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Zu den Quellen reinsten Kunstgenusses, welche die Kaiserstadt zu jeder Zeit und vorzüglich damals allen, welche dazu die Weihe der Musen empfangen, aufschloß, war von Seiten der vornehmen Welt des Congresses kein lebhafter Zudrang bemerkbar. Die wunderbaren Schäße der Bildergallerie im Schlosse Belvedere, wo die vollendetsten Meisterwerke der italienischen, niederländischen und deutschen Schulen, Gemälde ersten Ranges von Tizian, Correggio, Raphael, Paul Veronese, Ruvens, Rembrandt, Van Dyk, Albrecht Dürer und viel anderer in schönstem Farbenglanze prangen, ließ man unbesucht, eben so die in ihrer Art einzige und unschäzbare Sammlung der Handzeichnungen des Herzogs von Sachsen-Teschen, später Eigenthum des Erzherzogs Karl. Noch weniger lockten die Sammlungen der antiken Bildwerke, Münzen und geschnittenen Steine, welche auf der kaiserlichen Bibliothek verwahrt werden, zu Besuch und Studium an. Entschuldigen wir nun auch die Vernachlässigung der Museen und Kunstsammlungen damit, daß, um an ihren Schäßen Freude und Genuß zu haben, man sich durch Ausbildung des Sinnes und Urtheils ein eingehendes Verständniß angeeignet haben muß, was von einer so leichtfertigen Gesellschaft nicht erwartet werden durfte, so bleibt es doch immer verwundersam, daß auch die von der vornehmen Welt sonst

vergeblich seien, ließ er ein paar Flaschen Ungarwein kommen und wurde heiter und gesprächig. Damals hatten Frankfurter Zeitungen gemeldet: „,,Werner sei wieder zur protestantischen Kirche zurückgekehrt.“ Hierüber von uns befragt, lachte er über so dummes Zeitungsgeschwäß und schrieb, als ich ihn beim Abschiede, mit Berufung auf die Freiheit, welche sich der Schüler beim Doktor Fauft genommen, um einige Zeilen in mein Stammbuch bat, auf der Stelle nachstehende Verse:

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als Geisterbanner der Langweile gern aufgesuchten Theater, Schauspiel, Oper, Concerte sich keiner besonders bemerkbaren Gunst erfreuten.

von dem

Beethoven, der gewaltige Heros der Symphonie, lebte in Wien, zwar damals schon leidend am Gehör, aber noch in frischer, voller Schöpfungskraft. Seine Gönner und Freunde hatten ihn veranlaßt, seine Oper Fidelio, welche bei ihrer ersten Aufführung 1805 - damals hieß sie „Leonore“ Wiener Publikum so kalt aufgenommen worden war, daß er sie zurückzog, in etwas verändertem Zuschnitt zur Aufführung zu bringen.*) Die Hauptpartie befand sich in den Händen einer Sängerin, Anna Milder, mit einer alle Sinne und Seelen bezaubernden Stimme begabt, auch die anderen Rollen waren trefflich besetzt. Bei den einheimischen,,Dilettanti" hatte die Oper in ihrer neuen Anordnung sich Anerkennung erfochten; von der hohen, und höchsten Gesellschaft aber wurde sie, mit Ausnahme des dem Componisten persönlich befreundeten Bundes der Troubadours, gänzlich vernachlässigt. Die Fürsten Radziwill und Lichnowski hatten, da der große Künstler sich in bedrängter Lage befand, ihm die unentgeldliche Benußung des großen Redoutensaales zur Veranstaltung eines Concerts zu seinem Vortheile verschafft. Der Hof und seine Gäste hatten die gewünschte Zusage ertheilt das Concert mit ihrer Gegenwart zu beehren. Die ersten Sänger und Sängerinnen der Oper unterstüßten das Concert; Beethoven brachte seine berühmte Symphonia eroica zur Aufführung und trug ein von ihm componirtes Trio und eine freie Phantasie am Flügel vor. Sein Unstern wollte, daß der Kaiser Alexander an demselben Tage eine Jagdpartie nach Layenburg unternahm, von der er zu spät zurück kam um das Concert besuchen zu können. Der Kaiser Franz, der König von Preußen und die gesammte Hof- und Congreß-Suite ergriffen gern einen Vorwand um das Concert unbesucht zu lassen, so daß von den

*) Das Wiener Publikum, selbst das musikalische, hatte ein so geringes Verständniß für Beethoven's Compofitionen, daß in einer Beurtheilung eines Concertes im Augarten folgende Stelle vorkommt: „Was die Ouvertüre in C zu Fidelio betrifft, so waren alle parteilosen Musikkenner einig, daß so etwas Unzusammenhängendes, Grelles, Verworrenes, das Ohr Empörendes schlechterdings noch nie geschrieben worden. Die schneidendsten Modulationen folgen auf einander in wirklich gräßlicher Harmonie und einige kleinliche Ideen, welche auch jeden Schein von Erhabenheit entfernen, z. B. ein Posthornsolo, das vermuthlich die Ankunft des Gouverneurs ankündigen soll, vollenden den unangenehmen, betäubenden Eindruck.“

so reichlich vertheilten Brillanten, Ringen, Dosen und Nadeln für den armen Beethoven nichts abfiel.

Eines noch geringeren Antheils von Seiten des Congresses erfreuten sich die Darstellungen des Trauerspiels und des höheren Schauspiels im HofTheater der Burg, wo damals die größte Schauspielerin, welche Deutschland jemals besaß, Sophie Schröder, Unvergleichliches leistete. Ihren Bemühungen und ihrer Machtstellung, wie sie nie eine andere Schauspielerin auf der Bühne ausgeübt, gelang es, mehreren Trauerspielen Schillers, unter anderen Maria Stuart, zum Erstenmale die Erlaubniß der Darstellung dort zu erwirken. Der Congreß aber verstand kein Deutsch, seine Muttersprache war die französische und ein Bonmot Talleyrands, ein schlechter Vers des Fürsten de Ligne amüsirten mehr, als alle Tragödien Schillers.

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Am meisten fand noch das Ballet Gnade vor den Augen der kaiserlichen und königlichen Gäste. Signora Bigottini aus Mailand und Demoiselle Aimé aus Paris erfreuten sich allerhöchster Beifalls- und Gunstbezeugungen aller Art. Den 27. December" - schreibt Nostiz ,,ist der König von Württemberg abgereist und hat Tausende von Ducaten an Küche, Stall und Keller geschenkt; auch die Dosen sind reich von außen und im Innern meist gefüllt. „Le plus geux est le plus généreux" (der bettelhafteste ist der freigebigste) sagt das Sprüchwort. Thun es die anderen Fürsten dem nur halb nach, so endigt der Congreß wie die anderen Spielpartien bei Hofe, wo zuletzt die Dienerschaft allein (das Kartengeld) gewinnt. Dazu gehören denn wohl auch die italienischen und französischen Tänzerinnen, unter denen Sgra. Bigottini als Nina oder Wahnsinn aus Liebe und Mlle. Aimé als Psyche die vorzüglichsten waren. Sie sind nun fort; erstere hat 40,000 Gulden Wiener Währung mitgenommen und ein Kind, zu dem sich Franz Palffy bekennt, der dem Balg 100,000 Gulden W. W. und der Mutter ein Jahrgehalt von 6000 Franken versichert hat. Wer diese Summe noch nicht hoch genug finden sollte, beliebe die sechsunddreißig Jahre der Bigottini noch hinzu zu zählen.“

Ueberlassen wir uns der Führung eines anderen Congreßgastes, „der halt auch für keinen Kostverächter" galt, so befinden wir uns bei nächtlicher Weile in einem ganz dunklen Salon, wo uns das aus verschiedener Entfernung vernehmbare Geflüster verräth, daß ein zahlreicher Besuch sich eingefunden hat. Wir haben unsere Einlaßkarte mit einem Dukaten in Gold gelöst

und dürfen dafür etwas Seltsames und Ausgezeichnetes erwarten; mindestens eine Verzückung in das Paradies Mahomeds durch Opium oder Haschisch*).

Wir befinden uns in dem Salon der Madame B.; eine Gallerie antifer weiblicher Gruppen in lebenden Bildern von modernen Schönheiten dargestellt, steht hier in Aussicht. Dies Kunstinstitut bewahrte ein so bescheidenes Schweigen, daß man nur durch bereits in die tieferen Mysterien dieses Byblos und seiner Adonisfeste Vorgebrungenen eingeführt werden konnte; auch schien Madame B., als die, alle Weihen besißende Oberpriesterin, die verschiedenen Zuschauergrade bei den Darstellungen antiker Gruppen und Tänze im durchaus schwarz ausgeschlagenen Saale rücksichtsvoll zu trennen, die Rang- und Altersklassen wurden von einander in abgesonderten Verschlägen, Logen genannt, untergebracht; denn wer hierher kam, brachte den Wunsch jener alten Näscher, welche einst die schöne Susanna im Bade belauschten, mit: zu sehen, aber nicht gesehen zu werden.

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„Als wir jüngeres und geringeres Volk im Nebensaal auf den Einlaß zu den Kunstübungen warteten, mußte wohl eben die ältere und höhere Klasse in den Logen sein, denn ein in der Garderobe abgegebener, abgebleichter, vordem rosenfarbener Regenschirm sezte die Anwesenheit des alten Fürsten außer Zweifel. Ganz Wien kannte diesen Regenschirm als unzertrennlichen Begleiter Sr. Durchlaucht, der an seinem Herrn noch während des Congresses zum Verräther wurde. Ein nicht ohne Grund eifersüchtiger Haustyrann fand den verhängnißvollen Rosenfarbenen zu ungelegener Zeit an ungeeigneter Stelle in seiner Wohnung; durch die rothe Farbe in eine Wuth gebracht, wie sie sonst nur bei andalusischen Stieren und welschen Hähnen zum Ausbruch kommt, ergreift der zornentbrannte Rathsherr den Schirm, stürzt in das Zimmer seiner treulofen Gattin, wo es zu dem unerhörten Naturereigniß kam, daß der zum Schuß gegen das Unwetter bestimmte Schirm diesmal selbst zum Donnerkeile ward und auf das schutzlose Haupt seiner Durchlaucht einschlug."

Gab es doch wieder ein artig unterhaltendes Histörchen für das Plauderstübchen der an der Weltgeschichte arbeitenden Congreßgesellschaft, wozu wir noch eine, das dortige Leben und Treiben kennzeichnende, Blumenlese zu geben nicht unterlassen mögen.

*) Wie Opium aus Mohn, wird Haschisch aus Hanfkörnern bereitet.

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Neuntes Kapitel.

Kleinklädterei und Krähwinkelei in Wien; was man sich im Salon erzählt; dem armen Franz wird der Prozeß gemacht; ein angeblicher Mordanschlag gegen Friedrich Wilhelm III durch den Calatrava-Ritter v. Sahla; Lebensrettung des Königs durch den Grafen Roß Dorow's und Bourrienne's fabelhafte Berichte; ein Selbstmord aus Etikette.

Zur Zeit des Congresses hatte Wien noch nicht den Charakter des großstädtischen Lebens entfaltet, wie es in dem Drängen und Treiben zu Paris und London uns fortreißt oder überrennt. Die Residenz eines Hofes, die Anwesenheit noch so vieler Kaiser, Könige, Fürsten, Minister und Gesandten reichen hierzu nicht aus; dagegen rufen Welthandel im Hafen und an der Börse, Gewerbsthätigkeit, Bauunternehmungen, Vereine für Kunst und Wissenschaft, Museen, Theater und vor allem anderen ein regsames politisches Interesse und Betheiligung der Bürger an den Angelegenheiten der Stadt und des Staates ein großstädtisches Leben hervor; der Müßiggang und die Bergnügungssucht der vornehmen Welt, die Prunksucht des Reichthums leisten nur der Kleinstädterei Vorschub und in Wien gesellte sich hierzu noch die dem Süddeutschen eigene Gemüthlichkeit, sich auch für die kleinen Freuden und Leiden des Lebens zu interessiren, über die Thorheiten anderer sich harmlosen Scherz zu erlauben und seine eigenen zum Besten zu geben, ohne durch ge= reizte Empfindlichkeit zum Spielverderber zu werden. War einmal und dies kam öfter vor ein Stillstand in Förderung der Haupt- und Staatsactionen eingetreten, wußte man in den Salons von keinen Liebesabenteuern und kleinen Skandälchen einander zuzuflüstern, dann fehlte es nie an irgend einem krähwinkler Stadtgeschichtchen, welches oft mehr Unterhaltung gewährte, als was sich der Hof erzählte und was der Congreß verhandelte.

„Die Salons," so wird uns vertraulich mitgetheilt, „sind seit einigen Abenden in größter Aufregung und Spannung; der Kaiser von Rußland behauptet: die Entscheidung könne nicht länger auf sich warten lassen; der König von Preußen fügt begütigend hinzu: man solle der Entscheidung des Kaisers

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