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Im einzelnen wird der Inhalt des Gesetzentwurfs bei der nun folgenden Kritik desselben zur Erörterung gelangen.

Der neue III. Titel zerfällt in sechs Abschnitte, von welchen der Abschnitt IIIa, welcher die Verhältnisse der Betriebsbeamten, Werkmeister und Techniker behandelt, ganz neu eingeschaltet ist, während der jetzt den V. Abschnitt bildende § 139b bereits in der jetzigen G.O. existiert, ohne aber hier als ein besonderer Abschnitt aufgeführt zu sein 1).

Dies vorausgeschickt, soll nunmehr, im Wesentlichen im Anschluss an die Paragraphenfolge des Gesetzentwurfs, dessen Inhalt in seinen wichtigsten Neuerungen einer Besprechung unterzogen werden.

1. Der »freie Arbeitsvertrag.

Wie die bisherige G.O. stellt auch der Entwurf in § 105 den Satz an die Spitze:

>>Die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden und den gewerblichen Arbeitern ist, vorbehaltlich der durch Reichsgesetz begründeten Beschränkungen, Gegenstand freier Uebereinkunft.<

Liest man nur diesen Satz, so sollte man glauben, das Prinzip völliger Vertragsfreiheit beherrsche vor wie nach das Verhältnis der Gewerbetreibenden und ihrer Arbeiter und sei nur durch einzelne reichsgesetzliche Ausnahmen durchbrochen. Dem ist aber keineswegs so; um dies darzuthun, um zugleich zu erweisen, dass die Formulierung des § 105, wenn die übrigen Vorschriften des Entwurfs zum Gesetz erhoben werden, ganz anders gestaltet werden muss und um endlich die Richtigkeit des eingangs aufgestellten Satzes darzuthun, dass die neueste Gesetzgebung bewusstermassen bisher privatrechtliche Gebiete durch öffentlich-rechtliche Vorschriften geregelt hat und weiter

1) Nicht recht verständlich ist es, warum der die Verhältnisse der Betriebsbeamten behandelnde Abschnitt mit IIIa und somit gewissermassen als Appendix des Abschnittes II >Lehrlingsverhältnisse‹ numeriert ist, zumal die Einteilung der bisherigen G.O. ohnehin nicht beibehalten worden und die Paragraphenfolge durch die Einteilung in Abschnitte nicht alteriert wird.

regeln will, muss hier auf die Entstehungsgeschichte des § 105 G.O. zurückgegangen werden. —

Derselbe lautete ursprünglich in der Fassung der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 (B.G.Bl. S. 245) in wörtlicher Uebereinstimmung mit dem § 134 der Preussischen Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 (G.S. S. 41), soweit es hier interessiert:

>Die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden und ihren Gesellen, Gehülfen und Lehrlingen ist Gegenstand freier Uebereinkunft.<

Der hier ohne jede Einschränkung ausgesprochene Grundsatz der Vertragsfreiheit für die Regelung des Arbeitsverhältnisses ist im Gesetz auch im einzelnen in vollem Umfange anerkannt; einige wenige Ausnahmen, welche sich auf die Sonntagsarbeit (§ 105, Abs. 2), die Beschäftigung jugendlicher Fabrikarbeiter (§§ 128-133) und das Verbot des sog. »Trucksystems betreffs der Lohnauszahlung an die Fabrik arbeiter beziehen (§§ 134—139), sind für die volle Geltung des Prinzips selbstredend einflusslos.

Die auch in der jetzt vorliegenden Novelle enthaltene Einschränkung des obigen Grundsatzes, wonach zwar »die freie Uebereinkunft<< zulässig ist, jedoch nur vorbehaltlich der durch Reichsgesetz begründeten Beschränkungen, verdankt dem am 1. Januar 1879 in Kraft getretenen Reichsgesetz vom 17. Juli 1878 (R.G.Bl. S. 199) betr. die Abänderung der Gewerbeordnung ihre Entstehung.

Durch dieses Gesetz erhielt der VII. Titel der G.O. zum ersten Male eine vollständig neue und im Wesentlichen bis jetzt nicht veränderte Fassung; aber auch in dieser wurde das Prinzip der Vertragsfreiheit als Regel aufrecht erhalten. Der einschränkende Zusatz, welcher sich schon der ganzen Wortfassung nach als Ausnahme charakterisiert, ist in den Einzelheiten des Gesetzes vom 17. Juli 1878 in der That auch nur als solche zur Geltung gekommen; soweit dies hier interessiert, weicht das gedachte Gesetz von der G.O. vom Jahre 1869 auch nur insofern ab, als es hinsichtlich der Beschäftigung von jugendlichen Arbeitern die Vertragsfreiheit etwas weiter, als bis dahin

der Fall, einschränkt, und als es gewisse Beschränkungen betreffs der Zeit und Art der Beschäftigung von Arbeiterinnen einführt (§ 135) - bezw. die Zulässigkeit von Einschränkungen durch Beschluss des Bundesrats gestattet (§ 139a).

Für die weitaus überwiegende Mehrzahl aller Arbeiter, nämlich für die männlichen erwachsenen Arbeiter, ist aber das in § 105 sanktionierte Prinzip voller Vertragsfreiheit abgesehen von dem bereits in der G.O. von 1869 enthaltenen und jetzt lediglich auf alle gewerblichen Arbeiter ausgedehnten Verbot des »Trucksystems«, sowie von der nur in klarerer Fassung zum Ausdruck gebrachten zivilrechtlichen Unwirksamkeit einer Verpflichtung zur Sonntagsarbeit in ungeschmälerter Geltung geblieben.

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Konnte also bisher mit Recht dem VII. Titel der G.O. der Grundsatz an die Spitze gestellt werden, dass das Vertragsverhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Allgemeinen und abgesehen von vereinzelten reichsgesetzlichen Ausnahmen der freien Uebereinkunft der Betheiligten überlassen ist, so lässt sich das Gleiche von dem jetzigen Entwurf nicht mehr sagen. Indem derselbe gleichwohl die bisherige Fassung beibehält, entsteht eine bedauerliche Inkongruenz in dem Gesetze : der auch jetzt noch an der Spitze stehende Grundsatz der Vertragsfreiheit ist in den Einzelvorschriften nicht verwirklicht; während das Gesetz bisher nur wenige Ausnahmen von dem Prinzip zuliess, die überdies auch fast nur jugendliche oder weibliche Personen betrafen, ist nunmehr auch die Beschäftigung der erwachsenen männlichen Arbeiter in einschneidender Weise der gesetzlichen Regelung unterworfen.

So gestaltet der Entwurf die bisherige zivilrechtliche Unwirksamkeit der Verpflichtung zur Sonntagsarbeit in ein öffentlich-rechtliches Verbot der letzteren um; durch die neuen Vorschriften über die Notwendigkeit des Erlasses von Arbeitsordnungen und ihren Inhalt wird in die Regelung des Arbeitsvertrages in der weitgehendsten Weise eingegriffen; durch Beschluss des Bundesrats kann sogar für gewisse Gewerbe die Dauer der zulässigen täglichen Arbeitszeit auch für erwachsene männliche

Personen festgesetzt werden, während die Dauer und Art der Beschäftigung jugendlicher und weiblicher Personen ins einzelne generell gesetzlich geregelt ist. Bei diesem Inhalt des Entwurfs ist doch offenbar die Beibehaltung des in § 105 ausgesprochenen Grundsatzes, die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden und den gewerblichen Arbeitern sei Gegenstand >freier Uebereinkunft«, welche nur ausnahmsweise gewissen reichsgesetzlich normierten Beschränkungen unterliege, eine Umkehrung des wahren Sachverhalts; im allgemeinen ist das Verhältnis der Arbeitgeber zu den Arbeitnehmern reichsgesetzlich geregelt; nur soweit das Reichsgesetz keine Bestimmungen trifft oder ausdrücklich vertragsmässige Regelung zulässt, kommt die letztere in Betracht.

Diese Sachlage müsste auch in der Fassung des Gesetzes ihren Ausdruck finden; der Gesetzgeber muss unumwunden anerkennen, dass er den früher von ihm eingenommenen Standpunkt, wonach die Regelung des Arbeitsverhältnisses Gegenstand privatrechtlicher Abmachung der Beteiligten war, verlassen und statt dessen jetzt von der Ueberzeugung durchdrungen ist, dass diese Regelung in erster Linie eine Aufgabe der staatlichen Fürsorge bildet und somit den Vorschriften des öffentlichen Rechts unterliegt.

Demgemäss müsste der § 105, wenn er mit den übrigen Vorschriften des Entwurfs in Einklang stehen soll, etwa folgende Fassung erhalten: »Die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden und den gewerblichen Arbeitern unterliegt den Bestimmungen dieses Gesetzes; soweit dasselbe keine zwingenden Vorschriften enthält, ist die Regelung durch Vereinbarung der Beteiligten zulässig.<

2. Die Sonntagsruhe.

Das Verbot der Sonntagsarbeit ist in den §§ 105 a bis 105 h eingehend geregelt; es ist hier nicht der Ort zu prüfen, inwieweit durch diese Vorschriften das Einkommen des Arbeiters geschmälert oder der Wettbewerb der deutschen Industrie auf dem Weltmarkt beeinträchtigt wird 1), da es sich hier nur um

1) Nebenbei sei hier bemerkt, dass die Vorschriften des Entwurfs

eine Kritik des Entwurfs vom juristischen Standpunkte aus handelt, also um Prüfung der Fragen, ob seine Vorschriften denjenigen Prinzipien entsprechen, von welchen der heutige Staat bei seiner Gesetzgebung geleitet wird und ob der gesetzgeberische Gedanke in der Formulierung des Gesetzes einen korrekten, einwandsfreien Ausdruck gefunden.

Die erste Frage ist nach dem Gange, wie ihn die neueste Gesetzgebung gemäss den eingangs hervorgehobenen Gesichtspunkten genommen, teilweise unbedenklich zu bejahen: nachdem einmal das Reich die früher herrschende Anschauung, wonach der Staat (im Frieden) im Wesentlichen nur Rechtsschutz zu gewähren und insbesondere in die Regelung der sog. wirtschaftlichen Verhältnisse gesetzgeberisch nicht einzugreifen habe, grundsätzlich aufgegeben, stand auch an und für sich nichts mehr im Wege, an Stelle der bisher geltenden zivilrechtlichen Unwirksamkeit der Verpflichtung zur Sonntagsarbeit ein generelles öffentlich-rechtliches Verbot derselben zu setzen, sofern der Staat dies im Interesse »des allgemeinen Wohls< und im Individualinteresse der beteiligten Arbeiter für erforderlich hielt.

Aber, wie bemerkt, nur teilweise bringt der Entwurf die Prinzipien des modernen Rechtsstaats zur Geltung; dieser basiert, wie ebenfalls bereits oben dargelegt worden, gerade in neuester Zeit ganz besonders auf den Gneist'schen Theorien, die ja darin gipfeln, dass im Rechtsstaat auf dem Gebiete der Verwaltung an die Stelle polizeilicher Willkür eine Verwaltung nach den Gesetzen des Landes zu treten hat, welche schon vermöge ihrer Organisation und einer weitgehenden Rechtskontrolle (insbesondere durch Verwaltungsgerichte) eine gleichmässige, gerechte Handhabung der Verwaltungsgesetze sichert.

Diesem Gesichtspunkt hat der Entwurf nirgends genügend Rechnung getragen, insbesondere auch nicht in denjenigen Vorschriften, welche sich auf die Regelung des Verbots der hinsichtlich der Sonntagsarbeit im grossen und ganzen nirgends Widerspruch vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gefunden; nur gegen die viel weitergehenden Beschlüsse der Reichstagskommission haben die Industriellen lebhaften Protest erhoben.

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