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Proletariates". Der Zweck ist ein eminent humanitärer und wird durch seine edle Uneigennützigkeit zur Volkswohlfahrt mit der Zeit bedeutend beitragen. Heute schon lassen sich schöne Erfolge verzeichnen. Früher unbedeutende kleine Ortschaften, welche innerhalb der Zone der Arbeiterbillets zu liegen kommen, blühen auf und entwickeln sich zu schmucken Dörfern. Über die Vorteile, welche der ländliche Wohnsitz den Arbeitsklassen bietet, haben wir oben bereits gesprochen. Auch die Schülerbillets sollten neu tarifiert werden. Im allgemeinen galt, wie aus den Verhandlungen hervorgeht, der Grundsatz, dass die bisherigen niedrigsten Taxen in Zukunft Maximalsätze sein sollten. Gerade das hatte man dem Schweizervolke anlässlich der Rückkaufskampagne für das gesamte Tarifwesen vielfach versprochen, aber nur in einzelnen wenigen Tarifen war man in der Lage Wort zu halten.

Von hohem Interesse ist Absatz 3 des mehrfach erwähnten Artikel 8, der in seinem ersten Teile die Gebirgsausnahmetarife, im zweiten Zuschlagstaxen für aussergewöhnliche Einrichtungen feststellen sollte. Er lautet: „Für Bahnstrecken mit starken Steigungen und für Bahnstrecken, bei welchen ganz ausnahmsweise Bau- und Betriebsverhältnisse bestehen, sowie für die Benützung aussergewöhnlicher Einrichtungen (Schlafwagen, Luxuswagen und dgl.) kann vom Bundesrate die Erhebung eines Zuschlages zu diesen Taxen ') bewilligt werden. Für bereits im Betriebe stehende Bahnstrecken, auf welchen bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes ein Zuschlag nicht gemacht worden ist, darf auch künftig ein solcher nicht erhoben werden.

Zunächst interessieren uns die am Anfange des angeführten Absatzes vorgesehenen Gebirgsausnahmetarife 2), wie sie bisher hinsichtlich der Hauptbahnen nur auf der Gotthardbahn und der Brünigbahnstrecke Brienz-Giswil angewendet wurden. Schon Escher bemerkte bezüglich der Gotthardbahn, welcher man an

1) Maximalsatz von Art. 81 und 2.

2) Über Entstehung der Gebirgszuschläge, vergl. das interessante Votum Dinkelmann im Nationalrat. Bulletin 1901, Nr. 6, S. 76 ff.

fänglich geneigt schien, höhere Normalsätze einzuräumen, dass er die neuen Maximalsätze auch auf dieses Netz ausgedehnt wissen möchte, jedoch mit der Vergünstigung, dass die 75 bezw. 60% Distanzzuschläge in Anbetracht ihrer Betriebsverhältnisse gewahrt blieben. Seiner Ansicht folgte auch die Rückkaufsbotschaft. Die Botschaft von 1899 dagegen wollte aus technischen Gründen 1) in das neue Gesetz keine Formel und überhaupt keine bezüglichen positiven Vorschriften aufnehmen, sondern dieselben der kasuistischen Entscheidung des Bundesrates anheimstellen. Doch brachte der Entwurf eine „Steigung von 20°/00 und mehr“ in Vorschlag. Die öffentliche Diskussion brachte diesbezügliche Anträge auf 25-30/002) zum Vorschein. Vorerst ist zu konstatieren, dass die Praxis hinsichtlich dieser Tarife eine äusserst schwankende war, insofern Zuschläge öfters nicht gewährt wurden, wo beträchtliche Steigungen bestanden. Die Gotthardbahn hatte von 1500 an Zuschlagsrecht, während die S.-C.-BStrecke Sissach-Läufelfingen 20,800 Steigung, Läufelfingen-Olten 26,200, ferner eine Reihe von solchen mit über 2000 diesen Vorzug nicht genossen. Die nationalrätliche Kommission fand, dass man besser keine positiven Vorschriften erlasse, da sonst ziemlich eingreifende Änderungen, welche besonders den verkehrspolitisch so hoch bedeutenden Relationen der S.-C.-B. schaden könnten, unvermeidlich würden, zudem wollte man dem im Endabsatz des Artikels 8 entwickelten Prinzipe treu bleiben. Nach lebhafter Diskussion entschied man sich in Übereinstimmung mit dem Ständerat für den durch Dinkelmann formulierten Antrag der Kommission, der nun heute im Gesetz figuriert.

Wir haben gesehen, dass wenn auch in den Vorarbeiten und Entwürfen positive Zahlen vorgeschlagen waren, welche

1) A. a. O., S. 31 ff.

2) Botschaften von 1899 S. 32. Höchste Steigungen 1899.

20-25/00
39,995 m

Jura-Simplon

25-3000
559 m

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über 3000

6,100 m

8,382,

über die Bedeutung der Bestimmung keinen Zweifel übrig liessen, diese aber allmählich in der Diskussion verschwanden. Etwas schüchtern pflegten die eidgenössischen Räte in dieser Beratung vorzugehen. Es machte sich eben das Fehlen einer allgemeinen, gründlichen Einarbeitung in die Frage und infolgedessen ein Mangel an Interesse fühlbar. Beim Durchgehen der Protokolle begegnen uns meist immer die gleichen, wenig zahlreichen Redner. Auffallen mag auch, dass die französisch und italienisch sprechenden Abgeordneten sich an der Debatte über dieses wichtige Bundesgesetz so gut wie gar nicht beteiligten.

§ 34. Zukünftige Reformen

(Staffeltarife, Billetsreform, Kilometerbillets, süddeutsche Reformideen).

Art. 9 am Ende verfügt: „Mit Zustimmung des Bundesrates können Staffeltarife und Kilometerbillets eingeführt werden.“

1. Die Staffeltarife. Die Art der Preisberechnung ist in der Schweiz nicht neu, sondern besteht schon lange bei der Nordostbahn (Stammnetz), Bötzbergbahn und Koblenz-Stein und der Aargauischen Südbahn, jedoch nicht in Form eines staffelreichen Tarifs, sondern nur als Unterscheidung von Lokal(1-12 km) und Fernverkehr (13 und mehr Kilometer). Wir sind nicht in die Lage versetzt worden, zu erfahren, wie man sich die künftigen Bundesbahnstaffeltarife denkt. Die Frage ist z. Z. im Studium, doch werden die Verhandlungen darüber geheim gehalten, und dürfte es noch mehrere Monate gehen, bis irgend etwas der öffentlichen Diskussion übergeben wird 1).

2. Die Billetreform. Im nahen Zusammenhange mit der Frage von grundsätzlichen Tarifreformen steht die Frage der Billetreform. Diese beschränkt sich in engem Sinne genommen nur auf den gewöhnlichen Verkehr, d. h. einfache und Retourfahrten. Die Nordostbahn hat schon seit längerer Zeit, wie wir § 14 ausführten, ihre Billetausgabe dadurch vereinfacht, dass sie z. B.

1) Über Staffeltarife speziell mit Berücksichtigung der schweizer. Verhältnisse vergl. die mehrfach zitierte Berner Dissertation von Niggli, S. 60—132.

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für Hin- und Rückfahrt in III. Klasse, einfache Billets II. Klasse mit Retourstempel ausgibt. Dieses System beruht darauf, dass die Retourtaxen der niedrigeren Klasse genau den einfachen der höheren entsprechen. Escher hatte in seinem Bericht" diese vorzügliche Einrichtung auch für die Bundesbahn empfohlen, doch fiel seine diesbezügliche Anregung schon durch die billigern neuen Retourtaxen dahin, welche nicht mehr im gleichen Verhältnis zu den hohen Sätzen einfacher Fahrt standen, wie dies früher bei der N.-O.-B. der Fall gewesen. Die Bundesbahnen müssen deshalb vorläufig das alte System beibehalten.

Eine andere längst angeregte, neuerdings durch Pfizer1) wieder aufgegriffene Idee, welche freilich von grundsätzlicher Bedeutung wäre, ist die Einführung von „Kilometermarken". Die Bemühungen der Bahnverwaltungen sollten nach seiner Ansicht sich darauf richten, ein einziges und einheitliches Billet zu schaffen, in Form einer Marke, die auf jeder beliebigen Bahnstrecke gültig ist und wie die Briefmarken nicht bloss bei den Billetschaltern, sondern in allen beliebigen Verkaufsstellen, in Hotels, Papierläden etc. in jeder gewünschten Zahl eventuell auf automatischem Wege bezogen werden kann. Dadurch würden die Retourbillete überflüssig. Doch wäre wohl die erste Voraussetzung zur Möglichkeit einer solchen Reform die Einführung einer Einheitstaxe für ein ganzes grosses Eisenbahngebiet. Wenn auch sehr zu hoffen ist, dass man einmal dazu kommen wird, in der Schweiz, z. B. unter Wahrung des Zuschlagsprivilegs für Gebirgsbahnen, mit den Maximalsätzen aufzuräumen und einige Rechtssicherheit hinsichtlich des Bestandes der Taxen zu erhalten, so scheint doch die Ausführbarkeit des erwähnten Vorschlags sehr zweifelhaft. Eine Einheitstaxe lässt sich bekanntlich nicht mit unerbittlicher Konsequenz durchführen, weil der Nahverkehr durch deren unvermeidliche Höhe geschädigt würde. Eine Taxreform im Sinne der früher erwähnten „Memorialsätze“ ist auch nicht durchführbar. Es bliebe somit die Frage zu erwägen, ob auf einem kleinen Gebiet z. B. einer Kreisdirektion

1) Das Eisenbahnbillet der Zukunft 1901.

das „Markensystem" durchführbar wäre; doch würde gerade durch diese lokale Begrenzung der Vorteil der weitgehenden Gültigkeit ausser Acht gelassen.

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Aber setzen wir nun einmal voraus, dass es gelungen wäre, eine Einheitstaxe zu finden. Wie würde sich dann dieses Markensystem" darstellen und praktisch durchführen? Es müsste wohl verschiedene Serien von „Marken" geben, z. B. 1, 5, 10, 25, 50, bis 100 km, welche sich so kombinieren liessen wie die sog. ,,Kontremarken", welche heute die Kondukteure den Reisenden aushändigen, wenn während der Fahrt Zuschläge, Nachträge etc. zu zahlen sind. Doch ist diese Institution wegen vieler Coupons für beide Teile sehr umständlich und unbequem. Nun aber der Bezug dieser Marken. Man sagt wohl, man könnte sie in beliebiger Anzahl vorausbeziehen. Der Reisende müsste sich. selbst über die beabsichtigte Fahrt zuerst orientieren. Neben der Abfahrtszeit werden infolgedessen die Fahrpläne, die ohnehin schon hie und da kompliziert sind, noch die Kilometerdistanzen für alle Relationen enthalten müssen, damit der Reisende sehen kann, wie viele Marken er braucht. Ist ihm dies gelungen, so steigt er ein, da muss sich nun der Billetkontrolleur jeden Reisenden nach seinem Reiseziel erkundigen, um an Hand einer Tabelle sich zu überzeugen, dass die vorgewiesenen Marken der Taxe entsprechen etc. Alles ist, wie wir sehen, mit höchst unzeitgemässen Komplikationen und Formalitäten verbunden und setzt eine ziemliche Intelligenz des Reisenden voraus. Gerade dem Massenverkehr der weniger reisegewandten Volksklassen (italienische Arbeiter etc.) würde sehr wahrscheinlich durch eine solche Neuerung erheblicher Eintrag getan werden. Auch würde der heute anerkannte Vorzug der freien Fahrtunterbrechung wegfallen müssen, da sonst jede Kontrolle unmöglich wäre. Schwer ins Gewicht fällt auch die Kontrollmöglichkeit hinsichtlich der Ächtheit der Marken. Heute wo die Druckerpresse so vollkommen entwickelt ist, würde es schwer halten, die Marken vor Nachahmung etc. zu schützen, massenhaft würden Fälschungen auf den Markt geworfen und der Bahnfiskus den grössten Gefahren ausgesetzt. Wenn wir schon bezweifeln, dass das Markensystem

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