Page images
PDF
EPUB

da Fürst Hardenberg ihm nicht die Gründe seines Widerspruchs ausführlich mittheile, es angemessen erscheine, daß er sie dem Kaiser Alexander selbst vorlege und sich hierzu eine Audienz erbitte, was dieser auch that. Ihn hierzu noch gründlicher, als er es bisher gethan, zu bearbeiten, setzte Stein dem Staatskanzler in einem Briefe vom 27. Februar 1815 nochmals seine Ansichten über jene Angelegenheit auseinander. „Der Schlußfolge," heißt es diesem Briefe, welche die Nothwendigkeit beweisen soll, Oestreich durch ein ehrenvolles und verfassungsmäßiges Band an Deutschland zu knüpfen, sett man entgegen, daß die Kaiserwürde lange vor 1806 allen Glanz und allen wohlthätigen Einfluß verloren hätte und daß man dem Wechselschlusse nicht entgehen könne, entweder dieser Würde ein Ansehen beizulegen, welches mit Rechten der Bundesglieder unverträglich wäre, oder sie in einem Zustande der Schwäche zu lassen, der sie vollkommen unnüß macht.

„Das Kaiserliche Ansehen war noch in den Jahren 1805 und 1806 unmittelbar vor seiner Auflösung eine wohlthätige, schützende Macht, es verpflichtete Bayern mit seinen Bedrückungen der kleineren Staaten einzuhalten, die übrigen Fürsten, die, ihnen durch den Reichsdeputations-Receß vom Jahre 1802 auferlegten, Verpflichtungen zu erfüllen. Sein Dasein war keineswegs im Gegensatz zu Preußens Unabhängigkeit, welche dadurch weder in der inneren Verwaltung, noch in den Verhältnissen zum Auslande beengt ward und jetzt keinen Grund mehr haben wird, sich von Deutschland zu trennen, mit dem es durch seine geographische Lage vereiniget ist.

„Die Aufstellung einer leitenden Einrichtung des Bundes, mag man ihr nun einen geschichtlichen Namen geben, der so viel Erinnerungen zurückruft, wie der des Kaisers, oder einen anderen, einer mit Rechten ausgestatteten und mit bestimmter Verantwortlichkeit beladenen Einrichtung, ist so wesentlich, um einer Versammlung, wie der Bundestag, einen regelmäßig fortschreitenden Gang zu ertheilen, daß ich die Abwesenheit einer solchen Einrichtung als Grund betrachte, wodurch der Bundestag von seiner Geburt an gelähmt sein wird.

„Eine zweitel Betrachtung tritt der ersten hinzu: die Nothwendigkeit Destreich durch Gründe des Vortheils und der Pflicht an Deutschland zu knüpfen und zu verhindern, daß es sich nicht durch Frankreich in den man

nigfaltigen staatlichen Verwickelungen hinreißen lasse, welche eine, vielleicht nahe, Zukunft bringen wird.*)

,,Diese Betrachtungen find an des Kaisers Alexanders Majestät gemacht worden; sie haben diesen erhabenen Herrscher bestimmt, sie Ihnen, mein Fürst, mittheilen zu lassen und ich ersuche Sie, sich damit in der Audienz zu beschäftigen, welche Sie von des Kaisers Majestät zu erbitten beabsichtigen.“

In der Audienz, welche Hardenberg über diese Angelegenheit bei dem Kaiser Alexander am 2. März hatte, nahm dieser sehr entschieden zu Gunsten der Ertheilung der deutschen, erblichen Kaiserwürde an den Kaiser von Destreich das Wort, vermochte jedoch nicht Hardenberg dafür zu gewinnen, welcher nicht verhehlte, daß die öffentliche Stimme in Berlin und bei dem preußischen Heere einen wohlzubeachtenden Widerspruch erheben werde. Auch war Friedrich Wilhelm II. sehr weit entfernt von jenen romantisch - mittelalterlichen Anwandlungen seines Nachfolgers, welcher in der verhängnißvollen Zeit, als er im März 1848, noch bevor die Revolution in Berlin zum Ausbruch kam, von Abgeordneten aus Süddeutschland aufgefordert wurde, die deutsche Kaiserkrone auf sein Haupt zu nehmen, geäußert haben soll: er werde es für die höchste Ehre und das größte Glück erachten, wenn ihm einst vergönnt sein werde, als Reichs-Erzkämmerer dem deutschen Kaiser aus Habsburgs Geschlecht das Waschbecken zu reichen.

Von der Wiederaufrichtung eines heiligen römischen Reiches, so wie von der Wiederherstellung der deutschen Kaiserwürde war bei den Congreßverhandlungen nicht mehr die Rede.

*) Metternich hatte, als die Verbündeten, bevor sie den Rhein überschritten, in Frankfurt a. M. zu Ende 1813 mit Napoleon unterhandelten, gegen St. Aignan geäußert: „Der Kaiser von Oestreich verschmäht den ihm angetragenen, bedentungslosen Titel eines deutschen Kaisers; Deutschland, so meint er, sei auf diese Weise mehr sein, als früher.“

F ú n f u n d z wa n z i g ft e s Kapitel.

Die Nachricht von Napoleons Abfahrt von Elba trifft in Wien ein; die Festlichkeiten nehmen ein Ende mit Schrecken; Annäherung der Cabinette aneinander; Stein verlangt eine Achtserklärung; der Congreß tanzt nicht mehr, er geht vorwärts; die sächsische Frage wird erledigt; die Acht über Napoleon von acht Mächten verhängt den 13. März; Erneuerung des Bündnisses von Chaumont am 23. März; Vorbehalt des conftitutionellen Englands, den Franzosen die Bourbons nicht gegen ihren Willen aufzudrängen; Englische Hülfsgelder bewilliget; herzhaft vaterländische Erklärung der Kleinfürsten und freien Städte vom 27. März 1815; Antwort der preußischen Bevollmächtigten vom 29. März; die deutschen Bundesangelegenheiten sollen sogleich in Angriff genommen

werden.

[ocr errors]

denn

Die erste Nachricht davon, daß der Kaiser Napoleon", dieser Titel war ihm als unbeschränktem und deshalb unbewachtem Beherrscher der Insel Elba von den verbündeten Mächten durch Vertrag zugestanden zu irgend einer Unternehmung mit einer Begleitung von 1200 Mann seiner alten Garde sich in Porto Ferrajo eingeschifft habe, erhielt der Herzog Wellington am 7. März durch Lord Burghers (später Graf von Westmoreland) englischen Gesandten in Florenz, welchen der englische Consul in Livorno davon Mittheilung gemacht hatte. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit wurde zunächst Metternich von dem Ereigniß in Kenntniß gesetzt, der sofort seinem Kaiser und, nachdem dieser sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, Hardenberg und Talleyrand davon Meldung machte. Der uns als Berichterstatter über die Festlichkeiten des Congresses bekannte Graf de la Garde erzählt: „Wien hatte heut noch (den 7. des Mittags) sein gewöhnliches Geficht. Die Spaziergänge auf der Bastei und im Prater waren mit Lustwandlern bedeckt, welche die ersten Strahlen der Frühlingssonne in's Freie gelockt hatten. Nichts kündigte das nahende Gewitter an; überall Sorglofig= keit und Freude. In den höheren Kreisen war die Nachricht im Laufe des Tages bekannt geworden, allein man nahm bei Hofe die Miene an, als sei nichts vorgefallen, wodurch man sich in seinem Vergnügen dürfe stören lassen. Für diesen Abend war die Gesellschaft zur Kaiserin eingeladen, wo die Ver

gnüglinge (Dilettanti) eine Vorstellung der Oper: der Barbier von Sevilla und eines kleinen französischen Lustspieles „der unterbrochene Tanz“ gaben.

„Der Fürst Koslowski hatte mir angeboten, ihn nach der Burg zu be gleiten. Neugierig, die Physiognomie der hohen Gesellschaft zu studiren und in der Hoffnung, einiges Nähere über das große Ereigniß zu erfahren, hatte ich die Einladung angenommen. Die Gesellschaft war zahlreich und glänzend, wie gewöhnlich; allein die sonstige sorglose Heiterkeit fehlte, einige leichte Wölkchen zeigten sich hin und wieder auf den Stirnen. Es bildeten sich Gruppen, man sprach lebhaft über die möglichen Folgen dieser Abfahrt. „Er wird den englischen Kreuzern nicht entgehen!" sagte Einer; ein Anderer: „Pozzo di Borgo versichert, Bonaparte werde, wenn er es wagen sollte, den Fuß auf französischen Boden zu seßen, an dem nächsten Baume baumeln;" wogegen Dalberg bemerkte: Pozzo di Borgo ist kein Prophet; binnen Kurzem wird Napoleon in Paris sein.“ „O!" sagte mit selbstgefällig lächelnder Miene der von einigen alten Damen über seine Meinung von der Sache befragte Baron v. Niesemeuschel in seiner breit und weitschweifigen meißnischen Mundart, „sehen Sie, meine schönen Damen, das kann ich Sie ganz akkurat sagen, wie das Alles kommen wird; denn wenn der Bonaparte davon kommen sollte, ja dann weiß ich Sie wirklich nicht, was ich sagen sollte."

Unterdessen hatte die Kaiserin befohlen anzufangen; man nahm die Pläge ein, der Vorhang ging in die Höh. „Wir werden sehen," sagte ich zu dem Fürsten Koslowski, „ob die Nachricht nicht einige Verwirrung in die Aufführung bringen wird." Keineswegs, bemerkte mein Freuud; um diese Gesellschaft aus ihrem Taumel zu wecken, muß der Feind vor den Thoren erscheinen und der Kanonendonner sich vernehmen lassen. Als der Fürst Talleyrand diesen Morgen die erste Nachricht erhielt, lag er noch zu Bett, Madame Edmond de Perigord (Herzogin von Dino) saß bei ihm und unterhielt ihn mit Scherzen; man brachte eine Depesche von Metternich. schöne Gräfin öffnete das Siegel und trug die inhaltschwere Nachricht vor. „Bonaparte hat die Insel Elba verlassen! was wird heute Abend aus unserer Comödie werden!" Sie wird stattfinden," äußerte der Diplomat. „Vielleicht befindet sich Europa am Vorabend eines allgemeinen Brandes. Unsere liebenswürdigen Comödiantinnen werden sich dadurch nicht aus ihrer Rolle bringen lassen." Die Vorstellung ging vor sich; man vermißte

[ocr errors]

"

Die

Metternich, Talleyrand und Wellington. In der Conferenz, zu welcher Metternich sofort eingeladen hatte, war beschlossen worden, vor allen anderen Geschäften die sächsische Angelegenheit zum Abschluß zu bringen. Zwar legte man auf die erste Nachricht, welche nur die Abfahrt Napoleons von Elba meldete, kein so großes Gewicht; noch war die Meinung vorherrschend: er wolle sich durch die Flucht nach Amerika einer gewaltsamen Versetzung von der Insel Elba, -man hatte bei dem Congreß damals schon St. Helena in Vorschlag gebracht, entziehen.

Wir haben bereits die drei Botschafter nach Preßburg begleitet und von dem Mißlingen ihres Versuches, den König von Sachsen zur Einwilligung in die von ihm verlangte Abtretung der Hälfte seines Königreichs zu bewegen, berichtet. Außer allem Zweifel ist es, daß der König bereits am 9. von der Flucht Napoleons von Elba Nachricht hatte und wenn sich auch über den weiteren Verlauf des Unternehmens nichts Bestimmtes voraussehen ließ, ermuthigte dasselbe den König zu hartnäckiger Verweigerung seiner Zustimmung.

An dem Tage der Rückkehr der Botschafter von Preßburg traf in Wien die Nachricht ein von der unbehinderten Ausschiffung Napoleons und seinen Truppen an der französischen Küste und von dem günstigen Empfange, welchen er bei der dortigen Bevölkerung gefunden hatte. Außerdem versicherte Wellington, daß er während seines legten Aufenthalts in Frankreich eine allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Regierung der Bourbons wahrgenommen und daß ganz besonders in dem Heere die Mißstimmung den höchsten Grad erreicht habe.

Den Beschluß der Congreßfestlichkeiten machte ein Ball bei Metternich; noch einmal waren die bunten Laternen zwischen den blühenden Orangenbäumen, Mirthen und Rosengesträuch in den Salons angesteckt, allein dem Feste fehlte der Zauber früherer Ausgelassenheit und frohen Uebermuthes. „Die Nachricht von den ersten glücklichen Erfolgen der Landung Napoleons“, erzählt der bei dem Ballfeste anwesende de la Garde, *) wirkte wie ein electrischer Schlag; der Walzer stockt, die Musik verstummt, man blickt sich an, man fragt; jene vier Worte: er ist in Frankreich!" wirken wie der Schild Ubaldo's, welcher in einem Augenblick die Zauberkünfte Armidens

« PreviousContinue »