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Am 8. April 1835 gegen 6 Uhr Abends legte die untergehende Sonne eine verklärende Strahlenkrone um des Entschlafenen Haupt. Seine Ruhestätte hatte er sich längst schon zur Seite seiner Gattin ausgewählt. Neben ihm ruht nun auch der ihm 1859 nachgefolgte Bruder Alexander.

Wollen wir nun zum Schluß unseren Lesern in einem Totaleinbrud das Lebensbild Humboldts, von welchem wir nur in zerstreuten Zügen das Interessanteste und Bedeutendste aufzeichneten, vor die Seele führen, so wüßten wir es nicht in würdigerer Weise zu thun, als der beredte Mund und die, aus treuem Herzen kommende, Hochachtung seines gelehrten Freundes Böch es gethan, welcher dem Abgeschiedenen in der Situng der Akademie der Wissenschaften am 9. Juli 1835 einige Worte des Andenkens widmete. „Der Freiherr Wilhelm v. Humboldt, welcher unserer Akademie, unserem Staate, der gefimmten gebildeten Welt rer kaam drei Monaten entrissen worden, hatte unter jenen Felden auf dem Felde der Wissenschaft und des ganzen geistigen Lebens keine geringere Stelle, als im Staate errungen; bei seinem Grabe öffnete sich von neuem jene beklagenswerthe Kluft: wer unter uns Lebenden berechtigte schon jezt, oder ließ hoffen, als sein Nachfolger oder Ersazmann zu gelten für das laufende oder das folgende Menschenalter? Gesetzt auch, die mannigfachen Richtungen, welche er in seiner Person vereinigte, könnten einzeln mit demselben, oder ähnlichem Glück verfolgt und so, was er zu seinem Ziel gestellt, fortgeseßt, vielleicht auch in Kleinigkeiten vollständiger erreicht werden, so wird doch die große Persönlichkeit nicht wieder hergestellt, welche den vielseitigen Bewegungen die Einheit gab, die Einheit, in welcher zugleich die fruchtbarste Wechselwirkung verschiedener und gewissermaßen entgegengesetter Thätigkeiten auf einander möglich wurde. Wenn der eine die Logif, der andere die Poetik oder Rhetorik, der dritte die Politik und Erziehungslehre, der vierte die Mathematik und Astronomie vortrefflich behandelt, so schreiten zwar die Wissenschaften für sich fort, aber alle diese einzelnen wissenschaftlichen Männer geben uns nicht den Geist eines Aristoteles wieder, in welchem das Gesammte des menschlichen Wissens, begriffsmäßig gestaltet, seinen Mittelpunkt gefunden hatte, während die bedeutendsten Vertreter einzelner Lehren doch immer nur als Punkte in der Peripherie ftehen: hier fehlt die gegenseitige Beleuchtung, welche der eine Theil des Erkennens dem andren zuwirft und das Großartige, welches eben barin liegt,

daß in diesem einen Geiste unendlich viele Strahlen des Wissens als in einem Brennpunkte zu dem stärksten Lichte versammelt und in die Monas einer einzigen Seele gleichsam zu unendlicher Dichtigkeit zusammengedrängt find. Dasselbe wendet sich ohne weitere Ausführung von selber an auf die Verbindung von Thätigkeiten des Staatsmannes und Gelehrten, eine Verbindung, deren Wichtigkeit um so mehr einleuchtet, je mehr die gewöhnliche Geschäftsthätigkeit für idealere Betrachtung und wissenschaftliches Leben für den Betrieb öffentlicher Geschäfte abstumpft. Weil nun freilich leßtere Vereinigung heut zu Tage nicht mehr in demselben Grade wie ehemals unstatthaft erscheint, weil das wissenschaftliche Erkennen aus früherer Abgeschiedenheit herausgetreten ist und sich dem Kampfplage des Lebens genähert hat, die Staaten aber empfänglicher für die Herrschaft des Gedankens geworden sind, so hat in neueren Zeiten doch schwerlich irgend einer die öffentlichen Verhältnisse zugleich und die Wissenschaft mit solcher Größe des Geistes und solchem Geschick gehandhabt als Wilhelm von Humboldt. Er war, wie wir alle wissen, nicht etwa blos das, was man einen tüchtigen Geschäftsmann nennt, der nur einer sehr untergeordneten Einsicht als Staatsmann gilt, obgleich er, wie in der Wissenschaft, so in seiner öffentlichen Wirksamkeit auch dem Kleinen und Besonderen Genauigkeit und Sorgfalt widmete: er war ein wirklicher, von Ideen durchdrungener und geleiteter Staatsmann und wir wagen es zu sagen und es wird in den verschiedenen Beziehungen, die in dem Worte liegen, verstanden werden, er war ein Staatsmann von Perikleischer Hoheit des Sinnes.*) In der Wissenschaft zeigte er, wie viele Seiten und Theile derselben er auch in sich verknüpfte, nirgends sich etwa nur als vornehmer Liebhaber, noch fand man etwa den gewöhnlichen Fachgelehrten, sondern das Freie, Leichte und Zwanglose des ersteren, der zu eigener Ergötzung sich mit der Wissenschaft beschäftiget und die Gründlichkeit und Ausdauer des letzteren, und überall unverwandt den Blick auf das Edlere und wahrhaft Menschliche gerichtet und dadurch sein ganzes Erkennen geläutert und zum Ideellen erhoben. Philosophie und Poesie, Redekunst, geschichtliche, philo. logische, sprachliche Gelehrsamkeit war in ihm zu einer durch keinen Mißklang gestörten Harmonie und zu jenem wunderbaren Ebenmaß verschmolzen,

*) Perikles, Beherrscher des athenienfischen Freistaates, starb 429 vor der christl. Zeitrechnung.

welches das Gepräge der besonnensten Meisterschaft ist. Klarheit und Tiefe, hoher Verstand, eindringender Scharfsinn und lebendige Einbildungskraft, Würde und Anmuth, Bewältigung eines ungeheuern, mit unermüdlichem Fleiße zusammengebrachten Stoffes, der mit strenger Technik für den Gedanken verarbeitet ist, und wieder der feinste Geschmack und ein zarter Sinn für vollendete Kunstform mit Gewandtheit und antiker Plastik der Darstellung geben seinen Werken eben so sehr dauernden Werth, als eigenthümlichen Reiz. Genährt durch das klassische Alterthum blieb er diesem stets mit gleicher Liebe und Bewunderung zugewandt; seine reifere Jugend griff ein in die damals alles belebenden dichterischen, ästhetischen und speculativen Richtungen der großen Bildner unserer Literatur und Philosophie: aber wie Platons frühere dichterische Studien auch über seine späteren philosophischen Werke einen wundervollen Glanz verbreiten, so verklärt Humboldts nachmalige Forschungen über die Sprachen der gesammten Menschheit, in welchen er, den ganzen Erdkreis in dieser Beziehung umspannend, früher kaum geahntes in einem Maße leistete, welches die Kraft des Einzelnen zu übersteigen scheint, die Glorie einer, von dem Urbilde der Schönheit ursprünglich erfüllten Seele."

Mit Humboldt schließen wir die Reihe der Lebensbilder des Wiener Congresses. Wir verhehlen uns nicht, daß dies Bild die, ihm anfänglich zugemessene, Einrahmung gesprengt und ein größeres Feld in Anspruch genommen hat, als wir vermeinten ihm zu geben. Ein Charakter, wie Hum boldt verfügt nicht nur in der Geschichte, auch in dem Geschichtsbuche über den Raum, den er einnimmt und ausfüllt.

Sechszehntes Kapitel.

Die Congresherren an dem grünen Tische; Vorgängige Sesprechungen in Saden; die Theilnahme Steins und die Machtstellung Alexanders zu den Angelegenheiten Deutschlands; der Aufruf von Kalisch wird in Erinnerung gebracht; Vorschlag zur Errichtung eines norddeutschen Reiches unter Preußen und eines füddeutschen unter Deßtreich; Metternichs Widerspruch; frühere Verabredungen und Entwürfe Steins und Hardenbergs zur Errichtung eines deutschen Bundesstaates; Baiern möchte gern großmächteln; die Macht der freien Presse von Stein anerkannt; Briefwechsel mit Görres, dem Herausgeber des Rheinischen Merkur; des Ministers v. Marschall Entwurf einer fändischen Landesverfassung für Nassau; Stein wider den Sultanismus der kleinen Fürsten; Metternich verstümmelt den Stein-Hardenberg'schen Verfassungs-Entwurf; wie Hannover ein Königreich wurde.

Der Aufgabe, für die in Wien versammelten Fürsten nebst Gefolge Festprogramme und Küchenzettel zu entwerfen und auszuführen zeigte der kaiserliche Hof sich vollkommen gewachsen; nicht in gleicher Weise gelang es ihm die, von Vielen für die leichtere Arbeit geltende, Aufgabe zu lösen: eine Geschäftsordnung für den Congreß und das Programm der Verhandlungen aufzustellen. Der zu Paris abgeschlossene Friede hatte viele der gewichtigsten Angelegenheiten und Streitfragen unerledigt gelassen; sie sollten bei dem Congreß zum Austrag gebracht werden. Da bei dem Beginn desselben die Bevollmächtigten der vier verbündeten Großmächte: Preußen, Oestreich, England und Rußland, äußerlich wenigstens, noch gemeinschaftliche Sache machten, durften sie, ohne Einspruch zu besorgen, oder, wenn solcher erhoben würde, zu beachten, die Geschäftsordnung vorläufig feststellen.

Am thätigsten und einsichtigsten zeigte sich auch hier wieder der Freiherr vom Stein. Er hatte sich, da er weder in russischen, noch in preußischen Diensten stand, seine unabhängige Stellung zu erhalten gewußt und, noch immer an der Spitze der Verwaltung der zurückeroberten herrenlosen deutschen Länder, waren es zunächst und fast ausschließlich die Angelegenheiten Deutschlands, welche er in erster Reihe zur Verhandlung zu fördern bemüht war, wobei ihn die preußischen Bevollmächtigten eifrig unterstüßten. Am 13. Sep

tember theilte Hardenberg in einer vorläufigen Besprechung in Baden bei Wien dem Fürsten Metternich einen, von Stein entworfenen, Plan einer Verfassung für Deutschland mit. Hierauf besprachen Metternich, Castlereagh, Nesselrode und Humboldt in einer Vorberathung die Geschäftsordnung.

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Wie auf die Verhandlungen in Paris übte der Kaiser Alexander auch in Wien einen vorwiegenden Einfluß aus. Dem russischen Cabinet übergab Stein, nachdem er vorher mit dem Kaiser Rücksprache genommen hatte, eine Denkschrift, in welcher er empfiehlt, die Ordnung der Angelegenheiten Deutschlands den deutschen Fürsten zu überlassen: „Da der Congreß" heißt es darin - auf dem Punkte ist, sich zu versammeln, so erscheint es nothwendig, sich über die Verhältnisse der großen Mächte zu den Fragen, welche ihn beschäftigen werden, und über deren Behandlungsweise sich zu vereinigen. Die großen Mächte sind es, welche ihr sittliches und ihr physisches Dasein auf's Spiel gefeßt, unermeßliche Anstrengungen gemacht, deren Völker Ströme Blutes vergossen haben, indessen das Betragen der anderen Fürsten feindlich war, oder sie der guten Sache nur durch den Erfolg der verbündeten Heere gezwungen beigetreten find. Es ist daher den großen verbündeten Mächten durch ihre Ergebenheit an die gute Sache und durch den Sieg das Schiedsrichteramt überwiesen und das Recht des Ausspruches über die großen Interessen, welche noch zu entscheiden sind; von ihnen erwarten die Völker die Herstellung einer Ordnung der Dinge, welche ihre Leiden endige und ihnen Glück gewähre.

„Die Mannigfaltigkeit der Gegenstände der Verhandlung erfordert eine vorläufige Theilung der Arbeit; sie muß besonderen Ausschüssen anvertraut werden, welche sich in sich über die Grundsäße vereinigen, die betheiligten Parteien vernehmen und ihre Arbeit dem Minister-Vereine vorlegen, um die Zustimmung der Monarchen zu erhalten.

"Die deutschen Geschäfte erfordern die reiflichste und genaueste Prüfung wegen der Verwickelung der Beziehung im Innern und gegen das Ausland. Der Plan einer Bundesverfassung für das Ganze und der Einrichtung der Theile muß mit genauer Kenntniß der Rechte der Fürsten und Unterthanen vorgenommen werden, da er das politische Dasein der einen wie der anderen gewähren soll. Hat man die Grundlagen der Verfassung festgesetzt, so kann man die betheiligten Einzelnen hören, ihre Einwürfe be

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