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lichkeiten zu treiben, wie der Arme sich am Schicklichsten zu benehmen gehabt und welche Aushülfe ihn noch in den verschiedenen Stadien der Krisis hätte retten können. Der Minister Humboldt versicherte: er würde in solchem Falle ruhig sein Theil, die Anderen möchten eben so das ihre getragen haben; in keinem Falle würde er sich aus solcher Ursach erschießen." Zahlreiches Gefolge geleitete ihn in der Stille zum Grabe; tein Priester folgte.

Zehntes Kapitel

Die Schicksale einer schönen Griechin; die Moral nach der Fabel; der Rangstreit auf den Congressen in früherer Zeit.

Unter den vornehmen Russen zog vor anderen der General Graf Witt die Aufmerksamkeit der Damen auf sich, nicht sowohl wegen seiner martialischen Schönheit, als wegen der abenteuerlichen Schicksale und Erlebnisse seiner Mutter, welche durch die Anwesenheit des Sohnes in lebhafte Erinnerung gerufen wurden. Unserer Schilderung des Salonlebens während des Wiener Congresses würde ein pikanter Lichtpunkt fehlen, wenn wir unseren Lesern diese romanhafte Geschichte vorenthielten, welche wiederholentlich die Gesellschaft, zumal die Damenwelt, mehr beschäftigte, als was de la Motte Fouqué, Karoline Pichler, Clauren und Castelli, die damals beliebtesten Romandichter ihnen zur Unterhaltung boten.*) Herr du Barry, in den Jahren kurz vor dem Ausbruch der Revolution französischer Gesandter in Constantinopel, bemerkte eines Tages bei einem Spazierritte unter einer Gruppe spielender Kinder ein dreizehn- bis vierzehnjähriges Mädchen, deren edle Gesichts- und Körperbildung die griechische Herkunft verriethen und deren naive Anmuth ihn, als er sich mit ihr in ein Gespräch einließ, so bezauberte, daß er sich nach der Wohnung und den Umständen ihrer Eltern erkundigte, in der Abficht, für die

*) Unser Gewährsmann, Graf de la Garde, war persönlich mit der Heldin dieser romantischen Erzählung befreundet und kann hierbei für zuverläffiger, als andere Mittheilungen gelten, a. a. D.

Erziehung des Kindes zu sorgen. Daß in Constantinopel eine Griechin ihr Kind einem begüterten Franken, einem hochgebietenden Minister und Gesandten, wenn auch nicht wie auf dem Sklavenmarkte verkauft, doch unter der Hand käuflich überläßt, ist vielleicht selbst heutiges Tages nicht etwas Unerhörtes; um wie viel weniger damals. Die griechische Mutter schloß nach einigem Zögern den Handel ab, nahm 1500 Piaster baar und blank und die kleine Sophia fand Aufnahme in dem Hôtel des Gesandten, erhielt prächtige Kleider, eine französische Erzieherin und die neue Lebensweise behagte ihr sehr, zumal es ihr vergönnt war ihre Mutter und ihre Gespielinnen, so oft sie danach verlangte, bei sich zu sehen.*) Nach zwei Jahren wurde Herr von B. von seinem Posten abgerufen und Sophie mußte, so schwer es ihr wurde, von ihrer Mutter und ihren Freundinnen Abschied nehmen. Man hatte ihr verhehlt, daß es ein Abschied auf lange Zeit, vielleicht auf immer sein dürfte; allein ihr besorgtes Herz und ihre Anhänglichkeit an die Heimath, ließen sie ahnen, was für ein Schicksal ihr bevorstehe und mit verschlossenem Widerwillen folgte sie dem, den sie als ihren Wohlthäter verehren, als ihren Entführer haffen mußte.

Herr v. B., welchem von seiner Regierung Aufträge für Warschau und Berlin ertheilt worden waren, sah sich genöthiget, den beschwerlichen Landweg durch die europäische Türkei zu nehmen. In Kaminiek Podolski, der russischen Grenzfestung, fand er gastfreie Aufnahme bei dem General Grafen Johann de Witt, einem Nachkommen des berühmten holländischen Großpensionärs, welchem die Kaiserin Katharina II. diesen wichtigen und stark befestigten Play anvertraut hatte. Mit großer Zuvorkommenheit ließ es sich der russische General angelegen sein, den franzöfifchen Gesandten auf das ehrenvollste und splendideste zu bewirthen, so daß sich dieser eine mehrtägige Erholung gönnte. Herr v. B. war Militär und da ihn die Art und Weise der Befestigung an so entlegener Grenze interesfirte, gestattete ihm der sonst gestrenge Gouverneur sehr gern, täglich einige Stunden außerhalb der Festung zur Kenntnißnahme der Außenwerke zuzubringen. Unterdessen war der General mit Eroberungsplänen ganz anderer Art im Innern beschäftiget, wo die schöne Sophie, an welcher der Franzos eine uneinnehmbare Sternschanze zu besißen glaubte, ihm ihr Herz aufschloß und ihn zum alleinigen Gebieter in demselben

*) De la Garde nennt die schöne Sophia eine Fanariotin, also Griechin, während andere fie für eine Georgierin, Tscherkessin ausgeben.

erkor. Eines schönen Tages, als Herr v. B. draußen patrouillirte, gab der Gouverneur Befehl, die Zugbrücken aufzuziehen und niemand, wer es auch sein möge, bis auf weiteren Befehl einzulassen. Vergebens donnerte und wetterte der französische Gesandte von einem Thor zu dem anderen ringsumher um die Festung, überall fand er die Brücken aufgezogen und mußte sogar die Nacht über in einer elenden Herberge außerhalb zubringen; es war die Hochzeitnacht der schönen sechszehnjährigen Sophie und des Generals Grafen de Witt. Dieser hatte nach abgekürztem, russischem Verfahren in Ehesachen, den Popen kommandirt die Trauung zu vollziehen, welcher, da die Braut eingewilligt, kein Hinderniß im Wege stand. Am andern Morgen schickte General de Witt Sr. Excellenz Herrn du Barry Dienerschaft, Gepäck, alle Geschenke, welche Sophie von ihm erhalten, auch die 1500 Piaster, welche er für Sophie bezahlt vor das Thor und bat ihn angelegentlichst ein für beide Theile schmerzliches Wiedersehen zu vermeiden. Sophie hatte einen Brief hinzugefügt, in welchem sie ihm für alle ihr erwiesenen Wohlthaten dankte und bei dem Schritte, welchen sie ohne seine Einwilligung gethan, in den zärtlichsten Worten einer ungehorsamen Tochter um Verzeihung bat. Der französische Gesandte, gedachte der guten Lehre seines weltweisheitsvollen Landsmannes und Lustspieldichters: *)

,,Betrogen lärmt der Narr, der Thor klagt fort und fort,
„Der Kluge zieht still ab und sagt auch nicht ein Wort."

Er sah wohl ein, daß er diese Angelegenheit nicht zu einem casus belli zwischen Frankreich und Rußland machen konnte, außerdem überzeugt, daß, ,,der den Schaden hat, für Spott nicht zu sorgen braucht", hütete er sich Lärm zu schlagen.

Desto ungestörter schwelgte der General Witt in dem ihm so unerwartet in die Arme geflogenen Glück. Seine Gattin beschenkte ihn nach Verlauf eines in häuslicher Zurückgezogenheit verlebten Jahres mit einem Knaben,

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früher als Jungfrau alle anderen an Schönheit überstrahlte, so entfalteten sich ihre Reize zu noch schönerer Blüthenfülle als junge Frau und zärtliche

*) Le bruit est pour le fat, la plainte est pour le sot,
L'honnête homme trompé s'éloigne et ne dit mot.

Molière.

Mutter. Die, allen Männern, welche in vorgerücktem Alter eine jugendliche Schönheit als Gattin heimgeführt haben, eigene Eitelkeit, mit solchem gefährlichen Besißthum Staat zu machen, verleitete den Grafen Witt, seine junge Gattin in die große Welt einzuführen. An allen Höfen, wo er die schöne Fanariotin vorstellte, beeiferten sich Fürsten, Dichter, Maler und Bild: hauer ihr zu huldigen und ein von ihr noch vorhandenes Portrait in Pastellfarben, welches das königliche Kupferstichkabinet in Berlin besigt, erregt die lebhafteste Bewunderung bei allen, welchen Sinn und Gefühl für weibliche Schönheit in zartesten Formen beiwohnen.

Von allen Verehrern und Bewunderern, welche der schönen Gräfin ihre Huldigungen darbrachten, durfte nur ein Einziger sich mit der Hoffnung schmeicheln ihr nicht gleichgültig zu sein, vielleicht sogar von ihr vor allen anderen begünstigt zu werden. Seine Bewerbungen fanden geneigtes Gehör, und als er erfuhr durch welchen Handstreich der Graf Witt in den Besitz dieser Perle orientalischer Schönheit gekommen und als Sophie ihm gelobte, zu folgen, wenn ihr Gemahl in die gefeßliche Scheidung willige, war sein Entschluß gefaßt und bald ausgeführt. Dem reichen Grafen Felix Potocki, dessen Einkünfte die so manches nachbarlichen Königs überstiegen, war es leicht, zumal nach ruffischem Geseße, einen Scheidebrief für die Gräfin Witt zu erhalten. Es bedurfte hiezu für's Erste nur ihrer Unterschrift, welche fie bereitwillig zeichnete; Gültigkeit erhielt er jedoch erst durch die Unterschrift des Generals und auch dafür wußte der Graf Potocki Rath zu schaffen. In der Absicht sich mit seiner Gemahlin nach England einzuschiffen, hatte General Witt sich mit ihr nach Hamburg begeben; schon lag das Schiff segelfertig, welches ihn nach Albion bringen sollte, wo er durch das Erscheinen der schönen Griechin, die auf ihre Schönheit so stolzen Engländerinnen zu demüthigen, die starren Lords zu zwingen gedachte zu den Füßen seiner ihm so treuergebenen Sophia unerhört hinzuschmelzen. Da trat am Morgen des zur Abreise bestimmten Tages der Graf Felix Potocki in sein Zimmer. „Mein lieber General", sagte er, „die Verehrung, welche ich für ihre Gemahlin hege, ist ihnen kein Geheimniß geblieben, ich halte mich für verpflichtet, ihnen mitzutheilen daß ich derselben nicht gleichgültig geblieben bin. Ich ziehe es aber vor, mein Glück aus der Hand ihres Gatten, meines aufrichtigen Freundes, zu empfangen, wofür sie mich für das ganze Leben zu Danke ver

pflichten würden. Ich lege ihnen hier den in rechtlicher Form abgefaßten, von ihrer Gemahlin bereits unterzeichneten, Scheidebrief vor und ersuche sie, denselben gleichfalls und zwar auf der Stelle zu unterzeichnen. Obschon ich auf ihre Freundschaft und Zustimmung mit Zuversicht rechnen durfte, ließ ich doch aus gewiß ganz unnöthiger aber verzeihlicher Vorsicht durch meine Diener zwei nécessaires auf ihr Zimmer bringen. In diesem hier er schloß das elegantere auf — finden sie zwei Millionen polnischer Gulden in Wechseln, zahlbar in vollwichtigen Dukaten und Pistolen bei meinem hiesigen Banquier. In diesem zweiten befinden sich, wie sie sehen, auch Pistolen, aber von anderem Kaliber. Ich stelle ihnen die Wahl frei: schlagen sie mir die Bitte ab, jene zwei Millionen in guten Wechseln anzunehmen, dann gilt es einige Kugeln mit mir zu wechseln, aber mein Ehrenwort set' ich zum Pfand' ein, daß in diesem Falle nur Einer von uns Beiden den Kampfplat lebend verlassen wird."

Nachdenklich durchlas General Witt den ihm vorgelegten Scheidebrief; dann ließ er seine Gemahlin rufen, legte ihr denselben vor und fragte, ob fie aus eigenem Antrieb, freiwillig und mit gutem Bedacht diese Schrift unterzeichnet habe, oder ob Gewalt, Ueberredungskunst, oder andere Mittel er warf einen Blick nach den nécessaires sie zu diesem Schritte vermocht hätten? Mit liebenswürdiger Unbefangenheit antwortete das „naive Naturkind", daß sie nur der Stimme ihres Herzens gefolgt sei, wobei fie den General daran erinnerte, daß er, als er sie in der Festung Kaminiek überredet hätte ihren väterlichen Freund zu verlassen, ihr als die heiligste Lebensregel eingeschärft hätte: in zweifelhaften Fällen immer der Stimme ihres Herzens zu folgen, was sie auch diesmal gethan. Sie flog dem Grafen Potocki in die Arme und der General Witt überzeugte sich, daß wenn er im glücklichsten Falle seinen Nebenbuhler im Zweikampfe tödte, er schwerlich darauf rechnen könne, des gesicherten Besites seines Glückes jemals wieder froh zu werden. Er entschied sich für das Necessaire mit den zwei Millionen Gulden, unterzeichnete den Scheidebrief und überließ die treulose Gattin dem begünstigten Liebhaber. Sie folgte dem Grafen Potocki auf seine großen Befizungen nach Galizien, wo das Schloß Tulczin der Residenz eines Königs glich. Dies in der That zu werden, schienen die Bewegungen, welche schon vor Ausbruch der französischen Revolution die polnische Nation ergriffen

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