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sich in dieser Hinsicht selbst, indem er sich zum Transporte in einer bestimmten von ihm frei gewählten Wagenklasse meldet. Die Eisenbahn rechnet alsdann an Hand seiner Erklärung über Klasse und Reiseziel (nähere Reisebedingungen) den Fahrpreis aus. Die Theorie hat die Behauptung aufgestellt, dass derjenige, welcher eine Reise beabsichtigt, den voraussichtlichen ökonomischen Erfolg derselben ins Auge fassend sich eine teurere oder billigere Fahrt gestattet. In praxi wird dies wohl kaum vorkommen, einige ganz seltene Fälle ausgenommen. In erster Linie fallen für den Reisenden seine ökonomischen Verhältnisse, seine gesellschaftliche Stellung und in letzter Linie seine persönliche Bequemlichkeit in Betracht. Im heutigen Eisenbahnwesen, in welchem Ausnahmetaxen zur Regel geworden sind 1), ist, wie wir später sehen werden, für alle Vermögensverhältnisse reichlich gesorgt. Gerade die Schweiz geht angesichts ihrer verhältnismässig hohen Normalsätze in entgegenkommendster Weise voran. „Es gibt kein Land der Erde, in welchem der Reiseverkehr so überaus reich an allen möglichen Erleichterungen ist. Vom vornehmen Reisenden, welcher bequem in seinem eigenen oder gemieteten Salonwagen reserviert und behaglich das Land durchfährt (die neueste Phase des Grossbesitzes), bis zum einfachsten Arbeiter, welcher nach Feierabend auf Grund seines äusserst ermässigten Arbeiterbillets seinem ländlichen Heime zufährt und sich dabei wohl und glücklich fühlt, für alle, alle ist gesorgt. Die künftigen Bundesbahnen können genau genommen im Personentarifwesen selbst nicht mehr viel Neues schaffen oder erfinden, und darf mehr nur ihre spekulative Tätigkeit auf eine zweckmässig zentralisierte Ausbildung des Fahrplanwesens gewendet werden 2).

1) Die N.-O.-B. allein (!) hat für annähernd 1400 Relationen in ihrem internen Verkehr Ausnahmetaxen. Vergl. Personentarif von 1897, S. 117-135. Abonnements, Rundreisebillets nicht mitgerechnet!

2) Zuschrift von Hrn. Direktor Bronner, Chef des Kommerziellen Bureaus der S.-C.-B. in Basel.

§ 4. Die Tarifarten.

Bevor wir auf diese eintreten, erübrigt uns eine Frage kurz zu erwähnen. Man spricht viel von Zonen- und Staffeltarifsystem 1), als selbständige Systeme, beide sind aber nur eine besondere Art der Preisfestsetzung! In der Regel wächst der Fahrpreis mit den Entfernungen, infolge einfacher Multiplikation der Distanzeinheit mit dem konstanten Normalsatze (Entfernungstarif); da aber der Transport auf grosse Strecken verhältnismässig weniger Kosten verursacht, als auf kurze, hat man verschiedene Versuche angestellt und durchgeführt, indem man die Einheitsentfernungen über das gewöhnliche Mass hinaus verlängerte, z. B. auf 10 oder 50 km, und für diese grösseren Einheiten, je mehr sie steigen, verhältnismässig billigere Taxen berechnet als für kürzere Strecken. Das geht fort bis zu einer gewissen Maximaldistanz, über welche hinaus der Taxsatz nicht mehr steigt, sondern konstant bleibt 2). Die Zonentarife setzen ein zentral angelegtes Eisenbahnnetz voraus (Ungarn-Budapest), während die Staffeltarife von einer jeden Station ausgehen. Brennend wurde die Einführungsfrage solcher Tarife schon 1840, bei Durchführung der Rowland Hillschen Postreform, welche neben andern Reformen an die Stelle der nach einfachen Entfernungen wachsenden Sätze einen niedrigern Einheitssatz für alle Entfernungen (unter Festhaltung einiger weniger Gewichtsstufen) ansetzte. Dieser Grundsatz hat sich im Postwesen die Welt erobert 3)! Andere Vorschläge machten der Engländer Raphael Brandon) 1864, indem er nur eine Klasse aufstellen wollte, Dr. William Scharling, ein Däne 18675) der die Abschaffung des Entfernungstarifs verlangte. Von Bedeutung

1) Lehr 198-328. Ulrich, Personentarifreform und Zonentarif 1892, S. 9 ff.. 2) Eine kurze und klare Darstellung findet sich bei Lotz, Verkehrsentwicklung in Deutschland, S. 80 u. ff. und in Glasers Annalen für Gewerbe und Bauwesen, Berlin 1891, Bd. 28, S. 12 ff.

3) Hieher auch Lotz, Verkehrsentwicklung in Deutschland 1800-1900, S. 7. (Aus Natur und Geistesleben, Bd. 15, Leipzig 1900.)

4) Ulrich, Personentarifreform, S. 13.

5) a. a. O., S. 12.

ist der Vorschlag von Dr. Fr. Perrot 1869'), der zwei Zonen (richtiger wäre der Ausdruck „Staffeln") vorschlug; dieses Prinzip ist denn auch bei vielen Bahnen im Personenverkehr durchgeführt worden, so in der Schweiz. Aehnlich waren die Vorschläge von Hertzkas 2) und Engels 3) (3 Zonen). Ueberall wollte man den Ausfall durch eine aus der Reform resultierende Verkehrssteigerung decken. Wir bemerken hier, dass wir Zonenund Staffeltarife dem Begriffe Differentialtarife unterordnen.

Ueber die Tarifarten selbst besteht eine nicht geringe Meinungsverschiedenheit, einerseits über Charakter und Abgrenzung, andererseits über ihre Anzahl. Wir schliessen uns folgender Einteilung an1):

1. Maximaltarife,

2. Differentialtarife,

3. General- und Spezialtarife,
4. Refaktien.

1. Die Maximaltarife) bedeuten einerseits die äusserste Grenze der Leistungen der Transportanstalt gegenüber dem Befrachter bezw. Reisenden um ein bestimmtes Geldäquivalent; andererseits - und das ist die allgemeinere Begriffsauffassung sind die Maximaltarife der Inbegriff derjenigen Bestimmungen, welche den höchsten Preis festsetzen, den die Transportanstalt für eine bestimmte Transportleistung zu verlangen ermächtigt ist). Unter diesen Ansatz zu gehen, steht ihr unter gewissen Vorbehalten ($ 9) - frei, darüber hingegen darf sie nur mit Genehmigung der zuständigen Amtsstelle gehen. Diese allgemeine Tariffestsetzung ist kraft Hoheitsrecht Sache des Staates "). Die Maximal

1) a. a. O., S. 14—16.

2) Ulrich, S. 16; nur eine Klasse und nur zwei Zonen: Naheverkehr bis 30 km, Fernverkehr darüber (nur innerhalb Oesterreich).

3) a. a. O., Seite 17 und 18.

4) Meili, Vorlesungen über modernes Verkehrs- und Transportrecht, § 12 II. 5) Ueber Entstehung der Maximaltarife. Schreiber, das Tarifwesen der Eisenbahnen 60-62.

6) Lehr 38. Haushofer, Grundzüge des Eisenbahnwesens 1879, 312.

7) S. Kaiser, die Rechte des Staates in Eisenbahnangelegenheiten der Schweiz, Zürich 1861.

tarife des Personenverkehrs enthalten die nach Klassen abgeteilten ziffermässig angeführten Transportsätze. Man hat die Nützlichkeit der amtlichen Festsetzung der Maximalsätze bezweifelt, weil sie sich bei steigender Konkurrenz als belanglos erwiesen haben, doch sind sie als einziges Schutzmittel gegen die Ausbeutung des Monopols gegenüber der Verkehrswelt unentbehrlich. Diese Maximalsätze weichen besonders in den Ländern des Privatbahnsystems ganz bedeutend von einander ab.

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2. Die Differentialtarife. Wohl kein Begriff im Tarifwesen ist so bedeutungsvoll und zugleich so verschieden interpretiert worden, wie der der Differentialtarife. Fast jeder Autor hat darüber seine eigene Idee. Die Verwirrung kommt wohl aus der Sturm- und Drangperiode der deutschen Eisenbahnpolitik, aus den 60er Jahren. Damals war das Wort „Differentialtarif“ Schlagwort geworden. Die Schriften der damaligen Zeit gibt deren eine Unmenge fallen über diese Tarife her, ohne gegenseitig im Klaren zu sein, was sie darunter verstehen. Fast darf man sagen, dass Differentialtarif und unlauterer Wettbewerb in der damaligen polemischen Literatur synonyme Ausdrücke waren. Lehr stellt die Definitionen, wenigstens die hauptsächlichen, in seinem „Eisenbahntarifwesen und Eisenbahnmonopol“ 1) zusammen. Zwei Gruppen lassen sich unterscheiden, nämlich:

a) Unter Differentialtarif im eigentlichen Sinne des Wortes versteht man jede Abweichung von den Normalsätzen, nach welchen ein bestimmter Gegenstand oder eine Person auf einer bestimmten Normal- oder Einheitsentfernung (km, Stunde) befördert wird. Immer ist nach dieser Definition der Differentialtarif eine Ausnahme von der Regel 2). Dieser Auffassung folgen Varnbühler, Friedenthal Krönig, Schmidlin, u. a., daneben auch eine merkwürdig grosse Anzahl von Eisenbahnpraktikern. Diese Definition hat aber keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit.

b) Die heute ziemlich allgemeine wissenschaftliche Definition geht dahin, dass bei einem und demselben Artikel (Klasse) auf

1) S. 280 ff.

2) Ulrich, Eisenbahntarifwesen, § 25, S. 68.

der gleichen Linie für längere Strecken ein geringerer Transportsatz pro Zentner- bezw. Personenkilometer berechnet wird als für kürzere1). Einer der ersten, welcher für diese Auffassung auftrat und sie wissenschaftlich begründete, ist Michaelis (Volkswirtschaftliche Schriften, Bd. I, S. 42-93, Berlin 1873). Im Güterverkehre können auch wachsende Gewichtsmengen eine Differenzierung verursachen. Aus dem Gesichtspunkte der Analogie

könnte man im Personenverkehr Gesellschaftsbillets hieher rechnen. Eine Unterart dieser Differentialtarife sind nun die Zonen- und Staffeltarife, die Begriffe decken sich auch fast ganz. Die französische Literatur und Praxis bezeichnet sie ganz ausdrücklich als ,,tarifs différentiels", welcher Auffassung wir uns auch anschliessen.

3. Die General- und die Spezialtarife, erstere sind solche, welche für ein einheitliches Gebiet allgemein gültige Sätze enthalten (anderer Ansicht ist Duverdy 2), dessen Auffassung sich ziemlich mit der unsrigen vom Normaltarif deckt); als solche können z. B. die Tarife von Staatsbahnnetzen, welche straff zentralisiert sind, wie das ungarische angesehen werden. Die Spezialtarife normieren die Transportbedingungen für einzelne Güterarten und Personen in konkreten Fällen und enthalten Taxermässigungen ohne Bevorzugung Einzelner 3).

Die Refaktien (Bonifikation, Frachtnachlässe, Rabattarife, Détaxe) sind verschiedener Art. Vorab gibt es erlaubte und verbotene. Es sind immer Ermässigungen zu Gunsten einzelner Spediteure, Frachtaufgeber (Reisenden) und sie beruhen auf Spezialabkommen 1). Die französische Praxis kennt für Refaktien den

1) Duverdy, Traité pratique et juridique de l'application des Tarifs, No. 56. „La dénomination de tarifs différentiels sert à designer des tarifs spéciaux qui pour une même nature de marchandise varient, soit en raison de la quantité livrée par l'expéditeur, soit en raison des distances à parcourir, soit en raison du sens dans lequel le transport s'effectue, ou bien encore suivant la provenance ou la destination de la marchandise."

2) Duverdy, Nr. 51. „Un tarif qui abaisse ainsi pour tout le monde sans conditions le prix du tarif maximum, s'appelle „tarif général“.

3) Duverdy, Nr. 65. Lehr, S. 228. Schreiber, S. 179.

4) Haushofer, § 199, S. 323. Ulrich, S. 85.

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