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den König gesandt; als Abgeordnete der pariser Wahlherren kamen und von noch dauerndem Kampfe um die Bastille erzählten, noch eine. Der König antwortete, daß die pariser Bürgermiliz fortbestehen dürfe und k. Oberofficiere sich an ihre Spike stellen sollten, auch daß er Befehl zum Abmarsche der Truppen vom Marsfelde gegeben habe. Doch genügte dies der N.-V. nicht; zwar wurde, obschon in der Nacht die Botschaft von der Einnahme der Bastille eingegangen war, die sofortige Absendung einer Deputation an den König auf Clermont-Tonnerre's Wort 130) aufgeschoben; aber am Morgen des 15. wurde eine neue Vorstellung an den König verfaßt, und in dieser die Perfidie der Minister angeklagt und der König aufgefordert, diese,,Pest" zu entfernen. Mirabeau fugte noch einen Nachsah hinzu und rief der aufbrechenden Deputation mit Heftigkeit nach, sie sollte dem Könige sagen, daß gestern Prinzen, Prinzessinnen und Günstlinge den fremden Horden einen Besuch gemacht hätten 13): da trat Liancourt, Großmeister der f. Garderobe, ein und meldete; der König sei im Begriffe, einzutreten. Dieser war erst in der Nacht vollständig von der Lage der Dinge unterrichtet worden; Liancourts Wort: „das ist eine Revolution", scheint tiefen Eindruck auf ihn gemacht und dessen Vorstellungen seinen Entschluß bestimmt zu haben 132).

130) Laissons-leur la nuit pour conseil; il faut que les rois, ainsi que les autres hommes, achètent l'expérience. Ferrières 1, 134.

181) Eh bien! dites au roi que les hordes étrangères dont nous sommes investis, ont reçu hier la visite des princes, des princesses, des favoris, des favorites, et leurs caresses, leurs exhortations et leurs présens; dites-lui que toute la nuit ces satellites étrangers, gorgés d'or et de vin, ont prédit dans leurs chants impies l'asservissement de la France, et que leurs voeux brutaux invoquaient la destruction de l'assemblée nationale; dites-lui que, dans son palais même, les courtisans ont mêlé leurs danses au son de cette musique barbare et que telle fut l'avant-scène de la Saint-Barthélemy. Moniteur No. 19, S. 181.

132) Daß Liancourt, der vermöge seines Umtes Zutritt in das Schlafzimmer des Königs hatte, ihn habe wecken lassen, um ihm die Einnahme der Bastille zu melden (Weber 1, 396; s. dagegen Ferrières 1, 136) scheint zum Aufpuge zu gehören; Liancourts' Wort aber ist außer Zweifel, so gut als die bis zur Nacht auf den 15. Juli durch Vorspie

Der König war nur von seinen Brüdern begleitet; er rebete stehend und mit entblößtem Haupte zu der Versammlung, die er nun zuerst Nationalversammlung nannte, und von der er ungeachtet der vorhergegangenen Mahnung einiger Deputirten, daß das Stillschweigen des Volkes die Lehre der Könige sei 133), freudigen Gegengruß bekam. Mit zuversichtlicher Stimme sprach Ludwig, daß er sich ihr vertraue und daß er Befehl zur Entfernung sämmtlicher Truppen gegeben habe, und forderte die N.-V. auf, dies der Hauptstadt mitzutheilen. Der Prásident faßte in seiner Gegenrede die Hauptpunkte der vorher bes schlossenen Adresse zusammen, den Wunsch, daß freier Verkehr zwischen Versailles und Paris hergestellt und jederzeit ungehinderte und unmittelbare Communication zwischen dem Kös nige und der N.-V. stattfinden, und endlich, daß der König sein Ministerium åndern möge. Jenes sagte der König zu, das legte ließ er ohne Antwort. Die gesammte N.-V. bes gleitete ihn nach dem Palaste; ganz Versailles war in Bewe gung, das Volk freudetrunken 134).

Zur Deputation nach Paris wurden 88 Mitglieder der N.-B. ausgewählt; sie brachen am 15. auf. In Paris war die Besorgniß vor dem Unmarsch der Truppen noch rege; es wurden neue Barricaden errichtet, auch war die Rede von einem Zuge nach Versailles. Die Ankunft der Deputation brachte Vertrauen und Freude. Durch das jubelnde Volk, dessen Ruf,,Es lebe der dritte Stand" auf Targets Mahnung in „Es lebe die Nation" sich umwandelte 135), auf dem Stadthause angelangt, verkündigten sie, daß der König in der N.-V. erschienen sei, und theilten die von ihm gesprochenen Worte mit; Lally-Kolendal hielt eine Rede zum Lobe der Freiz heit des Vaterlandes und der Tugenden des Königs, nannte aber zugleich die Ermordungen des vorhergehenden Tages eine

gelungen der Hofpartei (ob auch durch Theaterzettel, während die Thea ter in Paris geschlossen waren, und durch Curszettel, wo der Curs als steigend angegeben war?) unterhaltene Befangenheit des Königs.

133) Ferrières 1, 138.

134) Derselbe 1, 140. Moniteur No. 19, . 81.

185) Lameth 1, 62.

gerechte Rache 196); er wurde umarmt, bekränzt, an ein Fenster geführt, dem Volke gezeigt und mit Beifallsklatschen begrüßt. Darauf wurde Lafayette, dessen Verdienste seine in dem großen Saale des Stadthauses aufgestellte Büfte vergegenwärtigte 137), zum Chef der Bürgermiliz und Bailly zum Maire, statt des bisherigen Magistrats eines Prevot der Kaufleute und zugleich bes Civil-Lieutenants, erwählt. Ein Tedeum in der Kirche von Notre-Dame beschloß die Manifestationen der Freude. Als Scheidegruß aber empfing die Deputation den Ruf des Volkes, daß das Ministerium entlassen, Necker zurückkehren und der König nach Paris kommen möge. Darüber war die N.-V. am 16. Juli nach heftiger Debatte, wobei Mirabeau durch sein Stillschweigen über Necker zu erkennen gab, daß er dessen Rückkehr nicht möge, im Begriffe, eine neue Vorstellung an den König zu richten, als dieser ihr zuvorkam und seinen Entschluß, Necker zurückzurufen und einen Besuch in Paris zu machen, ankündigte. Es war im Cabinet berathen worden, ob sich der König zu den Truppen nach Meß begeben möchte, aber der König hatte die Berathung mit den Worten geschlossen: Ich bin entschieden, zu bleiben 138). Breteuil, Broglie u. s. w., auch Barentin und Villedeuil wurden entlassen. Zugleich gab an diesem Lage der noch störrige Überrest des Adels der N.-V. eine Erklärung ein, daß er nach erfolgter Zustimmung seiner Committenten sich mit der N.V. vereinige; die Adelsdeputirten von Paris brachten darauf Stimmung nach Köpfen in Vorschlag und einstimmig war nun dafür Adel und Klerus 139). Der König fuhr schon am folgenden Tage zur Hauptstadt, hundert Mitglieder der N.-B. begleiteten ihn. Die Gardesdu-Corps blieben unterwegs zurück. Um Stadtthore von Pa= ris überreichte ihm Bailly die Schlüssel mit den pedantischen Worten: Dieselben Schlüssel seien Heinrich IV. überreicht wor

136) Vos ressentimens; il en était malheureusement de trop justes. Am vollständigften und genauesten hak die Rede Bertrand de Moleville 2, 35 f.

187) Dussaulx 276.

138) Md. Campan 2, 53.

139) Moniteur No. 19, . 83.

den; dieser habe sein Volk wiedergewonnen, hier sei es bas Volk, das seinen König wiedergewinne; es sei der schönste Tag der Monarchie. In allen Straßen, durch welche der Zug ging, standen dichte Reihen bewaffneten Volkes, unters mischt mit Soldaten, Weiber mit Blumenkränzen und dreifarbigen Bändern, Kinder und Greise, zerlumpter, frecher Pöbel und elegant Gekleidete durch einander. Die Gesichter waren zum Theil düster 11o); oft wurde gerufen „Es lebe die Nation", selten,,Es lebe der König". Ein Schuß, der eine Frau in der Nähe des Königs tödtete, kam wol nicht von der Hand eines Meuchelmorders 141). Als der König am Stadthause ankam, überreichte ihm Bailly die Nationalcocarde; der Köz nig heftete fie an seinen Hut. Durch Bewaffnete, die über seinem Haupte die Degen kreuzten, schritt er die Treppe hinauf 142). Der König war zu bewegt, um zu der Versamms lung, die ihn im großen Saale umgab, mehr als die Worte: „Mein Volk kann immer auf meine Liebe rechnen" sprechen zu können. Bailly, nebst Lafayette im neuen Amte bestätigt, wurde der Dollmetscher des Königs; Lally-Tolendal erwiederte das mit dem Ausdrucke freudiger Dankbarkeit; der königl. Procus reur des Stadtmagistrats schlug vor, dem Könige, als Wieders hersteller der öffentlichen Freiheit, auf dem Bastillenplage eine Bildsäule zu errichten. Der König trat, mit der Cocarde am Hute, an ein Fenster und nun jauchzte auch das auf dem Greveplate versammelte Volk ihm entgegen.

Der Schrecken über die pariser Insurrection gab den An- ́ stoß zur ersten Emigration. Graf Artois mit seinen Söh nen, Prinz Condé mit seinem Sohne und Enkel, Prinz Contk, die Polignacs, Broglie, Villedeuil, Lambesc, Vermont ïc. vers ließen Versailles in der Nacht des 17. Juli, meistens mit den Truppen, auf deren Schuß fie bisher gerechnet hatten 13).

140) Ferrières 1, 140.

141) Bailly 2, 64,

142) Ders. 2, 65. Es sollte Nachahmung eines freimaurerischen Brauches sein.

148) Weber 1, 396. Md. Campan 2, 53. Moniteur No. 27, 6. 115. Die,,France extérieure" hat bekanntlich mehre Hiftorio

Suchten sie nur Sicherheit: wer möchte sie darum anklagen? Nußbar konnte ihre Gegenwart dem Könige nicht sein, da sie sich selbst zu verleugnen nicht vermochten und auch niemand ihnen dieses Vermögen zutraute. Aber bald offenbarte sich, daß sie dem Vaterlande den Rücken zugewandt hatten, um im Auslande Hülfe zur Herstellung der alten Ordnung der Dinge zu suchen, und dadurch wurden sie Urheber einer Verschlimmerung der Revolution, die den König, dessen Namen sie zur Losung nahmen, da es ihnen doch nur um Wiedergewinn verloren gegangener Vortheile zu thun war, ins Verderben stürzte. Auch das mildeste Urtheil über sie muß mindestens ihre Be thörtheit rugen 1**).

3weites Capitel.

Umsturz des mittelalterlichen Staatswesens, ideale Anfänge des Neubaues, brutale Dazwischenkunft der Anarchie.

Bis zum Aufbruche der N.-V. nach Paris, Oct. 1789.

Der Volksjubel zu Paris war der Rausch augenblicklicher Aufwallung; die Freude war nicht nachhaltig, nicht beruhigend; das Volk war nur mit dem Könige ausgeföhnt, nicht mit dem

graphen aus der Zeit der Restauration; wir führen nur Saint-Gervais hist. des émigrés français, 1828. 8 Vol. 8, und Montrol hist. de l'émigration, 1825, an.

144) C'est une funeste erreur de s'imaginer que dans des tems de crise l'absence soit une force. Lameth 1, 409. Das haben nachher die im Anfange des Octobers aus der N.-V. austretenden Deputirten Mounier, Lally-Tolendal u. s. w., das haben die Royalisten und Aristokraten nach ihrer Resignation vom 29. Juni 1791 und noch später Danton und Robespierre erfahren.

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