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„Für Kinder unter vier Jahren, sofern für solche keine besonderen Sitzplätze beansprucht werden, ist keine Taxe, für Kinder zwischen dem vierten und dem zurückgelegten zehnten Altersjahre die Hälfte der Taxen in allen Wagenklassen zu bezahlen. Mit Zustimmung des Bundesrates kann die zur Hälfte der Taxe berechtigende Altersgrenze angemessen ausgedehnt werden."

Weder der Eschersche Bericht, noch die Botschaften von 1897 bezw. 1899 haben sich mit den Kindertaxen beschäftigt, weil sie ganz selbstverständlich und durch die lange Übung fest eingebürgert waren, auch üben sie, wie diejenigen für Militär, auf die Betriebseinnahmen fast keinen Einfluss aus. Einlässlich befasste sich dagegen der Nationalrat 1), angeregt durch eine Eingabe des schweizerischen Lehrervereins mit dieser Frage. Schon der Entwurf hatte einen Fortschritt zu verzeichnen, indem er das Höchstalter für Gratisbeförderung von drei Jahren der Normalkonzession auf vier heraufsetzte, womit man einverstanden

war.

Die Stufe der halben Taxe erforderte aber eine längere Beratung. Der Entwurf hatte diese Altersgrenze auf höchstens zehn Jahre festgesetzt, doch machten zahlreiche Familienväter, insbesondere aber die Lehrerschaft, darauf aufmerksam, es möchte doch die Grenze auf das zurückgelegte 15. Altersjahr erhöht werden. Was durch diese Vergünstigung beabsichtigt war, war den Kindern die Möglichkeit zu geben, durch Anschauen ihre Heimat besser kennen zu lernen. Die bisherige Altersgrenze erreichte kaum die sogen. Vernunftsjahre und war deshalb pädagogisch so gut wie wertlos. So sehr zu begrüssen eine Reform im angebahnten Sinne auch ist, so erhoben sich betriebstechnische Bedenken, da eine bedeutende Überbürdung des Sonntagsverkehrs als Folge der Durchführung zu erwarten sein würde.

Die meisten Redner traten für die Petition ein und zwar meist aus pädagogischen Gründen: „Die Periode vom 10. bis 14. Altersjahr ist für den jungen Menschen von grösster Bedeutung, indem in diese Zeit die eigentliche Geistes- und Charakterbildung

1) Bulletin 1901, 6 S. 74 ff.

fällt. In dieser Zeit der letzten Schuljahre nimmt der jugendliche Geist alle Eindrücke von aussen lebhafter auf und hält sie auch viel länger fest als später" 1). Es wurden verschiedene Anträge gestellt, bald im Sinne der Petition, bald im Sinne einer geringen Erhöhung der Grenze über die des Entwurfes. Durch den Antrag Dinkelmann 2) wurde schliesslich allen Wünschen insofern entsprochen, als man, um die Bundesbahnen nicht einheitlich und vielleicht nutzlos zu belasten, dem Gesetzesartikel folgende Wendung gab: „Mit Zustimmung des Bundesrates kann die zur Hälfte der Taxe berechtigende Altersgrenze angemessen ausgedehnt werden" 3). Sehr richtig bemerkte der Antragsteller, dass es kluger sei, abzuwarten, bis die Bahnfinanzen solche Experimente wagen dürfen, ohne grosse Gefahr zu laufen. Anderseits war durch diese Fassung der Generaldirektion Gelegenheit gegeben, die Frage reiflich zu prüfen und eventuelle Vorschläge zu deren endgültiger Erledigung auszuarbeiten.

§ 33. Die Ausnahmetarife.

Aus der leider nicht positiven Fassung des Gesetzes geht hervor, dass eine umfangreiche Reform der Ausnahmetarife vorgesehen ist. In Wegfall scheinen, da nirgends erwähnt, die Sonn- und Festtagsbillets zu kommen. Erstere bestanden so wie so nur bei der Jura-Simplonbahn. Der Grund zu dieser Abschaffung war ein naheliegender.

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1) Votum von Nationalrat Dr. Müri vom 26. März 1901.

2) Bulletin S. 76.

3) Die Altersgrenze für halbe Taxe beträgt in Frankreich sieben Jahre, Deutschland bis zum zehnten, Belgien bis zum achten, Österreich bis zum zehnten, Italien bis zum siebenten. (Bulletin 1901 16 S. 81.)

4) Bericht Escher S. 18.

wiesen, welche aber wahrscheinlich sich nun auf die Durchführung der Einheitlichkeit im ganzen Staatsbahnnetze beschränken wird. Der Art. 9 lautet: „Für den Abonnementsverkehr mit Einschluss der Generalabonnements, der Arbeiterbillets und der Schülerbillets, für den Rundreiseverkehr, sowie für Gesellschaften und Schulen sind besondere Ermässigungen zu gewähren."

Unserer früheren Einteilung folgend kommen wir zunächst zu den Rundreisebillets. Es ist klar, dass durch die Reduktion der Normalsätze auch ein Druck auf die übrigen Ausnahmetarife ausgeübt werden wird und diese Frage eines speziellen Studiums von Seiten der Bundesbahnverwaltung bedarf. Weder Escher noch der Bundesrat berührten diese wichtige Frage. Der Handelsund Industrieverein machte wohl auf diese Unterlassung aufmerksam, brachte aber keine Vorschläge 1). Die eidgenössischen Räte traten auch nicht näher darauf ein. Die sogen. Generalabonnements, welche wir zu den Rundreisebillets zählen, und welche sich rasch eine grosse Beliebtheit errungen haben, sind auch für den Staatsbetrieb gewährleistet worden.

Hinsichtlich der Abonnements hingegen will das neue Verwaltungssystem energisch im Sinne einer Vereinfachung und Vereinheitlichung eingreifen. Nachdem die billigen Retourtaxen gesichert sein werden, regt schon Escher an, dass man unbedenklich ganze Kategorien wegfallen lassen dürfe, unter Beibehaltung der Hauptkategorien. Die Rückkaufsbotschaft präzisiert diese Anregung näher, indem sie nur die Abonnements für Billete zur halben Taxe) und persönliche Abonnements zu drei, sechs und zwölf Monaten und zwar nach den billigsten damals (1897) bestehenden Taxen der Nordostbahn, bestehen lassen wollte. Die Botschaft von 18993) verweist eine genaue Festsetzung des Rabattes an den Verordnungsweg. Der erste Entwurf des Gesetzes hatte einlässlich die Frage wenigstens nach der Anzahl der Abonnementsarten regeln wollen, indem er solche

1) Gutachten des Vororts Zürich S. 16.

2) Durch Einführung der Generalabonnements ist, wie wir oben S. 72, Anm. 1, gesehen, diese Abonnementsart abgeschafft worden.

3) S. 33.

zu 24 Fahrten während drei Monaten vorschlug, doch setzte die ständerätliche Kommission, ohne auf Widerstand zu stossen, die heutige unbestimmte Fassung durch. Am Schluss werden wir auf eine bisher in der Schweiz nirgends angewandte Form der Abonnements, welche in Art. 9 im Schlussabsatz zusammen mit den Staffeltarifen vorgesehen ist, zurückkommen, nämlich auf die Kilometerabonnements.

Von den Ausnahmetarifen, welche nur mit besonderer Berücksichtigung der Person oder der speziellen Transportverhältnisse angewandt werden, werden die Armen und Polizeitransporte einem besonderen Reglement überwiesen, welches von der Staatsbahnverwaltung auszuarbeiten und dem Bundesrate zur Genehmigung vorzulegen sein wird.

Zu interessanten Erörterungen führten die Arbeiter- und Schülerbillets. Zuerst vertiefte sich Escher in die Frage 1). Relevant für die erstern ist, dass sie nur für III. Klasse auf kurzen Entfernungen (höchstens 40 km) abgegeben werden, bloss an Werktagen gültig sind und zur Hinfahrt an die Bestimmungsstation nur in den Zügen vor 8 Uhr morgens, zur Rückfahrt nur in denen nach abends 6 Uhr benützt werden dürfen. Die Gültigkeitsdauer betrug mindestens ein Monat. Der Rabatt betrug, wie wir früher gesehen, gegenüber der einfachen Fahrt 70 bis 80%. Sicher ist, dass so grosse Rabatte einem erheblichen Einnahmeausfalle rufen, doch konnte man schwerlich dazu raten, diese Vergünstigung, da sie sich bei zwei Hauptnetzen ganz eingebürgert hatte, abzuschaffen. Schon in Anbetracht der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Bahnen überhaupt, musste diese so wohltuende Neuerung den künftigen Bundesbahnen empfohlen werden. Die Botschaft von 1899 regte eine eisenbahnrechtliche Definition des Begriffes „Arbeiter" an, da auch Bureauangestellte, Geschäftsleute etc. die Vergünstigung mitbenutzen, wodurch der Bahnfiskus unnötigerweise geschädigt wurde. Auch die Gutachten der wirtschaftlichen Verbände, sogar des Gewerbevereins 2)

1) Bericht, S. 16-19.

2) Eingabe vom 6. Mai 1899.

übergingen diese Grundfrage. Die eidgenössischen Räte traten weiter auch nicht darauf ein, sondern genehmigten den Artikel, da sie voll und ganz von der wirtschaftlichen Notwendigkeit der Gewährleistung dieses Ausnahmet arifs überzeugt waren.

Wir wollen nun versuchen die fehlende Begriffsbestimmung aufzustellen. Ausgehend davon, dass man unter „Arbeiter“ 1) im engern Sinne denjenigen versteht, welcher gegen Lohn überwiegend körperliche Arbeit zu verrichten hat, somit in einem Unselbstständigkeitsverhältnisse steht, unter welcher Kategorie Dienstboten und meistens auch die Lohnarbeiter, welche in Handels-, Verkehrs- und Versicherungsunternehmungen beschäftigt sind, nicht mitgezählt werden, so glauben wir, dass die Bahnverwaltung berechtigt wäre, einen Ausweis über einen gewissen Maximallohn zu verlangen. Dieser Maximallohn lässt sich insofern festsetzen, als mit einem näher zu bestimmenden Höchstbetrage der Entschädigung für gelieferte Arbeit der „landesübliche" Begriff Arbeiter aufhört und durch denjenigen des Angestellten" ersetzt wird. Gerade das schweizerische Recht überlässt so viel dem „Ortsgebrauche" etc., dass auch hier dasselbe entscheidend sein dürfte. Wir finden demnach, dass Arbeiterbillets nur an solche Personen zu entrichten sind, welche sich durch eine Legitimation darüber ausweisen, dass sie höchstens einen Lohn beziehen, welcher dem ortsüblichen Gebrauche des Worts „Arbeiter" entspricht, ausserdem müssen sie sich an die oben angegebene Fahrzeit halten. Eine allgemeine Lohngrenze lässt sich wegen der Verschiedenheit der lokalen Verhältnisse in der Schweiz nicht ziehen. Sie könnte höchstens vielleicht für einzelne Kreise festgesetzt werden. Wenn die Ausgabe solcher Billets nicht im angedeuteten Sinne eingeschränkt wird, so wird der Bahnfiskus infolge der Missbräuche von Seiten der vielen Transportnehmer schwere Einbussen zu gewärtigen haben. Der nationalökonomische Zweck, welcher den Eisenbahnen bei Einführung der Arbeiterbillets vorschwebte, war doch entschieden eine Vergünstigung der nicht besitzenden Volksschichten, des besitzlosen

1) Elster I, 92. Phillipovich, Grundriss des polit. Ök. I, 113.

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