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Ausarbeitung einer kleinen Abhandlung, welche unter der Aufschrift: Afghanistan. Erinnerungen an Land und Volk; flüchtige Umrisse der politischen Geschichte, — in meinem „Almanach für das Jahr 1840“ (Gotha, J. Perthes) S. 199-288 erschienen ist. In dieser Abbandlung verfolgte ich die Geschichte bis auf die damalige Zeit (Herbst 1839); unterdrückte aber in derselben die Besorgnisse, welche ich in meinen Vorträgen vor dem Offizier-Corps hatte einfließen lassen, weil ich dem großen Leser-Publikum gegenüber der moralischen Macht das Wort reden mußte, von der ich glaube, daß sie von der christlicheuropäischen Civilisation über das Princip des Mohammedanismus auszuüben berufen sei. Gewesenes und Seiendes in der Geschichte beurtheilte ich von meinem individuellen Standpunkte, der, so mein' ich, durchaus unparteiisch war.

In dem Aufsaße ist auch die Rede von dem russischen Kapitain Bitkewitsch, der, weil er als ein Agent seiner Regierung nach Kabul geschickt worden war, zu Reclamationen Seitens des Lord Palmerston beim Petersburger Cabinet Veranlassung gegeben hatte. Von diesem Sendling erzähl' ich (auf S. 276 u. 277 des Almanachs) die Lebensgeschichte, die ich hier wiederholen muß, weil sie auf den HumboldtBriefwechsel Bezug bat. Sie lautet folgendermaßen:

„Das Schicksal dieses Mannes ist höchst merkwürdig. Witkewitsch stammte aus einer reichen polnischen Familie; er war 15 oder 16 Jahre alt, als er, mit einigen seiner Landsleûte gleiches Alters, wegen unvorsichtiger Außerungen, die im jugendlichen Übermuth wol nichts Böses beabsichtigten, ergriffen, in Ketten geschmiedet und so nach Orenburg verschickt und dort, an Geist und Körper geschunden, als gemeiner Soldat unter das daselbst stehende Regiment gesteckt wurde.

„Im Laufe der Zeit wußte er sich von Hause Geld und Bücher zu verschaffen, unter diesen eine persische und türkische Sprachlehre. Gifrig studirte er die Regeln beider Sprachen, die er im Verkehr mit den haüfig nach Orenburg kommenden Persern, sowie im täglichen Umgange mit den, einen türkischen Dialect redenden Kirgisen, auch practisch erlernte.

„Als im Jahre 1829 ein berühmter Reisender auf der Heimkehr vom Altaï und der russisch-chinesischen Gränze auch nach Orenburg kam, brachte man ihm den dritten Band des Essai politique sur la Nouvelle Espagne. Begierig zu erfahren, wie dieses Buch seinen Weg an die Ufer des Uralstroms gefunden, zeigte man ihm auf seine Frage den Besizer. Es war ein junger Mann mit ausdruckvollem, aber von Gram und Kummer frühzeitig gefurchtem Gesicht, es war Witkewitsch! Mit edlem Anstande trat er auf den Reisenden zu, redete denselben in frau

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zösischer Sprache an, schilderte sein Schicksal, und bat ibn um seine Verwendung in St. Petersburg zur Milderung seiner Lage.

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„Der Unglückliche konnte sich in der That an keine edelmüthigere Gesinnung wenden. Die Bemühungen des Reisenden batten den glücklichsten Erfolg; auf seine Verwendung wurde Witkewitsch in der Liste der Gemeinen gestrichen, er wurde zum Offizier ernannt und wenige Jahre darauf zum Hauptmann befördert. Als solchen sehen wir ihn 1837 in Kabul nach des Grafen Nesselrode Versicherung in einer Note an Lord Palmerston, weder zum Zweck, einen Handelstraktat ju schließen, noch sonst einer politischen Combination halber, sondern blos in der Absicht, ein Land kennen zu lernen, welches von der rufsischen Gränze durch so große Strecken getrennt ist, was die russische Regierung verpflichte, ihre Vorsichtsmaßregeln zu erhöhen, damit die Tbätigkeit der russischen Handelsschaft nicht Gefahr laufe, sich in verderbliche Unters nehmungen einzulassen.“

„Ohne Zweifel eignete sich Witkewitsch ganz vorzüglich zu dieser Mission; denn nicht allein, daß er der Sprachen des Orients eben so mächtig als seiner Muttersprache war, auch die Sitten und Gewohnhei ten der morgenländischen Völker hatte er während seines langjährigen Aufenthalts in Orenburg studirt, und die geographischen, politischen und commerziellen Beziehungen der Staaten in Iran und Turan bei den unterrichtetsten Handelsleüten Inner-Asiens, welche den Kaufhof von Orenburg besuchen, zu erforschen sich bemüht.

„Die Sage geht, daß sich Witkewitsch in Folge der zwischen dem russischen Hofe und dem Gabinet von St. James in der persisch-afgbanischen Frage gewechselten Noten in denen der politische Gbarakter seiner Mission nach Kabul in Abrede gestellt wurde das Leben ges nommen habe!"

Diese ganze Geschichte, mit Ausnahme des leßten Saßes, hatte ich aus dem Munde des „berühmten Reisenden“ selbst vernommen. Und dieser war kein anderer, als Humboldt, der, nach seiner Rückkehr von der sibirischen Reise, den reichen Stoff seiner in Rußland gesammelten Erfahrungen von Gutem und von Bösem gern erzählte und aus seinen Erlebnissen in allen Gesellschaftskreisen, vom Cabinet des Kaisers bis zur Ribitke des Kirgisen in der Steppe, gar kein Hehl machte, seine Grzählungen im Gegentheil nach gewohnter Weise mit sarkastischen Urtheilen würzte.

Den lezten Theil aber meiner Geschichte, das tragische Ende des Witkewitsch, erfuhr ich von einem jungen Russen, der genau unterrichtet zu sein behauptete. Dennoch führte ich dieses Ende nur als eine „Sage" an! Der junge Mann war kaiserlicher Reiter - Offizier gewesen, hatte

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General mit dem

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den leßten Türkenkrieg, der durch preüßische Vermittlung
Müffling war der Sendbote nach Constantinopel gewesen
Frieden von Adrianopel schloß, mitgemacht, nach dem Feldzuge aber den
Abschied genommen, weil er mit seinem Regiments-Commandeur Verdruß
gehabt, was ihm die Ungnade des Kaisers Nicolai zugezogen hatte. Als
er mich besuchte, kam er aus der Neuen Welt zurück. Er hatte sie
zu Fuß durchwandert von den Canadischen Seen bis nach Santiago in
Chile und von da nach Buenos-Aires, wo er sich nach Güropa einge-
schifft, dessen Boden er in Bordeaux betreten hatte, aber nach einem
großen Unglücksfalle, nach einem Schiffbruch, aus dem er nur das nackte
Leben gerettet: alle seine Habseligkeiten: Tagebücher, Instrumente, natur-
historische Sammlungen waren ein Raub der Brandung geworden. Nach
Berlin war er gekommen, um sich zu einer wissenschaftlichen Reise nach
Inner-Aften vorzubereiten. Wie er Amerika von einem Ende zum an-
dern auf Meridianen durchschritten, so wollte er Afien auf dem Parallel-
kreis von 40° von Constantinopel bis Peking durchschreiten. Mein Welt-
wanderer übte sich in Berlin auf der Sternwarte unter Encke's Leitung
in der Beobachtungskunst und trieb mit Wolfers astronomische Rechnerei,
er ließ sich in den berühmten Werkstätten von Pistor und Schiek und
dem jüngern Greiner nach eigner Angabe leicht tragbare Instrumente
bauen und zog alle Gelehrte Berlin's für sein Unternehmen zu Rath —
Naturkundige, Historiker, Sprachforscher; er war so freundlich auch meine
Ansichten über sein Vorhaben einzuholen. Zu dem Ende kam er von
Berlin nach Potsdam herüber und manchen Nachmittag und Abend hab’
ich mich an seiner geistreichen Unterhaltung erfreut, die theils in deüt-
scher, theils in französischer Sprache geführt wurde. In allen Zweigen
des Wissens bewandert, sprach er vortrefflich, fließend, unaufhörlich und
ohne Unterbrechung, er erinnerte an Humboldt's Art und Weise der Er-
zählung.

Dieser junge Russe, der sich späterhin als wissenschaftlicher Reisender, wenn auch nicht ganz auf dem Wege, den er sich damals vorgenommen, einen berühmten Namen erworben hat, war die Quelle meiner Angabe über Witkewitsch' tragisches Ende.

Der „Almanach für das Jahr 1840. Der Belehrung und Unterhaltung auf dem Gebiete der Erd-, Länders, Völker- und Staatenkunde gewidmet. Vierter Jahrgang"; Gotha, im J. Perthes'schen Verlage; war im Januar desselben Jahrs, oder vielleicht schon etwas früher, in den Buchhandel gekommen; ich aber hatte erst am 29. Januar Gelegenheit, bei einer Anwesenheit in Berlin Humboldt ein Exemplar zu überreichen. Ich fand ihn nicht zu Hause, ließ aber den Almanach bei Seifert zurück. Am folgenden Tage bekam ich nachstehenden Brief:

53.

(Erhalten 30. Januar 1840.)

Ich bedaure, daß ich die Freude verfehlt habe, Ihnen persönlich für Ihren so gehaltvollen Almanach zu danken. Nach allem, was ich darin schon gelesen und geblättert, ist er sehr reich an interessanten, ja selbst seltenen Notizen, besonders an wichtigen Zahlen von Elementen der Klimatologie, Hypsometrie, Hydrologie, der Flußbetten, geographischen Pofitionen u. s. w. Es wäre sonderbar, wenn ein so nügliches und mit so viel Sachkenntniß redigirtes Buch, dem Sie überdem eine so ansprechende äußere Form gegeben haben, nicht Beifall und Fortgang fände. Ich hadere nicht gern über geschehene und nicht mehr abzuändernde Dinge, am wenigsten gar mit Personen, die ich so sehr achte, als Sie, aber in der Nähe, in der wir leben, hätte ich doch wohl hoffen dürfen, daß Sie mich befragen würden, indem Sie eine nur mündlich verbreitete, mir ganz persönliche Anecdote (über Johann Witkiewicz) veröffentlichen wollen. Sie ist aus sehr triftigen Gründen in Rose's Beschreibung unserer sibirischen Reise mit Stillschweigen übergangen, und seit acht Monathen habe ich gehindert, daß in unsrigen oder in der Allgemeinen (Augsburger) Zeitung davon Erwähnung geschehe. Schmerzhaft und sehr mißfällig muß es dazu den Freunden und Verwandten des Witkiewicz sein, daß Sie zum ersten Male eine entehrende Vermuthung gegen ihn aussprechen. Witkiewicz wurde nicht in Orenburg sondern in Orsk gefunden. Er war wohlbeleibt und hatte kein „gefurchtes Geficht“. Wie unbegreiflich heftig sind Sie gegen England S. 266 (3. 5 von unten) gewesen. [da heißt es: So weit sich die Verhandlungen zwischen dem britischen Gouvernement und dem Schah

von Persien übersehen lassen, treten in derselben leider Erscheinungen hervor, die auf die Biederkeit, vielleicht weniger der britischen Politik selbst, als ihrer zeitigen Lenker einigen Schatten werfen.] Sie werden, wie es in politischem Wirrwarr immer geht, in London und Petersburg gleichzeitig mißfallen. Ich beschwöre Sie, wenn der Almanach noch nicht ausgegeben ist, einen Carton für S. 276 und 277 machen zu lassen. Hr. Perthes kann es nicht verweigern!

Freundschaftlichst
Jhr

Berlin den 29 Jan. 1840.

Al. Humboldt.

Das Verlangen, einen Garton drucken zu lassen, war nicht mehr auszuführen, da der Almanach seit Wochen im Buchhandel war. Ich benachrichtigte Humboldt von der Unmöglichkeit und bemühte mich in dem betreffenden Schreiben, seine Bedenken wegen Veröffentlichung der Anecdote, deren Einschaltung mir am rechten Plage gewesen zu sein scheine, zu beschwichtigen.

Drei Wochen darauf mußte ich Veranlassung nehmen, seine Ver mittlung in derjenigen Angelegenheit nachzusuchen, deren fein Brief vom 2. Juni 1839 gedenkt (s. oben S. 277). Zugleich nahm ich die Gelegenheit wahr, die Form der Dedication zur Peruanischen Küstenkarte in Anregung zu bringen. Hierauf bezieht sich das folgende Schreiben.

54.

(Grhalten 21. Februar 1840.)

Sie können versichert sein, daß meine vorübergehende Unzufriedenheit in der afghanistanischen Angelegenheit mich keineswegs in den Schritten erfalten wird, die ich so gern für Ihr erwünschtes Unternehmen thun werde, nur ist hier wieder dieselbe Gefahr für mich. Ich thue die Schritte unter der sehr bestimmten Bedingung, daß die Dedication, die ich gesehen, und die mir sehr ernstlich schädlich ist (was mir zu

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