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Hauptaufgabe gesezt hatte; am 27. Jul. las Clermont - Tonnerre den oben erwähnten Auszug aus den Cahiers vor 62); die Wünsche der Nation waren nun offenbar und für die Urbeit der N.-B. eine Richtschnur gegeben. Die Verhandlungen über die Constitution begannen am 1. Aug., und die erste Frage war, ob eine Erklärung der Rechte des Menschen und Bürgers der Verfassungsurkunde vorausgeschickt werden sollte! Sechsundfunfzig Deputirte wollten darüber reden. Die meisten derselben bejahten die Frage; ihre Erörterungen waren meistens eben so reich an Interesse für Menschen- und Völkerglück als geiskvoll; einige, namentlich der Pfarrer Grandin, Sillery, Gregoire und Camus begehrten auch eine Erörterung der Pflichten, und der Klerus gab diesen Anträgen seinen Beifall; aber dies blieb ohne Erfolg; eben so vergebens suchte Malouet die Verhandlungen von der Höhe idealer Speculation auf die materiellen Interessen herabzuleiten. Am 3. Aug. wurde die N.-V. genöthigt, ihre Aufmerksamkeit auf einen Bericht zu wenden, der die betrůbendsten Mittheilungen über die Zunahme der Geseßlosigkeit im Lande enthielt 63); die Ungeduld bemächtigte sich ihrer, als am 4. Aug. die Reden über die Frage von Erklärung der Rechte fortgesezt wurden; mehrmals wurde zum Stimmen getrieben; die Abstimmung entschied bejahend.

In der Abendsihung des vierten August begann die Berhandlung über einen Entwurf Target's zur Herstellung der Ruhe und Sicherheit **). Noailles bemerkte, man müsse auf die Ursachen der Gährung und Insurrection zurückgehen, die Gemeinden hätten nicht eine Constitution begehrt, sondern Abschaffung der drückenden Abgaben und gutsherrlichen Rechte, drei Monate seien verflossen und nichts dazu gethan; er schlage

62) B. 1, Cap. 3. Not. 112.

63) S. oben N. 27.

64) über das Folgende f. Moniteur No. 33. S. 139 fg. Buchez et R. 2, 224 fg. Ferrières 1, 180. Vergl. Anhang zu Bailly 2, 421. Eging in der Sigung so stürmisch zu, daß genaue Protokollirung nicht ftattfinden konnte; daher die Varianten in den verschiedenen Berichten, wo selbst die Reihenfolge der Redner nicht dieselbe ist.

vor, dem Aufrufe zur Geseßlichkeit die Verheißungen voraušzusenden, daß die Abgaben von Jedermann nach dem Maße seiz nes Einkommens gezahlt, die Lasten gleichmäßig auf Alle vertheilt, daß die Feudalgefälle gegen Entschädigung abgelöst, die Wegefrohnden und jegliche Art persönlichen Knechtdienstes ohne Loskauf abgeschafft werden sollten. Dies wurde mit ernstem Schweigen angehört; darauf aber zeigte sich lebhafte Bewe gung, insbesondere bei den Mitgliedern des bretonischen Clubs; der Herzog von Aiguillon, welcher in diesem schon Tags zuvor einen Entwurf zu Anträgen, wie Noailles machte, vorgelesen hatte 6), nahm das Wort. Die Aufstånde, sagte er, feien zu entschuldigen, die gutsherrlichen Beamten haben das Volk geplackt; er schlage vor, die N.-V. möge beschließen: Gleiche Vertheilung der Abgaben, Wegfall aller Privilegien und Eremtionen von Personen, Körperschaften, Städten, Ablösung aller feudalen und gutsherrlichen Rechte, doch Fortdauer der lehtern, bis jene vollständig geschehen sei. Diese Rede er: regte freudige Aufwallung. Dupont von Nemours zwar ging nicht auf jene Vorschläge ein, sondern empfahl eine Ermahnung zum Gehorsam gegen das Gesetz, strenge Rechtspflege und Verpflichtung der Bürgermilizen und Soldaten, unverwei gerlich auf Requisition der Magistrate zur Ruhe mit bewaffneter Hand zu helfen. Das verhallte. Als der bretonische Land: mann Guen de kerengal die Schmach der Leibeigenschaft anschaulich machte ) und dringend mahnte, dem Volke das Aufhören der Feudallasten zu verheißen, ergriff Enthusiasmus die Seelen, und der laute Unwille, den die grelle Zeichnung Lapoule's von der ehemaligen Feudalbarbarei 67) erregte, wurde

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65) Lameth 1, 96. Aiguillon war einer der reichsten Feudalhere ren; er opferte über 100,000 Livres jährlichen Einkommens; Noailles war cadet de famille.

66) qu'on nous apporte ces titres qui humilient l'espèce humaine, en exigeant que les hommes soient attelés à une charette comme les animaux du labourage, qui obligent les hommes à passer les nuits à battre les étangs pour empêcher les grenouilles de troubler le sommeil de leurs voluptueux seigneurs!

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le seigneur était autorisé, dans certains cantons, à faire eventrer deux de ses vassaulx à son retour de la chasse pour se dé

bald durch neue Anträge zu Aufopferungen beschwichtigt; ein Vorschlag folgte dem andern, der Kastengeist entwich; die von ihm erfüllt gewesen waren, wetteiferten mit den Übrigen, es wollte keiner zurückbleiben; es wurde keine Gegenrede laut 68), es kam zu keiner Abstimmung, Alles wurde durch Acclamation angenommen, kaum ausgesprochen, ward es auch beschlos sen. Der Marquis Foucault sprach gegen Misbrauch der Pensionen zu Gunsten der Großen am Hofe, Vicomte Beauhar nais beantragte Gleichheit der Strafen, ohne Unterschied des Standes, der Bischof von Nancy Ablösung der Feudallasten von kirchlichem Besißthum und Bestimmung des Ertrags zur Unterstüßung der Armen, der Bischof von Chartres Abschaffung des Jagdrechtes. Hier unterbrach das Beifallsrufen eine Zeit lang die Berathung. Darauf folgte der Antrag auf Unentgeltlichkeit der Rechtspflege, mehre Pfarrer verzichteten auf ihre Accidentien (das casuel), Edelleute dagegen begehrten Verbesserung des festen Einkommens der Pfarrer. Es ging weiter zur Ablösung des Zehnten, Abschaffung der Taubenschläge des Abels, der Leibeigenschaft, Erleichterung des Zustandes der Skla ven in den Colonien. Nun kam die Reihe an die Privilegien von Landschaften (der pays d'états), Städten und Zünften; die Deputirten, welche nicht Vollmacht zum Verzicht auf dergleichen hatten, gelobten insgesammt, das Ihrige zu thun, um die Zustimmung ihrer Committenten zu erlangen. Noch folg= ten Beschlüsse, daß Verkäuflichkeit der Umter, Annaten und Pluralität der Beneficien aufhören, desgleichen daß jedes Amt dem Bürger zugänglich sein sollte; auch die Magistratur wurde geneigt, zu opfern: im Namen der hohen Gerichtshöfe erklärte Freteau Verzicht auf bisherige Privilegien, und Willigkeit, der Nation zu dienen. Den Beschluß machten die Anträge des Erzbischofs von Paris, ein Tedeum anzuordnen, und Lally-Tolendal's, den König Wiederhersteller der französischen Freiheit zu benennen, welche beide mit dem lautesten Beifall aufgenommen

lasser en mettant ses pieds dans les corps sanglans de ces malheureux. Ferrières 1, 184; nicht im Moniteur.

68) Lally-Tolendal schrieb, als der Rausch im Steigen war, einen Zettel an den Präsidenten: Personne n'est plus maître de soi, levez la séance (Ferrières 1, 186); aber Práfident war Chapelier!

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wurden. Eine Viertelstunde verging über immer wiederholtem Freudenrufe und Lebehoch für den König. Der Präsident ließ eine summarische Aufzählung der gefaßten Beschlüsse verfassen; diese wurde mit Vorbehalt der Redaction sogleich bestätigt. Es war zwei Uhr nach Mitternacht; sechs Stunden hatten hingereicht, ein Gebäude von mehr als tausendjährigem Alter umzustürzen. Nicht die Feudalität allein fiel zusammen; die gefaminte Ungleichartigkeit der Zustände, die sich im Laufe des Mittelalters, zum Theil aus dem Kampfe gegen die Feudalitåt, emporgebildet hatte, den Lasten, die der nachfolgende Despotismus auf das Volk gewälzt hatte, die Gunst, mit der die Großen von jenem überhäuft worden waren, Privilegien jeglicher Art, auch die dem dritten Stande zu gut gekommen waren, Alles lag in einem Schutte zusammen. Eines Enthufiasmus dieser Art war nur die französische Nationalität fähig. Das Werk dieser Nacht, wo die edelste Frucht der Revolution im Feuer patriotischer Begeisterung reifte, hat eben so scharfen Ladel als rühmende Anerkennung gefunden; es heißt Bartholo máusnacht des Eigenthums 69) so gut als der Misbräuche; Mirabeau und Sieyes, so gut als Lally-Tolendal, fanden, daß der Ungestům zu weit ging 70). Übereilungen und Unbilden, zu denen der Enthusiasmus fortriß, straften sich schon in den nåchften Jahren; Besonnenheit håtte sie verhindert; aber es gibt Mächte, welche über den Haufen zu werfen nur im Sturm gelingt, Krankheiten, wo nur eine Radicalcur zur Genesung führen kann. Das Weh, das zunächst auf den scharfen Schnitt folgte, hat zusammen mit den hohlen Theorien der „Philosophen" in der N.-V. der Strom der Zeiten fortgespült; Freiheit der Person und des Besißthums ist geblieben.

Die Redaction der in der Opfernacht gefaßten Beschlüsse wurde seit dem 6. Aug. Gegenstand der Verhandlungen. Es mangelte nicht an Einreden, an Versuchen, etwas aus dem Schiffbruche der Privilegien und Standesgüter zu retten. Ei

69) 3u geschweigen eines Rivarol und Consorten, s. z. B. Montgaillard 2, 277.

70) Voilà nos Français, sagte Mirabeau; ils sont un mois entier à disputer des syllabes, et dans une nuit ils renversent tout l'ancien ordre de la monarchie. Dumont, Souvenirs sur Mirabeau p. 146.

nige Geistliche erhoben Reclamationen; aber Buzot sprach das folgenreiche Wort aus, daß die geistlichen Güter der Nation gehörten "). Ein Edelmann sprach für Fortdauer der Ehrenrechte des Adels, aber Montmorency trieb zur Beeilung der Redaction mit dem Bemerken, es sei keine Abänderung zulåsfig; die Debatten hierüber wurden durch Duport's Wort: Das Feudalregiment ist abgeschafft, beendet und die` Frage von den Ehrenrechten auf Mirabeau's Betrieb beseitigt. Als nun Necker am 7. Aug. die Nothwendigkeit einer Anleihe vorstellte, verflochten sich die Verhandlungen darüber mit denen über die Beschlüsse des 4. Aug. Barnave deutete an, daß für die Anleihe ein Unterpfand gegeben werden müsse; er meinte die geistlichen Güter "); nach ihm sprach der Marquis la Coste offen aus, der Staat müsse die geistlichen Güter zurücknehmen, die Zehnten und Klöster aufheben und den Klerus auf Staatskosten unterhalten. Der Klerus erbot sich, seine Güter zum Unterpfande der Anleihe zu geben, aber das wurde abgelehnt. Am 10. Aug. proponirte Villiers unentgeltliche Aufhebung des geistlichen und Ablösung des weltlichen oder feudalen Zehnten. Der erstere machte das Drittel des gesammten Einkommens der Geistlichen aus; er sollte nun den Grundeigenthümern zu gute kommen, also der Staat nichts dabei gewinnen und doch künftig die Geistlichen unterhalten. Die Debatte darüber ward lebhaft. Lanjuinais, Gregoire, Montesquiou erklärten sich für Ablösung desselben; Mirabeau behauptete, daß die Geistlichen vom Staate zu falariren seien, und vertheidigte seinen Ausdruck gegen den darüber heftig murrenden Klerus "); Sieyes vertheidigte den geistlichen Zehnten; sie wollen frei sein, sagte er, und verstehen nicht gerecht zu sein;" auch er begehrte Ablösung"). Die Gegenreden wurden anzüglich: da machte Ricard bekannt, daß in so eben eingegangenen Schreiben mehre

71) Moniteur S. 147.

72) Lameth 1, 107.

73) Je ne connais que trois manières d'exister dans la société ; il faut y être mendiant, voleur ou salarié. Monit. No. 39, S. 164.

74) Ebendas. 164. 165. Vergl. über die Zehntfrage Planck, Neueste Religionsgeschichte. 1793, Th. 3, S. 28. Lameth 1, 159.

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