Page images
PDF
EPUB

vier Uhr Morgens, nachdem Lafayette die Versicherung gegeben hatte, daß durchweg Ruhe und Ordnung herrsche. Er selbst, aufs äußerste erschöpft, begab sich in sein Quartier, um etwas Ruhe zu finden. Es ist Verläumdung, wenn ihm Schuld ge geben wird, sich dem Schlafe überlassen zu haben; er blieb wach 138); aber immerdar zu arglos und zu leicht vertrauend, hatte er auch diesmal nicht genug gethan, um etwa lauernder Frevellust und Anschlägen zu einer Gråuelthat von vorn herein zu begegnen.

[ocr errors]

So wie am sechsten October der Tag aufdämmerte, war der Abschaum des Póbels, darunter mordlustiges Gefindel, weibliche Megåren voran, um den Palast versammelt; unter gråßlichem Geschrei gegen die Gardes-du-corps und die Königin drängte es nach den Eingången hin. Nach einer nicht ganz erwiesenen Angabe soll ein gereizter Garde-du-corps aus einem Fenster des Palastes geschossen und den Sohn eines pariser Sattlers tödtlich verwundet haben 139). Es bedurfte dessen nicht, um den Pöbel zur Wuth zu erhißen. Die an den Haupts thoren aufgestellte französische Garde konnte oder wollte nicht auch alle Nebeneingånge besegt halten; durch solche gelangte der Pöbel in den Palast, ermordete zwei Gardes-du-corps und drångte die übrigen nach den Gemächern der Königin und des Königs hin. Einer von diesen rief durch die Thüre den Kammerfrauen der Königin zu, wie drohend die Gefahr sei; die Königin verließ eilends und im Nachtgewande ihr Schlafzimmer, um sich zu dem König zu begeben; die Mordbande aber blieb, durch irgend ein Hinderniß aufgehalten oder abgeleitet, in dem äußern Gange zurück; es ist erwiesen, daß sie nicht bis in die Zimmer der Königin gedrungen ist 140). Mit aller Gewalt aber stürmte sie nun gegen den Saal an, welcher zu den Zimmern des Königs führte, und dessen Zugang die Gardesdu-corps versperrt hielten; noch wenige Augenblicke und die

138) Glaubhafter Bericht des Augenzeugen Dumas, Souvenirs 1, 457. 139) Bailly 8, 108.

140) Dies ergibt sich aus der Procéd. au Châtelet. S. die Zusammenstellung der Aussagen in Chabroud, Rapport 63, 64, 65.95. Vgl. Md. Campan 2, 79.

[ocr errors]

Thüre mußte den Artschlägen weichen: da brachte Lafayette Hülfe. Er hatte auf die erste Nachricht von dem Attentate Nationalgarden zusammengerafft; in wenigen Minuten reinigten diese den Palast von dem Gesindel. Es waren meist Soldaten der vormaligen französischen Garde "); sie wetteiferten, die in den Gången und Höfen des Palastes zerstreuten Gardesdu-corps den Hånden der nach ihrem Blute lechzenden Mörder zu entreißen. Doch das Toben der Menge in den Höfen dauerte fort; die Köpfe der beiden ermordeten Gardes-du-corps, die ein fürchterlicher Kerl, Jourdan (Coupe-tête), abgeschnitten hatte 142), wurden auf Piken emporgehalten und die Mordlust des Póbels begehrte noch mehr Opfer. Jest zeigte sich der König auf dem Balcon; er bat um Schonung für die Gardesdu-corps; dies schien gute Aufnahme zu finden, zugleich aber riefen einzelne Stimmen: „Der König nach Paris", und dies wiederholte sich bald als Geschrei der Menge, als der König nochmals und mit ihm die königl. Familie und Lafayette her: vortraten. Der König versprach zu kommen; das wurde mit ,,es lebe der König, und es lebe die Nation“ erwiedert. Nun aber schien der Groll gegen die Königin fortzudauern; man hörte Schmähreden und Drohungen gegen fie; Lafayette vers mochte sie, mit ihm allein sich auf dem Balcon zu zeigen; es war ihr, als gehe sie dem Tode entgegen; doch als Lafayette ihr vor den Augen der Menge die Hand küßte 13), schien die

141) Einer der ersten war Hoche, damals Sergeant-major. Lafayette 2, 348.

142) Seine Zeichnung gibt Moniteur S. 293, mittlere Columne. Procéd. au Châtelet 1, 185.

,,Ma

143) Lafayette 2, 341: lorsque le roi et sa famille, après avoir promis de venir à Paris, se furent retirés de ce balcon,,, dame, dit-il à la reine, quelle est votre intention personnelle?" „Je sais le sort qui m'attend, répondit-elle avec magnanimité, mais mon devoir est de mourir aux pieds du roi et dans les bras de mes enfans," ,,Eh bien! madame, venez avec moi.",,Quoi! seule sur le balcon! n'avez-vous pas vu les signes qui m'ont été faits?“ Et en effet ils étaient terribles. (Die gråßlichen Drohungen und påbelhaften Schmähungen, die von Weibern ausgestoßen wurden, f. Procéd. au Châtelet 1, 264,),,Oui, madame, allons-y." En en paraissant

Gefahr auf einmal zu entweichen; zum ersten Male wieder seit den Anfangswochen der Regierung Ludwig's XVI. wurde der Königin ein Lebehoch zugerufen. Auch mit den Gardes-ducorps wurde das Volk ausgeföhnt, nachdem Lafayette einen von ihnen vorgeführt, ihm die dreifarbige Cocarde angeheftet und ihn umarmt hatte. Es war ein glänzender Moment im Leben Lafayette's; daß er der Retter gewesen sei, ward von der königl. Familie mit vollem Gefühle der Dankbarkeit anerkannt 144). Nun wurde zur Abfahrt nach Paris gerüftet; die N.-V. wurde vom Könige eingeladen, zu gemeinsamer Beras thung sich nach dem Palaste zu begeben; dies hinderte Mirabeau, aber die N.-V. erklärte, daß sie unzertrennlich vom Könige sei, und beschloß, hundert Deputirte zu seinem Geleite mitzusenden. Darauf machte Mirabeau den Antrag, zur Auszeichnung dieses Tages der Eintracht die von Necker begehrte außerordentliche Steuer sofort zu genehmigen. Dies geschah nach kurzer Debatte 145).

Die Fahrt des Königs und seiner Familie wurde durch die zahllose Menge, die vorauszog und den Wagen umgab 146), avec elle Lafayette, ne pouvant se faire entendre, eut recours à un signe hasardeux mais décisif; il baisa la main de la reine. La multitude, frappée de cette démarche, s'écria: „Vive le général, vive la reine." In der That ist hier gleicher Anlaß, über Lafayette's Zuversicht zu staunen und den hohen Muth der Königin zu bewundern.

144) Lafayette 2, 343. 352. Schon früher mitgetheilt von Toulongeon 1, 177. Diesem klaren Erguß des menschlichen Gefühls gegen. über sehen wir eine Verkndcherung desselben. Als Lafayette in jenen verhängnißvollen Momenten in ein Zimmer trat, in welches der Eintritt nicht ohne besondere Gunst stattfinden konnte, trat ein Hofbeamter Lafayette entgegen und sprach gravitátisch: Monsieur, le roi vous accorde les entrées du cabinet. Lafayette 2, 342.

145) Moniteur No. 68, S. 278.

146) Daß die Köpfe der beiden umgebrachten Gardes-du-corps vor dem Wagen des Königs einhergetragen worden seien, ist unwahr; eine Pöbelrotte war mit ihnen schon am Morgen abgezogen und längst in Paris angekommen. S. Moniteur S. 294, Col. 2; Lafayette 2, 353; Toulongeon 1, 176; Mounier, Appel 195, gegen dessen frühere Angabe, fie seien dem Wagen des Königs vorangetragen worden à peu de distance, in dem Exposé 88.

aufgehalten; erst am Abende erreichte er Paris. Unterwegs und bei dem Einzuge in Paris bezeugte der Pöbel ausgelassene Freude; die Weiber fangen und tanzten; oft hörte man das Geschrei: „Wir werden keinen Brotmangel mehr haben, hier ist der Bäcker, die Bäckerin und der kleine Bäckerjunge"; oft aber auch Lästerreden gegen die Königin. Nach kurzem Besuche auf dem Stadthause zog der Hof in die Tuilerien ein, die seit länger als einem Jahrhunderte öde gewesen waren.

So gut als der Aufbruch der Weiber nach Versailles und das nachfolgende meuterische Begehren der Nationalgarden, ihnen dahin zu folgen, ist auch der Einbruch des Póbels in den Palast am 6. Det. als die Wirkung eines Complottes zur Entthronung des Königs, zur Erhebung des Herzogs von Orleans auf den Thron und zur Ermordung der Königin bezeichnet worden. Auf das Erste scheinen selbst die Reden der Grenadiere zu Lafayette hinzuführen. Bei der Untersuchung, welche der Chatelet darüber führte 147), wurden von einer Menge der Berhörten Aussagen vorgebracht, nach denen ein böser Schein auf dem Herzoge von Orleans und auf Mirabeau, als Unstifter einer Verschwörung und als thåtigem Theilnehmer an dem Attentate des 6. Oct. 148), zu haften drohte: jedoch keine dieser Aussagen hatte zuverlässigen Grund; Meinen und Hörensagen war die Quelle fast aller 149). Ganz wahnhaft ist die Be

147) Ungeordnet den 28. Nov., begonnen den 4. Dec. 1789, beendet den 26. Juni 1790.

148) Mirabeau sei mit bloßem Såbel zugegen gewesen, der Herzog von Orleans habe sich an der Spige des Pöbels befunden, als dieser die große Treppe hinaufstürmte, zu geschweigen der angeblichen Verkleidung des legtern als Weib. Wollte man doch einen Grund zum Verdacht gegen Mirabeau darin finden, daß dieser vor Ankunft der Weiber zu Mounier sagte: Mounier, Paris marche sur nous etc., da doch schon früher Kunde davon in Versailles war.

149) Was oben Cap. 1, Not. 70 bemerkt worden ist, gilt nicht in Bezug auf den 5. und 6. Oct.; es kann nicht einmal wahrscheinlich ge= macht werden, daß Orleans und Mirabeau Urheber oder Förderer der Volksbewegung und der Attentate des Mordgesindels gewesen seien. Mag auch Chabroud's Bericht über manchen bedenklichen Punkt mit verdächtiger Beschönigungsluft hinweggleiten, mag er mit Absicht hie und da zu wenig eindringen oder hervorheben, so sagt doch auch Mounier's Appel Wachsmuth, Gesch. Frankr. im Revol.-Zeitalter I.

13

hauptung, daß der Aufstand durch englische Umtriebe bewirkt worden sei; doch dergleichen Anklagen Englands wurden mehr und mehr zur firen Idee der Volkspartei 150). Den äußern Unstoß zu einer Volksbewegung kann ein Einzelner geben, wenn die Stimmung dazu vorher ihre rechte Höhe erreicht hat; die Stimmung selbst aber wird nicht durch Einzelne bereitet. Eben so waren unter dem Pöbel Banditen, denen nichts für heilig galt und die auf verruchten Mord ausgingen; auch das Volk in Masse war von Rachgier gegen die Gardes-du-corps erfüllt: dennoch war der leitende Grundgedanke bei der lehtern Sicherstellung gegen Brotmangel und dazu Einholung des Königs nach Paris. Dieser blieb, als den Gráueln Einhalt gethan war. Verfehlt war also, da auch einige Gardes-du-corps zum Opfer gefallen waren, nicht, was im Sinne des Volks gelegen hatte, verfehlt war aber, was einzelne Bösewichter hatten ausführen wollen.

Mit der Geltung und dem Einflusse des Herzogs von

aus Unmuth, Bitterkeit und Befangenheit weit mehr, als für wahr gels ten kann. Sprach doch selbst Maury (Moniteur 1790, S. 1148) qus, daß er in den Acten keinen Grund zur Unklage gegen Mirabeau finde! Daß aber nach seinem Votum dies nicht auch von Orleans gesagt werden könne, gründete sich mehr auf dessen frühere Gunstbuhlerei bei der Menge und demagogische Manoeuvres gegen den Hof, als auf glaubhafte Aussa. gen von dessen Erscheinen und Thun in den Octobertagen selbst.

150) Es kann nicht auffallen, daß auch Lafayette dieselbe theilt. Er argwohnt (2, 321) Umtriebe des Auslandes schon bei der pariser In furrection im Julius.` Ist doch derselbe befangen genug, bei dem Octo beraufstande an aristokratische Umtriebe zu denken, die den König einschüchtern und zur Flucht nach Meg bestimmen sollten! 2, 329. Xm wunderlichsten nehmen sich die Unschuldigungen gegen Orleans aus in ei Sénart, Rénem Buche, das uns spåterhin gute Dienste leisten wird vélations puisées dans les cartons des comités de salut public etc. Publ, par Alex. Dumenil, 2de édit. 1824. Da heißt es S. 5, Orleans wollte König werden und Pitt spornte ihn dazu an, Santerre war schon 1789 Orleans Parteigånger und theilte Geld aus, das er von Orleans und Pitt erhalten hatte; darauf Cap. 8, Orleans und Marat insurgirten die Vendee u. s. w. Im grellsten Gegensage zu Denen, welche die Octoberscenen von einzelnen Conspiranten ausgehen lassen, behauptete Mercier in den annales patriotiques: que ces événemens avaient été conduits par la providence. Mounier, Appel 78.

[ocr errors]
« PreviousContinue »