, er selbst wird von Niemanden gerichtet", auf sich, den Papst, und ferner die Worte Christi an Petrus bei Matth. XVI. 19:,,Was immer Du gebunden haben wirst auf der Erde, wird immer gebunden sein (auch) in den Himmeln" u. s. w. auf seine Obergewalt auch in zeitlichen Dingen bezieht; - während Paulus gar nicht im Entferntesten daran dachte, unter dem Worte,,homo spiritualis" den Papst zu begreifen, wie schon der volle Text der Stelle ergibt, 1) und Christus unter der Schlüsselgewalt" oder,,Binde und Lösegewalt" nur eine Gewalt für das ,,Himmelreich",) d. h eine auf die Angelegenheiten des ,,Geistlichen und Ewigen" sich beziehende Gewalt, nicht aber eine politischjuristische Ueberordnung des Petrus und seiner Nachfolger über die Reiche dieser Welt, nicht eine Weltherrschaft desselben gemeint haben kann.

Sind schon das lauter greifbare Verdrehungen der Worte und des wahren Sinnes der heiligen Schrift, so ist die Hereinziehung des I. Cap. V. 1 des I. Buches Moses: (,,Im Anfange schuf Gott den Himmel und die Erde") zum Beweise, dass es nur Eine oberste Gewalt in der Welt geben könne, nämlich der Papst, wohl der Gipfelpunkt mittelalterlicher Bibelexegese und canonistischer Beweisführung. Aus dem Worte,,in principio", was für Jedermann klärlich eben im Anfange" heisst und heissen muss, macht P. Bonifaz „Ein Princip“ (d. h. Eine

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1) Sie lautet vollständig: „Der sinnliche Mensch aber nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn Thorheit ist es ihm, und er vermag nicht, es zu erkennen, weil es geistig beurtheilt wird. Der Geistige aber beurtheilt Alles, er selbst aber wird von Niemanden beurtheilt" (Vulg.:,,Animalis autem homo non percipit ea, quae sunt Spiritus Dei: stultitia enim est illi, et non potest intelligere: quia spiritualiter examinatur. Spiritualis autem judicat omnia, et ipse a nemine judicatur"). Siehe dazu die Erklärung Reischl's auf S. 690, not. qu. r.

2) Denn die vom Papste Bonifaz wohlweislich weggelassenen Anfangsworte der Stelle lauten: ,,Und geben werde ich dir die Schlüssel des Himmelreiches. Und was immer u. s. w. (,,Et tibi dabo claves regni coelorum" etc. Vulg.)

Gewalt) und lehrt: Gott habe Himmel und Erde nicht in mehreren sondern in Einem Princip erschaffen, und folglich sei Jeder, der zwei Principien (d. h. zwei einander coordinirte Gewalten) annehme, ein Manichäer!1)

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Angesichts alles Dessen, was P. Bonifaz in der Bulle U. S. - sei es dogmatisch in allweg wie ich annehme, oder theils dogmatisch theils ,,obiter et incidenter" (so nebenbei zum Beweise und zur Motivirung wie Hergenröther und Genossen annehmen) gelehrt oder doch vorgetragen hat, begreifen wir allerdings, ich wiederhole das, die grosse,,Verlegenheit", in welcher sich unsere Infallibilisten als Bürger des modernen Staates befinden. Was wir aber ganz und gar nicht begreifen, das ist die Art und Weise, wie sie ohne viel Kopfzerbrechens gerade den auch von ihnen für dogmatisch erklärten Schlusssatz derselben mit dem Beschlusse der V. lateranensischen Synode in Einklang bringen zu können glauben.

Diese Synode oder richtiger gesagt P. Leo X. in Gegenwart und unter Zustimmung des Concils hat, um die episkopalistischen Beschlüsse des Constanzer und Basler Conzils noch mehr zu verwerfen als es bereits durch die früheren Päpste geschehen war, und um die absolute Machtfülle des Papstes recht drastisch hervortreten zu lassen, ausdrücklich die Bulle U. S. erneuert und bestätigt, jedoch mit bemerkenswerther Aenderung.

Leo's Constitutio (Pastor aeternus) lautet im einschlägigen Theile also),,Et cum de necessitate salutis existat, omnes Christi fideles Romano pontifici subesse, prout divinae scripturae et S. S. Patrum testimonio edocemur ac constitutione fel. memoriae Bonifacii P. VIII., quae incipit Unam sanctam declaratur, pro eorundem fidelium animarum salute ac Rom. Pontificis et hujus S. Sedis suprema auctoritate et Ecclesiae sponsae suae unitate et potestate, constitutionem ipsam

1) Da ist nun interessant, dass Hergenrother, der so wenig als die übrigen curialistischen Ausleger der Bulle U. S. an den vielen von Bonifaz gemachten ganz greifbaren Verdrehungen der heiligen Schrift irgend einen Anstoss nimmt, hier S. 304 n. 16 die schüchterne Bemerkung wagt: „Wohl ist das Bereschit der Genesis,,im Anfange" zu übersetzen," fügt aber, offenbar um die nackte Blösse, die sich Papst Bonifaz gibt, sofort wieder zuzudecken, gleich bei: „gleichwohl haben viele Väter in principio oder in Filio übersetzt." (!) 2) S. Hergenrother S. 699 n. 2.

sacro praesenti Concilio approbante innovamus et approbamus, sine tamen praejudicio declarationis s. m. Clementis P. V., quae incipit: Meruit."

Zwei Punkte sind es, die hier unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen:

1) Die Art und Weise, in welcher die Bestätigung der Bulle U. S. vorgenommen wurde; und

2) die Aufrechthaltung der Bulle Meruit daneben.

Zu 1) bemerke ich Folgendes: Die Constitutio Leo's X. stellt den Schlusssatz der Bulle U. S. an die Spitze, aber mit einer auffallenden Umänderung der Worte.

Während es nämlich in der Bulle U. S. heisst,,omni humanae creaturae", sagt die Constit. Leo's ,,omnes Christifideles".

Wie erklärt sich das? Sind das gleichbedeutende, wenn auch verschiedene, Ausdrücke für ein und dieselbe Sache ?

Offenbar nicht! Man mag ,,omni humanae creaturae" mit ,,jede menschliche Creatur" (im Sinne von ,,alle Menschen“) übersetzen (wie die Meisten thun), oder mit ,,jede weltliche Obrig keit" (wie man nach unserer obigen Ausführung thun muss): In beiden Fällen deckt sich der Ausdruck,,omnes Christifideles" nicht mit dem Ausdrucke ,,omni humanae creaturae."

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Während nämlich P. Bonifaz gelehrt hat:,,alle Menschen" oder jede weltliche Obrigkeit" was wir hier ganz dahingestellt sein lassen können müssen resp. muss dem Papste unterworfen sein; lehrt Leo X. nur: alle Christglä ubigen müssen dem Papste unterworfen sein!

Dass das ein gewaltiger Unterschied ist, liegt auf der Hand. Denn nach Bonifaz unterstehen auch die Nichtchristen oder auch die nichtchristlichen Fürsten dem Papste, nach Leo X. aber bloss die Christen. Ich erkläre mir das so:

Man war sich, wie ich glaube, auf dem V. lateran. Concil doch der altkatholischen Anschauung bewusst geworden, dass der Kirche (dem Papste) über die Nichtchristen (seien es Unterthanen oder Obrigkeiten) keinerlei Gewalt zustehe, und hat darum den zu weitgehenden Ausdruck Bonifaz VIII. auf seine richtigen Grenzen zurückführen wollen.

Auch den Fuldaer-Bischöfen war das nicht entgangen. Sie

sagen ja selbst:,,Der Ausdruck: omni humanae creaturae wird im fünften Concil des Laterans vom Papst Leo X. erklärt durch die Worte: omnes Christifideles."

Wie kann man aber, frage ich, von einer blossen Wort-Erklärung sprechen da, wo eine in die Augen springende Aenderung eines Textes vorliegt? und wie ist es nach katholischen Grundsätzen möglich, dass ein späterer Papst den Wortlaut eines dogmatischen Gesetzes eines früheren Papstes geradezu ändert? Ich weiss keine andere Antwort auf die Frage als die Entweder hat P. Bonifaz nicht unfehlbar gelehrt oder Leo X. nicht, man müsste denn annehmen, dass auch dogmatische Entscheidungen einer späteren Abänderung fähig und bedürftig sein können.

Da nun aber das Letztere meines Wissens von keinem einzigen Dogmatiker für zulässig erachtet wird,1) so bleibt nur die erstere Annahme übrig, und es bildet somit die Bulle U. S., wie ich schon oben betont habe, für alle über diese Dinge unterrichteten und nachdenkenden Katholiken ein unübersteig bares Hinderniss für den Glauben an die päpstliche Unfehlbarkeit überhaupt.

Zu 2) ist Nachstehendes zn erwägen: Leo X. hat nicht blos die Bulle U. S. sie wesentlich ändernd erneuert und bestätigt, sondern auch die Bulle Meruit Clemens' V. Was diese letztere betrifft, so ist hier kurz die geschichtliche Notiz vorauszuschicken, dass sich der König Philipp der Schöne durch die Existenz der vom P. Bonifaz gegen ihn erlassenen Bullen und sonstigen Akte sehr beunruhigt fühlte. Er drang daher in den zweiten Nachfolger des P. Bonifaz, den Franzosen Clemens V., den Begründer der sogenannten babylonischen Gefangenschaft der Päpste in Avignon, und erreichte bei diesem nicht blos den Widerruf mehrerer Bullen des P. Bonifaz, sondern auch die Tilgung der bedenklichsten Stellen in der Bulle ,,Ausculta fili" in dem im päpstlichen Archive zu Rom befindlichen Originale, sowie die im Interesse der Geschichtsforschung so beklagenswerthe Vernichtung der Akten der römischen Synode von 1302.

1) Ganz pathetisch ruft Hergenröther S. 921 aus: „Nie kann eine spätere Lehrentscheidung den vorhergehenden widersprechen; letztere bleiben unangetastet für alle Zeit."

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