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I. Kapitel.

Das Eisenbahntarifwesen im allgemeinen.

§ I. Die Eisenbahnen überhaupt.

Wohl die wichtigste Errungenschaft des XIX. Jahrhunderts sind die Eisenbahnen, von welchen sich besonders die Lokomotivbahnen rasch zu einer ungeahnten Blüte entwickelten und heute mehr als die Hälfte des ganzen gewaltigen Weltverkehrs an sich gezogen haben. Ein eigenes Rechtssystem hat sich für dieses neue Transportmittel entwickelt und findet seinen Ausdruck in einer Menge gesetzgeberischer Vorschriften, und privater Statuten aller Kulturstaaten; eine reiche Literatur1) zeigt, wie sehr die Wissenschaft sich für das Eisenbahnwesen interessiert. Mit dem Auftauchen der ersten Eisenbahngedanken entstanden. zwei Eisenbahnverwaltungssysteme, welche für den Bau und Betrieb dieser Transportanstalten von prinzipieller Bedeutung und hohem Einflusse sind: nämlich das Privatbahnsystem, zu welchem das Staatsbahnsystem im Gegensatze steht. Beide treten heutzutage getrennt, oft aber auch in einander greifend auf 2).

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Eisenbahnen als Verkehrswege unter den staatsrechtlichen Begriff der öffentlichen Werke fallen und demnach deren Bau und Betrieb Sache der

1) Lehr, Eisenbahntarifwesen, Berlin 1879, S. 334-336. Ulrich, Das Eisenbahntarifwesen, Berlin 1886, S. 501. Eger, Eisenbahnrechtl. Entscheidungen, heute beim XVII. Bande angelangt.

2) Stürmer, Geschichte der Eisenbahnen, Bromberg 1872. Haberer, Geschichte der Eisenbahnen, Wien 1884.

Staatsgewalt ist. Die Rechte des Staates an den Staatsbahnen sind der Ausfluss seines Eigentums, die Befugnisse desselben gegenüber den Privatbahnen haben den Charakter von staatlichen Hoheitsrechten." 1) Wenn demnach Private eine Eisenbahn bauen wollen, so müssen sie beim Staate um Genehmigung der Anlage einkommen, welche aber unter Umständen von diesem verweigert oder abgeändert werden kann. Diese staatliche Genehmigung heisst allgemein „Konzession“ (früher Privilegium); in der Regel ist mit demselben das Zwangsenteignungsrecht gegenüber Immobilien, welche die in Aussicht genommene Anlage durchziehen soll, verbunden 2). Anders ist es, wenn der Staat selbst eine Bahn bauen will, hier übt er sein Hoheitsrecht selbst aus und kann das Expropriationsrecht direkt anwenden.

Hinsichtlich des Betriebes kommen heute Regie und Delegation an Private vor, erstere z. B. bei den Bayerischen Staatsbahnen, letztere von Anfang an in Belgien, auch teilweise in Holland; in der Schweiz bestanden nur im Kanton Bern Staatsbahnen, welche aber durch Fusion in der Privatgesellschaft der Jura-Simplon-Bahn aufgingen. Heute besitzt der Staat Neuenburg seit 1885 den Jura-Neuchâtelois, dessen Betrieb er aber 1899 an eine Privatgesellschaft verpachtet hat3).

Verschieden ist die Kapitalbeschaffung bei den verschiedenen Eisenbahnsystemen, bei Privatbahnen geschieht sie durch Aktienzeichnung (in seltensten Fällen durch rein privates Aufkommen); ferner durch Subventionen von Staat, Gemeinden und Privaten; die Staatsbahnen erhalten dagegen ihr Anlagekapital vom Fiskus. Die Transportgebühren, diese wichtigsten Einnahmequellen der Transportanstalten, beruhen auf den Tarifen, welche hinsichtlich der Transportgegenstände sich in Güter- und Personentarife (welche letztern in dieser Arbeit besonders berücksichtigt werden) unterscheiden.

1) G. Meyer, Lehrb. des Deutschen Verwaltungs-Rechts, I. Aufl., I 522.

2) Vergl. z. B. Bundesgesetz über Bau und Betrieb der Eisenbahnen vom

23. XII. 1872, Art. 1-4 (E. A. I, 7; III, 10; V, 31).

3) E. A. n. F. XVI. Beilage I, 5 und VI, 19.

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