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Einige Bemerkungen zu der von dem Königlichen Polizeipräsidium in Berlin unter dem 7. Februar d. J. erlassenen Anweisung zum Desinfectionsverfahren bei Volkskrankheiten.

Von M. Pistor.

Polizeiverordnung, betreffend Desinfection bei ansteckenden

Krankheiten.

Auf Grund der §§. 143 und 144 des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 (G.-S. S. 195 ff.) und der §§. 5 ff. über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850 (G.-S. S. 265) wird hierdurch nach Zustimmung des Gemeindevorstandes für den Stadtkreis Berlin Folgendes verordnet:

§. 1.

Die Haushaltungsvorstände beziehungsweise deren Stellvertreter (in Anstalten die Leiter, Verwalter, Hausväter etc.) sind verpflichtet, bei Krankheits- wie Sterbefällen an asiatischer Cholera, Pocken, Fleck- und Rückfalltyphus und Diphtherie unbedingt, an Darmtyphus, bösartigem Scharlachfieber und bösartiger Ruhr nach dem Ermessen des Polizei-Präsidiums die von den Kranken benutzten Effecten und Räume, sowie die in letzteren befindlichen Gegenstände nach Maassgabe der erlassenen Vorschriften zu desinficiren.

§. 2.

Für die Desinfection gelten die unter dem 7. Februar 1887 im Einverständniss mit dem Magistrat erlassenen Vorschriften.

Wer diese Desinfectionsvorschriften, sowie die zukünftig zur Ergänzung oder Abänderung derselben erlassenen und veröffentlichten ortspolizeilichen Vorschriften nicht befolgt, hat die Ausführung des vorgeschriebenen Verfahrens durch die Polizeibehörde auf seine Kosten zu gewärtigen, ausserdem aber, sofern nicht im §. 327 des R.-St.-G.-B. eine höhere Strafe vorgesehen ist, eine Geldstrafe bis zu 30 Mark verwirkt.

Berlin, den 7. Februar 1887.

Der Polizeipräsident.

(gez.) Freiherr v. Richthofen.

Anweisung zum Desinfectionsverfahren bei Volkskrankheiten.

Allgemeines.
§. 1.

Die Desinfection hat den Zweck, die Verbreitung ansteckender Volkskrankheiten durch Unschädlichmachung oder Vernichtung der Ansteckungskeime zu verhüten.

§. 2.

Die ansteckenden Volkskrankheiten werden zu diesem Zwecke eingetheilt in solche,

A. welche unbedingt Desinfection erheischen:

1) Asiatische Cholera,

2) Pocken (ächte und modificirte),

3) Fleck- und Rückfalltyphus,

4) Diphtherie,

B. bei welchen auf besondere amtliche Anordnung Desinfection stattfinden muss, anderenfalls dringend empfohlen wird:

5) Darmtyphus,

6) Scharlach,

7) Epidemische Ruhr,

8) Masern,

9) Keuchhusten,

10) Lungenschwindsucht.

§. 3.

Ansteckende Krankheiten werden verbreitet:

durch den Kranken selbst und seine Ausleerungen,

durch Verstorbene,

durch Speisen und Gebrauchsgegenstände (Möbel, Kleider, Wäsche und dergleichen),

durch mit dem Kranken verkehrende Personen,

durch das Krankenzimmer.

Die Desinfection hat alle diese Punkte ins Auge zu fassen.

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1) peinlichste Reinlichkeit für den Kranken selbst, seine lebende und todte Umgebung, das Krankenzimmer und dessen gesammten Inhalt;

2) ausgiebige und häufige Erneuerung der Luft im Krankenzimmer;

3) schleunigste Entfernung und Unschädlichmachung aller Ansteckungsstoffe und werthloser Gegenstände.

Ausführung der Desinfection.
§. 5.

1) Zur Erhaltung der Reinlichkeit gehört tägliche Reinigung des Kranken, häufiger wenn möglich täglicher Wechsel der Leib- und Bettwäsche, sofortiger Wechsel besudelter Wäsche und tägliche Reinigung des Krankenzimmers durch Aufwischen mit feuchten Tüchern, welche nach Gebrauch sofort eine halbe Stunde in kochendem Wasser gebrüht werden.

2) Lüftung des belegten Krankenzimmers wird durch häufiges und längeres Oeffnen der Fenster und des von innen heizbaren Ofens, bei niedriger Aussentemperatur durch Oeffnen eines verhängten Fensters erzielt.

3) Zur Unschädlichmachung der Ansteckungsstoffe dienen:

a. strömender überhitzter Wasserdampf in den von der Stadt Berlin eingerichteten Desinfectionsanstalten,

b. halbstündiges Kochen in Wasser,

c. eine fünfprocentige Carbolsäurelösung, hergestellt durch sorgfältige Mischung (Umrühren) von 1 Theil sogenannter 100 procentiger Carbolsäure (acidum carbolicum depuratum) mit 18 Theilen Wasser, d. eine 2 procentige Carbolsäurelösung, hergestellt aus 1 Theil derselben Carbolsäure mit 45 Theilen Wasser,

e. Verbrennung werthloser Gegenstände.

§. 6.

Falls der Kranke nicht in ein Krankenhaus gebracht wird, ist ein thunlichst abgesonderter Raum als Krankenzimmer zu wählen und ausser Verkehr zu stellen.

In einem Zimmer, in welchem eine an Cholera, Pocken, Fleck- oder Rückfalltyphus, Diphtherie, Scharlach oder Ruhr erkrankte Person untergebracht ist, müssen in der Regel die zur Zeit befindlichen Möbel und Gebrauchsgegenstände jeglicher Art verbleiben.

Ist die Entfernung einzelner Stücke nicht zu umgehen, so sind dieselben vor Gebrauch nach diesen Vorschriften zu desinficiren.

Alle vom Kranken während der Erkrankungszeit benutzten Leib- und Bettwäschestücke, zum täglichen Aufwischen des Zimmers gebrauchte Tücher, sowie alle sonst waschbaren Gegenstände weiche man nach der Aussergebrauchstellung, ohne sie vorher zu schütteln oder auszustäuben, in 2 procentiger Carbolsäurelösung mindestens 24 Stunden ein, koche dieselben dann eine halbe Stunde in Wasser und wasche sie in Kaliseifenlauge aus, welche aus 20 Gramm Kali- (schwarzer oder grüner) Seife mit 10 Liter Wasser hergestellt wird.

§. 7.

Alle Absonderungen von Cholera-, Typhus-, Diphtherie-, Scharlach- und Ruhrkranken fange man in Gefässen, welche zu einem Viertel mit 5 procentiger Carbolsäurelösung gefüllt sind, auf und schütte sie in den Abtritt. In Betracht kommen:

bei Cholera: Erbrochenes, Stuhlgang und Urin,

bei Diphtherie und Scharlach: Auswurf, Nasenschleim und Urin, bei allen Typhusarten und epidemischer Ruhr: die Stuhlgänge.

Abtritte (Closets) dürfen Kranke vorgedachter Art nicht benutzen. Ist dies dennoch vor Feststellung der Krankheit oder später verbotswidrig geschehen, so reinige man die Sitzbretter und die Abtrittstrichter sofort durch Abscheuern mit 5 procentiger Carbolsäure und spüle letztere durch Eingiessen von reichlichen Mengen (3 bis 4 Liter) derselben Lösung sorgfältig nach.

§. 8.

Speisen und Getränke dürfen im Krankenzimmer weder aufbewahrt, noch von irgend Jemand, ausser dem Kranken, genossen werden.

§. 9.

Benutzte Verbandsstücke werden sofort verbrannt, Instrumente in 5procentiger Carbolsäurelösung gereinigt.

§. 10.

Uebele Gerüche beseitige man lediglich durch Entfernung der Geruchsquelle (Entleerungen, Verbandsstücke etc.) und durch wiederholte ausgiebige Lüftung. Räucherungen mit wohlriechenden Stoffen bewirken keine Desinfection, verdecken nur den Geruch, beseitigen ihn aber nicht.

§. 11.

Nach Ablauf der Krankheit bringe man benutzte, nicht waschbare Kleidungsstücke, Betten, Kissen, Matratzen, Decken, seidene Stoffe, Teppiche, Pelzwerk, Polstermöbel ohne fournirtes äusseres Holzgestell vorsichtig, d. h. ohne viel zu rühren beziehungsweise gar zu schütteln oder auszuklopfen, in ein mit 2 procentiger Carbolsäurelösung angefeuchtetes Leinentuch eingebunden, in eine der städtischen Desinfectionsanstalten mittelst deren Transportwagen.

Besudelte Ledersachen (Schuhwerk) sind mit 5 procentiger Carbolsäurelösung zu reinigen.

§. 12.

Alle werthlosen Gegenstände (Bettstroh, unbrauchbar gewordene Kleider und dergleichen) werden verbrannt, und zwar, soweit nach Umfang möglich, im Heiz- oder Kochheerd, welcher zur Zeit mit Speisen nicht besetzt sein darf; grössere Gegenstände aber, wie grosse Mengen Bettstroh, gefüllte und leere Bettsäcke und dergleichen mehr, werden durch die Revierpolizei den städtischen Desinfectionsanstalten zur Unschädlichmachung überwiesen.

§. 13.

Polirte und geschnitzte Möbel, Bilder mit Rahmen, Metall- und Kunstgegenstände werden mit trockenen Lappen scharf, Tapeten wie gestrichene Wände mit Brot trocken und scharf abgerieben, nachdem der Fussboden des Zimmers vorher mit 5 procentiger Carbolsäurelösung stark angefeuchtet ist.

Von den Wandflächen, welche mit Auswurfsstoffen des Kranken besudelt sind, müssen Tapeten beziehungsweise Anstrich nach Anfeuchten mit 5procentiger Carbolsäurelösung durch Abkratzen in entsprechender Ausdehnung entfernt werden.

Alle Fussböden ohne Unterschied, Thüren, Fenster, sowie alle Holzbekleidungen ohne Politur sind nach Cholera, Pocken, Diphtherie, Fleck- und Rückfalltyphus mit 5 procentiger Carbolsäurelösung sorgfältig abzuscheuern; letztere lässt man in etwaige Dielenfugen einziehen und wäscht die gereinigten Flächen mit reinem Wasser nach.

Das zum Abreiben verwendete Brot beziehungsweise die Lappen werden verbrannt, etwa noch brauchbare Tücher in 2 procentiger Carbolsäurelösung auf 24 Stunden eingeweicht, dann in Wasser gekocht und in heisser Kaliseifenlösung (vergleiche §. 6 Schluss) gewaschen.

§. 14.

Nachdem so jeder Gegenstand im ehemaligen Krankenzimmer, wie jeder Theil des letzteren selbst, vorschriftsmässig und sorgfältig gereinigt ist, lüfte man das Krankenzimmer nach Cholera, Pocken, Diphtherie, Fleck- und Rückfalltyphus 24 Stunden hindurch.

§. 15.

Die Benutzung von öffentlichen Fuhrwerken (Lohnwagen, Droschken, Omnibus, Pferdebahnen, Eisenbahnen) und von öffentlichen Wasserfahrzeugen zum Transport von Cholera-, Pocken-, Typhus-, Diphtherie-, Ruhr-, Scharlach-und Masernkranken ist verboten. Derartige Kranke sind in besonderen Krankenwagen zu transportiren.

Krankenwagen wie Wagen der Desinfectionsanstalten bestellt das zuständige Polizeirevier auf Verlangen.

§. 16.

Genesene Kranke müssen, bevor sie mit Gesunden wieder verkehren, sich in einem warmen Seifenbad und, falls dies nicht thunlich ist, durch Abwaschen des ganzen Körpers mit warmem Seifenwasser sorgfältig reinigen, darauf reine Wäsche und in der Krankheit nicht benutzte oder desinficirte Kleider anlegen.

§. 17.

Leichen von an Cholera, Pocken, Diphtherie, Ruhr oder einer Typhusart Verstorbenen sarge man nach Feststellung des Todes ungewaschen und in ein in 5 procentige Carbolsäurelösung getauchtes Leichentuch gehüllt ein, und führe sie thunlichst bald mittelst Leichenwagens aus der Wohnung in eine Leichenhalle über.

§. 18.

Alle Personen, welche mit an Cholera, Pocken, Diphtherie, Scharlach, Fleckoder Rückfalltyphus Erkrankten in Verkehr getreten sind, haben sich, bevor sie wieder mit Gesunden in Berührung kommen, die Hände mit 2 procentiger Carbolsäurelösung, Pfleger und Pflegerinnen auch das Gesicht, Haupt- und Barthaar sorgfältig zu reinigen.

Desinfectoren tragen während ihrer Thätigkeit einen lediglich für diesen Zweck bestimmten Arbeitsanzug, reinigen sich nach der Arbeit wie die Pfleger und haben, wie Letztere nach vollendeter Arbeit, Wäsche und Kleider zu wechseln.

§. 19.

Die Vorschriften der §§. 13 bis 18 kommen auch in denjenigen Fällen (§. 2 B.) zur Anwendung, bei welchen Desinfection auf besondere amtliche Anordnung stattfindet.

Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege, 1887.

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§. 20.

Ist bei Darmtyphus, Scharlach oder Ruhr amtlich eine Desinfection nicht angeordnet, so findet dieselbe, wie bei Masern, Keuchhusten, Lungenschwindsucht, in jedem einzelnen Falle nach ärztlichem Ermessen statt.

Berlin, den 7. Februar 1887.

Der Polizeipräsident.

(gez.) Freiherr v. Richthofen.

Bekanntmachung, betreffend die Ausführung der Desinfection durch geprüfte Heildiener und sonst amtlich mit der Desinfection beauftragte Personen.

1. Jeder geprüfte Heildiener, sowie jede amtlich als Desinfector bezeichnete Persönlichkeit ist verpflichtet, jede Desinfection, welche durch Erkrankungen oder Sterbefälle an asiatischer Cholera, echten oder modificirten Pocken, Fleckoder Rückfalltyphus und Diphtherie erforderlich gemacht wird, ohne Säumen genau nach den Vorschriften der vorstehenden Anweisung zum Desinfectionsverfahren bei Volkskrankheiten vom 7. Februar 1887 auszuführen.

Dieselben Vorschriften finden Anwendung, wenn in Folge von Erkrankungen oder Todesfällen an Darmtyphus, bösartigem Scharlach oder bösartiger Ruhr durch die Behörden eine Desinfection angeordnet wird.

2. Jede Desinfection ist schleunigst auszuführen.

3. Geprüfte Heildiener und amtlich als Desinfectoren bezeichnete Persönlichkeiten müssen sechs, je 2 Kilogramm haltende starke Flaschen mit Carbolsäurelösung gefüllt bereit halten; drei Flaschen sind mit 2 procentiger, drei Flaschen mit 5 procentiger Carbolsäurelösung (nach §. 5 c und d der Anweisung bereitet) anzufüllen.

Die Flaschen müssen in Oelfarben- oder eingebrannter Schrift deutlich: 2 procentige Carbolsäurelösung - beziehentlich 5 procentige Carbolsäurelösung. Vorsicht! bezeichnet sein.

4. Der Desinfector erhält für die Desinfection eines einzelnen Krankenraumes 3 Mark; für die Desinfection weiter folgender Räume sind je 2 Mark zu entrichten. Die baaren Auslagen für verbrauchte Desinfectionsmittel sind zu erstatten.

5. Gegen geprüfte Heildiener und amtlich bestellte Desinfectoren, welche ohne triftigen Grund die Uebernahme einer Desinfection ablehnen beziehungsweise eine übernommene Desinfection säumig, nachlässig oder unvollständig zur Ausführung bringen, wird nach Maassgabe der bestehenden Bestimmungen eingeschritten werden.

6. Die Anleitung zum Desinfectionsverfahren vom 15. August 1883, sowie die Anweisung zur Ausführung der Desinfection für geprüfte Heildiener etc. vom 22. October 1883 sind in Zukunft nicht mehr maassgebend.

Berlin, den 8. Februar 1887.

Der Polizeipräsident.
(gez.) Freiherr v. Richthofen.

Bekanntmachung.

Am 1. November dieses Jahres wird die von der hiesigen Stadtgemeinde errichtete

öffentliche Desinfectionsanstalt in der Reichenbergerstrasse Nr. 66 (S. (.)

eröffnet. In derselben können Kleidungsstücke, Wäsche, Betten, Matratzen, Strohsäcke, Decken, Teppiche, Gardinen, Polstermöbel etc. der Desinfection

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