Page images
PDF
EPUB

erkennung; im Uebrigen war er, was die Kunstsprache der Salons einen „Blender“ nennt. Als solchen sind wir ihm während des Feldzuges auf verschiedenen Schlachtfeldern begegnet; er verläugnete diese seine Natur eben so wenig bei den Festlichkeiten und den Verhandlungen in Wien. ,,Man hat den Kaiser aller Reußen", bemerkt ein feiner Beobachter, schlechtweg einen schönen Mann genannt; ich für mein Theil kann den, allerdings sehr relativen, Begriff von männlicher Schönheit nicht, wenigstens nicht, was die Züge seines sonst gewiß geistvollen und einnehmenden Gesichtes betrifft, auf ihn gelten lassen. Das dünne gekräufelte Haar, der etwas mädchenhaft zartgeröthete Teint, die kleine Stumpfnase stachen unvortheilhaft gegen die muskelreiche, stattliche Gestalt ab. Wenn man nach den Regeln der Form richten wollte, mußte man unstreitig den Preis männlicher Schönheit dem, obschon sieben Jahre älteren, Könige von Preußen zugestehen; allein die Ungezwungenheit Alexanders, die Gewandtheit und das hinreißend Lebendige seiner Bewegungen, der Ausdruck im Blick und um den fein gebildeten Mund, das Elastische in Gliedern und Mienen ließen ein kaltes Kunsturtheil gar nicht zur Sprache kommen. Alexander war eine echt-slavische Erscheinung, ohne einem der Völker dieses Namens anzugehören; er war von Natur durchweg zum Kosmopoliten geschaffen, sein Vaterland die Welt; allenthalben fühlte er sich zu Hause und allenthalben behaglicher als zu Hause bei sich. Man kann ihn nicht treffender charakterisiren, als er es selbst thut: „Ich bin nur ein glücklicher Zufall in Rußland.“ Keiner der anderen Fürsten hatte so angenehme, gesellige Formen, solche Ungezwungenheit selbst bei einem Anfluge von Affectirtheit, wie Alexander. Als der Kaiser Franz ihn durch den Obersthofmeister ersuchen ließ, die Rangordnung zu bestimmen, welche bei Tafel, beim Ausfahren u. s. w. beobachtet werden sollte, erklärte er sogleich, daß hierbei das Alter den Vorrang haben müsse, mit der scherzhaften Bemerkung: er thue dies nur, damit die Damen bei dieser Gelegenheit erführen, daß er von den anwesenden gekrönten Häuptern der jüngste sei. Hiernach war die Rangordnung folgende: 1. der König von Württemberg (geb. 1754), 2. der König von Baiern (geb. 1756), 3. der König von Dänemark (geb. 1768), 4. der Kaiser von Destreich (geb. 1768), 5. der König von Preußen (geb. 1770), 6. der Kaiser von Rußland (geb. 1777). Von Alexander cirkulirten Hunderte von Geschichtchen, allerliebst, aber sämmtlich so, daß ihnen zu

[ocr errors]

Anekdoten das Salz fehlt. Es ist immer eine Dosis Rührendes dabei, schöne Beispiele von Humanität, Herablassung, Volksfreundlichkeit; man wird indessen versucht, auch etwas Absicht darin zu finden. Die öffentlichen Beweise der Zärtlichkeit für „mon cher frère Franz" wiederholten sich so oft, und so sehr auf die Zuschauer berechnet, daß sie zuletzt langweilten und zu allerhand Wiener Bären" - so nennt man dort fabelhafte Jagdgeschichten Steff gaben, wodurch die übertriebenen Schmeicheleien, welche Alexander zu hören befam, lächerlich gemacht wurden. ,,Sogar auf die Thiere" wurde in einem Wiener Blatte erzählt scheint der Anblick dieses erhabenen Herrschers lebhaften Eindruck zu machen; man sieht in Schönbrunn jetzt ein Reh mit einem goldenen Halsbande, das bei der letzten Jagd mit Thränen in den Augen auf den Kaiser zusprang, die Kniee vor ihm beugte und sich nicht wieder von ihm trennen wollte."

-

In politischer Beziehung mag Alexanders Liebenswürdigkeit und gute Laune zur Erfrischung der Unterhandlungsluft und des guten Einvernehmens vieles beigetragen haben. Jedenfalls war die scherzhafte Bonhommie, welche nicht tief ging, gerade das den verschiedenartigen Stimmungen zusagende, oder doch unverfänglichste Correctiv. Und jedesmal wußte, sei es aus Klugheit, oder aus Herzenstrieb, der Gast die Pointen seiner glücklichen Einfälle nach „unserm guten Franzl" hinzurichten. Als ein „aber ganz ausgezeichneter Spaß" wurde es von ganz Wien belacht, daß der Kaiser Alexander sämmtliche Fürsten, welchen der Kaiser Franz Regimenter verliehen hatte, als fie die Einladung zu einem Besuch der Hauptstadt Ungarns erhielten, veranlaßte, auf dem vorschriftsmäßigen Stempelbogen zur Reise über die Grenze um Urlaub einzukommen. Noch mehr wurde ein Pagenstreich" Alexanders be= lacht. Es war seiner Aufmerksamkeit nicht entgangen, daß von der kaiserlichen Tafel vor seinen sichtlichen Augen sehr oft die köstlichsten Braten und Basteten nach dem Tranchirtisch gebracht wurden, ohne wieder zur Tafel zurückzukehren. Eines Mittags ließ sich unmittelbar vor der allerhöchsten Nase des Zaren ein Fasan nieder, mit kunstreicher Papier-Krause um den farbenschimmernden Hals, Füße und Schnabel vergoldet, mit Trüffel- und Oliven-Wohlgerüchen die Geruchsnerven berauschend. Es war ein so ausgezeichnet königlicher Vogel mit Krone und Schweif", daß der Kaiser heut versucht war, wie Philipp von Burgund zu schwören: bei der Jungfrau

[ocr errors]

Maria, meiner Dame und dem Fasan!" Diesmal sollte es bei der bloßen Augenweide sein Bewenden haben; der Vogel flog davon und obschon der Kaiser ihn mit Falkenblicken verfolgte, die schöne Beute war ihm entgangen. Alexander stand verstimmt auf von der Tafel; vergeblich bemühte sich die schöne Gräfin Gabriele von Auersperg ihn aufzuheitern, er blieb stumm; die Diplomaten argwöhnten hinter dieser düstern Stirn ein sich zusammenziehendes Gewitter, ihr Wig erschöpfte sich in Muthmaßungen, welche Entscheidung des Schicksals Europa's der Kaiser in seinen Gedanken wäge. Niemand errieth, was ihm in dem Kopfe herumging, oder vielmehr herumflog: es war der Fasan mit dem vergoldeten Schnabel. Früher als gewöhnlich und ohne alles Gefolge verließ der Kaiser den Saal und begab sich durch einen SeitenCorridor nach seinen Gemächern. Da fällt im Vorübergehen sein Blick auf das schillernde Farbenspiel eines Federschweifes, welcher zwischen der Gardine einer Fensternische, von Zugluft bewegt, ihm einen verrätherischen Wink gab. Wie ein Blig fährt es dem Kaiser durch den Kopf - er zieht die Gardine zurück und findet hier zu seiner freudigsten Ueberraschung in einem Handkorbe auf silberner Schüssel den entflohenen Vogel, auf einem Neste von noch uneröffneten Flaschen des edelsten Burgunders und Tokaiers. Zum Glück ist niemand gegenwärtig, der bei dem Funde „Halbpart!“ gerufen hätte und der Kaiser bringt den reichlich gefüllten Korb in sein Zimmer in Sicherheit. Am nächsten Morgen ladet er den Kaiser Franz zu einem ExtraFrühstück auf seinem Zimmer ein. Alexander läßt sich die Ehre nicht nehmen, seinen kaiserlichen Gast als Tafel- und Kellermeister zu bedienen und segt den Korb, so wie er ihn hinter der Gardine gefunden, dem Kaiser vor, wobei er das abenteuerliche Jagdglück, welches er gehabt, auf die scherzhafteste Weise zum Besten giebt. Der gutmüthige Franz war nicht im Mindesten davon überrascht: „Schaun's“, sagte er, „so geht's halt bei uns im Kleinen her, nun können's Sich eine Vorstellung davon machen, wie's bei Ihnen im Großen hergehen thut."

Fast kein Tag verging, daß man nicht ein neues, wenn auch noch so triviales Geschichtchen von Alexander zu erzählen wußte, und wie er es in Paris vortrefflich verstand, sich durch Schautragung liberaler Gesinnung, Menschenfreundlichkeit und eine ungezwungene Erscheinung populair zu machen, so gelang es ihm auch in Wien, sich die Sitte und Anschauungen des Hofes

und der Bevölkerung so anzueignen, daß er fast ausschließlich die Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. „Die öffentliche Meinung stimmte vor wenigen Jahren noch in dem Lobe der Rechtlichkeit und Biederkeit des Kaisers Alexander überein, fie nannte ihn einen rêve-chevalier und glaubte durch dieses günstige Zeugniß einen Mangel an Character zu verdecken. Nach und nach hatten nun schon die letzten Jahre das Publikum auf andere Meinung gebracht; der Congreß hat das Urtheil vollends berichtiget und der Kaiser erscheint als ein schlauer, ernst wollender Mann, der nicht selten durch diese Entdeckung an Glorie verliert. Darum sucht auch seine Planmäßigkeit die Meinung zu verwirren durch Unbefangenheit und scheinbare Hingebung, indem er auf Promenaden und sonst an öffentlichen Orten sich immer Arm in Arm mit den unbedeutendsten Menschen zeigt, die nichts als Form und jugendliche Gefälligkeit für sich haben, sonst aber bei aller äußeren Liebenswürdigkeit als beschränkt und unerfahren bekannt sind. Dazu gehören Morit Woina, der am höchsten in der Gunst steht, der kleine Fürst Liechtenstein und was sonst von Jugend sich durcheinander herumdreht." Daß sich Alexander ganz besonders von dem ehemaligen Vice-Könige von Italien, wie schon erwähnt, angezogen fühlte, hatte zunächst wohl seinen Grund in dessen persönlicher Liebenswürdigkeit; zugleich aber schmeichelte es der Eitelkeit Alexanders, daß eine so ausgezeichnete militärische Berühmtheit, der von Napoleon so sehr bevorzugte Stiefsohn, sein Schicksal mit unbedingter Hingebung in die Hände des „großmüthigen Siegers" wie Alexander sich gern nennen hörte

Legte.

[ocr errors]

„König Friedrich Wilhelm III.", bemerkt ein einheimischer Theilnehmer am Congreß, „auf welchen sich nächst Alexander die Blicke richten, wurde gewissermaßen durch den Glanz seines kaiserlichen Kampfgenossen in Schatten gestellt. Der stille Ernst, das Gleichmaß königlicher Haltung, welche diese wahrhaft ritterliche Gestalt auszeichneten, vermochten erst nach längerer Anwesenheit das Urtheil zu gewinnen. Politische Sympathien und Antipathien spielen mit zäher Lebenskraft auf Menschenalter in den Volksgeist hinein und nur zögernd läßt dieser von vorgefaßten, in den Ereignissen begründeten, Meinungen wieder los. Wenn schon von Haus aus die norddeutschen Stämme der Niedersachsen und Westphalen im Zerwürfniß mit den süddeutschen der Alemannen und Schwaben lebten, so hatte sich im Laufe der Jahrhunderte

die gegenseitige Anfeindung durch die traurige Vielherrschaft im heiligen römischen Reiche noch gesteigert. Das Zerwürfniß der Kirche hatte seinen tieferen Grund ebenfalls in dem unverträglichen Gegensaße des germanischen Nordens und Südens, der noch schroffer hervortrat, als der stammverwandte Gothenkönig Gustav Adolf sich an die Spitze Norddeutschlands stellte und der protestantisch-lutherischen Kirche den Sieg über süddeutsches Papstthum erfocht.

Die drei schlesischen Kriege Friedrichs des Großen, die ihrem innersten Prinzip nach eine Fortsetzung des dreißigjährigen Krieges waren, da es wie damals galt, die freie Entwickelung in Staat, Kirche und Wissenschaft gegen römisches Pfaffenthum und östreichische Zwingherrschaft zu schirmen, trugen nicht dazu bei, daß Norddeutschland und Süddeutschland sich näher befreundet hätten, und ganz besonders hatte sich ein unglückseliger Nationalhaß zwischen den Destreichern und den Preußen ausgebildet. War es doch so weit gekommen, daß man 1805 in Berlin sich in's Fäustchen lachte, als die Oestreicher bei Ulm und Austerlitz tüchtige Kloppe bekamen, wogegen dann im nächsten Jahre die Wiener das große Vergnügen hatten, daß es den Preußen bei Jena und Magdeburg wo möglich noch schlechter ergangen sei.

Selbst während des so eben rühmlich beendeten Feldzuges, wo Preußen und Oestreicher in mancher Schlacht gemeinschaftlich den Sieg erfochten, gemeinschaftlich auch aus mancher Schlacht übel zugerichtet den Rückzug angetreten hatten, war der langjährig gehegte Groll nur allzuoft auf den Märschen, in den Lagern und Cantonirungen zum Vorschein gekommen und hatte seinen entschiedensten Ausdruck in dem schroffen Gegenübertreten Blüchers gegen Schwarzenberg erhalten, was sich in gleicher Weise in dem schreibenden Hauptquartiere wiederholte, wo Hardenberg und Metternich in beständig feindseliger Haltung einander gegenüberstanden. Um so erfreulicher für den wahren deutschen Vaterlandsfreund war es zu bemerken, daß Friedrich Wilhelm III. durch sein persönliches Erscheinen, durch seine bescheidene Zurückhaltung, ohne sich je etwas zu vergeben, besonders aber durch seine Vorliebe für das Volkstheater der Leopoldstadt, einer Vorliebe, welcher er späterhin in Teplit viele Jahre hindurch treu blieb, den Wienern ein so werther Gast war, daß es schien, als wolle man durch die freundliche und freudige Aufnahme, welche ihm, wo er erschien, erwiesen wurde, offen und ehrlich

« PreviousContinue »