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stung in Anspruch genommen 107), der Klerus zur Auslieferung des überflüssigen Kirchensilbers aufgefordert 108), endlich Necker's Vorschlag einer außerordentlichen Steuer, die vom Einkommen ein Biertel, anderthalb Procent von Kleinodien und baarem Geldvorrathe betragen, und von der nur Personen von weniger als 40 Livr. Einkommen und Tagelöhner ausgenommen sein sollten, in Berathung gezogen und am 26. Sept. in einer hinreißenden Rede von Mirabeau, der auf den Bankrutt hinwies 109), empfohlen.

In Paris war die Sorge um Lebensmittel das Ferment zu neuen Bewegungen. Schon im Auguft hatten Tumulte vor den Bäckerlåden stattgefunden 110); die rastlosen Bemühungen der Behörden vermochten wohl, hinreichenden Vorrath von Getreide für das Tagsbedürfniß zu schaffen, aber nicht des Volkes damonische Angst vor Hungersnoth zu beschwichtigen, noch dem übelstande abzuhelfen, daß vor den Bäckerlåden Ge drange entstand und deshalb manche Hungernde kein Brot be kamen "). In der Mitte des Septembers wurden Äußerun

107) über Beides f. Monit. No. 62, 63. (v. 23. und 25, Sept.) 108) Monit. No. 65, 29. Sept.

109) Das. No. 63, G. 258: Votez donc, schloß er, ce subside extraordinaire! Votez-le, parceque, si vous avez des doutes sur les moyens, doutes vagues et non éclaircis, vous n'en avez pas sur la nécessité, et sur notre incapacité à le remplacer, immédiatement du moins. Votez-le, parceque les circonstances publiques ne souffrent aucun retard, et que nous serions comptables de tout délai. Gardezvous de demander du tems. Le malheur n'en accorde jamais. Ah! Messieurs, à propos d'une ridicule motion du Palais-royal, d'une risible insurrection qui n'eut jamais d'importance que dans les imaginations faibles, ou les desseins pervers de quelques hommes de mauvaise foi, vous avez entendu naguères ces mots forcenés: Catilina est aux portes de Rome, et l'on délibère. Et certes, il n'y avait autour de nous ni Catilina, ni périls, ni factions, ni Rome. Mais aujourd'hui la banqueroute, la hideuse banqueroute est là, elle menace de consumer vous, vos propriétés, votre honneur . . . . et vous délibérez! Die Rede ward Gegenstand allgemeiner Bewunderung. Über die endliche Annahme des Necker'schen Vorschlags s. unten.

110) Révol, de Paris. No. 7. G. 12, 15. 16.

....

111) Bailly 2, 199. Buch. et R.: Il nous serait impossible de rapporter en détail les mouvemens dont les grains étaient l'occasion:

gen laut, man müsse nach Versailles ziehen und sich in Besit des Königs sehen; Solhaten der vormaligen französischen Garde behaupteten, ihnen komme es zu, die Wache bei dem Könige zu thun 112). Der Mismuth über die Zögerung des Königs, die Beschlüsse vom 4. Aug. zu bestätigen, verschlimmerte die Stimmung. Auf die Kunde von der Gährung in Paris veranstalteten die Minister, nach Verständigung mit D'Estaing, dem Chef der Nationalgarde und mit der Municipalität zu Versailles, daß zur kräftigern Handhabung der Ruhe und Sicherstellung des Königs das Regiment Flandern nach Versailles beordert wurde. Dagegen Protest Mirabeau's in der N.-V. und Gesuche der pariser Municipalitåt, in Paris aber, vorzüglich im Palais-royal und in den Journalen, neuer Lårm. : Loustalot, der den Brotmangel mit den grellsten Farben zeichnete 113), führte Beschwerde über die Municipalität, über Nationalgarde und N.-V."); Marat aber, der seit dem 12. Sept. ein Journal unter dem Titel: Le publiciste Parisien, fpåter L'ami du peuple, herausgab, schrieb einen giftigen Artikel über das Korngesetz 115). Stoff zu neuer Unruhe und neuen Verläumdungen und Befürchtungen gab eine Unbesonnenheit des Hofes 116). Das Regiment Flandern wurde am

démarches des districts, démarches des boulangers, assemblées, consultations, lecture de projets etc. Daß die Noth mehr scheinbar oder auch planmåßig veranstaltet, als thatsächlich war, ergibt sich aus zuverlässigen Berichten. S. Gesch. d. Staatsverånd. 3, 266. Brissot, Patriote français No. 64. b. Mounier, Appel S. 74.

112) Lafayette schrieb darüber schon am 17. Sept. an den Minister S. Priest, Monit. No. 64, S. 261, wo auch von dem Plane des Hofes zur Flucht nach Meg und dem berufenen freimüthigen Schreiben D'Estaing's an die Königin, das aber muthmaßlich von diesem nur aufgesegt, nicht übergeben worden war. Bertr. de Molev. 2, 272.

113) Révolut. de Par. No. 10, S. 16. 12, 29.

114) Daf. No. 12, 6. 2. 22. 27. Die Officiere der Nationalgarde waren ihm zu aristokratisch. S. 29.

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115) L'ami du peuple No. 22, S. 187 fg.. Den Titel L'ami du peuple führen die Blätter von No. 6 an.

116) Joseph sagte zu Segur: Que dire à des personnes qui laissent faire le repas des gardes-du-corps sans être sûr de leur armée. Lafayette 2, 382.

1. Oct. von den Gardes - du - corps bewirthet; der Hof räumte den Opernsaal dazu ein; bei dem Feste wurde kein Toast auf die Nation ausgebracht; das Erscheinen des königlichen Paars mit dem Dauphin erregte hohe Begeisterung; die Musik spielte das Lied: O! Richard! O mon roi, l'univers t'abandonne; der Hof frohlockte, Hofdamen theilten weiße Cocarden aus; nachdem sich der Hof zurückgezogen hatte, ward das Fest or= giastisch; royalistische Begeisterung und die Macht des Weins wirkten zusammen. Die Königin äußerte Tags darauf gegen eine Deputation der Nationalgarde ihr Wohlgefallen an dem Feste; die Hofleute nahmen eine hochfahrende Miene an; eine Nachfeier wurde, um übrig gebliebenen Wein alle zumachen, am 3. Det. veranstaltet "17). In Paris kamen die übertriebensten Gerüchte davon in Umlauf; zugleich wollte man hier eine ungewöhnlich starke Zahl Officiere auswärtiger Regimenter bemerken, man wurde aufmerksam auf weiße und schwarze Cocarden (wie manche Officiere und Fremde zu tragen fortfuhren); Argwohn und Unwille ergriff die Gemüther; man sprach von einer neuen Conspiration der Aristokraten; Loustalot, Marat u. s. w. schürten das Feuer 118); Loustalot schrieb von einem Plane des Hofes, nach Meh zu Bouille's Armee zu fliehen 119); Marat rief zu den Waffen 120). Der Mangel an Lebensmitteln und die

117) Monit. No. 69, S. 281. Auch der gemäßigte Mounier (Exposé 62) bestätigt das Wesentliche der Relation; doch widerspricht er der Angabe, daß die dreifarbige Cocarde mit Füßen getreten sei, und will überhaupt in dem Feste kein projet anticitoyen anerkennen. Was zuges logen oder aus Gerüchten entstanden ist, findet seine Ermäßigung in den Aussagen vor dem Chatelet. Procédure au Chât. 1, 103. 2, 211. 3, 17. 41. Daß die Königin zuerst Bedenken trug, sich zum Feste zu begeein bedeutsames Merkzeichen berichtet Md. Campan 2, 71.

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118) Révol. de Par. No. 13, S. 6. L'ami du peuple No. 25, S. 217.

119) Daß ein solcher Plan existirt habe, behauptet auf sichere Ge währ Montgaill. 2, 210-214.

120) L'ami du peuple No. 25, S. 218: C'en est fait de nous, si le peuple ne s'arme de la force publique. Bei Buchez et R. 3, 68 wird diese Stelle angeführt: si le peuple ne nomme un tribun, et s'il ne s'arme etc. Sind etwa die Abdrücke jenes Blattes nicht gleichlautend gewesen? Die Aufforderung zur Wahl eines Tribunen kommt

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steigende Angst des Volkes vor Hungersnoth war aber die mächtigste Springfeder zur Insurrection. Der Sturm bereitete sich vor. Ob zu seinem Ausbruche durch Umtriebe der Demagogen in der N.-V. mitgewirkt worden sei, ist nicht aufzuklären 221); Mirabeau war allerdings wol mit Leuten, wie Camille Desmoulins, Danton u. A., verbunden; Mirabeau sah die Bedrångniß des Hofes gern, damit dieser genöthigt werde, ihn zum Minister zu nehmen, aber Anarchie wollte er nicht 122). Unmuth hatten die beiden Octoberfeste auch in der N.-V. aufgeregt, eine neue Veranlassung dazu gab aber erst am 5. Oct. die Antwort des Königs auf die am 2. Det. geschehene Mittheilung der Erklärung der Rechte des Menschen und Bürgers und die ersten 19 Artikel der Constitution 123), worin diese nur theilweise bestätigt wurden; Robespierre, Petion, Gregoire u. A. führten Beschwerde über das Ungenügende der Antwort, über die Octoberfeste, über den Getreidemangel; Mirabeau erklärte, vollständige Aufschlüsse ge= ben zu wollen, wenn man die Unverleßlichkeit der Person auf den König allein beschränke; diese versteckte Hinweisung auf die Königin schnitt die Verhandlungen ab. Eben war darauf beschloffen worden, von dem Könige eine unbedingte Bestätigung der ihm vorgelegten Decrete zu begehren, als die Insurrectionsweiber von Paris ankamen. Bemerkenswerth ist das Zusam

in einem spåtern Blatte des ami du peuple (1. Nov. 1790) vor. S. unten B. 2, Cap. 4, Not. 70.

121) Il faut un second accès de révolution et tout s'y prépare, schrieb Loustalot, Révol. de P. No. 18. S. 2. Von Anstalten zum 5. Dct. f. Mounier, Appel 123!

122) Er zuerst drang darauf, zu den Tribünen Billets auszutheilen, um den Pöbel zurückzuhalten (Monit. No. 51); am 30. Sept., als die N.-V. in Frage stellte, ob der König das Recht haben solle, Ümter zu besegen, erklärte er, man müsse diese Frage aufschieben, de peur d'affaiblir encore les ressorts de la monarchie déjà si languissante, et d'agrandir une liberté déjà si voisine de l'anarchie (Monit, No. 65, 6. 269) zugleich ein avis au lecteur über Mirabeau's Tendenz aufs Ministerium. Um 2. Oct. las er eine vortreffliche Proclamation vor, die zur Beruhigung des Volks dienen sollte und mit großem Beifall aufgenommen wurde.

128) S. den Abdruck der Constitution, Beil. 8.

mentreffen einer gereizten Stimmung in der Nationalversammlung mit der pariser Insurrection; aber das führt nicht zu ei; nem sichern Schlusse auf innern Zusammenhang.

Am fünften October 124) frühmorgens begann der Zus sammenlauf der Weiber in Paris. Ein junges Mädchen holte aus einer Wachstube eine Trommel und schritt trommelnd und über Brotmangel schreiend durch einige Straßen; bald hatte sie ein zahlreiches Gefolge von Weibern; alle, auf welche der Zug stieß, wurden gezwungen, mitzuwandern; einige Hundert an der Zahl kamen die Weiber auf dem Greveplate an und begehrten unter dem Geschrei Brot! Brot! mit den Com

124) Die besten Aufschlüsse über die Vorfälle des 5. und 6. Det. geben die Zeugenaussagen der Procédure criminelle instruite au Châtelet de Paris. 1790. 8 B., 8.; nebst einem abrégé (78 G.). Ein Auszug ist auch im Moniteur v. 1789 (2. Ausg.), 564 ff. Als Parteischriften sind, wie schon bemerkt, Chabroud's Rapport daraus und Mounier's Appel dagegen anzusehen. Es ist eine schlimme Aufgabe, aus jenen Zeugnissen eine Geschichte zusammenzusehen; die 388 Aussagen sind selten übereinstimmend, viele beruhen nur auf Hörensagen, manche ath men Parteigeist, noch mehre Unkritik und Befangenheit; dennoch ist hieraus festerer Grund zu gewinnen, als aus den Berichten der Memoirenschreiber und Journalisten. Selbst der Bericht des Ministers S. Priest (6. Md. Campan 2, 294 fg.) gibt manche Blößen; Lafayette (Mém. 2, 829 fg.) kann nur von einigen Hauptacten als Augenzeuge berichten; Mounier (Exposé de sa conduite S. 55 fg. und Appel au tribunal de l'opinion publique, Londr. 1791) hat sich nicht frei von Unmuth und Vorurtheil erhalten. übertretbungen, schamlose Erdichtungen gingen von der Hofpartei so gut als von der Demagogie aus; doch ist die lestere in Beschuldigungen gegen den Hof, wo es angebliche Pláne, und gegen die Gardes du corps, wo es die That gilt, noch weiter gegangen als jene. Parteigeist, Phantasie, Leichtgläubigkeit, Vergrößerung und Ausschmückung beim Wiedererzählen des ohne Grund Geglaubten haben hier mehr als bei irgend einer andern Revolutionsscene ihr Spiel getrieben. Die ausführliche Erzählung b. Camille Desmoulins, Révolutions de France et Brabant No. 47, Bd. 2, 342 ff., erst im 3. 1790 geschrieben, hat zwar manches interessante Detail, aber auch alle Gebrechen einseitiger parteiischer Darstellung. Verdienstlich ist die mühsame prüfende Verglei chung der verschiedenen Angaben in der Gesch. d. Staatsveränderung, B. 3, 264 fg. 4, 1 fg., wol dem gelungenften Theil des gesammten Buches, der sich auch durch vollkommene Parteilosigkeit, die sonst dem Buche nicht nachzurühmen ist, empfiehlt.

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