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wegen nur mehr gemäss dem soeben erwähnten Artikel zurückgekommen werden, jedoch nur so, dass seine eventuelle Aufhebung keine rückwirkende Kraft hat. Das Publikum kann sich beschweren, doch kann diese Beschwerde nicht auf prozessualischem, sondern nur auf dem Verwaltungswege erfolgen. Jedem steht das Recht zu, ein Abänderungsbegehren zu stellen, er kann sogar direkte Vorschläge machen, was in unverbindlicher Weise bald an die betreffende Verwaltung, bald an das Departement geschieht. Der Meinungsaustausch ist an keine Form gebunden. Gewöhnlich wird berechtigten Begehren Rechnung getragen, doch richtet sich alles weitere nach T. R., §§ 2, 3, 4, 6 und Transportgesetz, Art. 35.

6. Die Anwendung der Tarife. Diese ist durch die Gesetzgebung und die Reglemente genau normiert. Oberster Grundsatz ist hier gleichmässige Behandlung aller Transportnehmer, d. h. es darf niemandem ein Vorzug gegeben werden, der nicht unter übrigens gleichen Umständen einem andern gewährt würde. Die Idee aller heutigen Gesetzgebungen und Konzessionen ist zusammengefasst im internationalen Frachtübereinkommen Art. 11: „Jedes Privatabkommen (geheime Refaktien), wodurch einem oder mehreren Absendern (man kann auch sagen Billetabnehmern) eine Preisermässigung gegenüber den Tarifen gewährt werden soll, ist verboten und nichtig. Dagegen sind Tarifermässigungen erlaubt, welche gehörig veröffentlicht sind und unter Erfüllung der gleichen Bedingungen jedermann in gleicher Weise zu gute kommen . . .“ Aehnlich lauten die Bestimmungen des Eisenbahngesetzes 1).

Publizierte Privatabkommen kommen heute noch vielfach vor, doch bringen sie immer die Gefahr geheimer Vergünstigungen mit sich. Für den Personenverkehr sind die Refaktien übrigens bedeutungslos. Bis dahin war nur von dolosen Verstössen gegen allgemeine Tarifgrundsätze die Rede, bei welchen der Schuldige haftbar, der Geschädigte forderungsberechtigt war. Wir sagten oben, dass die Tarife derart publiziert werden müssten, dass

1) Art. 353.

Unkenntnis derselben von Seiten der Beteiligten, in allererster Linie der Bahnangestellten, ohne Verschulden derselben kaum denkbar wäre. Zur Kenntnis der Tarife gehört aber für die Angestellten auch ganz gewiss eine genaue Instruktion derselben über die Anwendungsweise. Es müssen deshalb die Bestimmungen Art. 406 und 402 des deutsch-österreichischen H. G. B. und § 53 des Eisenbahnbetriebsreglements um so mehr auffallen, welche sagen, dass unrichtige und irrtümliche Anwendung der Tarife ,,weder der Eisenbahn, noch dem Zahlungspflichtigen" zum Nachteile gereichen dürfen! Weder das schweizerische Transportreglement, noch die deutsche Verkehrsordnung kennen eine so stark entlastende Bestimmung. Bei Irrtum kann man diese Ansicht, welche das Oberlandesgericht Prag 1) auch ausspricht, gelten lassen, doch wird es bei „unrichtiger Anwendung" schwer halten, die Bahn einer Schuld freizusprechen.

Noch einer Unterscheidung sei hier Erwähnung getan, welche die Gerichte hie und da beschäftigt und die im Güter- und Personenverkehr gleichmässig vorkommt. Die Tarife unterscheiden nämlich Effektiv- und Tarifdistanzen; erstere sind diejenigen Distanzen, welche sich auf dem Schienenwege gemessen ergeben, letztere dagegen (oft stimmen sie mit den erstern überein) sind meistens auf- oder abgerundete Distanzen. Die Veranlassungen dieser Tarifdistanzen sind verschieden, oft wirken verschiedene Momente zusammen:

1. das Bedürfnis nach einfacher Berechnung (z. B. statt 23985 m Effektivdistanz, werden 24 km berechnet),

2. Konkurrenzrücksichten,

3. besondere Bahnverhältnisse.

2. und 3. bedürfen einer kurzen Erläuterung an Hand praktischer Fälle.

ad 2. Im Betriebe derselben Bahn befindet sich eine rentable Strecke von, z. B. 20 km, welche die Stationen A und B verbindet und eine Strecke, welche ebenfalls auf einem andern Wege A mit B verbindet zu 23 km; weil nun die erste Strecke kürzer

1) E. VIII, Nr. 128.

ist, wird sie vom Verkehr bevorzugt, die zweite Strecke dagegen rentiert sich gar nicht. Die Verwaltung wird nun die kürzere Strecke auch zu 23 km (Tarifdistanz) berechnen, oder die längere anstatt 23 zu 20 km, doch bietet erstere Kombination mehr Vorteile für sie. Die N. O. B. erliess 1. April 1899 eine „Verordnung über fakultative Benutzung von Personenbilleten auf verschiedenen Linien" mit orientierenden Skizzen. Darin sind auch verschiedene Gemeinschaftsstrecken mit V. S. B., S. C. B. und A. S. B., im ganzen 79 Fälle aufgezählt. Oft regeln die Bahnen unter sich ihre Konkurrenzverhältnisse: z. B. „Vertrag zwischen N. O. B. und V. S. B.“ vom 1. Januar 1897. Der gleiche Grundsatz, Tarif-Distanzen anzuwenden, kommt im Konkurrenzkampfe verschiedener Bahnen vor, dort sucht man sich aber meistens in den Tarifsätzen zu unterbieten, oder je nachdem hohe oder niedere Sätze bei der einen Bahn bestehen, niedrige oder hohe Distanzen zu berechnen.

ad 3. Ausnahmsweise kommt es vor, dass auch bei Gebirgsstrecken (Brünigbahn, Gotthardbahn) eine höhere Kilometerzahl berechnet wird als die tatsächliche.

Am einfachsten sind die Zonentarife zu handhaben, da hier in den meisten Fällen eine Distanzeinheit zur Anwendung kommt ,,die Zonendistanz“, wenn z. B. eine Station 75 km vom Abgangsorte entfernt liegt, so kommen nicht diese 75 km in Betracht, sondern z. B. in Ungarn Zone V (71—85 km)1).

Grundlegend für Tarifberechnungen sind die Distanzenzeiger, welche auch der bundesrätlichen Genehmigung bedürfen; sie sind gelegentlich Revisionen unterworfen, welche ihre Veranlassung in Aenderungen des Bahnkörpers, Konkurrenz etc. haben können. Seit 1. März 1898 erschienen z. B. zum Distanzzeiger der N. O. B. 4 Nachträge. Die Schwankungen, welche hier in den Distanzen vorkommen, betragen höchstens 5-7 km.

Im Transit- und direkten Verkehre kommt auch im Personenverkehr die Berechnung der Taxen nach einem einheitlichen von den Teilstrecken unabhängigen Normalsatze zur An

1) Vgl. Lotz, Verkehrentwicklung in Deutschland, S. 81.

wendung. Es ist nun möglich, dass die virtuellen Distanzen länger sind als die effektiven, weil dies z. B. vereinbart wurde, um keine Teilstrecke erheblich zu schädigen, da eine Strecke in oft 10-12 Teilstrecken zerfallen kann, welche jede ihre eigenen Sätze hat (Schweiz). In diesem Falle kann die Einrede der Ueberforderung nicht geltend gemacht werden, und ist ein aus einer solchen folgender Rückvergütungsanspruch unzulässig 1). Ebenso kann eine Bahn da, wo Verbands- oder Transittarife bestehen, für die betreffende Relation, nur auf ausdrückliches Verlangen des Transportnehmers die billigern Teilsätze anwenden2). Das schweizerische Transportreglement spricht sich über diesen Fall nicht aus, doch glauben wir, dass hier doch ein Verstoss gegen das Refaktienverbot vorliegt, wenn ein derartiger „Wunsch" des Transportnehmers nicht vorgesehen ist, handelt es sich gewiss um eine geheime Abmachung. Im zitierten Wiener Entscheide ist aber nirgends ein derartiger Vorbehalt angeführt. Ferner ist ein Verbandstarif etc. doch für die beteiligten Verwaltungen lex contractus 3).

7. Die Endigung eines rechtsgültigen Tarifs tritt ein:

a) durch Aufhören des Gegenstandes seiner Errichtung, durch Betriebseinstellung der Bahn, durch Ablauf der festgesetzten Geltungsdauer (Saison-, Versuchs- etc. Tarife),

b) durch Konzessionsbestimmungen,

c) durch Aenderungen und Neuerungen; beide können aus Initiative der Bahn oder des Staates geschehen '). d) durch Handänderung, z. B. Verstaatlichung.

8. Die Verjährung von Forderungen aus Tarifsachen richtet sich nicht nach dem Obligationenrechte), sondern nach Art. 45 des Transportgesetzes. Sie tritt gewöhnlich ein, nach einem Jahre,

1) Röll, Eisenbahnrechtliche Entscheidungen, Nr. 39.

2) E. IX, Nr. 240. Wiener Bagatellgericht.

3) E. I, Nr. 113.

*) Eisenbahngesetz, Art. 35, 36.

5) Art. 449–468. 466 weist die Frachtverträge der Spezialgesetzgebung zu. Vgl. auch den Entwurf von Fick in Rechtseinheitsbestrebungen, S. 49.

vom Tage der Schädigung an gerechnet, nach drei Jahren 1), wenn der Berechtigte Arglist oder grobe Fahrlässigkeit der Transportanstalt nachweisen kann 2).

§ 9. Die Rechtsnatur des Transportvertrages und des Billets.

Unter den Namen des Eisenbahntransportvertrages kann man die Besorgung von Frachtgeschäften und die Personenbeförderung verstehen und dies geschieht in neuerer Zeit vielfach. Die Unternehmung stellt dem Transportsuchenden ihre Arbeitskraft (Material und Personal) zum Zwecke der Beförderung unter gewissen Bedingungen gegen ein Geldequivalent zur Verfügung. Gemeinrechtlich liegt hier ein Werkvertrag (locatio conductio operis) vor3). Schon das gewöhnliche Frachtrecht statuiert gegenüber dem Frachtführer eine strenge Haftung1), das Eisenbahnrecht ist, um den Anforderungen des modernen Verkehrs ganz gerecht zu werden, hierin noch weiter gegangen. „Wer das Gewerbe.... eines Frachtführers oder ein Eisenbahnunternehmen betreibt, hat nicht blos für die Sorgfalt eines sorgsamen Hausvaters im gegebenen Falle einzustehen. Er soll vielmehr die zweckmässigen Einrichtungen zum Schutze des Publikums treffen. Und um dies herbeizuführen, hat er auch für zufällige Gefahren, welche das mit ihm verkehrende Publikum treffen, aufzukommen. In diesem Sinne bildet das Unternehmen gleichsam eine Versicherungsanstalt für die mit ihm in Verkehr tretenden." 5) Doch deckt diese „Versicherung" nicht auch die höhere gewalt. Im übrigen gilt zum Unterschiede gegenüber den zivil

1) Diese Fristen haben nicht den Charakter von Praeclusivterminen, sondern sind eigentliche Verjährungsfristen. E. XIII, Nr. 129. (k. ungar. Kurie.) 2) Transportgesetz 441 und Transport-Reglement, § 100, 99.

3) Dernburg, Pandekten (4. Aufl.), II. § 113.

4) Obl.-Recht Art. 456–469; H. G. B. 395/400, 429. Code civil „Voiturier“ Art. 103-108. Hinsichtlich des gewöhnlichen Frachtvertrages wurde im schweiz. Zivilrechte das Requisit der Gewerbemässigkeit gestrichen, vergl. Schneider und Fick „Das schweizerische Obligationenrecht", Art. 449, Note 4, bezw. 430, Note I. 5) Dernburg II § 39, 3.

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