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Begriff „tarifs spéciaux“ 1). Alle Refaktien (wir ziehen sie unter den Begriff „Ausnahmetarife“ zusammen, sofern sie gesetzlich erlaubt sind) involvieren eine Vergünstigung. Ganz zutreffend nennen die Franzosen sie zuweilen „tarifs conditionels".

Uns interessieren hier speziell die geheimen Vergünstigungen, welche im engern Sinne „Refaktien" genannt werden. Wir haben oben bemerkt, dass von Tarifen hauptsächlich Publizität verlangt wird; diese verstossen dagegen und sind im Eisenbahnrecht verpönt, sie sind ein Auswuchs des Privatbetriebes, und sie haben besonders im Güterverkehr Bedeutung. Früher grassierten sie in England 2), heute besonders in Amerika 3). In den kontinentalen Staaten germanischer Kultur sind sie heute ziemlich verschwunden, in den romanischen Ländern treten sie jedoch noch ziemlich häufig auf. Eine Umfrage bei den Instanzen der von Eisenbahnen durchzogenen Kantone förderte einen einzigen Fall zutage Er betrifft eine Krahnenbenutzungsgebühr auf der bernischen Station Münster. Der Anspruch auf Rückvergütung wurde durch. Urteil des Obergerichtes Solothurn vom 27. März 1897 als nichtig erklärt unter Zugrundelegung des Art. 11 des Transportgesetzes und § 66 des Transportreglementes und Art. I I des internationalen Uebereinkommens über den Eisenbahnfrachtverkehr 1). Wenn die Privatbahnen sich in der Schweiz besonders früher in Tarifsachen oft etwas despotisch verhielten, so ist doch ihre loyale Geschäftsführung anzuerkennen; Fälle von geheimen Vergünstigungen sind gewiss auch vorgekommen und nicht entdeckt worden, es werden aber im Verhältnisse zu andern Staaten nur

1) Duverdy, Nr. 52 und 52.

2) Reitzenstein, S. 37 ff. Cohn, Seite 45 ff.

3) Kupka, S. 298. Verschiedene Fälle von v. d. Leyen, Die nordamerikanischen Eisenbahnen, S. 157-159, 351. Die Central-New-York-Hudson River Bahn schloss in einem Jahre an 6000 solcher Geheimverträge ab.

4) Transportgesetz, Art. II:

Jedes Privatübereinkommen, wodurch einem oder mehreren Absendern eine Preisermässigung gegenüber den Tarifen gewährt werden soll, ist verboten und nichtig." Neue Eisenbahn-Verkehrsordnung § 73: „Jede Preisermässigung oder sonstige Begünstigung gegenüber den Tarifen ist verboten und nichtig."

wenige gewesen sein. Aus Italien bringen die Zeitungen hie und da Nachrichten von Refaktienprozessen. Mit dem Wachsen der Staatsgewalt in Eisenbahnsachen scheinen aber die Refaktien auf den Aussterbeetat gekommen zu sein.

§ 5. Normaltarife und Ausnahmetarife.

Die eben angeführten Tarifarten lassen sich in zwei Gruppen zusammenfassen: nämlich in die der Normaltarife, welche im Gegensatze steht zu derjenigen der Ausnahmetarife. Mit dieser Einteilung stehe ich, wie es scheint, ziemlich vereinzelt da, doch halte ich sie, nachdem ich die übrigen, welche unter sich bedeutend abweichen 1) und meist ganz verworren sind, verglichen habe, für die einfachste und klarste.

Wir verstehen unter Normaltarife bezw. Normalsätzen 2) diejenigen, welche auf einem ganzen Gebiete (Netz, Staat, sogar selbständig konzessionierter Teilstrecken), welches durch eine Konzession oder einen gleichwertigen Akt mit Tarifvorschriften beherrscht wird, gleichmässig angewandt werden müssen. Klar ist, dass für ein solches Gebiet ein einfacher Entfernungstarif (schweizerische Netze), ein Differentialtarif (Oesterreich und Ungarn) eventuell sogar ein internationaler Tarif normal sein kann.

Die Ausnahmetarife dagegen, welche sich mit dem Begriffe Spezialtarife vollkommen decken, beziehen sich auf konkrete Fälle, welche in den Normalsätzen nicht vorgesehen sind, und enthalten immer Abweichungen von denselben gewöhnlich in Form einer Verbilligung. Oft sind diese Sätze generell in den Konzessionen und Gesetzen vorgesehen, meistens werden sie

1) Vielfach wird die folgende ganz inkonsequente Gruppierung angenommen : Ausnahme-, Spezial-, Differentialtarife, Refaktien, ferner auch Ausnahme-, Saison-, Richtungs- und Spezialtarife etc.

2) Der Ausdruck „Normalsätze" hat freilich im Eisenbahnrechte noch eine andere Bedeutung. Man versteht darunter auch die Beträge, welche die Höhe der Entschädigung für Beschädigung, Verlust etc. auf Eisenbahntransporten bestimmen. Vgl. z. B. Fick. Die schweizerischen Rechteinheitsbestrebungen, S. 128.

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jedoch von Fall zu Fall aufgestellt, doch in dem Sinne, dass es sich dann um eine wenn man so sagen darf quasi präjudizielle Erledigung dieser oft vorkommenden Fälle handelt. Die Zulässigkeit der Ausnahmetarife ist natürlich auch von der Vorlage, Genehmigung und Publikation abhängig. Der Umstand, dass sie Transportverbilligungen enthalten, erleichtert an sich die Transportanstalt auch keineswegs in ihrer Haftpflicht.

II. Kapitel.

Das Recht der Tarife mit

besonderer Berücksichtigung des Personenverkehrs.

Die juristische Praxis.

§ 6. Der Erfolg der bisherigen Bemühungen für ein
internationales Eisenbahnrecht.

Das Recht der Tarife ist ein Gebiet, auf welchem die juristische Praxis keine besonders reiche Tätigkeit entwickelt hat; obschon Verwaltung und Rechtspflege vielfach in einander greifen. Wenn auch ursprünglich die Tarifbestimmungen, wie wir später sehen werden, in Eisenbahngesetzen meist ganz, und in Konzessionen sehr oft weggelassen wurden, so hat doch die heutige Gesetzgebung energisch mit positiven Normen eingegriffen. In den grossen Hauptzügen des Tarifrechts herrscht heute eine Einheitlichkeit, welche ihm, wenn auch nicht de jure, so doch de facto eine Art Internationalität verliehen hat. Bisher hat nur der Güterverkehr durch das „Uebereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr vom 14. Oktober 1890') eine internationale prinzipielle Regelung gefunden, ohne dass jedoch dadurch eine materielle Uebereinstimmung der Tarife geschaffen worden wäre. Die internationalen Tarife waren bisher aus den territorialen kombiniert und von den interessierten Bahnverwaltungen gemeinsam publiziert. Das Uebereinkommen von 1890 bezieht sich nicht auf den Personenverkehr; doch sind in ihm Rechtssätze niedergelegt, die auch allgemein-tarifrechtlicher Natur sind. Verschiedene Versuche sind gemacht worden, um auch

1) E. A. XII. 152, 179, 198, 208, 223, 225, 227, 229.

eine Einheit bezüglich des Personenverkehrs herbeizuführen, indessen ist dies bis jetzt noch nicht gelungen 1).

§ 7. Die legalen Grundlagen des Tarifrechts.

a) Von konstitutiver Bedeutung für das Tarifwesen wie für die Privatbahnen überhaupt, sind die Konzessionen. Ohne dieselben kann eine Privatbahn nicht gebaut und noch viel weniger betrieben werden. Anfänglich fehlten sehr oft in den Konzessionen Tarifvorschriften, wir sehen dies ganz besonders bei den ersten kantonalen, schweizerischen Konzessionen. Oft wurde, gewiss mit Absicht, von den Gesellschaften, um freie Hand zu behalten, in den Entwürfen, welche sie damals meist selbst aufstellten, der Tarifparagraph ausgelassen. Die Staatsbehörde selbst bemerkte dies oft nicht, oder wagte nicht einzugreifen.

Es besteht eine Kontroverse über die Frage der Rechtsnatur der Konzession. Die Privatwirtschaft suchte sie als „Vertrag" im Sinne des Privatrechtes zu interpretieren 2). Die schweiz. Bundesrat opponierte aber in seiner „Botschaft“ vom 16. Brachmonat 1871 hiergegen und machte geltend, dass die Konzessionen Akte der Staatshoheit seien. „Der Staat pazisziert nicht mit der Eisenbahngesellschaft; er macht allerdings der Privatindustrie gewisse Zusagen, welche ihr ermöglicht, die geschäftliche Seite ihrer Unternehmungen in Sicherheit zu begründen, allein er denkt nicht daran, sich in der Ausübung seines eigenen Hoheitsrechtes den Privaten gegenüber im geringsten zu beschränken, ja es wäre zu einer solchen Entäusserung der staatlichen Hoheitsrechte gar

1) Literatur über intern. Einigungsversuche, vergl. Meili, „Das Recht der modernen Verkehrs- und Transportanstalten, S. 76 ff.

2) Rüttimann, Rechtsgutachten über die Frage, ob die Konzessionen Privatrechte begründen, Zürich 1870. Blumer-Morel, Bundesstaatsrecht II, 84, 85 ff. und II, 2. 133. Eine gleiche Auffassung besteht heute noch in Amerika. Küpka, Verkehrsmittel der Vereinigten Staaten von Nordamerika, 293. „Die Charters waren einfache Kontrakte zwischen den Staaten und den Eisenbahngesellschaften..." Vergl. auch von der Leyden: Die Nordamerikanischen Eisenbahnen, S. 66–119.

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